#301, Februar 2025
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In jeder Buchhandlung liegen die Romane von Han Kang zur Zeit an prominenter Stelle aus. Das ist auch keine Überraschung, schließlich hat sie im vergangenen Jahr den Nobelpreis für Literatur bekommen. Eines davon, das ich auf eine Empfehlung einer Freundin hin gelesen habe, heißt Die Vegetarierin. Schon das Cover ist ein ziemlicher Blickfang: rosa-rote Blütenblätter auf den ersten Blick, doch bei genauerem Hinsehen mischt sich auch das Rosa einer Zunge, die Finger einer Hand und ein Stück rohes Fleisch ins Bild.
Yong-Hye lebt als Hausfrau und Ehefrau eines fleißigen und erfolgreichen Büroleiters ein Leben bar jeder Abweichung in einem Vorort von Seoul. Geschildert wird dies von ihrem Ehemann, der seine Frau als leidenschaftslos, pflichtbewusst und treu beschreibt – oder kurzum, als absolut mittelmäßig. Sie lieben sich nicht einmal.
Doch eines Tages, nach einem Traum, beginnt Yong-Hye sich vegetarisch, also genauer gesagt vegan zu ernähren und entsorgt mitten in der Nacht alle tierischen Lebensmittel. Von da an ändert sich ihr Leben schlagartig und sie stößt an allen Ecken und Enden in der konservativen koreanischen Gesellschaft auf Unverständnis. Es wird schlimm werden und schon dieses erste der drei Kapitel hat mich extrem wütend gemacht und mich beschämt, zur Spezies Mensch zu gehören und zum Geschlecht Mann.
Wie auch im ersten Kapitel, erfolgt der Blick auf die Vegetarierin in der Erzählung permanent von außen, durch ihre Angehörigen. Auch wenn nur das erste Kapitel aus der Ich-Perspektive ihres Ehemanns erzählt wird, ist die eigentliche Protagonistin immer nur Objekt, das die Verwunderung und Verstörung, Ohnmacht und Wut der Anderen hervorruft.
Das sich im Lauf der Erzählung manifestierende Bild einer Pathologie der Gesellschaft – Achtung Spoiler – wird schließlich jedoch in der Schizophrenie der Hauptfigur aufgelöst; sie hält sich für einen Baum. Also ist sie doch krank. Tja, sie ist halt krank. Einfach krank. So lautet der Schluss, der sich dann ziehen lässt und der die „revolutionäre Kraft“, die dem Roman rückseitig attestiert wurde, wieder etwas relativiert.
Kangs klarer und schöner Stil, der sich nicht in endlosen selbstverliebten Detailbeschreibungen verliert, ermöglicht einen unverstellten Blick aufs Wesentliche. So legt die Autorin mit ihrer unaufgeregten Schilderung der skandalösen Machenschaften der Männer unter Beihilfe des Terrors der Familie die brutalen Züge des Patriarchats in Korea bloß, wenngleich dieser Gehalt durch die Wendung der Geschichte selbst geschwächt wird.
Die Vegetarierin ist nichtsdestotrotz ein verstörendes Buch über Frauen, die sich ganz selbstverständlich für ihre Männer aufopfern, während sie zugleich von diesen Männern missachtet und missbraucht werden, die egoistisch und ohne Rücksicht auf Verluste ihrem Begehren folgen und ihren archaischen Vorstellungen.
Das Buch hat 190 Seiten und liest sich flott, in meinem Fall an zwei Tagen. Try it!
Han Kang, Die Vegetarierin. Roman, 2016.
Aufbau Taschenbuch Verlag, 190 S., 12,00 €.
Marlon