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Sicherheit
am Arbeitsplatz

Was die Linke bis auf wenige Ausnahmen einen Scheiß interessieren wird und ein klein wenig davon, warum das so kommt.

Im Rackwitzer Aluminiumwerk steht seit mitte Januar nichts mehr still. Die wochenlange Betriebsbesetzung fand ihr Ende. Die starken Arme produzieren wieder. „Damit pünktlich um sechs Uhr der Betrieb losgehen“ kann, bedurfte es einiger Kompromisse seitens der 430köpfigen Belegschaft. Kurzarbeit an vier Tagen im Monat sowie Zugeständnisse beim Weihnachts- und Urlaubsgeld. Doch damit nicht genug. Die Arbeiter werden Anteile am Unternehmen kaufen. „Ihr könnt mich steinigen für diese Kompromisse“, so Bernd Kruppa von der IG-Metall Leipzig, „aber ich bin der Meinung, dies ist die beste Lösung. Schließlich geht es uns doch darum, so viele Arbeitsplätze wie nur möglich zu sichern.“
aus faz, 5.2k
Sicherheit am Arbeitsplatz – man denke nur an die hohe Zahl der Arbeitsunfälle, die nicht allein dem Alkohol geschuldet waren. (aus FAZ)
Die Sicherheit des Arbeitsplatzes, wußte einst Heinz Erhard, sollte in der sozialen Marktwirtschaft der Sicherheit am Arbeitsplatz mehr Gewicht geben als umgedreht. Das war umso notwendiger, als die sozialistische Planwirtschaft letzteren Topos vor dem Hintergrund des ohnehin sicheren Arbeitsplatzes zum Kampfbegriff stilisierte, der zwar praktisch relativ wenig bewirkte – man denke nur an die hohe Zahl der Arbeitsunfälle, die nicht allein dem Alkoholkonsum geschuldet waren – aber immerhin als reale Bedrohung von außerhalb in Konkurrenz zum warenproduzierenden Kapitalismus stand.
Für den Kapitalismus war es deshalb in seinem metropolitanen Herzen zwingend, weiter zu gehen. Die permanente Erweiterung der tagtäglichen Reproduktionsprozesse für die Arbeiter im Westen führte zu einer tendenziellen Pseudo-Abkehr der Arbeiterschaft vom bewußten Verkauf der Ware Arbeitskraft als Lebensmittelpunkt. Der Erzeugung von Nachfrage folgte eine Individualisierung der Lebensbedürfnisse. Nicht zuletzt dieser Erfahrungshorizont der Lohnabhängigen vermochte es, eine ständige Referenz an die Bejahung ihres eigenen Status als Ware hervorzurufen. Er führte gar zu einem „freien Individuum, das sich (...) seines gesellschaftlichen Zusammenhangs nicht mehr bewußt ist und sich umso mehr den Zwängen von ‘Sachen’ fügt“.(1)
Die nach Marxscher Theorie vorhandene Objektivität von Interessen ist somit seit etlicher Zeit einer realen Subjektivität gewichen, die das eigentliche Problemfeld großer Teile der (Ex)-Linken sowie ihrer heute existierenden Partikel ausmacht. Aus der Objektivität hergeleitete Reformismuskonzepte sind deshalb ebenso zum Scheitern verurteilt, wie eine daraus abgeleitete revolutionäre Politik.
In der ganzen Härte trifft es dann auch jene, die sich in „Sachzwängen“ verfangen haben oder revolutionstrunken „vom Standpunkt der höchsten (westlichen) Entwicklungsstufe“(2) nach Chiapas schielen und die dortige Demokratiebewegung mit der peripheren Flamme der globalisierbaren Revolution verwechseln. Sie wehren sich gegen solcherlei Erkenntnisse, in dem sie, anstelle einer Korrektur ihrer Sichtweise, lieber zur traditionellen linken Rasterfahndung nach dem Subjekt neigen.
arbeiter des bestwood-werk, 8.2k
Referenz an die Bejahung ihres eigenen Status als Ware – Schweriner Arbeiter des Faserplattenwerkes Bestwood.
„Wer das ihm aufgezwungene Interesse verfolgt und sich auf diese Weise durchschlägt, gehorcht der Not und begeht keinen Fehler, den er auch lassen könnte. Eine Parteinahme für den Kapitalismus ist das nicht.“(3) Und, um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, heißt es weiter: „Der neue Klassengegensatz von Mensch und Mitmacher ist uns zugleich zu bescheiden und zu elitär“.(4) Es ist die alte Mär vom Übel, das an der Graswurzel gepackt werden muß: „Organisatorische Prozesse müssen sich auf die praktischen Erfahrungen von unten beziehen. Wir müssen uns in diese Prozesse real einmischen“.(5)
Worum es im eigentlichen geht, verrät das folgende: „Die Sozialstaatsidee ist Gegenstand eines ideologischen Klassenkampfs, in dem in der BRD die Linke völlig in der Defensive ist“.(6)
Das Ziel dieser Jammertour ist ein fatales. Wer nämlich leugnet, daß der Sozialstaat nicht zu retten ist, zielt auf die Beteiligung an seinem Abbau.
Das Prinzip des deficit spending, das den Staat über Jahre in die Lage versetzte, über Verschuldung die sozialen Zugeständnisse zu bezahlen, verliert seinen Sinn, weil die Gründe dieser Praxis auf die Unhaltbarkeit des Verschuldungsmodells treffen. Beides zusammen geht einher mit der Entwicklung neuer Technologien, die „erstmals (...) die Einsparung von Arbeit durch Produktivitätssteigerung von Anfang an schneller als die Expansion des Marktes“ machen.(7)
Aus dieser Konstellation leitet das Gros der (Rest-)Linken nichts außer die Erklärung für die Aktualisierung der sozialen Fragestellung ab. Die Schlüsse, die aus dieser Situation gezogen werden, sollten keinen Grund zur Hoffnung geben. Die Emanzipation von der Kapitallogik – die Abwendung also – wird weiter ins Hintertreffen geraten, als die optimistischsten Prognosen es erahnen lassen.
„Weil die jetzige Welle von Deregulierung und Sozialabbau unwiederbringlich das Ende des bisherigen Wohlfahrtsstaates anzeigt, werden die sozialen Konflikte unzweifelhaft zunehmen. Sie werden aber auf der Basis von D-Mark und deutschen Spitzenprodukten als Quelle des Wohlstandes nicht sozialrevolutionäre Energien freisetzen, sondern einen verschärften Konkurrenzkampf um den Platz an den deutschen Versorgungströgen, die vermeintlichen Wohlstand garantieren, auslösen“.(8)
Die verzweifelte Aktualität der Negation jeglicher Selbstaffirmation als Ware wird die Linke bis auf wenige Ausnahmen einen Scheißdreck interessieren:
„Die Subjekte eines linksradikalen Projekts lassen sich nicht klassenmäßig sozial definieren, sondern nur politisch. Wenn die Arbeiter des 19. Jahrhunderts kein Vaterland hatten (so das ‘Kommunistische Manifest’), dann sind in den imperialistischen Metropolen diejenigen, die kein Vaterland haben (wollen), die ‘Arbeiter’ des ausgehenden 20. Jahrhunderts.“(9)
Ralf
Anmerkungen:
(1) Günter Jacob, „Kapitalismus und Lebenswelt“; 17ºC Nummer 4; I.Quartal 1993
(2) Robert Kurz, „Stand: Zweiter Weltkrieg“; konkret 11/91
(3) GegenStandpunkt 4-96
(4) a.a.O.
(5) Redaktionsgruppe Wildcat; „Das Proletariat kehrt zurück“; in: „Die Widerkehr der Proletarität: Dokumentation der Debatte“; Karl-Heinz-Roth (Hrsg.); Neuer ISP Verlag, Köln 1994
(6) Gruppe Blauer Montag, „Sozialstaat, Globalisierung und ‘moralische Ökonomie’“; ak 393, 22. August 1996
(7) Robert Kurz; „Von Keynes zu Alzheimer“; konkret 3/96
(8) zitiert aus Bahamas 20 – 1996 von Karl Nele, „Gesellschaftliches Beisammensein“; original von Heiner Möller, Bahamas Nr.12; Winter 93/94
(9) a.a.O.

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last modified: 28.3.2007