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Aktuelles Heft

INHALT #283

Titelbild
Editorial
Moral Bombing / Haexler / Swoon / Sittendezernat / Eastwood
Skill Sharing - Männerfreundschaften - auf der Suche nach Gefühlen
RECHT EXTREM - über eine rechte Gewerkschaft aus der Autobranche
HEYM - Vom Aufstoßen der Fenster
Buchvorstellung: das eigensinnige Kind
Buchvorstellung: Von Moskau nach Beirut
Buchvorstellung und Gespräch: FEMI(NI)ZIDE. Kollektiv patriarchale Gewalt bekämpfen
Buchvorstellung und Gespräch: Topf und Söhne - Besetzung auf einem Täterort
• interview: Also ich denke nicht, dass das Problem ist, dass es an Vorbildern mangelt, sondern, dass die Bedingungen jedes Mal wieder hergestellt werden müssen, um aus dieser Isolation herauszukommen.
• position: Der überfällige Griff in die feministische Mottenkiste
Stellenanzeige: Redakteur*in gesucht! (m/w/d)

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Der überfällige Griff in die feministische Mottenkiste

Versuch eines Debattenanstoßes unter Frauen in der radikalen Linken

Neulich habe ich eine Nachricht auf mein Handy bekommen. »hej, bock dich aufn bier zu treffen?« Eigentlich lieb. Und kann ja auch voll schön sein an einem der ersten warmen Abende im Frühjahr mit ’nem Bier am Straßenrand zu sitzen; ein bisschen abhängen. Klingt doch nett, oder?

Aber ich hatte so gar keine Lust!

»Och Krish. Warum nicht?«

Der Mensch, der mir geschrieben hat, ist ein Bekannter von mir oder ein loser Freund, den ich im Verlauf der turbulenten letzten Jahre aus den Augen verloren habe. Ein cis Mann. Ich stell mir vor, wie wir irgendwo rumsitzen, Bier trinken, die ein oder andere Kippe rauchen und uns unterhalten. Worüber eigentlich? Ich bin ratlos. Ich weiß lediglich, worüber wir nicht reden würden. Und ich weiß, dass ich ganz viel nicht weiß, was ich eigentlich wissen möchte, bevor ich mich mit einem cis Mann abends mit einem Bier auf die Brache setze.

Wie sehen seine Auseinandersetzungen mit Männlichkeit aus? Reden er und seine Freunde und Genossen darüber, was ihre Rolle im Kampf gegen sexuelle Gewalt sein kann, beziehungsweise sein sollte? Falls ja, wie lauten ihre Antworten? Falls nein, versucht er diese Gespräche einzufordern? Was würde passieren, wenn ich ihn all das fragen würde? Ohnmacht? Abwehr? Aggression?

Ihr seht, das Misstrauen ist groß. Und das ist nur ein Ausschnitt von Fragen, die mir durch den Kopf geistern. Ohne ihn damit jemals konfrontiert zu haben und ohne seine Antworten zu kennen, weiß ich genau, dass ich nur wütend werden könnte, wenn ich sie hören würde. Es ist nun mal eine traurige Tatsache, dass es sich um eine verschwindend geringe Anzahl von cis Männern handelt, die sich diese und noch mehr solcher Fragen überhaupt stellt und versucht die Beschäftigung damit gegenüber anderen cis Männern einzufordern. Und ich habe keinen Bock, mich damit aufzuhalten, herauszufinden, ob er einer von denen ist. Also treffe ich mich nicht mit ihm. Entgeht mir was? Ich denke nicht.

Eine mir kürzlich gekommene, wahrscheinlich etwas triviale Erkenntnis lautet: Niemand hat ein Recht darauf meine Zeit in Anspruch zu nehmen und ich kann mir aussuchen, wer meine Gesellschaft genießen darf. Punkt! Ich bin auf Männer kaum angewiesen. Und vor dem Hintergrund, dass Männer aus einer feministischen Warte regelmäßig nichts als Enttäuschung bedeuten, bin ich zu dem Ergebnis gelangt, dass die in meinem Leben wirklich alles andere als einen prominenten Platz einnehmen sollen. Überdies zeigt die Erfahrung, dass Frauen zumeist die interessanteren Zeitgenossinnen sind.

»Aber Krish, was ist mit Liebe? Und Sex?«

Okay, hier trifft es sich für mich gut, dass ich lesbisch bin. Ich weiß, dass das nicht für alle Frauen gilt und das kann sich ja leider auch niemand aussuchen. Ich bin allerdings der Auffassung, dass es nicht nur mir und anderen lesbischen Frauen gegönnt ist, eine Entscheidung treffen zu können, die Typen in ihrem Leben einen nachrangigen Platz zuweist. Was wären hier die Optionen? Bi- und pansexuelle Frauen könnten sich entschließen, cis Männer vorerst aus ihrem Dating Pool auszuschließen. Heterosexuelle Frauen könnten sich dafür entscheiden, eine Zeit lang nicht zu daten und die dadurch gewonnene Zeit und Energie in solidarische Beziehungen zu anderen Frauen zu stecken. Natürlich liegt es nur sehr, sehr eingeschränkt in unserer Macht, zu wem wir romantische Gefühle entwickeln und auf wen sich unser sexuelles Begehren richtet. Was allerdings sehr wohl in unserer Macht liegt, ist zu entscheiden aufkommenden Gefühlen nachzugehen und uns auf ein Kennenlernen und eine Beziehung mit cis Männern einzulassen (oder halt eben nicht). Hier möchte ich auch anmerken, dass in so einer Entscheidung für bi- und pansexuelle Frauen auch eine Chance liegt, nicht-heterosexuelle Liebesbeziehungen in ihren Leben zu normalisieren. Denn häufiger als nicht finden sie sich aufgrund von gesamtgesellschaftlicher Cis- und Heteronormativität sowie internalisierter Homophobie in Beziehungen zu cis Männern wieder. Nicht unter den Tisch fallen lassen möchte ich allerdings, dass es auch lesbische Frauen gibt, die andere Frauen in ihrem lesbischen Begehren zurückweisen, weil sie auch Männer begehren oder Beziehungen mit ihnen hinter sich haben. Hier gibt es also Hürden zu nehmen und Auseinandersetzungen zu führen. Und wenn das in Zukunft häufiger gelingt, umso besser!

»Ey Krish, Sekunde mal! Ist ja schön, dass du wenig bis gar keinen Bock auf cis Männer in deinem Leben hast, aber warum verlangst du jetzt, dass alle Frauen ihren Kontakt und ihre Beziehungen zu ihnen am besten stark einschränken sollen?«

Verlangen? Naja, ich habe erst mal nur versucht, meine eigene Entscheidung nachvollziehbar zu machen und anzuregen, dass mehr linke und feministische Frauen so einen Schritt in Erwägung ziehen. Ich bin nämlich der Ansicht, dass wir davon nur profitieren können. Und ich werde den bereits genannten Gründen dafür im Folgenden noch ein paar mehr hinzuzufügen.

Ich glaube, dass insbesondere in linken und feministischen Kontexten fast allen Beziehungen zwischen Frauen und Männern ein für Frauen unbehagliches Schweigen innewohnt; eines von dem die Männer profitieren. Dieses Schweigen betrifft vordergründig den Themenkomplex sexuelle Gewalt. Von dieser Gewalt sind Frauen in der Regel betroffen und die Täter sind in der Regel Männer. Männer schweigen sich darüber aus, weil sie bis auf wenige Ausnahmen gar kein Interesse daran haben, dass das Problem besprochen wird. Zu schnell würden sie bei Auseinandersetzung mit dem Thema auf die zutiefst misogynen Züge in der eigenen Sexualität und auf ihre Schuld als Täter und Komplizen stoßen. Und die wenigen Ausnahmen fühlen sich viel zu oft mit der nötigen Auseinandersetzung mit ihrer Verstrickung und Komplizenschaft als Männer überfordert und verharren in nutzloser Ohnmacht.

Über Frauen gibt es an der Stelle auch einiges zu sagen. Frauen sprechen mit Männern weitaus seltener über ihre eigene Betroffenheit von männlicher Gewalt als sie das mit anderen Frauen tun. Sie müssen damit rechnen, dass sie von ihren männlichen Freunden und Genossen nicht ernst genommen oder ihre Erlebnisse geleugnet werden. Und sie konfrontieren Männer meistens auch nicht mit deren Untätigkeit, oder in den meisten Fällen wahrscheinlich treffender: deren Komplizenschaft. Zum einen müssen sie mit Abwehr rechnen, die sich mitunter auch in Form von Hass und offener Aggression gegen sie richtet. Zum anderen kämpfen im patriarchalen Geschlechterverhältnis unglücklicherweise auch feministische und tendenziell nicht-lesbische Frauen untereinander um die Gunst von Männern und eine Konfrontation von Freunden und Genossen kostet vor diesem Hintergrund große Überwindung. Zu guter Letzt ist es schwer auszuhalten, in solchen Konfrontationen immer wieder vor Augen geführt zu bekommen, was für krasse Arschlöcher und Trottel in unseren sozialen und politischen Umfeldern rumspringen. Anstatt uns also mit diesem Schweigen abzufinden und in den betreffenden Beziehungen darunter zu leiden, macht es Sinn, dass wir davon absehen, neue Verbindungen zu Männern einzugehen. Und dass wir bestehende Beziehungen beenden oder zurückfahren, wenn das Schweigen und die dafür eben ausgeführten Gründe diesen Beziehungen innewohnen.

Ich denke ebenfalls, dass wir sehr gut an uns selbst und an anderen Frauen beobachten können, dass es an Vertrauen in das eigene Wissen und die eigenen Fähigkeiten tendenziell mangelt und frau sich leider viel zu oft mit Selbstwertproblemen herumplagt. Das ist unter anderem auf den alltäglichen Umgang mit cis Männern zurückzuführen, bei dem wir ihren bewusst wie unbewusst ausgeübten sexistischen Praxen ausgesetzt sind. Sie unterbrechen uns, wenn wir sprechen, und übergehen oder vereinnahmen unsere Redebeiträge. Sie erklären uns gerne ungebeten irgendwelche Sachverhalte und stellen unsere Erfahrungen und unser Wissen in Frage. Das sind nur einige der Klassiker. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen halte ich es für außerordentlich unglücklich und gefährlich, dass viele Frauen in ihrem Selbstwertgefühl auf die gelegentliche Anerkennung von (befreundeten) cis Männern oder dem cis männlichen Partner angewiesen sind. Das darf an der Stelle nicht als Vorwurf verstanden werden. Denn die patriarchalen Verhältnisse lassen uns schließlich von klein auf die Erfahrung machen, dass Frau-sein, Weiblichkeit und Femininität als Defizite betrachtet und abgewertet werden, während Mann-sein und Männlichkeit als Maßstab für Normalität und Rationalität dienen. Dementsprechend ist es keine riesige Überraschung, dass wir einerseits zu Selbstwertproblemen neigen und andererseits unseren Selbstwert gerne durch cis Männer bestätigt sehen möchten. Aber ein zufriedenstellender Status Quo ist das auf keinen Fall!

»Du, Krish? Ich merk, dass mich die Inkohärenz stört, mit der du die Begriffe Mann und Frau gebrauchst. Sind jetzt alle Männer gemeint? Oder doch nur cis Männer? Sind trans Frauen bei Frauen mitgemeint? Und was ist überhaupt mit Personen jenseits der Binarität? Der »umbrella term« FLINTA* hat ja nicht umsonst Einzug in den Sprachgebrauch vieler Feminist_innen gefunden, oder?«

Hmm. Ja, du hast Recht. Da habe ich mich tatsächlich widersprüchlich ausgedrückt und so den Raum für Fragezeichen und Unbehagen geöffnet; insbesondere vor dem Hintergrund der heftigen Auseinandersetzungen in feministischen Diskursen, die sich mit Geschlecht und Sprache befassen. Ich kann zu diesem Thema keine vollauf befriedigenden Antworten liefern, erläutere aber an dieser Stelle mal meinen Standpunkt: Es gibt keine Erfahrungen, die allen Frauen gemein sind. Genauso wenig gibt es Erfahrungen, die ausschließlich Frauen machen. Es gibt immer Differenzen und Schattierungen, die sich entlang vieler verschiedener Merkmale von Menschen bewegen. Ich halte es dennoch für wichtig, dass feministische Politik »die Frau« als zentrale Kategorie verteidigt. Es fehlt zwar ein Set universal gültiger weiblicher Erfahrungen; dennoch lässt sich festhalten, dass die meisten Diskriminierungs- und Unterdrückungserfahrungen von Frauen und bestimmten anderen Gruppen aufgrund von einem oder mehreren der folgenden drei Gründe gemacht werden: (1) Der Wahrnehmung als Frau oder Mädchen durch Dritte, (2) aufgrund von weiblich oder feminin konnotierten und infolgedessen abgewerteten Attributen und (3) aufgrund von bestimmten körperlichen, sowie anatomischen Merkmalen und Funktionen. Es geht mir also weniger um den Umstand der Selbstidentifikation, sondern mehr um solche Erfahrungen, die uns darauf zurückwerfen als Frauen wahrgenommen und behandelt zu werden, egal ob das zutrifft oder nicht. Wenn ich also von Frauen schreibe, dann meine ich damit all diejenigen, die aufgrund patriarchaler Verhältnisse immer wieder situativ zu ihnen gemacht werden. Ich verstehe ein mögliches Unbehagen bei all denjenigen, die keine Frauen sind, sich hier aber trotzdem angesprochen fühlen müssen. Ich bezweifle allerdings, dass es eine unkomplizierte sprachliche Lösung gibt, die meinen Standpunkt einfängt, während sie gleichzeitig alle Geschlechtsidentitäten und die damit zusammenhängenden Befindlichkeiten berücksichtigt. Mit den Männern ist es ebenfalls kompliziert. Tendenziell meine ich eher cis Männer als trans Männer. Denn trans Männer haben in aller Regel Erfahrungen gemacht, in denen sie als Frauen adressiert wurden oder immer noch werden. Insbesondere das Erleben einer (in der Wahrnehmung von Außenstehenden) weiblichen Pubertät, beinhaltet für erschreckend viele Kinder und Jugendliche eine Vielzahl sexualisierender Zurufe, Sprüche und körperlicher Belästigungen, durch welche (fremde) Männer wahrscheinlich für den Rest ihres Lebens als potenzielle Gefahrenquelle abgespeichert werden. Dazu kommen vorhandene oder ehemals vorhandene Gebärfähigkeit, sowie der Wunsch nach hormonellen und weiteren medizinischen Transitions-Schritten, welche sie tendenziell für reproduktive und körperliche Selbstbestimmung sensibilisiert. In dem Moment allerdings, wo ich sie als Männer nicht problematisiere und nicht auch zum Ziel meiner Kritik mache, nehme ich sie als Männer nicht ernst. Sie sind nun mal Männer und insofern auch als solche zu kritisieren. Ein Bewusstsein für die Differenzen gegenüber cis Männern darf aber nicht fehlen und muss in einer Kritik Berücksichtigung finden. Das kann ich an dieser Stelle allerdings nicht leisten.

So. Der Ausgangspunkt meines Textes war diese »Lass-ma-aufn-Bier-treffen – Nachricht« und die unmittelbaren Gedanken, die sich dem angeschlossen haben. Die dabei geschilderte Art von Beziehung zu Männern ist nur eine unter vielen und sicherlich keine sonderlich intime. Und selbstverständlich sind unsere Beziehungen zu linken Männern sehr unterschiedlich. Sie beinhalten in der Regel mehr oder einfach etwas ganz anderes als deren gelegentliche Einladung an uns mit ihnen rumzuhängen. Und die Typen aus unseren Leben zu streichen, die frau ohnehin nur ab und an zum gemeinsamen Bier trinken getroffen hat, fällt tendenziell nicht so schwer. Anders verhält sich das beim eigenen Partner oder dem der engen Freundin und seinen Freundeskreisen; oder auch bei dem erfahrenen, abgeklärten und theorieversierten Typen, der sich schon jahrelang in der gleichen Politinitiative herumtreibt wie frau selbst. Das Ding ist, dass auch den intimen, eng freundschaftlichen Beziehungen zu Männern oder denen des gemeinsamen politischen Engagements zwei Probleme innewohnen, denen wir mit einer Distanznahme begegnen sollten: Erstens offenbaren sich die patriarchalen Verhältnisse immer auch in solchen Beziehungen. Konstellationen und Machtverhältnisse in denen männliche Vorherrschaft zum Ausdruck kommt sind gewissermaßen Teil der Standardausstattung aller Beziehungen zwischen Männern und Frauen.

»Moment! Standartausstattung? Was ist das denn für ein komischer Determinismus? Das würde doch auch jeden weiteren feministischen Kampf erübrigen…«

Ja, stimmt. So ausgedrückt wirkt es erst mal holzschnittartig und schicksalsergeben. Was ich damit jedoch sagen möchte, ist, dass Beziehungen zu Männern für uns in der Regel nicht dem Zweck der Emanzipation dienlich und darüber hinaus mit gewissen Gefahren verbunden sind. Diese Gefahren umfassen nicht nur das Risiko verbaler, sexueller oder anderer physischer Gewalt ausgesetzt zu sein, die überwiegend in solchen intimen Beziehungen stattfindet. Sie schließen ein, hier komme ich zum zweiten Problem, dass eine Auseinandersetzung mit unserer jeweiligen Verstrickung in die weiter oben genannten Konstellationen und Machtverhältnissen behindert, in Einzelfällen sogar verunmöglicht wird. Denn natürlich haben wir einen Anteil an den sich immer und immer wieder zu unseren Ungunsten ausgestaltenden Beziehungen zu Männern. Aber für solche Auseinandersetzungen ist Abstandnahme nur zuträglich. Ihr kennt das doch bestimmt: Eine Kontaktpause oder -reduzierung zu einer Freundin oder einem Freund kann helfen, sich Dynamiken im Umgang miteinander bewusst zu werden, eigene Anteile daran zu verstehen und Konsequenzen zu ziehen, z.B. eine Beziehung ganz abzubrechen oder den Kontakt bewusst umzugestalten. In Kürze ist mein Gedanke, dass wir nicht oder nur unzureichend reflektieren können, wie patriarchale Verhältnisse uns in unseren Beziehungen zu Männern und als Frauen untereinander schaden, solange wir zu nah an ihnen dran sind.

Und wir haben es doch selbst in der Hand das zu ändern! Wir müssen es Männern deutlich schwerer machen, unsere Freunde oder unsere Partner zu werden, Sex mit uns zu haben oder sich mit uns gemeinsam politisch zu organisieren. Wir haben Maßstäbe! Jetzt müssen wir sie anlegen und Konsequenzen ziehen. Das gelingt dann, wenn wir uns genau damit nicht allein lassen und uns in den konkreten Beziehungen im Setzen von Bedingungen und ggf. dem Durchsetzen von Ausschlüssen unterstützen. Im Moment sind wir wütend! Bestenfalls pfeffern wir Typen pausenlos ihre Unzulänglichkeiten um die Ohren. Aber wir sind auch hilflos, um nicht zu sagen waffenlos, und es scheint, als bliebe uns nichts als zu warten. Zu warten, dass Männer feministische Kritik endlich ernst nehmen und sich verändern. Ich habe dafür keine Geduld mehr!

Seit Jahrzehnten tragen wir jetzt schon immer und immer wieder diese, unsere Wut und Verzweiflung über patriarchale Verhältnisse und Männergewalt auf die Straße. Nie ohne expliziten Verweis auf das entsprechende Elend in der eigenen Szene: Der radikalen Linken. Und was ist passiert? Richtig. Nichts. Sexuelle Gewalt ist nach wie vor allgegenwärtig und Frauen, am Rande oder jenseits ihrer Belastungsgrenze, versuchen mal mehr und mal weniger gelungen die nötige Unterstützung für Betroffene zu organisieren.

Und die Männer? Klassischerweise wird das Problem bagatellisiert, denn dann ist es besonders einfach, den Forderungen von Feministinnen mit Skepsis und Abwehr zu begegnen. Unter Männern ebenfalls weit verbreitet: Das Problem nicht leugnen und sich gleichzeitig auf eine vermeintlich feministisch begründete Untätigkeit zurückziehen. Denn man(n) könne und solle sich bei so einem wichtigen feministischen Anliegen ja bloß keinen Raum nehmen. Und sei außerdem von Feministinnen angehalten schön die Fresse zu halten. Wie anmaßend und unsolidarisch wäre es denn bitte, etwas zur Debatte und zur Lösung des Problems beizutragen? Dass genau eine solche Haltung unsolidarisch ist und uns Feministinnen, sowie alle Betroffenen mit dem Problem allein lässt, will man(n) wohl nicht sehen. Und von diesen »kritische Männlichkeitsgruppen«, die zuletzt wie Unkraut aus dem Boden gesprossen sind, will ich gar nicht erst anfangen. Organisierte Überforderung, sowie gefährliche und reaktionäre Männlichkeitsreform, die sich dem positiven Identifizierungsbedürfnis von Männern mit ihrem Geschlecht andient. Ich könnte kotzen!

Ich bin aber nicht bloß wütend, sondern auch verletzt. Meine und eure sogenannten »Genossen« sollten in jederlei Hinsicht unsere Verbündeten im Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse sein. Das sind sie nicht! Und das waren sie bis auf wenige Ausnahmen auch nie! Jetzt ist ein so guter Zeitpunkt uns in unserer Wut, Enttäuschung und Verletztheit von Männern abzuwenden, wie jeder vorherige es schon gewesen wäre. Uns abzuwenden bedeutet erst einmal Verlust, keine Frage! Aber es bedeutet auch Potenzial. Potenzial die feministische Machtfrage zu stellen. Wir wenden uns ab, um uns zu anderen Frauen hinzuwenden. Und in der gegenseitigen Hinwendung von Frauen zu anderen Frauen wiederum liegt ein Potenzial für Empowerment, Emanzipation, Solidarität und feministischen Kampf, von dem ich glaube, dass es unermesslich groß ist. Und alle Männer, die auf den Umgang und die politische Organisation mit Frauen nicht verzichten wollen, die müssen verdammt nochmal liefern!

»Also, was jetzt? Einfach liebe Männer, ciao Kakao?«

Haha! Ich sag mal, ja… im Großen und Ganzen schon. Aber eine locker-flockige Angelegenheit, und das müssen wir uns bewusst machen, wird es nicht. Ich denke, dass uns bei der konsequenten Einforderung vom Ende männlicher Gewalt, misogyner Männerkumpanei und zum Himmel stinkender reproduktiver Ungerechtigkeiten ein häufigerer Blick in unsere Geschichte helfen kann. Ich bin logischerweise nicht die erste Frau, die sich fragt, ob es sich ohne Männer, oder nur mit wenigen ausgesuchten Exemplaren ihrer Gattung, nicht besser feministisch kämpfen und leben lässt. Insbesondere in den 1970er und -80er Jahren hat es an vielen Orten auf der Welt Gruppen, sowie einzelne Frauen gegeben, die versucht haben, feministisch motivierten Separatismus, häufiger politischer Lesbianismus genannt, in feministische Debatten und Kämpfe zu tragen. Obwohl die Betrachtung früherer feministischer Kämpfe sehr wichtig ist und uns als Inspiration dienen kann, darf bei der Auseinandersetzung mit diesem Teil feministischer Ideengeschichte nicht mit Kritik gespart werden: Biologischer Essenzialismus, Opferbeschuldigungen, sowie die Behauptung der sexuellen Orientierung als freie Wahl, statt als Ergebnis von Triebschicksalen sind bei damaligen Vertreterinnen des politischen Lesbianismus leider eher Regel als Ausnahme. Insofern bedarf es einer umfassenden Reformation feministisch motivierten Separatismus, um ihn für gegenwärtige Kämpfe von Frauen fruchtbar zu machen. Ich halte das für notwendig und plädiere hiermit dafür das theoretisch wie praktisch anzugehen!



Krish Krise

26.06.2023
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