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Aktuelles Heft

INHALT #283

Titelbild
Editorial
Moral Bombing / Haexler / Swoon / Sittendezernat / Eastwood
Skill Sharing - Männerfreundschaften - auf der Suche nach Gefühlen
RECHT EXTREM - über eine rechte Gewerkschaft aus der Autobranche
HEYM - Vom Aufstoßen der Fenster
Buchvorstellung: das eigensinnige Kind
Buchvorstellung: Von Moskau nach Beirut
Buchvorstellung und Gespräch: FEMI(NI)ZIDE. Kollektiv patriarchale Gewalt bekämpfen
Buchvorstellung und Gespräch: Topf und Söhne - Besetzung auf einem Täterort
• interview: Also ich denke nicht, dass das Problem ist, dass es an Vorbildern mangelt, sondern, dass die Bedingungen jedes Mal wieder hergestellt werden müssen, um aus dieser Isolation herauszukommen.
• position: Der überfällige Griff in die feministische Mottenkiste
Stellenanzeige: Redakteur*in gesucht! (m/w/d)

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Dies ist der nächste Teil der Interviewreihe, die im CEEIEH # 281 begonnen wurde. Der feministische MÜTTER*-Stammtisch trifft sich jeden ersten Montag um 21 Uhr für 90min in der MONAliesA. Für nähere Infos: derhessischelandbote@disroot.org



Also ich denke nicht, dass das Problem ist, dass es an Vorbildern mangelt, sondern, dass die Bedingungen jedes Mal wieder hergestellt werden müssen, um aus dieser Isolation herauszukommen.

Interview mit S. vom MÜTTER*-Stammtisch Süd

Wie ist es zum MÜTTER*-Stammtisch gekommen?

Wir wussten, dass es so etwas wie ein Wochenendseminar »Links Leben mit Kindern« im Conne Island gegeben hat, bevor ich 2015 nach Leipzig gekommen bin, und wir hatten versucht, Kontakt mit denen aufzunehmen und es kam zurück: Die Gruppe hat sich aufgelöst. Aber es war klar, dass es schon mal eine Art kritisches Potential gegeben hat für eine Organisation von Menschen, die mit Kindern leben und sich eben im weitesten Sinn im linken Spektrum verorten.

Und dann hat es eine ganz konkrete Urszene gegeben, nämlich, dass eine Aktivistin vom StuRa der Uni Leipzig zusammen mit einer weiteren Aktivistin 2018 ein Podium zu Mutterschaft und Feminismus mit sehr unterschiedlichen Stimmen und einem ziemlich interessanten Gesprächsverlauf an dem Abend im Ost Passage Theater veranstaltet hat. Da waren sehr viele Menschen im – leider nicht barrierefreien – Raum, die mit Kindern leben und es war klar: das Thema drängt sich wie von alleine auf. Im Anschluss hat es eine Emailliste gegeben, in die man sich eintragen konnte, und daraus ist der Vernetzungsverteiler entstanden.

Dann gab es ein paar Treffen und dann hatten wir die Idee, das zu ritualisieren, und das ist mein Organisationsansatz, dass ich denke, dass es gerade in diesen linken Strukturen eine Person braucht, die den wohlbekannten Hut aufhat, sonst schlafen diese Strukturen eben schnell ein, weil viele in mehreren Bereichen aktiv sind. Es muss sich eine Person finden, die sich das als Hauptaktivismus aussucht. Ursprünglich war die Idee, mehrere solcher Stammtische zu gründen – auf diesem Mailverteiler sind locker sowas wie dreihundert Leute, dass sich daraus kleinere Einheiten formieren könnten, die dann auch stadtteil- oder himmelsrichtungsbezogen sind –, weil am Anfang viele ganz kleine Kinder hatten und auch teilweise gestillt haben und es um die kurzen Wege ging. Aber die anderen Gruppen haben sich wieder aufgelöst, und geblieben ist, im Mai sind es fünf Jahre, eben der feministische MÜTTER*-Stammtisch im Süden.

Uns war von Anfang an wichtig, dass es barrierefreie oder möglichst barrierearme Räume sind, weil wir Menschen bei uns in der Vernetzung haben, die z.B. im Rollstuhl sitzen. Es gibt in Leipzig sehr viele selbstverwaltete Räume, aber Leipzig hinkt extrem hinterher in der Barrierefreiheit, und das Haus der Demokratie, in dem die MONAliesA ihre Räume hat, ist einer der wenigen Orte, an denen man barrierearme Klos, Aufzüge usw. hat, die auch mit Rollstuhl oder auch für Menschen mit Seh- und Höreinschränkungen gut nutzbar sind.

Und die MONAliesA ist auch ein Ort, der für mich ganz wichtig ist persönlich, weil ich da schon länger auf meine Art mitgestalte und den Ort einfach liebe und wichtig finde für die Stadt und für Connewitz. Also es ist ein großes Glück, eine feministische Bibliothek in Connewitz zu wissen.

Hast du schon Erfahrung mit so einer Gruppe gehabt?

Ja, und trotzdem würde ich sagen, dass die Gruppe jetzt hier etwas Neues ist, weil es sehr über diesen Erfahrungsaustausch ging und wir für meine Verhältnisse einen wirklich extrem weit gefassten politischen Begriff haben, also viele sehr unterschiedliche Menschen daran beteiligt sind. Das funktioniert erstaunlich gut, aber das liegt tatsächlich an der Gruppe, dass das Interesse gemeinsam über diese Erfahrung, aber auch über Theorie zum Thema: »Wie soll man mit Kindern in diesen Verhältnissen leben?« zusammenkommen will, und dass eher das Verbindende gesucht wird und bestimmte Spaltungen proaktiv verhindert werden. Das ist auf der einen Seite toll und auf der anderen Seite auch nicht so toll, weil es auch sinnvoll wäre, manche Sachen noch mehr politisch zu schärfen. Aus meiner Perspektive ist das jedoch der Kompromiss, den wir in der Gruppe haben.

Ich dachte, der Hintergrund wäre noch politischer, da Du Dich ja auch viel mit politischen Texten beschäftigst und in diese Richtung studierst hast, konkreter musste ich an Frigga Haug denken und an ihre Biografie und was das für ein Bruch für sie war, als sie ein Kind bekommen hat und wie sich dann emanzipiert hat, indem sie Gruppen gegründet hat. Und aus irgendeinem Grund dachte ich immer, das hast Du gelesen und gedacht: »Das machen wir einfach auch!«

Das stimmt schon, der Bogen ist auf jeden Fall da. Ich würde nicht sagen, dass das ein Widerspruch ist. Du bist ja selbst auch Mama und weißt auch, wie das ist, wenn diese Kinder sehr klein sind. Auch bei Frigga Haug hat das gedauert und sie beschreibt diese erste Zeit mit dem Kind sehr eindringlich als permanente Unter- und Überforderung. Und da ist man ja strukturell in einer solchen Isolation, dass es auf jeden Fall diesen Impuls von außen braucht.

Mir war klar, dass diese Themen bearbeitet werden müssen, ich hatte die Vorbilder der westdeutschen zweiten Frauenbewegung vor Augen, aber der Impuls, der kam durch diese Podiumsdiskussion, die wiederum Leute organisiert haben, die auch mit Kindern leben, deren Kinder aber schon älter sind.

Damals war mein Kind noch ganz klein und ich habe noch voll gestillt, ich wäre nie zu diesem Podium hin, das ist eben ›weit weg‹ gewesen, wenn nicht eine andere Mutter, deren Kinder auch schon viel älter sind, mich geschnappt und gesagt hätte: »Wir schaffen das, ich bringe Dich mit dem Auto hin, ich hol Dich ab, wir sind innerhalb von zwei Stunden zurück und ich sorge dafür, dass Du da gut sein kannst.« Das war eine sehr berührende und tiefe Erfahrung, insofern sie gezeigt hat, wie viele Barrieren es gibt, wenn man für jemanden, und es muss kein Kind sein!, um jemanden anderes sorgt.

In dem Moment, in dem man so eingefangen ist in dieser Reproduktionssphäre, und das ist zutiefst politisch, gibt es wenige Strukturen, die Menschen ermöglichen, da rauszugehen in die Welt und zu sagen: »Hey, wir sind alle in der gleichen Situation, lasst uns zusammenkommen und einen Raum schaffen, in dem wir über bestimmte Dinge reden können, aber auch bestimmte Sachen analysieren können«. Also das Theoretische war von Anfang an auch wichtig, aber der Transfer, den hinzubekommen, der war in diesen Verhältnissen gar nicht so leicht. Also ich denke nicht, dass das Problem ist, dass es an Vorbildern mangelt, sondern, dass die Bedingungen jedes Mal wieder hergestellt werden müssen, um aus dieser Isolation herauszukommen.

Ich war ja mal ganz am Anfang beim Stammtisch, als mein Kind schon fünf Jahre älter war. Ich dachte damals: »Interessant, diese Themen, aber die betreffen mich nicht mehr«. In Eurer Gruppe sind die Kinder ja schon relativ gleich alt, oder?

Das kann man so nicht wirklich sagen. Das Interesse an allen Altersstufen ist da. Es gibt so eine Art Mehrheit, das sind die Leute, die damals bei dieser Podiumsdiskussion waren, deren Kinder im ähnlichen Alter sind, das ist sowas wie eine Kohorte. Trotzdem sind von allen Konstellationen Menschen dabei, welche, bei denen die ersten Kinder schon ausziehen, die haben aber dann zum Beispiel noch andere, kleine Kinder. Es kommen frischgebackene Mütter. Ich finde es immer interessant, wie Menschen über ihre Erfahrungen sprechen und wie sie konkrete Entscheidungen treffen, und trotzdem würde ich Dir zustimmen, das verändert sich. Ein fünfjähriges ist etwas anderes als ein einmonatiges Kind. Wir bleiben aber unserem Konzept treu. Zum Beispiel diese 90 Minuten, die haben wir ganz bewusst beschlossen, als die kleinste Einheit, die eine stillende Person abwesend sein kann. Und das behalten wir ganz streng bei, weil wir Leuten ermöglichen wollen, dazuzustoßen. Wir hatten jetzt zum Beispiel mal einen Austausch zum Thema ›Wechselmodell‹, und da saßen Leute mit ganz unterschiedlichen Perspektiven, auch welche, die gar nicht im Wechselmodell leben. Es ist schwer, da einen Safer Space zu kreieren, und oft sind die Erfahrungsaustauschrunden von Aushandlungen in der Gruppe geprägt, in denen man sich fragt: Ist es gut und richtig, dass man da ist, weil man das Thema wichtig findet und interessant und solidarisch sein will, oder sollte es mehr ein Betroffenenaustausch sein? Das finde ich einen spannenden Prozess. Und insofern geht es eben darum immer wieder auf diesen kleinsten Nenner zurückzukommen: »Wie soll man mit Kindern in diesen Verhältnissen leben?« Die Themen unterscheiden sich je nach Altersstufe, aber die genormte Entwicklung von Kindern oder Körpern ist immer wieder Thema, und da haben wir viele blinde Flecken, dass schnell Ausschlüsse produziert werden. Gar nicht bewusst, sondern im Sprechen passieren dann so bestimmte Normierungen. Also wenn man sagt: »Die Kinder sind alle ungefähr gleich alt.« Was ist das eigentlich für eine Aussage? Also das eine Kind macht mit fünf halt die einen Sachen, das andere Kind macht andere. Klar gibt es so was wie … ich will gar nicht das Wort benutzen, ›Normalität‹, oder so Gemeinsamkeiten. Aber genauso viel ›Abweichung‹.

Ich wollte nur sagen, das war einfach die Situation, dass alle in der Gruppe gerade noch in dieser »Es ist unser erstes Kind und alles stellt sich im Leben um« - Phase waren. Jetzt war ich später auch ab und zu dabei und konnte auch anknüpfen, obwohl die Kinder dann ja trotzdem diese Altersunterschiede haben. Ich glaube einfach, ich hätte das damals auch gerne gehabt, so eine Gruppe. Da waren viele Themen, bei denen ich dachte, darauf habe ich mittlerweile gar keinen Einfluss mehr, die Geschichte ist geschrieben. Das fand ich auch ein bisschen schade. Was sind denn gerade Eure Themen?

Die zweite Person, die mit mir zusammen den Stammtisch organisiert und moderiert, und ich sammeln da immer mal zwischendurch. Es gibt aber auch viele ad hoc-Entscheidungen. Und wir hatten tatsächlich auch durch Covid zwei Jahre, in denen mehrere Monate lang gar keine Treffen stattfanden, weil wir das nicht online machen wollten. Vor Covid hatten wir Stammtische im Wechsel, also Theorie und Praxis oder Erfahrungsaustausch. Und das hat jetzt lange gedauert, bis wir da wieder reingekommen sind und wir haben jetzt eigentlich erst gestern angefangen, wieder mit der Theorie einzusteigen. Die Praxisthemen wurden teilweise mit der Gruppe aus diesen Listen ausgesucht, aber meistens entlastet das die Gruppe, wenn es schon ein Thema gibt, wenn wir das vorher entschieden haben. Darüber hinaus gibt es mittlerweile drei oder vielleicht sogar vier Chatgruppen, die aus dieser Vernetzung entstanden sind, der MÜTTER*-Stammtisch ist nicht das einzige Format, sondern es gibt einen permanenten Austausch.

Worum geht es in diesem Chatgruppen? Inhaltliche Diskussionen, Erfahrungsaustausch oder eher SUCHE/BIETE?

Ich kann nur für die Gruppe sprechen, die ich kenne, und das ist auf jeden Fall ein erstaunlich intensiver Austausch über alle diese Themen und tatsächlich viel um politische Fragen: Was bedeutet es eigentlich in diesen Verhältnissen mit Kindern zu leben, mit einem feministischen, gesellschaftskritischen Anspruch? Wie schlägt sich das in der Beziehung zum Kind oder in den Lebenszusammenhängen nieder, sei es jetzt eine Paarbeziehung – oder welche Konstellation auch immer, auch da ist es divers, Leute leben in ganz unterschiedlichen Konstellationen.

Dann kann es sein, dass wir miteinander eine Episode teilen, die uns gerade passiert ist und die uns beschäftigt. Manchmal sind es einfach nur Schnappschüsse oder ein Zitat aus einem Buch und dann kommen wir darüber ins Gespräch. Und ich denke, dass das Besondere und Wichtige ist, dass da nicht nur die Frage von, ich sag jetzt mal, so ›bürgerlichen Vereinbarkeitsthemen‹ wie »Wie schaffe ich es, Lohnarbeit und meine Familie zu managen?« eine Rolle spielen, sondern: Es geht immer auch darum – wir versuchen ja quasi zumindest in Ansätzen etwas anders zu machen –, da auch Gegenräume zu kreieren. Viele sind in verschiedenen aktivistischen Zusammenhängen und dabei geht es zum Beispiel um Vereinbarkeit von politischer Aktion und Kind oder wie sollte eigentlich eine Kinderbetreuung aussehen im linken Kontext, wenn es um so was wie Workshops, Festivals oder Seminare geht. Also es ist ganz klar ein anderer Fokus.

Gibt es bei Euch eigentlich auch Alleinerziehende?

Ja, auf jeden Fall.

Gibt es irgendeine Ambition, dass eure Ergebnisse veröffentlicht werden? Dass sie in schriftlicher Form herausgegeben werden als kurze Gesprächsprotokolle oder anonymer Erfahrungsaustausch oder Blogbeitrag… ?

Für mich ist gerade der Prozess das Entscheidende: dass diese Treffen passieren, es diese Vernetzung gibt, aus der Vernetzung heraus bestimmte Dinge, Begegnungen möglich sind. Immer mal wieder sind wir auch auf Podien eingeladen. 2019 waren meine Mitstreiterin und ich zu Gast beim AK Unbehagen, die diese große Reihe zu Utopie gemacht haben. Und da haben wir zusammen mit unter anderem Anke Stelling auf dem Podium diskutiert und hatten utopische Forderungen aus dem MÜTTER*-Stammtisch mitgebracht und die auch laut verlesen. Davon gibt es auch einen Mitschnitt, soweit ich weiß. Es gibt immer mal wieder Dokumentationsmomente, an denen man sehen kann, was uns da beschäftigt hat.

Ich kann es schaffen, zusammen mit meiner Mitstreiterin diesen Stammtisch permanent am Leben zu erhalten, und das seit vielen Jahren und durch Covid hindurch. Für mich steht außer Frage, dass wir da jetzt noch einen Ergebniswunsch reintragen.

Als wir beide schwanger waren, also zu unterschiedlichen Zeiten, war das in der linken Szene nicht unbedingt eine Freudensbotschaft. Wenn man es nicht ›spezifisch linken Menschen‹ erzählt hat, haben die oft mit so einer ›normalen‹, freundlichen Höflichkeit reagiert. An dem Punkt, wo man das mit vielen anderen teilt, ist man vielleicht unsicher, freut sich aber ja selbst meistens.

Und sogar jetzt ist es noch oft so, dass ich das Gefühl habe, wenn ich sage, dass ich ein Kind habe, der oder die Andere gar keinen Bock mehr hat, mit mir weiterzureden. Obwohl ich darüber meistens gar nicht reden will, es ist aber ja Teil meines Lebens. Ich merke, wie ich das immer noch oft gar nicht erzähle, weil ich Angst vor den Reaktionen habe, dass ich nicht mehr interessant wirke oder meine ganze andere Arbeit, die ich noch mache, dann abgetan wird damit.

Wie gesagt, in meinem Leben hat sich vieles entschieden, ohne, dass ich es bewusst durchdacht habe, sondern einfach, weil ich einiges verdrängt habe und meinen Fokus auf anderen Sachen hatte. Das ist nicht unbedingt das Selbstbestimmte, was man sich wünscht. Deswegen muss man ja darüber reden, sich austauschen, bewusst werden.

Ich war ja ab und zu da und ich fand das eine coole Mischung aus einer Art Selbsthilfegruppe, wobei ich danach das Gefühl hatte: Okay, alle haben irgendwas, womit sie zu kämpfen haben, obwohl man denkt, die haben es besser ... aus irgendeinem Grund. Die haben einen Freund oder eine größere Wohnung mit Arbeitszimmer oder einen besser bezahlten, erträglicheren Job oder Großeltern in der Nähe, mehr Entlastung oder halt irgendwas, wo man dann halt neidisch ist. Oder die Kinder sind irgendwie unkomplizierter und suchen sich selbst Hobbys, irgendwas findet man ja immer, wo man denkt: Das sieht von außen besser aus, und dann merkt man im Gespräch: alle haben ihre Baustellen. Das war so dieser Selbsthilfegruppenwert, der mich beruhigt hat. Aber darüber hinaus ist es ja auch ein Think Tank, dass man überhaupt erstmal Ideen spinnen kann, einen Raum hat, um in Ruhe miteinander nachzudenken.

Du hast jetzt gerade viele total wichtige Themen angesprochen, vielleicht ein kurzer Kommentar zu der Frage, wie sehr man sich in der linken Szene aufspalten muss: Das war der Urimpuls für diese Podiumsdiskussion, die ganz am Anfang stand! Dass genau das beobachtet wurde. Die eine Person hat dann auch gesagt: »Ich habe das Gefühl, ich muss mich immer so aufspalten, coole Lady, Feminismus, radikal – und dann halt diese ganz andere Person, die mit Kind und dann auch mit diesen ganzen Abhängigkeitsverhältnissen, die in einer ganz anderen Welt unterwegs ist.« Und dass diese Welten nicht zusammenkommen und auch nicht zusammenkommen dürfen in der Szene. Und ich finde auch, gerade im Conne Island ist das in diesen Strukturen ein ganz großes Problem und auch ein sehr antifeministischer Moment. Das ist die Überleitung zu Deinem zweiten Punkt: so ambivalent der Begriff der Selbsthilfe ist, ich bejahe ihn auch zum Teil. Also klar ist der Stammtisch eine Art Selbsthilfegruppe. Und ich will es auch nicht entwerten, denn genau das ist eben der Punkt, dass es ja nicht so viele Orte gibt, an denen man die Themen so besprechen kann, wie wir es immer wieder schaffen, sie zu besprechen. Und das, was dort entsteht, ist durchaus etwas sehr Politisches und sehr Feministisches, nämlich zu sagen: Man ist nicht in dieser Konkurrenz, die Du jetzt beschreibst, die einem nahegelegt wird in den Verhältnissen, in denen wir leben, in diesem neoliberalen, patriarchalen Scheißkapitalismus, in dem man sich immer vergleicht mit den anderen und immer auch die Schuld bei sich selbst sucht und sagt: »Wenn mein Kind jetzt nicht das macht, was es soll, dann ist es meine Schuld«. Und der Moment ist ja zu sagen: »Eben nicht. Das liegt in den Strukturen!« Und zu fragen, wie vermitteln die sich mit und in uns und was machen wir damit, und wo können wir davon auch versuchen abzuweichen, uns was zu erkämpfen. Und da ist das letzte Wort immer noch nicht entschieden. Da ist einiges an Gestaltungsspielraum.

Ohne das jetzt überhöhen zu wollen und zu sagen, dass man jetzt, nur, weil man in der Selbsthilfegruppe drüber gesprochen hat, schon die Verhältnisse verändert hat oder so, und ich denke, das ist eben das Schöne, dass wir es schaffen, dieses Erbe der zweiten westdeutschen Frauenbewegung auf eine Art anzutreten, die nicht mehr so ausschließlich ist. Also weder zu sagen: »Hier, wir sind so Hardcorematerialistinnen und wollen mit dieser ganzen gefühligen, emotionalen, klebrigen Reproscheiße nichts zu tun haben«. Und zugleich auch nicht die sind, die sagen: »Oh ja, meine tolle Frauengruppe, in der ich Mondwasser trinke und meine Edelsteine streichle«. Also das ist es definitiv beides nicht, und trotzdem hat es Aspekte von beidem – nicht das Esozeug, aber der Versuch, einen Raum für emotionale Erfahrungen zu schaffen. Ich denke, dass es politische Gründe hat, warum es Aspekte von beidem hat und auch, warum es Aspekte von beidem braucht, und auch, warum beide Aspekte von uns kritisch betrachtet werden.

Vielleicht könntest du noch mal was zu diesen Theoriesitzungen sagen, wie das abläuft?

Also es gibt unterschiedliche Bedürfnisse und unterschiedliche Wünsche. Wir versuchen es aber so niedrigschwellig wie möglich zu halten, nicht alle haben studiert, nicht alle kommen gut ins Lesen oder sind geübt im Lesen oder auch im Lesen und Besprechen. Wir hatten verschiedene Anläufe. Der eine war, eine Dissertation zu lesen. Das ging ganz gut, aber war für einige auch ein bisschen zu schwierig. Und dann hatten wir so kürzere Texte aus Sammelbänden und auch mal aus Auskopplungen aus Büchern. Jetzt gerade lesen wir das sehr dankbare Genre politischer Essay von Heide Lutosch, das Buch Kinderhaben. Und es geht dabei gar nicht darum, dass man da jetzt eine Hausarbeit oder so was drüber schreiben muss oder so (lacht), sondern Leseeindrücke, Impulse, Ideen, Fragen, Korrekturen oder eigene Erfahrungen.

Die Theorie-Stammtische erlauben, in diese etwas abstraktere Diskussion zu gehen: Wo liegt das Problem und wie kann man es analysieren und vielleicht darüber hinaus gehen? Ich glaube, das war das, was du gesagt hast mit dem Think Tank. Also das ist ein furchtbares Wort. Das will ich nicht so gern verwenden. Es geht darum, dass man es schafft, diese Konkurrenz ein stückweit außer Kraft zu setzen, die gerade Frauen/FLINTA nahegelegt wird, es muss sich erstritten werden, dass man sich eben solidarisch begegnet, und gemeinsam versucht, eine Sprache zu finden und sich zu erlauben, die vielen, negativen Emotionen im Leben mit Kindern auszusprechen und das auch auszuagieren in der Gruppe und dann aber eben auch zu überlegen: Das liegt nicht individuell an den Einzelnen hier, sondern das hat eben diese strukturellen Komponenten. Und wie kann man das anders machen oder worin kann man sich auch gegenseitig unterstützen? Dass das am Ende zusammenkommt, Theorie und Praxis im Gespräch. Und es sind fantastische Freund:innenschaften zwischen den Teilnehmenden entstanden, die tatsächlich füreinander ein festes Unterstützungsnetz sind.

Würdest du noch was dazu sagen, wie ihr euch entschieden habt, ob es jetzt ein Elternstammtisch wird oder warum genau der MÜTTER*-Stammtisch entstanden ist?

Wir sind eine selbstorganisierte Gruppe, die sich aus bestimmten konkreten Situationen heraus organisiert. Was ist Feminismus? Das ist der Versuch von Frauen/FLINTA, ihre Selbstbefreiung zu erkämpfen. Ich sag jetzt mal salopp, cis-Männer können sich gerne ihre eigene männlichkeitskritische Elternbewegung organisieren. Es geht darum, dass wir kein Interesse daran haben, für einen strukturellen Teil unseres Problems auch noch einen Teil der Lösung zu organisieren.

Und tatsächlich haben wir auch verschiedene Lebenskonstellationen repräsentiert in der Gruppe und es gab auch mal kurz den Impuls zu sagen, man kann es aufteilen in nichtgebärende und gebärende Elternteile. Und auch das ist daran gescheitert, dass letzten Endes eben die Organisation bei cis-Männern gelegen hätte.

Das Feld der Reproduktion ist weiterhin mit dem Weiblichen aufs Engste verquickt und ich denke, dass es sehr wichtig wäre, dass Männer anfangen, ihre Rolle in der Sphäre der Reproduktion zu reflektieren. Und da geht es noch nicht mal nur um Kinder, sondern es geht um alle Sorgetätigkeiten.

Ich weiß ja, dass es sozusagen diese zynische, ›antideutsche‹ Position gerade im Conne Island-Umfeld gibt, zu sagen: »Man darf nach Auschwitz keine Kinder mehr in die Welt setzen. Wir sollten uns um die Sterbenden kümmern.« Aber ich habe jetzt auch noch nicht mitbekommen, dass es eine große Hospizhilfe-Bewegung von antideutschen cis-Männern aus dem Island-Umfeld gäbe, oder dass da Leute permanent im Seniorenheim sitzen würden und den Alten den Arsch abwischen würden, geschweige denn, dass sie sich konsequent haben sterilisieren lassen.

Ich finde, es ist zutiefst zynisch und hat ganz viel mit misogyner, strukturell sexistischer Abwehr von Reproduktionsarbeit, Sorge, Care, die nach wie vor weltweit hauptsächlich von FLINTA-Personen übernommen wird, zu tun. Wir reden heute einen Tag vor dem 8. März. Solange das so ist, brauchen wir diesen Kampftag und brauchen die Forderungen, die wir an diesen Kampftagen stellen. Jahr um Jahr.

Und natürlich wäre es schön, wenn es mehr cis-männliche Genossen gäbe, die das wirklich unterstützen. Es fängt ja bei ganz kleinen Sachen an. Es wäre zum Beispiel sehr leicht zu sagen: »Hey, wir organisieren Euch zu einem Thema, das Ihr gerade bearbeiten wollt, komplett, von den barrierefreien Räumen bis hin zur kinderfreundlichen Uhrzeit bis hin zur wirklich funktionierenden Kinderbetreuung, Events«. Also, wenn es sowas gäbe in Leipzig, ich glaube, das wäre für die MÜTTER*Vernetzung ein riesengroßer Gewinn. Wenn da so ein paar Dudes sagen würden: »Für einen Sonntag im Quartal übernehmen wir komplett die Organisation und Ihr könnt Euch drei Stunden lang mit Wertkritik oder so auseinandersetzen, und wir bespaßen Eure Kinder und es ist genug zu essen da, niemand friert und niemand wird sterben, weil irgendwie: Ups, die Ziegel, die waren da lose ... hat niemand dran gedacht«.

Dass man sich bei den ganzen Ressentiments, die grassieren, wie: »Wenn man Kinder kriegt, gibt man sein Gehirn ab«, dann aber auch mal fragt: »Was bräuchte es denn, dass FLINTA mit Kindern nicht verdummen?« Und es bräuchte nicht so viel: zum Beispiel einen Lesekreis, der von A bis Z von anderen Menschen organisiert wird, zu dem ich mit meinem vierjährigen Kind hingehen kann, und das wird bespaßt und kommt da gesättigt und lebend raus.


Weiterführende Links:

Literatur:

26.06.2023
Conne Island, Koburger Str. 3, 04277 Leipzig
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