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Erst als ich mit meinem Gepäck zu Rea ins Auto steige, gesteht sie mir, dass wir in den Kosovo fahren. Bisher hieß es Albanien. Ist ja nur halb gelogen, sagt sie. Sie hatte Angst, dass ich sonst vielleicht nicht mitkommen würde.
Ihr Bruder heiratet dort eine Frau aus einem Nachbarort. Es ist strikt verboten innerhalb der Verwandtschaft zu heiraten. Nur gilt man schon als verwandt, wenn die Väter gemeinsam in einer Klasse waren. Also sind praktisch alle irgendwie miteinander verwandt. Diese Verwandtschaftsverhältnisse scheinen sich ausschließlich über die Männer der Familien zu manifestieren. Alle werden einfach als Onkel oder Cousins bezeichnet. Das ist ziemlich verwirrend. Die Familien sind häufig recht groß und es ist nicht mehr herauszufinden, wer jetzt eigentlich tatsächlich mit einem verwandt ist und wessen Vater einfach nur mit irgendeinem anderen Vater gemeinsam die Schulbank gedrückt hat. Um sicher zu gehen, heiratet man am besten jemanden aus einem anderen Ort, zu dem die Familie keinerlei Bezug hat.
Die Hochzeit ist arrangiert. An einem Montagmorgen um 8 Uhr beginnt der Junggesellenabschied. Zumindest ist es damit wohl am ehesten vergleichbar: nur die Familie, also der Ort des Bräutigams, feiert. Es wird noch gefrühstückt, dann wird getanzt. Männer und Frauen getrennt in zwei Kreisen. Musiker spielen auf Tröten und Trommeln. Sie tragen Hüte aus Filz und lange Tücher um die Bäuche geschlungen. Tanzend werden Geldscheine an die Hüte und in die Tücher gesteckt. Zwei alte Frauen spielen auf großen Tamburinen, die sie zwischen ihren Händen kreisen lassen und dabei schnell und rhythmisch in die Luft werfen, dass die Schellen klappern. Ich versinke fasziniert darin. Während der unerträglichen Mittagshitze ziehen sich alle in ihre Häuser zurück, bevor wir bis in die Nacht weiter tanzen. Am Abend schließen sich die zwei Kreise aus tanzenden Männern und Frauen zu einem großen zusammen. So geht es weiter bis zum Wochenende. Ich versuche herauszufinden, ab wann und warum genau es ok ist, gemeinsam zu tanzen, vorher aber nicht. Ich finde es nicht heraus. Vielleicht ist es auch einfach der Alkohol.
Im Laufe der Woche wird im Hof ein Tier geschlachtet. Die Fleischstücke werden in Eimern in den kühlen Keller gestellt, direkt neben die Getränke. Es stinkt so sehr nach Blut, dass ich mir kein Getränk mehr aus dem Keller hole. Mir wird übel von dem Geruch. Aus Höflichkeit möchte ich nichts sagen. Ich versuche Leute wie beiläufig zu fragen, ob sie mir was mitbringen, wenn sie sich selbst gerade etwas holen. Das klappt nur mittelmäßig. Meine Kehle ist trocken von der Hitze und ich bin häufig unangenehm durstig.
Auch aus Höflichkeit habe ich mir nur schulterbedeckende Kleidung ohne Ausschnitt eingepackt. Die Gegend ist mehrheitlich islamisch und ich möchte nicht negativ auffallen. Reas Mutter missbilligt ihre Kleidung. Ich würde mich viel anständiger anziehen, sagt sie, und ich sei ja noch nicht mal muslimisch. Mir ist es unangenehm und peinlich, für diese Zurechtweisung benutzt zu werden. Ich habe das Gefühl Rea in den Rücken gefallen zu sein, halte aber trotzdem meinen Mund und sage nichts.
Die Tage sind gleichförmig. Das Leben findet nur im Haus und im Hof statt. Der Ort ist von Hügeln umgeben. Sie sind grün und sehen sehr hübsch aus. Als ich frage, ob jemand mit mir einen Spaziergang durch die Hügel machen möchte, wird mir nur der Vogel gezeigt. Alles vermint, sagen sie. Da geht keiner lang. Ich überlege, ob die Hügel vielleicht auch deshalb so schön aussehen.
Endlich wird die Braut im Auto-Korso für die Hochzeit abgeholt. Sie heult bitterlich. Sie muss heulen. Das ist Tradition. Schließlich verlässt sie ihre Familie und ihren Heimatort. Ich weiß also nicht, ob sie traurig ist oder nur die Tradition wahrt. Es wirkt alles sehr dramatisch und theatralisch. Doch sie wird mit Reas Bruder nach Deutschland ziehen, also ist es ja auch tatsächlich ein Abschied von allen.
In Deutschland ist sie wohl nach ein paar Wochen abgehauen, höre ich später. Ich weiß nicht, wie es dann weitergegangen ist, aber ich muss schmunzeln als mir das erzählt wird.
Wir nehmen den Nachtbus nach Albanien zu Reas Schwester. Irgendwo am Meer, so etwa eine Stunde südlich von Tirana, wo genau, weiß ich nicht mehr. Der Busfahrer rast die schmalen unbeleuchteten Serpentinen entlang. Er scheint die Route im Schlaf zu kennen. Trotzdem ist es komplett lebensmüde. Immer, wenn uns ein Auto entgegenkommt, schaffen wir es nur gerade so im Schritttempo aneinander vorbei. Aus dem Fenster sehe ich direkt in den Abgrund. Da ist keine Straße mehr. In den Bergen brennt der Wald. Manchmal fahren wir so dicht daran vorbei, dass sich der Bus durch die offenen Fenster mit Rauch füllt. Rea hat solche Angst, dass der Busfahrer sie deshalb vorne neben sich sitzen lässt und ihr erlaubt Kette zu rauchen. Ich habe die komplette letzte Reihe für mich. Es muss Sternschnuppennacht sein, zumindest ist der Himmel voll davon. Ich weiß, dass ich eigentlich auch Angst haben sollte, aber ich habe in diesem Moment die Verantwortung für mein Leben abgegeben. Es fühlt sich frei und unbeschwert an. Ich liege auf der Rückbank, starre verzückt in die an mir vorbei rasenden brennenden Berge und über ihnen fliegen die Sternschnuppen.
Kate Suri