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Aktuelles Heft

INHALT #271

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Alles ist viel zu anstrengend
• kulturreport: Gedicht
• position: Nieder mit Erdogan! Zum Angriff auf DITIB, seiner Rezeption und dem Racheakt in Connewitz
• doku: »Islamophobie«, das Kopftuch und westliche Linke
Mark Fisher – Niemand ist gelangweilt, alles ist langweilig
• review-corner buch: Pizza mit Ketchup und Mayo
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»Islamophobie«, das Kopftuch und westliche Linke

Alle paar Jahre flammen heiße Diskussionen um das Kopftuch auf, wo wie und wann Frauen Formen der Verschleierung tragen oder nicht tragen dürfen und wie dieses im Gesetz verankert wird. In den letzten Jahren laufen diese Diskussionen in den europäischen Feuillitons und unter Instagramposts noch emotionaler ab. Grund dafür ist die Propaganda, quasi der neue Hot Take des liberalen Feminismus, dass das Tragen eines Kopftuches empowerend sei - es sei ganz und gar selbstbestimmt, dieses zu tragen, es trägt zur Identitätsstiftung bei. Und da fangen die Probleme schon an.

Nicht nur stellt es ein Problem dar, wenn Mädchen mit einer trendy Instagramstory eingetrichtert bekommen, es sei »frei« bestimmt, sich zu verschleiern. Da stellt sich die Frage, was Freiheit im Kapitalismus überhaupt sein soll. Aber erst recht gibt es einen bitteren Beigeschmack, wenn bewusst wird, warum und wofür sich Frauen jeglichen Alters verschleiern müssen: Ganz gleich, ob es die nicht eh schon von ihren ersten Perioden geplagte 12-Jährige ist oder die junge Frau aus dem Iran, die statt einen geselligen Abend mit ihren Freundinnen zu verbringen von ihren koranbegeisterten älteren Brüdern überwacht wird. Muss sich eine 12-Jährige bedecken, um nicht aus Versehen ›Lust‹ zu provozieren? Warum soll es »haram« sein, wenn eine Frau ihre Knöchel zeigt?

Die Angst vor der Freiheit

Im folgenden Text wird sich mit der Angst der Linken sich mit einer fundierten Islamkritik zu beschäftigen auseinandergesetzt. Die Debatte um das Kopftuch dient in diesem Sinne als Bindeglied zwischen liberalem Feminismus und dem blinden Fleck der schwer zugänglichen linken Islamkritik. Es gibt keine rechte Islamkritik, das wurde 2015 schon geschrieben, aber warum auch keine linke? Die Linke - cozy Wohlfühl-safespace für jegliche Identitäten und (fast) alle Meinungen - hat verpasst, diese zu formulieren und wiegelt jeden Versuch um einen Diskurs mit dem Vorwurf der »Islamophobie« ab.

Der ehemals linke Anspruch, »[…]den Zugriff von Herrschaft, Gewalt und Ideologie auf die Menschen […]« (Ertuğrul:273), möglichst kleinzuhalten oder gar völlig aufzuheben, scheint in der causa Islamkritik zu Gunsten einer kultursensiblen positiven Umdeutung jeglicher noch so menschenverachtender kulturelleren Praktik, verworfen zu werden. Wie kreativ die postmoderne Linke wird, wenn es um die Verteidigung des muslimischen Kopftuches und die Leugnung des patriarchalen und unterdrückerischen Moments einer religiös-dogmatischen Kleiderordnung und der damit einhergehenden Sexualpolitik geht, ist beachtlich. Das Kopftuch als Akt weiblicher Emanzipation umzudeuten erscheint unseres Erachtens jedoch mehr als zynisch angesichts der Stellung der Frau im Islam.

Der Aspekt, dass lediglich Mädchen und Frauen gezwungen sind ihren Körper zu verhüllen und das gleiche nicht für Männer gilt, lässt sich jedoch weder einfach dekonstruieren, noch per Sprechakt positiv umdeuten. Eine Minderheit liberaler Muslima, die ihr Kopftuch freiweillig tragen und als Akt der Selbstermächtigung symbolisch neu besetzen, ändert ebenfalls wenig bis gar nichts an der Tatsache, dass im globalen Vergleich die Mehrheit der muslimischen jungen Frauen diese Wahlfreiheit nicht hat. Es erscheint absurd, sich als westliche Feministin für das Kopftuch einzusetzen, während Frauen im Nahen Osten ihr Leben riskieren, weil sie gegen den Kopftuchzwang demonstrieren.

Auch der kulturrelativitische Reflex ein patriarchal-religiöse Verhüllungsgebot in eins mit westlichen Schönheitsidealen zu setzen, hält einer kritischen Überpürfung nicht stand, wie es Judith Sevinç Basad in ihrem Artikel »Queere Salafistinnen […]« ausführt. So behauptete etwa die Bloggerin Mederith Haaf, die Verschleierung bei muslimischen Mädchen sei in etwa das gleiche wie 14-Jährige, die sich auch nur scheinbar freiwillig in Bikinis zwängten. So mögen Schönheitsideale zwar einen gewissen sozialen Zwang ausüben. Jedoch dürfte in den wenigsten Fällen, die Angst um Leib und Leben in Form eines sogenannten Ehrenmordes, die Angst um den Verlust der Ehre, der soziale Druck aus familiären Kreisen und angedrohte Exklusion aus der familiären Sphäre weibliche Jugendliche in knappe Bademode schlüpfen lassen. Ebenso wenig wird die Weigerung diese zu tragen von staatlicher oder familiärer Seite auf Grundlage eines religiösen Gesetzes sanktioniert.

Den weiblichen Körper einerseits als heiliges Gebärgut zu verehren und gleichzeitig als potentielles Schandmal bei Nichtbeachtung der rigiden Sexualmoral zu geiseln, entspringt einem misogynen Frauenbild und einer Kultur, in der Frauen(körper) zugleich gefürchtet und begehrt, jedoch immer objektifiziert werden. Das Kopftuch ist ein Unterdrückungswerkzeug, das die Frau als Sexualobjekt markt, das sich selbst vor Blicken und Belästigungen (Sure 33:59) schützen muss. Das Kopftuch funktioniert in seiner ambigen Deutung auch als ein Symbol für die ehrvolle Sittsamkeit und religiöse Konformität der Trägerin - im Umkehrschluss ist jede unverschleierte Frau, jede Emanzipation ein Dorn im Auge des fundamentalistischen Patriarchen. Die Schande eines nicht bedeckten Körpers wird nur noch negativ von der westlichen, emanzipierten und demnach befleckten, nicht reinen Frau übertroffen. Der nackte Körper, sei es auch nur der Fußknöchel, einer Frau gilt im Islam per se als anstößig, weshalb er möglichst verhüllt werden muss. Junge Frauen lernen ihren Körper zu verstecken, da er sonst als frei verfügbares Objekt für die Männer gilt. Die Scham wächst ins Unermessliche.

Die männliche Verfügungsgewalt über weibliche Körper ist eine reale Gefahr, die Mädchen und Frauen auf der ganzen Welt bedroht, ad absurdum getrieben in der Prostitution und der Verschleierung des sündhaften Körpers. Der Unterschied ist, dort wo Feministen und Feministinnen dem weiblichen Schicksal noch nicht völlig ignorant gegenüberstehen, wird zumindest versucht mittels Aufklärung jungen Frauen begreifbar zu machen, dass ihre Körper nichts Anstößiges besitzen und keine Kleidung oder Lebensweise eine Rechtfertigung für misogynen Hass, Vergewaltigung und Mord erteilt.

Dass der postmoderne Feminismus, der kaum als solcher bezeichnet werden kann, nun ausgerechnet jene im Stich lässt, die am meisten unter dem reaktionären Islam litten und leiden, ist eine traurige Tatsache. Ex-Muslima, die sich den religiösen Zwängen und frauenverachtenden Traditionen entzogen, wie etwa Ayaan Hirsi Ali, müssen nun mit Morddrohungen von islamistischer Seite und Rassismus, sowie Islamophobie-Vorwürfen aus der postmodernen Bubble leben. Der Wunsch nach einem freieren Leben und die Kritik an einer misogynen Ideologie dürfen Frauen im postmodernen Feminismus nicht straffrei äußern. So macht Lana Sirri 2016 an der TU Berlin deutlich, gegen wen der postmoderne, islamische Feminismus sich wendet: »Unser Gegner ist der Universalismus des eurozentrischen, weißen, paternalistischen Feminismus.«

Den Universalismus von Freiheit, Gleichheit und Solidarität zugunsten eines Diktums autoritärer Religionen zu verwerfen, ist das ausgewiesene Armutszeugnis einer sich selbst als links und emanzipatorischen verstehenden Community. Religionskritik ist Herrschaftskritik, es ist die Kritik an den Zuständen, die Menschen zu Religion kommen lässt: Die Ohnmacht, die Flucht in den Okkultismus und den Glauben ergo das Bedürfnis, durch Frömmigkeit, durch banal religiöse und doch blatant einschneidende Alltagsregeln, das eigene Leben, die elendigen gesellschaftlichen Zustände beeinflussen zu können. Diese gegenaufklärische Positionen sind reaktionär wie bequem. Im neoliberalen universalistischen Safe-Space soll schließlich jedermann sich so verwirklichen, wie er oder sie möchte.

Der Kampfbegriff der >Islamophobie< will linke Kritiker und Kritikerinnen als AfD/NPD-Kuschler und Kuschlerinnen darstellen - und missachtet dabei den Inhalt. Es wird bevorzugt, emanzipierte Stimmen als »rassistisch« zu marken anstatt sich mit diesen auseinanderzusetzen. Die Islamkritik der Konservativen beinhaltet chauvinistische Elemente sowie wird diese Kritik instrumentell benutzt, um gegen Migranten und Migrantinnen zu hetzen - vom Koran befeuerte Homophobie tritt ebenso in einem konservativ-christlichen Weltbild auf. Ebenso wenig sind die christlichen Konservativen daran interessiert, das islamische Frauenbild aufzubessern, sondern vertreten die unterdrückende Vorstellung, Frauen seien am Besten geeignet Hausfrau und Mutter zu sein.

Die Linke muss sich mit dem fundamentalistischen Islam auseinandersetzen - nicht nur, um eine Kritik üben zu können, sondern auch um die Stimmen derjenigen zu hören, die dem Islam geflüchtet sind. Denn die Religionsfreiheit, die wir meinen – und da schreiben wir ganz in der Manier von Hermann L. Gremliza – ist die Freiheit von Religion.

Wir denken in diesem Sinne auch an die afghanischen Mädchen und Frauen, die, nun mit der islamistischen Terrororganistation Taliban an der Machtspitze - ein Volk verlassen von den westlichen Streitkräften -, Werbeplakate von unverschleierten Frauen übermalen mussten und eine ganz und gar düstere Zukunft vor sich liegen haben.



AG Widerspruch

13.07.2022
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