• Titelbild
• Editorial
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• kulturreport: Die Stadt als Zelle – Gedanken zu graffiti writing und darüber hinaus
• interview: Kein Dancefloor ist ein Safe Space
• interview: Interview mit Hot Topic!
• position: Conne Elend: ein Nachgesang
• position: Der Ignorant bist Du!
• review-corner buch: Ignoriert die Befindlichkeiten der Männer!
• review-corner buch: Rezension: tapis-Magazin – Analyse zur islamistischen Rechten
• doku: What's Right?
• doku: Die hochtrabenden Fremdwörter
• das letzte: Je te présent: Françoise Cactus
Im Winter 2020/21 kam das erste kleine erotische Heft seiner Art aus Leipzig in die Hände und Schlafzimmer der Stadt. Wir fanden das Projekt großartig und haben die Redaktion kennenlernen dürfen - natürlich ohne Berührung und Blickaustausch. Schade. Hoffentlich können wir die persönliche Begegnung bald nachholen. Zwinker.
Hallo, wer seid ihr?
Unsere Hot Topic!-Redaktion besteht aus vier Leuten. Wir sind Clemens, Ruth, Cynthia und Rese. Clemens übernimmt die Gestaltung und Art Direction des Projektes. Ruth und Cynthia übernehmen die inhaltliche Arbeit des Heftes: Das Kuratieren, Lektorieren und Korrigieren der Texte in enger Zusammenarbeit und Absprache mit den Autor:innen. Rese kümmert sich bei Hot Topic! um assistierende sowie vertriebliche Aufgaben.
Wie habt ihr euch gefunden?
Zuerst einmal: Es ist ein echtes Herzensprojekt! Wir vier sind alle miteinander befreundet und haben uns dadurch gefunden. Clemens hatte die Idee; er wollte eine Alternative zum ausschließlich heteronormativen Erotik-Groschenroman schaffen. Dann hat er Ruth gefragt, ob sie nicht auf dieses Projekt Lust hätte, weil sie am Deutschen Literaturinstitut studiert und dadurch mit vielen Autor:innen Kontakt hat, die vielleicht auch Lust hätten, für das Heft einen Text zu schreiben. Ruth fand die Idee Klasse und so haben sie sich zusammengetan und die erste Ausgabe auf die Beine gestellt. Da haben sie schon gemerkt, was für Potential das Projekt hat und dass es schön wäre, ein größeres Team zu haben. Cynthia studiert ja deutsche Literatur in Halle und hat Ruth bei der ersten Ausgabe eh schon viel beraten - jetzt ist sie fest dabei! Und Rese hat uns beim Vertrieb vom Heft den Arsch gerettet. Sie gehört jetzt auch fest zum Team.
Es ist total cool so zusammenzuarbeiten, weil wir uns gegenseitig verschiedene Perspektiven aufzeigen und so voneinander lernen und das alles fließt in das Heft. Die gestalterische Ebene, die literarische Perspektive, die wissenschaftliche Sicht auf die Dinge und die sozialen Dimensionen… Sich da gegenseitig so zu bereichern, macht total Spaß!
Was habt ihr euch bei dem Heft gedacht?
Wir wollten Lust auf Lust machen, ganz einfach. Und zwar auf echte Lust. Das heißt jetzt nicht, dass alle Texte autobiographisch sein sollten. Aber nahbar, fühlbar. Wir wollten, dass sich verschiedene erotische Lebenswelten in unserem Heft begegnen, den Leser:innen zugänglich gemacht werden. Auch Ängste, Zweifel und Fragen gehören mit zum erotischen Kontext. Erotik ist nichts Fertiges, nichts Vollkommenes, so wie es oft im Mainstream dargestellt wird und woran auch so viele Menschen scheitern. Diese Grenzen aufzubrechen, treibt uns an.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, ein solches Heft zu verlegen?
Der gestalterische Hintergrund liegt sehr weit zurück und passierte eher zufällig: Clemens wurde ca. 2012/13 mal von einem Arbeitskollegen mit Fabio Lanzoni verglichen und der Kollege hat ihm dann immer Bilder von Fabio geschickt. Clemens fand den Dude und die Ästhetik witzig und hat sich daraufhin ein bisschen mit dessen Sachen beschäftigt. Seither ist er immer ein wenig sein ironischer Begleiter (Lachsmiley). Gleichzeitig hat Clemens auch immer die Gestaltung von einfacher, teils unbedarfter und imitierter Gebrauchsgrafik aus früheren Zeiten interessiert. Das brachte ihn dann recht straight zur Gestaltung von Groschenromanen, für deren Cover Fabio auch oft Modell stand. Die inhaltliche Auseinandersetzung kam mit der Zeit und dem Hinterfragen von Normen über die letzten Jahre und irgendwann machte es Klick und beide Gedanken verbanden sich (Lachsmiley).
Woher kommt das Bedürfnis nach mehr literarischen Erotikheften?
Erotik in literarischer Form macht natürlich ganz neue Phantasien und Bilder auf, die vielleicht in digitalen Pornos vorgefertigter und oft einseitig sind. Da nehmen wir schon eine Art Übersättigung solcher Phantasien wahr, die eben auch immer die gleichen Vorstellungen, Körperbilder und Rollen beinhalten. Deshalb also literarische Erotik, die Sexualität und Lust weiter und abstrakter fassen kann, Raum für eigene Vorstellungen lässt. Diese Gefühlswelt immer mit fertigen Bildern zu überschreiben ist auch einfach langweilig und schade, denn das Bedürfnis nach eigener Erotik und Lust ist ja in vollem Maße da. Das sieht man dann zum Beispiel am Erfolg von Fifty Shades of Grey, wo alle drauf abgegangen sind und sich vor allem Leserinnen aus unterschiedlichen Alters- und Gesellschaftsgruppen nur noch darüber ausgetauscht haben. Als hätten sie da endlich ein Ventil gefunden, über Sex zu sprechen. Auch das Interesse an den Groschenromanen nimmt heute nicht so richtig ab, was uns zeigt: Wir wollen von expliziter Erotik lesen! Vielleicht ist es auch genau das analoge Lesen, das einen Space für Intimität schaffen kann. Mit Papier in den Händen irgendwo auf der Couch sitzen, im Bett liegen oder an ffentlichen Orten sein, wo niemand weiß, welche Welten sich im Inneren auftun. Erotische Geschichten in analoger und digitaler Form werden also vielfach konsumiert, wir wollen genau da anknüpfen und das Bedürfnis nach Erotikfantasien und Lust stillen. Aber immer mit einem Gegenbild zu frauenfeindlichen, diskriminierenden oder normativen Romantik-, Love-, oder Pornostories. Leider mangelt es an denen ja nicht!
Welchen Hintergrund haben eure Autor:innen und wie kam es zur Zusammenarbeit?
Viele der ersten Autor:innen sind Kommiliton:innen von Ruth, Studierende am Deutschen Literaturinstitut. Oder Freunde, auch Freunde von Freunden, die gezielt gefragt wurden, weil sie literarisch schreiben. Wir haben die Autor:innen teilweise gezielt angesprochen, weil wir sie kennen und ihnen vertrauen und manche haben auch den Weg durch die anderen Autor:innen des Heftes zu uns gefunden. Die Zusammenarbeit war total eng und schön. Wir sind den Autor:innen so dankbar, dass sie mit uns ins kalte Wasser gesprungen sind und mit uns dieses Projekt zum Leben erweckt haben. Wir haben auch viel Wert darauf gelegt, sie miteinzubeziehen und einen persönlichen Kontakt zu halten.
Wie finanziert und promotet ihr das Heft?
Weil uns die Idee zum Heft so spontan und beiläufig kam, sind wir auch nicht großartig planend an die Finanzierung gegangen. Erst mal machen, schauen, dass wir alles selber stemmen können und bestenfalls mit einem kleinen Plus aus der Sache rauskommen. Die Rechnung ging auf und wir hatten sogar ein kleines Plus, wovon wir die Hälfte unseren Autor:innen bzw. der Illustratorin angeboten und die andere als Rücklage für die zweite Ausgabe gesichert haben. Mit der Erfahrung, wie gut es lief und welche Leerstelle wir füllen können, wollen wir es bei der zweiten Ausgabe ähnlich machen, suchen uns jedoch zusätzlich Kooperationspartner:innen, die wir als thematisch sehr passend und/oder unterstützenswert finden. Ähnlich lief es auch bei der Promotion. Alles ist mit den Anforderungen von außen auf natürliche Art gewachsen, ohne, dass wir es vorher groß planen mussten. Wir arbeiten momentan an Ideen, wie das Projekt über Leipzig hinaus interessant werden könnte.
Die Gestaltung ist mal bunt, mal ruhig. Habt ihr den Grafikleuten ein Konzept vorgelegt?
Die visuelle Gestaltung wurde eigentlich schon sehr stark von Clemens’ initialer Idee getragen, indem sie sich mit einem Augenzwinkern an den Groschenroman- und Illu-Magazin-Stilen der 90er/00er Jahre orientieren sollte. Hauptsache nicht zu glossy, nicht zu hochwertig, ein bisschen altbacken, aber gleichzeitig mit einem zeitgemäßen Einschlag, ohne zu sehr moderne Trends aufzugreifen. Die Illustratorin unseres ersten Hefts war dann auch so motiviert, dass es nicht nur - wie ursprünglich vorgeschlagen - bei der Cover-Gestaltung blieb, sondern jede Geschichte noch einen eigenen Opener in Form einer visuellen Interpretation bekam. Danke @karlfancy! Das wollen wir auch in Zukunft so beibehalten, sind aber auch nicht ausschließlich festgelegt auf Illustrationen. Malerei, Fotografie etc. können wir uns zukünftig vorstellen, solange es vom Vibe zu den Geschichten passt. Die:der jeweilige Künstler:in einer jeden Ausgabe wollen wir mit jedem Heft wechseln, um noch eine größere Diversität - nicht nur im Text - zu erreichen. Bisher kommen aber alle aus dem Dunstkreis unserer Gruppe. Unsere Auswahl der ersten beiden Illustratorinnen war einfach, da wir alle große Fans ihrer Kunst sind und sie in ihren Grafiken eh gerne nicht-normative Körper, Lust und Storytelling behandeln. Sie hatten bei der Gestaltung freie Hand, jedoch im Vorfeld Einsicht in die jeweiligen Texte, die gedruckt werden. Also gestalteten sie die jeweiligen Grafiken aus ihren Gefühlen in Bezug auf die Texte.
Welche Texte habt ihr aussortiert und warum?
Bei der ersten Ausgabe haben wir ja gezielt Menschen nach Texten gefragt, deshalb haben wir keine aussortiert. Momentan läuft der Open Call für die zweite Ausgabe noch. Das bedeutet, dass uns Autor:innen ihre Texte einschicken und wir dann auswählen, welche gut für die zweite Ausgabe passen. Uns ist dabei wichtig, dass die Texte auf keinen Fall sexistisch, rassistisch oder sonstwie diskriminierend sind und auch die Verherrlichung von sexualisierter Gewalt in Texten lehnen wir ab. Dann haben wir natürlich einen literarischen Anspruch an die Texte; sie müssen gut geschrieben sein. Außerdem ist uns Zugänglichkeit wichtig, dass die Texte bei everybody ankommen können und jede:r irgendwie abgeholt werden kann. Insgesamt versuchen wir also, eine Collage zu erstellen, die aber in sich stimmig ist und Vielfalt darstellt. Wir wollen literarische und inhaltliche Vielfalt.
Welche sind eure Lieblingstexte? Warum?
Unsere Lieblingstexte sind Texte, in denen man sich wiederfinden kann oder in denen man andere Menschen ehrlich kennen lernen kann. Texte, die einem das Gefühl geben, sich identifizieren zu können: «Ja, das kenne ich. Aha,ich bin damit nicht allein, mir gehts auch so.« Oder, die eine:r:m ermöglichen, eine ganz neue Welt zu entdecken. Das müssen gar nicht unbedingt Erlebnisse, die in dem Text passiert sind, sein, sondern eher Gefühle, die transportiert werden, die Intuitionen hervorrufen, sowas. Das macht für uns einen guten Erotiktext aus, dass er fühlbar wird beim Lesen.
Welchen Stellenwert hat Erotik in euren Leben?
Wir bringen alle ganz unterschiedliche Vorstellungen über Erotik mit ins Projekt, was auch unseren Austausch darüber sehr besonders macht. Für die einen ist Erotik das, für die anderen mehr anderes… Wir treffen uns aber in der gemeinsamen Auseinandersetzung während der Arbeit am Heft und es ist am Ende auch das, was darin inhaltlich passiert: Informieren, Umgänge finden,spielerisch die eigenen Horizonte erweitern. Erotik soll für uns inspirierend und auf keinen Fall fertig oder vollkommen sein. Außerdem wollen wir mit unserem Heft gleichberechtigten Sex, marginalisierte Bilder über Lust und Körperbilder zeigen, was das Ganze wiederum höchst politisch macht. Uns ist also wichtig, Sexualität und alles, was damit zusammenhängt, immer in den gesellschaftspolitischen Kontext zu setzen, ohne aber den Draht zu möglichst vielen Menschengruppen zu verlieren. Und: Wir alle haben auch viel Spaß an Erotik und stehen total drauf, uns damit auseinanderzusetzen. Hat schon einen hohen Stellenwert bei uns, umgibt uns ja tagtäglich irgendwie durch Medien, Werbung, Leben. Deshalb freuen wir uns so, dass wir unseren eigenen Umgang mit Erotik durch die Arbeit am Heft nochmal reflektieren können. Sex ist also privat, aber Sex ist auch politisch.
Wonach sucht ihr beim Open Call?
Mit dem Open Call hoffen wir, so viele diverse Stimmen wie möglich über Erotik, Sex und Lust einfangen zu können. Dabei wollen wir zu einer Einsendung ermutigen, die sich traut, neue Zugänge und Phantasien ins Heft zu bringen. Also Zugänge, die sich von den sonst heteronormativen, einseitigen und rollenüberstülpenden Geschichten abheben. Dabei finden wir es toll, wenn unsere Plattform von vielen Autor:innen genutzt wird, die vielleicht sonst weniger abgebildet oder zu Wort gebeten werden. Bis jetzt haben wir gesehen, dass ganz verschiedene Texte von wirklich unterschiedlichen Menschen eingesendet wurden - das ist klasse. Dabei hängen wir natürlich auch in unseren Kontexten, in unserer Bubble. Darüber hinauszugehen, hin zu einer breitgefächerten Aufmerksamkeit und Beteiligung, das ist ein Ziel, das wir uns gesetzt haben!
Wann kommt voraussichtlich das nächste Heft?
Unsere Zweite Ausgabe kommt voraussichtlich Ende Mai raus, darauf freuen wir uns schon sehr! Eigentlich im Rahmen der Buchmesse, die wurde aber leider abgesagt. Über andere Formate und Möglichkeiten sind wir gerade im Gespräch, also lasst Euch überraschen!
Was wünscht ihr euch für die Zukunft der Erotik und des Heftes?
Cynthia: OMG, wir wünschen uns, dass Erotik diverser und vielseitiger wird, auf Diskriminierung und einseitige Abbildungen von Idealkörpern verzichten kann, weil dem so viel Angebot gegenübersteht. Dass Gesellschaft dafür immer offener wird und den eigenen Nutzen darin erkennen kann, sich selbst und die eigene Fantasie um Erotik annehmen kann und sich vor allem nicht mehr schämt, darüber zu sprechen. Das Heft soll dazu einen Teil beitragen, und zwar nicht in einer Nische und in der Subkultur verrottend, sondern auch außerhalb. So, dass man unser Heft irgendwann an Bahnhöfen kaufen kann!
Ruth: Und, dass immer mehr über Erotik gesprochen wird! Ohne Scham. Und zwar überall, in allen Altersgruppen. Und, dass man freier wird, sich eine Meinung zu Erotik zu bilden. Nicht das annimmt, was als «normal« gilt, sondern das für sich entdeckt, was man selbst als Erotik empfindet. Dass sich durch das Heft genau diese Brücken zueinander bauen lassen, das wünsche ich mir.
Rese: Aber auch für Menschen, die keinen oder wenig lustvollen Bezug zu sich und ihrem oder anderen Körpern, keinen Sex und Intimität mit anderen haben möchten oder können, wünsche ich mir dieses Heft. Ob das Heft auch therapeutisch sein kann, möchte ich mir nicht als Spekulation herausnehmen, aber ich wünsche mir eine Öffnung, ein darüber Reden und Lesen können, abseits von herkömmlichen Medien passiert!
Clemens: Im Nur-Normativen ist es oft konservativ, pessimistisch. Das wollen wir aufbrechen. Bei dem Ganzen sollte es doch auch um Spiel, eine spielerische Auseinandersetzung, gehen. Durch unser Heft, so wie es gestaltet und aufgebaut ist, wollen wir uns dem Thema Erotik auch zukünftig spielerisch und mit Leichtigkeit nähern.
Die Redaktion:
Ruth war als Sozialarbeiterin in der Jugendhilfe tätig. Aktuell studiert sie am Deutschen Literaturinstitut Literarisches Schreiben.
Clemens ist freischaffender Grafik Designer und Illustrator.
Cynthia studiert im Zweifach-Master Deutsche Literatur und Kultur/Frankoromanistik an der MLU Halle.
Rese ist studierte Sozialarbeiterin, aktuell tätig als Sprachfachkraft für Kinder.
Hier könnt ihr sie kontaktieren: Instagram: @hottopicheft, E-Mail: hottopicheft@gmail.com
Mia (CEE-IEH-Redaktion), die ihre Ausgabe auf der Straße mit Maske und Abstand von Rese bekam