• Titelbild
• Editorial Nr. 2021
• das erste: OMG Katja
• inside out: Die Unterstützungsgruppe stellt sich vor
• inside out: Die U-Gruppe sucht Verstärkung
• neues vom: Neues vom ... Viertel
• position: Conne Elend: Ein Abgesang
• review-corner event: »Nikol, du bist ein Verräter!«
• doku: Fuck the Family
• doku: Positionierung der Radicals Crew
• doku: »Antisexistische Arbeit ist in erster linie auch ganz viel frustrierende Arbeit«
• leserInnenbrief: Zeichen pflastern die Misogynie
• das letzte: Sachsen seucht sich weg
Die ersten Gedanken zu diesem Text sind jetzt ein Jahr alt. Denn vor ziemlich genau einem Jahr saß ich bereits mehrere Abende da und wollte aufschreiben, was ich an sexistischem, übergriffigem, gewaltvollem und frauenverachtendem Verhalten in der Leipziger Graffitiszene mitbekommen habe.
Dass ich dann doch nicht schrieb, hatte vielerlei Gründe und es ist mir erst jetzt gelungen, mich über sie hinwegzusetzen. Zum einen ist da der Gedanke, dass ich vielleicht, als relativ schlechte Malerin, gar nicht das Recht hätte, über die Szene zu schreiben. Außerdem die Scham, dass ich überhaupt einmal und dann auch recht lange, mit solchen Typen rumhing und auch die Scham über meine grenzenlose Naivität, in welcher ich annahm, dass ich irgendwas an den Einstellungen genau jener Leute hätte verändern können; dass diese Leute mich so schätzen würden, dass sie vielleicht auch mir zuliebe irgendwas an ihrem Verhalten ändern würden (aber da war ich mir meiner Stellung als Frau einfach noch nicht genug bewusst).
Außerdem ist klar, dass es nicht sowas wie ›Die Graffitiszene‹ gibt. Es gibt dort unterschiedliche Strukturen und Personen und die althergebrachten Zusammenhänge sind im Wandel begriffen. Mehr FLINT* kommen dazu, Stile differenzieren sich aus und die Subkultur als solche (wenn davon überhaupt in einem annähernd homogenen Sinne die Rede sein kann) verändert sich. Dementsprechend gibt es viele Personen in der Szene, die sich ganz anders verhalten, als diejenigen die ich anprangere, was sich auch daran zeigt, dass beispielsweise die Radicals (die Crew, um die es hier vorrangig geht) gefühlt immer mehr an Relevanz verlieren.
Nichtsdestotrotz: Die nächste Generation kleiner Graffitimacker steht schon in den Startlöchern. Das zeigte sich beispielsweise auch anhand der Befürchtungen der Veranstalterin einer FLINT*-Graffiti-Jam dieses Jahr, dass es vielleicht unangenehme Zwischenfälle geben könnte. Sie wurde zuvor entsprechend blöd angemacht und Drohungen, die in diese Richtung gingen, angedeutet. Und auch von anderen Zwischenfällen und Situationen, die mit sexistischem Verhalten und Gewalt gegenüber Frauen zu tun hatten, wurde mir berichtet.
Sexismus und Gewalt gegen Frauen bei den Radicals
Aber zurück zum Ausgangspunkt. Auslöser für diesen Text war eine Bahnfahrt, bei der ich mit mehreren Mitgliedern der Leipziger Graffiti-Crew Radicals (RCS) unterwegs zu einer Party war. Ich selbst war nie Teil der Radicals, habe auch nie mit ihnen gemalt – aber ich war wohl kurze Zeit Teil eines Freundeskreises innerhalb der RCS.
Mir fielen an diesem Abend bei einer Bekannten, welche die Freundin eines dieser besagten Crew-Mitglieder war, sichtbare Spuren von Gewalteinwirkung auf und auch der Versuch, diese ein wenig zu verstecken. Im Nachhinein wurde mein Verdacht, dass ihr damaliger Freund ihr dies zugefügt hatte, bestätigt. Ich will nicht genauer darauf eingehen, da ich nicht weiß, wie die Betroffene damit umgehen will. Dennoch war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Seit der Zeit, die ich mit diesen Leuten verbrachte, war ich immer wieder Zeugin von übergriffigem Verhalten mir gegenüber oder erfuhr aus zweiter Hand von solchen Geschichten gegenüber anderen.
Da war zum Beispiel der Typ, der mir und einem Freund bereits einige Jahre zuvor, unter Tränen gestand, dass er Angst vor sich selbst habe, wenn er Alkohol konsumiere, weil er sich nicht mehr im Griff habe und gegenüber Frauen für nichts garantieren könne. Mit diesem Typen hatte ich ca. zwei Monate vor der besagten Bahnfahrt ein Gespräch, was zum endgültigen Bruch führte. Es ging um eine Geschichte bei der Fusion 2019, die wir gemeinsam besuchten. Eine Freundin hatte zu viel konsumiert und es ging ihr dermaßen schlecht, dass er gebeten wurde, mit ihr zur Toilette zu gehen. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass er sie hinter ein Auto zog und versuchte sie zu küssen und an ihr herumzufummeln.
Ich erzählte im Anschluss mehreren Leuten von diesem Vorfall und bat ihn auch zu einem Gespräch, allerdings ohne mitzuteilen worum es ging – dafür hatte er keine Zeit. Irgendwann rief er mich wütend an und meinte wir müssten reden. Also trafen wir uns bei mir in der Wohnung, wo er eine Show abzog, was für eine hinterhältige Kuh ich doch sei. Als ich den Vorfall ansprach, dementierte er das Geschehene. Daraufhin fragte ich ihn, was denn aber mit der Geschichte mir gegenüber sei – ich kam in einer Nacht zu unserem Zeltlager zurück, kurze Zeit später erschien er, zog sich komplett nackt aus und fing an, sich solange selbst anzufassen, bis er mit erigiertem Penis und forderndem Blick vor mir saß. Er konnte sich an diese Situation zunächst nicht erinnern, doch sogar als es ihm langsam dämmerte, war er nicht bereit, Konsequenzen zu ziehen. Ich forderte ihn auf, eine Therapie zu machen – keine Zeit – dann dürfe er zumindest keinen Alkohol trinken, bis er Zeit habe – nee, das passe ihm gerade nicht so. Er endete mit den Worten, dass er solche Freunde wie mich nicht brauche; auf den Gedanken, dass ich eventuell nichts mehr mit ihm zu tun haben wolle, schien er gar nicht zu kommen. Ich forderte ihn auf, meine Wohnung zu verlassen und wurde daraufhin von einem anderen Typen aus der Crew, der mein Verhalten als verräterisch und unsolidarisch beurteilte, gemieden und schlecht gemacht.
Eben jener Typ, der so empört über mein »illoyales« Verhalten gegenüber besagtem Crewmitglied war, wollte einige Wochen zuvor betrunken mit mir ein »Spaßsparring« machen, was ich (fair enough - ebenfalls betrunken) mehrmals entschieden ablehnte. Schließlich kassierte ich einen ›Spaßlowkick‹, wobei ich meine Hand reflexhaft schützend vor meinen Oberschenkel hielt. Er brach mir dabei zwei Knochen meiner linken Hand.
Ein anderer Typ, der früher Teil der Crew war, hat es tatsächlich geschafft, aus der Crew ausgeschlossen zu werden. Dieser Typ hat seine Ex-Freundin solange gestalkt, ist ihr gegenüber gewalttätig geworden etc., bis sie eine einstweilige Verfügung gegen ihn erreichte. Allerdings flog er nicht deshalb aus der Crew, sondern weil er ein anderes Crewmitglied angelogen hatte und damit Geld und mediale Aufmerksamkeit einheimsen wollte. Die Ironie dessen, was als tolerierbar gilt und was nicht, ist schon fast schmerzhaft.
Es gab noch andere Vorfälle, wobei die unzähligen dummen Sprüche nicht mal mehr der Rede wert scheinen – wichtig dabei ist, dass all diese Situationen und Ereignisse, den Mitgliedern intern bekannt gewesen sind. Und dass es ihnen egal war. Statt zu thematisieren und problematisieren, wurde einfach darüber hinweggegangen – und dieses Todschweigen als Zeichen von Loyalität und Brüderlichkeit ausgelegt. Im Gegenteil wurde jeder Angriff, gar jedes Ansprechen dieser Probleme mit einem Augenrollen quittiert.
Alles für die Crew
Die Crew als Rücken schützt auch die größten Arschlöcher und deren Egos. Das ist ein strukturelles Problem einer Gruppendynamik, die auffangen und Halt bieten soll, gleichzeitig aber neue Feindbilder schafft und – wenn Menschen einen falschen Loyalitätsbegriff haben – dazu führt, dass Scheiße nicht als solche benannt wird, außer sie führt zu einem internen Interessenkonflikt.
Dieses Prinzip ist grundlegend für alle möglichen Gruppen und macht auch einen Teil ihres Reizes aus. Gerade auch Teile der Graffitiszene, stellen ein Auffangbecken für Menschen dar, die vermeintlich nicht so in die heile bildungsbürgerliche Welt passen, sondern sich vielleicht eher mit einer harten und roughen Realität konfrontiert sehen. Was sonst soll das ewige Mantra von Straße und Realness und so weiter. Was einen ausstößt, wird zur Tugend stilisiert. Sicherlich war das auch einer der Gründe, warum ich irgendwie gerne mit diesen Leuten herumhing: Genauso verkorkste und prekäre Elternhäuser wie meins, alle mehr oder weniger lost und kaputt. Das verbindet. Also zumindest, wenn man männlich ist und ›wirklich‹ (also aktiv und !leistend!) zur Crew dazugehört. Für die Wahlfamilie gilt eben doch zu allererst: Broes before Hoes. Denn leider gehört genau zu diesen Biografien oft auch die Sozialisation mit klassischen Rollenbildern, leicht rechten Tendenzen und so weiter.
Und diese Prinzipien verstärken sich in der Gruppendynamik noch. Insbesondere, wenn die Gruppen auf Illegalität, Konkurrenz und ›Krassheit‹ ausgelegt sind. Denn natürlich kommt der Frauenhass nicht aus der Graffiti-Szene, dennoch sind hier traditionell Prinzipien und Kodizes am Start, die sich klar an der patriarchalen Rollenverteilung orientieren. Das Credo lautet: immer aktiv und mutig, immer der Krasseste zu sein, keine Schwäche zu zeigen, sein Revier zu verteidigen und auszuweiten und natürlich: alles für die Familie, in dem Fall die Crew. Dazu kommen noch die ganzen ungeschriebenen Gesetze, die es verbieten zu crossen, außer man will Kannen abdrücken oder im schlimmsten Fall kassieren und auch die Crewfehden, welche Feindes Freund zu Feind werden lassen usw.. Es wird ein pseudo Clan- Klima geschaffen, in dem man sich endlich als starker Mann beweisen kann.
Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass es so gut wie keine Frauen in Teilen der Szene gibt. Nicht weil sie nicht aktiv oder krass wären, sondern weil ihnen diese Eigenschaften abgesprochen und sie, wenn sie sich dagegen wehren, lächerlich gemacht, als nervig abgestempelt oder auf ihren eigentlichen Platz zurückverwiesen werden. Und wenn es doch eine Frau in die heiligen Reihen schafft, dann weil sie ›WIRKLICH‹ krass ist. Und das ist sie sicher, denn sich dort zu behaupten und sich diesem Druck auszusetzen bedeutet schon einiges.
Geht es auch anders?
Und natürlich geht es auch nicht ohne Mut und all das, wenn Graffiti nicht zu einer netten Vereins-und Auftragsmalereigeschichte verniedlicht werden soll. Graffiti ist krass, weil es illegal ist und es ist in jedem Fall kompetitiv. Es geht darum, den eigenen Namen im öffentlichen Raum sichtbar zu machen. Sich den öffentlichen Raum anzueignen. Als erste Person den besten Spot zu malen. Und der lässt sich nicht mit einem FLINT*-only-Schild reservieren. Keine Safe Spaces auf der Straße. Aber was geht, ist zumindest der Appell an die Typen, das, was sie machen zu reflektieren und vor allem, in welchen Strukturen sie unterwegs sind und was diese Strukturen mit ihnen machen. Und die Scheiße, die passiert, anzuprangern. Sich nicht bedingungslos zu schützen, sondern Haltung zu zeigen und auf alle anderen in der Szene soziale Kontrolle auszuüben. Vor allem wäre es aber auch wichtig, dass Frauen und FLINT* nicht mehr nur Zuschauende sind oder Freundinnen von Sprühern, sondern sich den öffentlichen Raum selbst aneignen. Dass sie selbst rausgehen und malen und darauf scheißen, ob sie von Anfang an mithalten können. Und je mehr FLINT* insgesamt in der Szene sind, umso schwieriger wird es, die patriarchalen Strukturen aufrechtzuerhalten, die dazu führen, dass Personen ausgeschlossen bleiben und von Sexismus und Gewalt aus diesen Reihen betroffen sind.
Ich will mit dem Text in keinster Weise etwas gegen Graffiti an sich sagen. Denn ich glaube nicht, dass das Reizvolle am Graffiti nur mit einer anderen, problematischen Seite der Medaille daherkommen kann. Dafür kenne ich zu viele Gegenbeispiele. Crews und Personen und auch Gruppenzusammenhänge, die cool und reflektiert sind. Männliche Personen, die sowieso schon immer zusammen mit Frauen rausgehen und wo das nicht mal thematisiert werden muss, Frauengruppen die krass unterwegs sind (auch wenn sie noch stark in der Minderheit sind) oder auch Männer, die sich bemühen, Frauen Zugänge zu erleichtern und selbst keinen Bock auf reine Männerbünde haben, da sie wissen, was häufig damit einhergeht. Und überall dort ist klar, das Aufregende an der illegalen Aktion, das Krasse, die ›Draufgeschissen‹-Attitüde usw. haben an sich erstmal nichts mit dämlichem, mackrigem Verhalten zu tun.
Selbst der Kampf um die besten Spots und sogenanntes Reviermarkieren, müssen nicht über so eine feindschaftliche Bandenscheiße laufen.
Das Nice ist ja auch, mit anderen Crews unterwegs zu sein, zu grüßen und so weiter. Und das Adrenalin, der ewige Trotz gegen die Ordnungshütenden, die Polizei, die Saubermänner- und Frauen dieser Welt.
Zu wissen, die und die Person war dort – selbst an den entlegensten Ecken der Erde und sich darüber zu freuen. Zu sehen, wie sich neue Stile entwickeln und auch hier der Kanon aufgebrochen wird. Eine Stadt ohne Graffiti wäre einfach nur langweilig, gehorsam und gefällig.
Raus aus dem Privaten
Ich schrieb anfangs, warum es mir schwerfiel, diesen Text zu schreiben. Es gab noch viel mehr Gründe dafür und ich denke es ist wichtig sie zu artikulieren, da sich in ihnen ebenfalls strukturelle Probleme widerspiegeln. Neben der genannten Scham war ich mir nicht sicher, ob es so einen Text wirklich braucht, ob es übertrieben wäre – noch so ein ›Sexismus in den und den Gefilden‹- Text. Ich hatte selbst im letzten Jahr so viele davon gelesen, dass ich nicht wusste, ob ich noch einen davon ertragen kann.
Damit verbunden war sicher auch eine diffuse Angst davor, die Spielverderberin zu sein. Das passt nicht in diese Szene, so Theorie-und Reflektionsgehabe. Akademisierung und Dekonstruktion. Das ist nervig. Aber wie oft musste ich mich von dummen und sexistischen Sprüchen nerven lassen – und das nur zum Spaß der Typen. Dieser Text hier, auch wenn er nerven mag, macht keinen Spaß – er ist notwendig.
Denn natürlich braucht es genau das. Es kann nicht angehen, dass man, statt mit dem Finger auf Missstände zu zeigen, diese schluckt und rechtfertigt, in der Hoffnung Anerkennung dafür zu ernten, besonders tough zu sein (denn die bekommt man als krasse Frau in Männerdomänen). Fuck it. Die ganzen Texte, die im letzten Jahr veröffentlicht wurden, zeigen nur, dass durch Schweigen nichts besser wird und es muss darum gehen, alles frei zu legen und sichtbar zu machen. Selbst in so klandestinen Bereichen wie Graffiti. Darüber spricht man eigentlich nicht, keine Namen keine Strukturen. Aber das ist Bullshit. Wir müssen aufhören, beim Privaten wegzuschauen und Täter zu schützen. Bedingungslose Freundschaft und Crew-Zugehörigkeit darf es nicht geben, wenn das dazu führt, dass menschenverachtendes Verhalten einfach so hingenommen wird. Wir müssen viel mehr öffentlich skandalisieren, auch wenn das unangenehm ist.
So unangenehm wie mir dieser.
anonym