• Titelbild
• Editorial Nr. 2021
• das erste: OMG Katja
• inside out: Die Unterstützungsgruppe stellt sich vor
• inside out: Die U-Gruppe sucht Verstärkung
• neues vom: Neues vom ... Viertel
• position: Conne Elend: Ein Abgesang
• review-corner event: »Nikol, du bist ein Verräter!«
• doku: Fuck the Family
• doku: Positionierung der Radicals Crew
• doku: »Antisexistische Arbeit ist in erster linie auch ganz viel frustrierende Arbeit«
• leserInnenbrief: Zeichen pflastern die Misogynie
• das letzte: Sachsen seucht sich weg
Vorspiel
Im Lockdown befindet sich sicher die ein oder andere Person in wahnwitzigen Geisteszuständen, die, wenn die eigenen vier Wände langsam näher kommen, für längere Zeit anhalten können. So auch mir passiert: ich wurde zum Katja-Krasavice-Fan.
Am kleinen, schlichten Schreibtisch saß ich und ließ mich durch die durchlässigen Hanfgardinen im Wohnzimmer von der Sonne bescheinen. Mein Kater hatte sich hinter mir auf einem Polsterstuhl zum Mohnstrudel zusammengerollt. Unproduktiv scrollte ich durch YouTube, anstatt für meine Bachelorarbeit zu recherchieren, bis ich entschied, mal wieder ein Video von Katja Krasavice anzusehen. Früher schaute ich ihren Content ab und zu, weil sie wie ich, Leipzigerin ist, ich ihre Entwicklung verfolgte, und ein bisschen betäubend war es auch. Wie ein Feelgood-Movie. Im ersten Video wurde meine Erwartung also bestätigt. Die bunten Bilder begruben mein Bewusstsein wie eine Lawine unter sich. Direkt danach schaute ich alle ihre aktuellen Musikvideos durch, immer auf der Suche nach den neuen Sachen. Irgendwann hörte der Spaß auf, denn ich bekam mehr Lust auf Katja, musste unbedingt mehr haben, aber alle alten und unterhaltsamen Videos von ihr waren nicht mehr online. Schande! Wie sollte ich jetzt meine Sucht nach übertrieben unzensierten, sexpositiven Videos (wir reden hier von US-amerikanischen Standards) von einer solch schillernden Figur stillen? Zum Glück erzählte mir jemand aus meinem Freundeskreis davon, dass sie ein Buch geschrieben hatte, welches dieses Jahr herausgegeben wurde. Ich sprang fast aus meinem Höschen vor Begeisterung (Katja würde mich dafür feiern) und schlug prompt vor, es in einem Lesekreis zu besprechen. Authentischerweise hat Katja ihr Buch auf Spotify selbst eingesprochen, also hörten wir es parallel zum Lesen. OMG. Jedenfalls ist das die Erklärung für mein guilty pleasure, ich stehe dazu, wie eine echte Boss Bitch.
(es geht) Zur Sache
Die Bitch Bibel also. Moses ging auf den Berg Sinai, um von Gott höchst persönlich die Steintafeln mit dem Dekalog für das auserwählte Volk zu empfangen. Eine Geschichte, so alt wie die christliche Zivilisation, in der wir uns hier befinden. Ganz so alt ist die Kultur, in der sich die ehrenvolle Autorin wiederfindet, allerdings nicht. Mit Religion habe ich außerdem nicht viel zu tun, offensichtlich aber auch Katja nicht. Das Buch ist in ihre unchristlichen zehn Gebote aufgeteilt, daher ordne ich es lächelnd dem Genre Autofiktion zu.
Erstes Gebot: »Eine Bitch vergisst niemals, wo sie herkommt!«
In den ersten vier Kapiteln gibt die als recht oberflächlich geltende Katrin Vogelóva den Blick frei auf etwas anderes als ihre fantastischen Outfits mit farblich passenden Langhaarperücken - sie zeigt Teile ihrer Kindheit und Jugend, die sie geprägt haben. Mit ihren Brüdern und ihrer Mutter wuchs sie auf, erst in Tschechien, dann in Sachsen; sie kam vom Bordstein zur Weidenlandschaft mit Pferd, vom pädophilen Vater, der in den Knast wanderte, zum halbwegs heilen Zuhause in Leipzig. Sie schreibt über ihre andauernden Probleme in der Schule, in der sie als Außenseiterin und Flittchen galt. So versuchte sie ihren Weg zu gehen, der ihren pinken Barbiepuppenstyle beinhaltete. Freizügigkeit lebte sie bereits von Beginn an auch in den sozialen Medien aus. Dabei lernte sie vor allem eins: Dass Frauen, die sexuell nicht ins prüde Bild passen, angefeindet werden, ist leider ein Problem in unserer ach so pluralistischen Gesellschaft. Katja blieb standhaft, kiffte sich ihren Frust weg und suchte Trost bei ihrer mittlerweile alleinerziehenden Mutter. Gleichzeitig fing sie an, ihre Karriere zu planen und setzte dabei bewusst auf Hater. Sie beschreibt ausführlich das Auf und Ab, dass sie auf dem Weg zum Erfolg erlebte. Besonders einschneidend sind die Schiksalschläge und prägenden Momente, die der Kunstfigur Katja kaum anzumerken sind. Oft verschwimmen die Perspektiven von Katrin und Katja zum einem ehrlichen und dennoch profilierenden Erzählstrang, der irgendwo zwischen Erfolg und der realen Lebenswelt schwebt. Die selbsternannte Boss-Bitch hat auf jeden Fall nicht vergessen, wo sie herkommt.
Fünftes Gebot: »BE REAL! BE FAME! BE A BOSS BITCH!«
Ein paar wenige Jahre benötigte die damalige YouTuberin und jetzige Musikerin, um ihr grandios versautes Standing in Deutschlands Mediengeschehen zu festigen, was ich ihrerzeit, wenn auch nicht komplett lückenlos, beobachtet habe. Aus ihrer Perspektive gab es viel Stress in ihrem Businessleben, vor allem, weil sie auf sich gestellt war. Häufig haben ihre Produzenten versucht sie auszunutzen, auch da viele davon ausgingen, dass sie so naiv sei, wie sie sich gab. Privat gab es ebenfalls immer wieder Probleme und so begann sie die gesellschaftlichen Werte zu hinterfragen und zweifelte diese auch weiterhin konsequent an. Sie widmete zum Beispiel ein ganzes Gebot dem Angriff auf die Monogamie. Sexuelle Befreiung wird aber nicht aus theoretischer Aufklärung forciert, sondern aus der alltäglichen Notwendigkeit heraus. Insgesamt ist der politische Wille weder für sie auszulegen, noch kann ihr ein Strick daraus gedreht werden; es muss vielleicht auf eine Fortsetzung gewartet werden. Der geneigten Leserschaft stellen sich jedoch weiterhin Fragen: Wo nur befanden sich zu der Zeit die Managerinnen der YouTube-Szene und die Produzentinnen der Musikindustrie? Wo waren die Feministinnen? Wahrscheinlich hätten sie sich furchtbar schlecht mit Katja verstanden, vielleicht hätten sie aber auch die Chance gehabt, solidarisch eine Rapperin zu unterstützen, die im schlimmsten aller Kulturbereiche hätte dezidiert feministisch wirken können: dem toxisch-männlichen Deutschrap-Game. Nun gut. Sie war immer recht offen, hat einige Leute auf ihrem Weg mitgenommen, und immer viel über Sex geredet. Genau dieser ist so zentral in ihrem Image verankert, dass mich die anrüchigen Kapitel am meisten interessiert haben. Autobiografische Erzählungen laden schließlich zum Voyeurismus ein.
Siebtes Gebot: »Selbstbestimmte Schlampen mögen's heiß!«
Fakt ist, dass Katja wirklich gern Sex hat. Ich schlug mir mit der Hand vor den Mund, als sie bei Spotify recht detailliert auf ihre Kinks einging. Kann sie gern alles machen, aber heftig fand ich, dass sie sich mit Lust bis hin zu blauen Flecken im Gesicht demütigen lässt, was definitiv für mich eine der Erklärungen für ihr dickes Make-Up war. Von angepisst werden bis zusammengekauert in einer Ecke darauf warten, dass der aktuelle Bettgenosse sich ihrer erbarmt, war alles dabei. Respekt der Sexkönigin, die ihre eigenen Gebote befolgt!
Gleichheitsfeminismus ist schon etwas, das die Plastikmadonna von Haus aus sichtbar verinnerlicht hat, ohne theoriefeste Genossin zu sein. Sinnlos wird es aber, wenn dann doch patriarchale Reproduktionen von Idealbildern im ansonsten so vorurteilsfreien Buch auftauchen: Kleine Schwänze, über die auch der Androzentrismus stolpert. Traurigerweise sind solche Passagen, in denen Männer auf ihre sogenannte Männlichkeit reduziert werden, sehr beschämend formuliert und somit höchst kritisch zu sehen. Aber eine Bitch macht wie jede andere Person auch mal einen Fehler und wächst daran.
Nachspiel
Ewig schon ist Katja mir bekannt durch das Internet, und irgendwann kam mir die Frage: Ist sie eine Feministin? Falls ja, ob sie das eher dank ihrer Lebenseinstellung oder ihres Intellekts sei. Weil sie aber die Co-Autorin Johanna Völkel verpflichtet hat, kann ich abschließend nicht beurteilen, ob sie street smart ist oder wegen ihrer Lebenserfahrung eine Menge gelernt hat. Vielleicht ist das aber gar nicht so wichtig. Gesagt werden muss nämlich folgendes: die Schönheit hat bis heute einen wahnsinnigen Drive, ist erfolgreich und lacht über sexistische Beleidigungen. Viele Fakten über ihr Privatleben sind nach dem Buch auch hinreichend bekannt, und ich finde, sie muss sich nicht schämen; allerdings wünsche ich mir mehr politische Partizipation von ihr. Sie hat eine riesige Plattform, eine laute Stimme und ein paar Millionen auf der hohen Kante, mit denen sie zwar ihre Karriere und ihr Buch finanziert hat, aber ich finde, da geht noch mehr. Für mich hat sie ein der breiten Masse zugängliches, wunderbar aufklärerisches Werk geschrieben. Schade wäre es, wenn mensch sie missverstehen würde.
Um es mit Katja zu sagen: Hate nicht die Bitch, hate das Game! Amen.
von Grete