• Titelbild
• Editorial Nr. 2021
• das erste: OMG Katja
• inside out: Die Unterstützungsgruppe stellt sich vor
• inside out: Die U-Gruppe sucht Verstärkung
• neues vom: Neues vom ... Viertel
• position: Conne Elend: Ein Abgesang
• review-corner event: »Nikol, du bist ein Verräter!«
• doku: Fuck the Family
• doku: Positionierung der Radicals Crew
• doku: »Antisexistische Arbeit ist in erster linie auch ganz viel frustrierende Arbeit«
• leserInnenbrief: Zeichen pflastern die Misogynie
• das letzte: Sachsen seucht sich weg
Am Morgen des 16. Dezembers musste die Moderatorin des Deutschlandfunks ihre Hörer/innen mehrfach vertrösten, denn die Leitung für das geplante Interview mit Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) wollte nicht recht zustande kommen. Beide waren eigentlich verabredet, um über erste Erfahrungen des erneuten Lockdowns in Sachsen zu sprechen. Doch am Abend zuvor hatte der ärztliche Direktor das Klinikums Oberlausitzer Bergland im ostsächsischen Zittau von einer Triage-Situation bei der Behandlung von Covid-19-Patient/innen berichtet und so, ließe sich vermuten, nahm in Dresden niemand den Telefonhörer ab, weil in der Staatskanzlei noch am passenden Framing getüftelt wurde.
Drei Stunden später war Kretschmer bereit sich öffentlich zu äußern. Er wählte die Form des Monologs und ergriff das Wort zur Präsentation des Regierungsberichts zur Corona-Pandemie im Sächsischen Landtag. Die Erzählung geht so:
Beim bundesweiten Inkrafttreten der ›Shutdown-Light‹-Verordnungen Anfang Dezember sei er durch Briefe, E-Mails, Wortmeldungen und Anrufe politisch unter Druck geraten, die ihn »ausschließlich [sic!] [...] gebeten und aufgefordert haben zu lockern«. Wie reagiert man als Staatsregierung darauf zu einem Zeitpunkt, in dem »die Inzidenz in Sachsen immer weiter gewachsen ist und in den Krankenhäusern bereits auf Hochlast gearbeitet worden ist, viele Pflegekräfte und Ärzte krank und die Kolleginnen und Kollegen, die dort arbeiten, an der Erschöpfungsgrenze waren«? Kretschmer jedenfalls wollte keine Zeit verlieren und beschloss medienwirksam »viele Krankenhäuser zu besuchen, einmal um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern« mit warmen Worten und Weihnachtsstollen »für ihre Arbeit« zu danken und »zweitens«, um die öffentliche Aufmerksamkeit darauf »zu lenken, dass die Zahl der infizierten Personen nicht zu groß werden darf, weil ansonsten nicht nur die Kontaktnachverfolgung nicht mehr möglich ist [...], sondern auch die medizinische Versorgung im Freistaat Sachsen nicht mehr gewährleistet ist.«
Bei den Heimgesuchten, deren Überarbeitung zu Beginn der Pandemie mit der Ermöglichung von 12-Stunden-Arbeitstagen bei 60 Wochenstunden und zugleich verkürzten Ruhezeiten herbeigeführt hatte, traf die unerbetene Aufmerksamkeit auf wenig Begeisterung. Kretschmer berichtete selbst von »unmöglichen«, weil undankbaren Kommentaren bei seinem Besuch der Intensivstation des Städtischen Görlitzer Klinikums. »Sie haben da irgendeinen Stollen mitgebracht,« wurde ihm entgegnet, »was soll das, warum fahren Sie durchs Land?«
Darauf gibt es mindestens zwei offizielle Antworten:
In einem Interview mit der Freien Presse fünf Wochen darauf gab der Ministerpräsident an, dass er erst bei den Besuchen in den Krankenhäusern die richtigen Informationen erhalten habe und sich wünscht, früher gewarnt worden zu sein: »Mir war nicht klar, dass das Personal in Aue schon seit sechs Wochen vor meinem Besuch am 11. Dezember« - eine Woche nach dem in Görlitz - »am Limit arbeitete.«
Die hingegen bitterere, aber der Wahrheit vermutlich näher kommende Antwort ist: Kretschmer wartete auf ein Einlenken auf Bundesebene. Denn laut seiner Landtagsrede hatte er noch am Wochenende des Görlitz-Besuchs »mit unglaublich vielen Ministerpräsidenten in Deutschland und mit Mitgliedern der Bundesregierung gesprochen und [sie] gefragt, wie bei ihnen die Situation ist, wie sie das einschätzen« und dann gemerkt, »dass dort der Prozess noch nicht soweit ist, dass man überall diese Entscheidung treffen möchte« - übersetzt: dass aufgrund des geringeren Infektionsgeschehens auch ein geringeres Interesse an einem erneuten bundesweiten Lockdown zur für den Einzelhandel wichtigen Weihnachtszeit bestand (auf Landesebene gab es zum zweitplatzierten Bayern beim 7-Tage-Inzidenzwert einen Abstand von über 100 Fällen). Für die sächsische Landesregierung aber war »wichtig, dass, wenn wir eine Schließung von Geschäften, Schulen und Kindergärten verfügen«, um mögliche Infektionswege in gesellschaftlich reproduktiven Bereichen zu reduzieren und eine weitere Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden, »dann nicht die Unternehmen ohne etwas dastehen, sondern dass es eine finanzielle Unterstützung gibt«. Wir wissen es nicht, aber es ist unwahrscheinlich, dass Kretschmer das überlastete Pflegepersonal bei der Stollenübergabe auf den Intensivstationen mit der fehlenden »Klarheit, dass diese wirtschaftliche Hilfe kommt«, vertröstete.
Dabei hätten die zwar erschöpften und niedrig entlohnten, aufgrund ihrer Systemrelevanz aber eben auch privilegierten, weil über einen sicheren Ausbeutungsplatz verfügenden, und mit Applaus bedachten Pflegekräfte vielleicht sogar Verständnis für die Zukunftssorgen der in der Corona-Krise am Profite machen gehinderten und mit in Summe milliardenschweren Zuschüssen und Krediten gepamperten Unternehmen aufgebracht. Denn auch ihre Arbeitgeber drohen Konkurs zu gehen – allein im Corona-Jahr 2020 mussten in Deutschland über 20 Kliniken schließen – und der Unternehmensverband Deutsche Krankenhausgesellschaft kündigte kurz vor dem Jahreswechsel schon einmal an, dass ohne Zuschüsse des Staates »flächendeckend Kliniken bereits im ersten Quartal 2021 nicht mehr die Gehälter ihrer Mitarbeiter zahlen können«.
Wie der MDR Sachsen-Anhalt am 7. Januar berichtete, kam es bei den Anträgen für die staatlichen Überbrückungshilfen für Unternehmen schon mal »zu Schwierigkeiten, etwa weil es nötig ist den sogenannten ›Unternehmerlohn‹ zu berechnen, um Verluste nachzuweisen«, dieser »zu hoch angesetzt« aber »als Betrug gewertet werden« könnte. Im vergangenen Jahr plagten den stationären Einzelhandel jedoch noch gravierendere Sorgen, denn dem reproduktiven Sektor drohte eine Art Planwirtschaft von unten. Noch Ende Juli, über drei Monate nach der Wiedereröffnung der im ersten Lockdown geschlossenen Geschäfte, beschwerte sich der Hauptgeschäftsführer des Handelverbandes Sachsen, René Glaser, in der Süddeutschen Zeitung darüber, »dass die Kunden beim Einkauf planvoll vorgehen und oft nur Bedarfskäufe tätigen.« Vom Bedarf allein aber kann der Handel in unserer Marktwirtschaft schlecht leben. Schuld sei die Maske, die der Handelsverband zwar »aus gesundheitspolitischer Sicht nachvollziehen« könne, von seiner Umsatz- und Gewinnerwartung her jedoch missbilligen müsse, da sie das »Shoppingerlebnis und das ungezwungene Bummeln« der Kaufkraftträger/innen ausbremse. Selbst die Einladung der Chemnitzer Wirtschaftsförderungs- und Entwicklungsgesellschaft zum »großen Weihnachts-Shopping-Finale in Chemnitz City mit über 1600 kostenlosen Parkplätzen« traf zwei Tage vor dem erneuten Lockdown nur auf mäßiges Interesse.
Ministerpräsident Kretschmer würdigte vorm Landtag die Lasten, die »Sächsinnen und Sachsen« in der Pandemie bisher auf sich nehmen mussten, und hatte dabei nicht Homeschooling mit technischen Dauerstörungen, die Doppelbelastung von ›Homeoffice‹ und Kinderbetreuung, Abstiegsängste von Kurzarbeiter/innen und Entlassenen usw. im Sinn, sondern, »dass viele [!] Menschen, wenn sie einkaufen gehen, das ertragen und mittlerweile eine Maske aufsetzen, notgedrungen auch im ÖPNV«. Eine andere Opferbereitschaft kann hier nur angedeutet werden, weil sie für Kretschmer vor dem Bundestag »in so einer Rede gar nicht aus[zu]drücken« war: nein, nicht die Mühen der Beschäftigten in der Pflege und anderen strapazierten Bereichen, deren Wert sich auf einen Weihnachtsstollen belief, sondern »die große Unterstützung der deutschen Soldatinnen und Soldaten, die in diesem Jahr« mit ihrem Einsatz an den Schreibtischen der überlasteten Gesundheitsämter »Übermenschliches [!] geleistet haben«.
Den Unternehmen wurde von ihren Verbänden, Medien und den zuständigen Behörden jedenfalls ein vorbildliches Verhalten, auch gegenüber den eigenen Mitarbeiter/innen, attestiert. So vermeldete die Leipziger Volkszeitung bereits im Sommer, dass bei 287 Kontrollen durch Landesdirektion, Zoll- und Gesundheitsbehörden, d.h. bei nicht-repräsentativen 0,2% der Unternehmen in Sachsen, »kaum Verstöße oder Mängel gegen Corona-Schutzmaßnahmen festgestellt« worden seien. »Im Fokus der Experten standen hygienische Selbstverständlichkeiten – von Seife über Desinfektionsmittel bis zu ordnungsgemäßen Sanitäreinrichtungen auf Baustellen«, hieß es weiter. Bei der Kontrolle dieser Selbstverständlichkeiten seien »keine gravierenden [!] Missstände aufgedeckt worden.«
Wie aber erklären sich dann die horrenden Inzidenzwerte vor allem im Süden und Osten Sachsens? Sozialministerin Petra Köpping (SPD) hatte laut MDR Jump bereits Ende Oktober vor einem »hohen Ausbruchsgeschehen in ländlichen Bereichen« gewarnt und als eigentliche Infektionsherde »nach wie vor das private Umfeld« benannt. Auch für den langjährigen Landrat des Erzgebirges Frank Vogel (CDU) hat sich das flächendeckende Infektionsgeschehen ausgehend von den Reiserückkehrer/innen im September ohne feststellbare Hotspots und Spreading-Events »vorwiegend durch Verhalten im privaten Bereich« entwickelt.
Was aber unterscheidet dann den privaten Umgang in Sachsen von dem im restlichen Bundesgebiet, dass sich das Virus hier ungleich stärker ausbreiten konnte?
Sozialministerin Köpping verwies in etwas soziotechnischner Wortwahl darauf, dass »wir gerade in den ländlichen Regionen [...] ein enges Familien- und Freundesleben durchführen.« Und Landrat Vogel gab zu bedenken, dass das Erzgebirge immerhin das »dicht besiedeltste Mittelgebirge in Europa« sei. Des Weiteren habe das Gesundheitsamt »vermehrt Kontakte in Tschechien nachverfolgen« können, »eben viele Arbeitspendler«, die dann - siehe oben - vor oder nach der Arbeit ganz privat ansteckend gewesen sein müssen. Auch Ministerpräsident Kretschmer fand in seiner Landtagsrede einige sächsische »Besonderheiten« wie »eine vergleichsweise ältere Bevölkerung, [...] ein Land, das dicht besiedelt ist« und einen »im Vergleich zu anderen Landstrichen [...] stärkeren Gemeinsinn bzw. einen stärkeren Zusammenhalt.« Aber warme Worte, die den Zweck hatten die von der Maskenpflicht gebeutelte sächsische Seele zu streicheln, konnten, das bemerkte auch er, nur schlecht als Begründung herhalten. Es war deshalb angebracht, der Bevölkerung auch einen Tadel auszusprechen: »Es gibt viele Besonderheiten,« setze er erneut an, »aber es gibt nur einen Grund, warum das so ist – der liegt darin, dass die Sächsinnen und Sachsen die Maßnahmen, die wir hier vorschreiben, das Verständnis, dass Mund-Nasen-Schutz und Abstand für die Bekämpfung dieser Pandemie existenziell sind, nicht so verinnerlicht haben, wie man es tun muss, wenn man in einer solchen pandemischen Lage ist.« Denn nach der empfundenen Gängelei im öffentlichen und gewerblichen werde gerade im privaten Kontakt - den der Staat nur begrenzt kontrollieren kann - »gern darauf verzichtet – unter dem Motto ›Uns wird schon nichts passieren.‹«
Dieser Rüffel war politisch günstig, weil sich mit dem Fokus auf den Privatbereich die Regierung aus der Verantwortung nehmen und mit dem Hinweis auf die fehlende Mund-Nasen-Bedeckung der Schwarze Peter der politischen Konkurrenz von der AfD zuschieben ließ. Er konnte jedoch zugleich für Befremden sorgen, da es auch Kretschmers eigenem Verhalten durchaus widersprach.
»Wenn man die Maßnahmen boykottiert, die im Hohen Haus getroffen worden sind, an denen Sie auch beteiligt waren und die Möglichkeit gehabt haben, Stellung zu beziehen, [...] wenn Demonstrationen stattfinden und ganz bewusst AfD-Abgeordnete ohne Maske zu sehen sind und sich von der Polizei auch noch verhaften lassen, dann ist das eben nicht verantwortungsvoll, sondern das Gegenteil«, wetterte er Mitte Dezember vor dem Landtag. Doch Mitte Mai hatte Kretschmer im direkten Gespräch mit rund 400 Demonstrant/innen, die im Großen Garten der Landeshauptstadt massiv gegen die zwei Tage zuvor in Kraft getretene Allgemeinverfügung von Köppings Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt verstießen, als ›Zeichen des Respekts‹ ebenfalls auf eine Mund-Nasen-Bedeckung und die Einhaltung des Mindestabstands verzichtet und mit seinem unerwarteten Auftreten sogar das weitere Anwachsen der Menschentraube provoziert. Eine Verhaftung hingegen war dem Regierungsoberhaupt wie den um ihn Versammelten damals erspart geblieben, denn die in der Pandemie viel bemühte staatsbürgerliche Verantwortung war augenscheinlich ausgesetzt: »Wenn er sich dadurch mit Corona anstecke,« hatte Kretschmer der Sächsischen Zeitung damals diktiert, »liege dies in seiner persönlichen Verantwortung.« »Wir werden nichts unternehmen«, bestätigte ihr auch ein eingesetzter Polizist, denn eine Kontrolle von Mindestabständen sei in dieser Situation nicht mehr durchsetzbar.
Um die weitreichenden Folgen der rasant steigenden Infektionszahlen Mitte Oktober für den nationalen Standort zu verdeutlichen, hatte Kanzleramtsminister Helge Braun gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland von einer »historischen Dimension« des anstehenden Bund-Länder-Treffens gesprochen. Auf diesem entscheide sich, ob »die wirtschaftlichen und sozialen Folgen uns für viele Jahre beschweren und wir gegenüber Ländern wie etwa China, denen die Infektionskontrolle gelingt, längerfristig ins Hintertreffen geraten«. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Sachsens 7-Tage-Inzidenz binnen einer Woche mehr als verdoppelt (und sollte fünf Tage später die für die behördliche Verfolgung der Infektionsketten so wichtige 50er-Marke reißen), doch Kretschmer spekulierte im Spiegel-Interview über eine Aufhebung des Beherbergungsverbots, warnte vor einer »Hysterie«, die die Bevölkerung verunsichern könne, und versicherte: »Wir wissen ja heute viel mehr als zu Beginn der Pandemie, zum Beispiel, wie sich das Virus überträgt [sic!]. Und wir haben Instrumente, damit umzugehen. Überall im Land sind verantwortungsvolle Bürgermeister und Landräte, die gut reagieren, wenn die Infektionszahlen steigen«. Landesregierungen und -verwaltungen hätten »nicht nur in Berlin, [sondern] auch anderswo [...] nicht schnell genug gehandelt.« Hingegen sollte man, »wenn im Osten die Zahl der Corona-Fälle niedrig bleibt, [...] den Menschen hier auch mehr Freiheiten ermöglichen.« Und dann folgte ein von Übermut gespeister Satz, der im Dezember, als viele sächsische Kliniken seit Wochen an der Belastungsgrenze arbeiteten, den Unternehmen aber das Weihnachtsgeschäft nicht unentschädigt genommen werden sollte, plötzlich nicht mehr galt: »Zunächst einmal sollte sich jedes Bundesland vor allem um sich selbst kümmern.«
Der größte Schaden für das Land und seinen »Menschenschlag« ist jedoch ein immaterieller und an ihm zeigt sich, weshalb es den Menschen hierzulande besonders schwerfällt, sich auf die Infektionsschutzregeln einzulassen. Sie widersprechen einfach, darauf wies Landrat Vogel hin, ihrer »Natur«. Der Erzgebirger beispielsweise, das hörten wir bereits, »ist sehr familiär, sehr heimatverbunden, pflegt auf der persönlichen Ebene gerne und viele Kontakte und Freundschaften.« Besonders daran ist wenig, außer die an den Tag gelegte Vehemenz und Rücksichtslosigkeit. »Der Erzgebirger«, da nimmt sich der Landrat ausdrücklich nicht aus, »hat auch sicherlich lange Zeit ein Problem gehabt, dem anderen nicht mehr die Hand geben zu dürfen«. Für Vogel und die seinen sind es nicht einfach nur Umgangsformen, sondern »im Übrigen auch gewisse Werte, die wir in dieser Gesellschaft hatten, die wir jetzt aufgeben müssen.«
Dass sich die Sachsen jenseits ihres Dialekts (»Schbrisch doidsch midd mior! Doidsch soller schbreschne!«) vielleicht mit Recht selbst als so etwas wie Über-Deutsche begreifen, dürfte sich in den vergangenen Jahren bereits im Rest der Republik herumgesprochen haben. Nach dem erfolgreichen Anschlag eines mutmaßlich preußisch-arabischen Clans auf die »sächsische Identität« (Innenminister Roland Wöller (CDU)) durch den Diebstahl des Schmucks des früheren Sachsen-Königs August I. aus dem Grünen Gewölbe der Landeshauptstadt wenige Monate vor Ausbruch der globalen Pandemie, gibt man sich im Umgang mit der ›China-Grippe‹ trotzig. Den Katalog, was wesentlich zum nicht aufzuopfernden Deutschsein gehört, hatte im April 2017 der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in seinem Gastbeitrag für die Zeit gleich in der ersten These über eine deutsche Leitkultur aufgestellt. Hier findet sich auch bereits die Überzeugung, dass in Deutschland der Wert einiger sozialer Gewohnheiten nicht in ihrem Inhalt liege, sondern darin, »Ausdruck einer bestimmten Haltung« zu sein: »Wir geben uns zur Begrüßung die Hand. Bei Demonstrationen haben wir ein Vermummungsverbot. ›Gesicht zeigen‹ – das ist Ausdruck unseres demokratischen Miteinanders. Im Alltag ist es für uns von Bedeutung, ob wir bei unseren Gesprächspartnern in ein freundliches oder ein trauriges Gesicht blicken. Wir sind eine offene Gesellschaft. Wir zeigen unser Gesicht. Wir sind nicht Burka.«
Das sind Aussagen, die man im VI. Regierungskabinett unter Angela Merkel (CDU) inzwischen eher der weiter rechts stehenden Opposition zuordnen würde, doch nicht so in Sachsen. Während der Sozialwissenschaftler Christoph Richter vom Jenaer Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft bundesweit fast ausnahmslos einen für ihn und seine Kolleg/innen überraschend starken und »höchstsignifikanten« Zusammenhang zwischen dem Bundestagswahlergebnis der AfD 2017 und den Corona-Wocheninzidenzen auf Kreisebene feststellen konnte, liegen die Verhältnisse im sächsischen bible belt weniger deutlich zutage. Denn aus der Grafik eines ARD Fakt-Beitrags vom Dezember geht ebenso eine starke positive Korrelation mit den Direktstimmen der regierenden CDU in der Sächsischen Landtagswahl 2019 vor. Das Erzgebirge und die angrenzenden Kreise sind nach dem Urteil des Göttinger Demokratieforschers Michael Lühmann eben auch Regionen, die »ganz besonders eng verbunden sind mit der sächsischen Union, elektoral und eben teilweise auch ideologisch«.
Im Unterricht für Landesgeschichte lernen die Schüler/innen in Sachsen, dass sich die das Schicksal der Landsleute bestimmenden Herrscher stets verlässlich auf die »falsche«, weil (militärisch) unterlegene Seite geschlagen haben. In der zweiten Welle der Corona-Pandemie ist Sachsen nach den eindeutig gemeinten, aber in vielerlei Hinsicht zutreffenden Worten seines Ministerpräsidenten in Deutschland »vorangegangen«. Den mit bürgerlicher Restvernunft Gesegneten sei hiermit vom Befolgen eines »sächsischen Weges« ausdrücklich abgeraten.
von shadab