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CEE IEH-ARCHIV

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#262, August 2020
#263, Oktober 2020

Aktuelles Heft

INHALT #263

Titelbild
In Zeiten von Corona
• das erste: Deutschland tötet!
• das erste: GEGEN DEUTSCHLAND
Inseln der Freiheit? Zum Gebrauchswert von Jugendsubkultur
Materializing feminism: Lesung und Diskussion (von und mit der MONAliesA)
Offenes Antifa Treffen
PS#6 - Release: Das Prosadebüt
Lesung: Liebe, Körper, Wut, Nazis
Zeckenmatte Vortrags-Freitag
Zeckenmatte Vortrags-Samstag
flint*sessions Nr. 1
• position: Ist das Modell Lukaschenko am Ende?
• position: Schon wieder ein Einzeltäter - Der Anschlag in Halle als Fortsetzung deutscher Zustände
• doku: »Es war mein 21. Geburtstag, als ich am Telefon zu meiner Mutti gesagt habe: 21 Jahre und immer noch kein Kommunismus. Und da hat sie gesagt: Na was soll ich denn sagen, ich stand kurz davor und wurde dann einfach in die Vormoderne zurück gebombt.«
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Anne Hofmann, geboren in der Stadt, die heute den Titel Stadt der Moderne trägt, wo laut Oberbürgermeisterin sich Zukunft nd Vergangenheit in produktiver Spannung gegenüber stehen, führte das folgend dokumentierte Gespräch zum Thema Streit der fünften Ausgabe der Zeitschrift für feministische Gesellschaftskritik outside the box (www.outside-mag.de), weil in ihm deutlich wird, welche Bedeutung biografische Aufarbeitung für eine feministische Gesellschaftskritik hat und weil darin die Lücken und Brüche der öffentlichen Debatten über deutsche Geschichte aufscheinen. Dass sich diese Schwierigkeiten, vor allem in Bezug auf DDR, in Sprache und Herangehensweisen, auch im Gespräch zeigen, verwundert die Autorin nicht, sie entschloss, dies nicht zu harmonisieren.



»Es war mein 21. Geburtstag, als ich am Telefon zu meiner Mutti gesagt habe: 21 Jahre und immer noch kein Kommunismus. Und da hat sie gesagt: Na was soll ich denn sagen, ich stand kurz davor und wurde dann einfach in die Vormoderne zurück gebombt.«

K. und ich lernen uns in C., einer Arbeiterstadt im Osten Deutschlands, kennen, wo sie studiert hat und ich herkomme. K. kommt aus einem Dorf im Osten; ihre Mutter ist stolz auf die noch knapp vor dem Ende der DDR ausgestellte Geburtsurkunde. Bei einem Freund besprechen wir Konflikte mit den Eltern, deren DDR-Geschichte und unsere eigene Geschichte darin. Ich höre in ihren Erzählungen von Streitmomenten, die darum kreisen, was das Thema DDR für sie bedeutet, was es für ihre Mutter bedeutet und für eine gemeinsame Auseinandersetzung heute und dass es ihren Eltern schwerfällt, diese Auseinandersetzungen anzuerkennen. Ausgangspunkt dafür war die Beschreibung eines Streits auf einer Familienfeier bei ihren Eltern, bei dem ein schwelender Konflikt kurz eskalierte. Von da aus zeigten sich die Schwierigkeiten und tiefen Ambivalenzen zwischen Mutter und Tochter in der Frage um die DDR. Daran anknüpfend führten wir dieses Gespräch.

A: Du erzähltest mir in C. von einem Moment auf einer Familienfeier …

K: Ja, ein Konflikt mit so einem Unverständnis. Ihr Unverständnis mir gegenüber. Das ist das Merkwürdige für mich, wo ich nicht weiß, wie ich mich verhalten soll – dass meine Mutter emotional nicht nachvollziehen kann, warum ich Interesse daran habe, zu erfahren, wie sie die DDR wahrgenommen hat, oder besser gesagt: wie sie die Wende wahrgenommen hat.

Obwohl sie es mir gleichzeitig immer wieder erzählt. Sie erzählt es zwar, aber nicht mit dem Auftrag, dass es mich interessieren müsste. Auch nicht mit einem Auftrag an sich selbst, ihre Erfahrung weiterzugeben, das könnte man ja auch machen, weil ihr Wissen geschichtlich ist, weil es relevant ist für die nächste Generation. Das alles gibt es nicht. Ich habe darüber nachgedacht, was mein Unbehagen gegenüber meiner Mutter ausmacht, und ich denke fast, dass ich ein Schuldgefühl habe, weil ich so erzogen wurde, nichts erwarten zu dürfen in dieser Gesellschaft, weil das eben die schlechte Gesellschaft ist. Man muss irgendwie sehen, wie man zu Rande kommt, aber einem wird hier nichts geschenkt. Und jetzt führ’ ich hier dieses Leben – ich studiere, ich habe ein Stipendium, also mir wird eigentlich relativ viel geschenkt – naja, nicht direkt geschenkt, aber es geht und es geht mir gut. Ich glaube, das macht dieses Unbehagen, dieses grundlegende Schuldgefühl aus: dass meine Mutti dafür gelitten hat, dass es mir jetzt gut geht, und das auch noch in der falschen Gesellschaft. Es wäre ja okay, wenn sie gelitten hätte für den Kommunismus und wir würden jetzt im… (lacht)

Das ist mir erst jetzt bewusst geworden, vielleicht auch erst nach unserem ersten Gespräch in C., auch als ich darüber nachgedacht habe, was diesen Konflikt ausmachen könnte, meine Gefühle gegenüber meiner Mutter. Ich wurde schon so autoritär erzogen, dass ich Schuldgefühle habe, wenn ich meiner Lust nach handle. Vielleicht ist es auch noch mehr, im Sinne davon, dass ich ein gutes Leben habe.

A: Als wir uns damals unterhalten haben, da hast Du vor allem auch von den Schuldgefühlen Deiner Mutter gesprochen, wenn ich mich richtig erinnere?

K: Ja, das macht auch ihren Konflikt aus, warum sie so schwer versteht, weshalb ich davon etwas wissen möchte oder warum meine Freunde, die links sind, irgendwas wissen wollen von ihr. Ich denke, ihre Schuldgefühle resultieren daraus, in dieser Ideologie quasi aufgegangen zu sein. Dass sie die DDR für richtig empfunden hat, dass sie vieles als vernünftig empfand und immer noch empfindet und diese Stasi-Sache nicht reflektiert hat. Jetzt spricht man ja von der DDR als Unrechtsstaat – also auch ein Schuldgefühl, dass sie das alles nicht gesehen hat oder ideologisch für sich so hingebogen hat, damit sie das hinnehmen kann. Ein Schuldgefühl, also der Ideologie auf den Leim gegangen zu sein; etwas mitgemacht zu haben, dass sich als falsch entpuppt hat, vermeintlich.

Meine Mutter war Heimerzieherin und sie war FDJ-Sekretärin, glaube ich. Mehr auch nicht. Sie war Partei-Mitglied. Sie war nicht bei der Stasi. Sie hat die Verpflichtungen, also zur 1. Mai- Demo zum Beispiel, gern gemacht, nicht weil sie musste. Oder irgendwelche Jugendfestspiele, da hat sie sich dann hingestellt und hat einen Zeitungsstand gemacht oder so etwas. Gut, sie war auch im Ferienlager für Stasi-Kinder, sie war die Erzieherin. Das heißt schon, dass sie auf Linie gewesen sein muss, sonst hätte man sie ja nicht dafür ausgewählt. Das sagt sie auch so.

A: War der Umbruch für deine Mutti beruflich ein Bruch?

K: Meine Mutti hatte dann immer kurze Jobs, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, nach der Wende. Sie hat auch im Kindergarten gearbeitet, aber letztendlich, da mein Bruder und ich viel krank waren, musste sie auch ständig mit uns zu Ärzten, zu Ergotherapie, das ganze Pipapo. Das heißt, dass sie sich auch nicht so sehr bemüht hat, einen neuen Job zu finden, weil klar war, da ist gar nicht so viel Zeit. Ich habe mal über den Lebenslauf meiner Eltern gesagt, dass sie sich nach der Wende ein klassisch westdeutsches Familienmodell angeeignet haben. Wir hatten immer schon wenig Geld, aber es hat gereicht. Das erste große Problem gab es mit der Hartz IV Gesetzgebung, also der Abschaffung der Sozialhilfe. Das heißt, meine Mutter fiel dann raus, weil mein Vater zu viel verdient hat. Wir mussten dann von seinem Geld leben. Deswegen versuchte sie 2005 wieder an Arbeit zu kommen. Sie hat es zwischenzeitlich auch genossen, wenn sie mal Arbeit hatte, aber ihre Selbstverwirklichung ist durchaus auch, Mutter zu sein, das ist ihre große Lebensidentität. Als dann später das mittelständische Unternehmen, in dem mein Vater angestellt war, in die Krise kam, war es wirklich schlimm. Aus dieser Notsituation heraus hat sie dann bei meinem Onkel in der Reinigungsfirma angefangen, in der Verwaltung. Später hat sie im Kindergarten gearbeitet.

A: Wodurch und seit wann hast Du dafür ein Bewusstsein, dass das etwas mit Dir zu tun hat, ihre Sozialisation etwas mit Deiner Sozialisation zu tun hat, und dass das mit Konflikten verbunden ist? Wann und warum ist ein Interesse entstanden für ihre Geschichte, die DDR, und was es mit Euch macht?

K: Dass ich sie direkt darüber frage, ist erst in den letzten zwei Jahren passiert. Ich könnte das jetzt nicht an einer konkreten Sache festmachen. Ein großer Punkt bei mir war eine feministische Reflexion. Sie hat immer auch von ihrer Rolle als Frau gesprochen – dass in der DDR alles super war und mit der Wende wurde sie ja dann auch Mutter, ich bin 1990 geboren. Gleichzeitig nahm sie die ›neue Gesellschaft‹ als eine ›Porno-Gesellschaft‹ wahr. Damit kam sie nicht klar. Plötzlich Mutter zu sein und gleichzeitig zum Sex-Objekt zu werden. Und plötzlich kommen überall Sex-Shops.

A: Sagt sie das auch so, Porno-Gesellschaft?

K: Ja, genau. Das sagt sie auch so, das hat sie immer so erzählt, mir sehr früh schon so erzählt. Ich würde sagen, das ist der Beginn meiner Reflexion über sie – die Frage, was die Wende mit ihr gemacht hat.

Dieses Frauenthema – wie ist ihre Position als Frau und als Mutter – unter dem Aspekt reflektiere ich mehrheitlich diese DDR-Sache. Weil es auch für sie immer ein Reflexionspunkt gewesen ist und ich es als großes Problem wahrgenommen habe, dass sie so Trieb-verneinend ist: Triebe sind etwas Schlechtes, triebhaft sind Männer, und das ist gleichzeitig auch immer etwas Grenzüberschreitendes, etwas sehr Schreckliches. Um zu verstehen, warum sie so denkt, so geworden ist, muss ich sie auch im Kontext der DDR sehen.

Sie schwankt, und das weiß sie auch selbst, zwischen einer pädagogischen Haltung, wo sie weiß, dass es wichtig ist, Kinder sexuell freiheitlich zu erziehen, sie aufzuklären. Aber auf der anderen Seite gibt es ein ganz persönliches Problem mit Sexualität und Lust. Da kommen wir auch nicht richtig zu einem Punkt. Ich habe sie jetzt mal gefragt, was sie denkt, woran das liegt, aber das bleibt unklar.

Und wenn wir bei Konflikten bleiben – das ist etwas, das meine Mutter sehr umtreibt: die Tatsache, dass sie mit dieser Gesellschaft immer wieder im Konflikt steht. Auch aufgrund der DDR-Sozialisation. Sie ist schon sehr wertkonservativ, ihr sind Frieden, Solidarität, und dass man sich untereinander hilft, sehr wichtig. Sie sieht diese Werte nicht nur nicht verwirklicht, sondern auch permanent in Frage gestellt. Ich glaube, dass ist für sie schwer auszuhalten, weil sie diese Werte als die einzig richtigen empfindet.

A: Und sich wahrscheinlich der Widerspruch dadurch noch zuspitzt, dass, wenn sie das offen kritisieren würde, wieder dieses Schuldgefühl greift. Dass sie sich damit auch auf etwas berufen müsste, was sich gleichzeitig für sie, oder auch gesellschaftlich, als vermeintlich ›falsch‹ erwiesen hat.

K: Ja. Sie kann das fast gar nicht einfordern. Sie kann nur privat sagen, dass sie es komisch findet, dass sie das Gefühl hat – sie ist ja jetzt auch Erzieherin im Kindergarten – die Kinder müssten ellenbogengesellschaftsmäßig erzogen werden. Und dass sie es vor den Eltern der Kinder nicht mehr rechtfertigen kann, wenn sie Werte wie Solidarität vertritt. Das Gefühl hat sie zumindest. Es ist auch nicht so, dass Eltern dann sagen: »Ieh, was machen sie da!«. Aber sie kann das wahrscheinlich im pädagogischen Konzept, welches sie zum Elternabend vorstellt, nicht so ausdrücken; sie muss ganz andere Begriffe dafür verwenden. Teamgeist statt Kollektiv. (lacht)

Es ist tatsächlich so, dass sie die Begrifflichkeiten so ausgewechselt hat. Privat macht sie das nicht. Privat hat sie diese Werte – also Solidarität, Frieden, Kollektiv usw. – schon immer vertreten. Sie hat zwar ihre Widersprüche aufgezeigt, dass es jetzt anders ist, aber diese Widersprüchlichkeit verschärft ihren inneren Konflikt. Vor Freunden, bei der Geburtstagsfeier zum Beispiel, da wollte sie nicht, dass ich von ihr als einer DDR-Bürgerin spreche, weil sie Angst hatte, dass ich sie als eine Art DDR-Fan bloßstelle, während ihre Freunde, die mehrheitlich aus einem kirchlichen Kontext kommen, eher DDR-kritisch sind. Ich weiß gar nicht, wie kritisch die eigentlich sind und wie ernsthaft die sich im Freundeskreis darüber unterhalten, wie die Wende für sie gewesen ist. Ein Punkt, worüber ich nachdenke, ist auch, dass ich viele Freunde habe, die aufgrund der Wende verkorkste Familiengeschichten haben, wo man merkt, da ist nichts glatt gelaufen. Als ich dieses Jahr zum 3. Oktober darüber nachgedacht habe, was jetzt aus uns allen geworden wäre, wenn es diesen 3. Oktober nicht gegeben hätte – ich dachte dann, wir wären vielleicht nicht alle psychisch so beschädigt, oder wir hätten vielleicht viel glattere Familiengeschichten.

A: Ich denke, dass das eine problematische Sicht auf die deutsche Geschichte ist. Die Zeit der DDR, so würde ich das beschreiben, ist ja nicht bruchlos. Die DDR versuchte, an einen Bruch anzuknüpfen, und dieses Anknüpfen trägt schon neue Brüche in sich: das Verhältnis zum Nationalsozialismus, die unaufgearbeiteten biografischen Verstrickungen und unaufgearbeitete Geschichte. Und wie das dann im Verhältnis steht zu dem Versuch dieses neuen Staates, in welchem das wiederum zu 89 steht und was das für uns jetzt heißt.

K: Das sollte auch nicht heißen, dass wir jetzt alle glücklich wären. Aber ich weiß auch, dass das Leben einiger meiner Freunde von so vielen Brüchen gekennzeichnet ist, von dieser Widersprüchlichkeit, zwischen zwei Systemen aufgewachsen zu sein. Ich habe immer dieses Gefühl, wenn man in Ostdeutschland groß geworden ist, kann man sich eigentlich auf nichts positiv beziehen. Es gehört zu einem, man mag es auch, aber irgendwie ist alles beschissen.

Dieses Nichtidentische, dieses – man weiß eigentlich, dass man in all dem nicht aufgehen kann, weil alles dem nicht entspricht. Bei Leuten, die in Westdeutschland aufgewachsen sind, habe ich nicht den Eindruck, dass die das auch hätten, dieses Gefühl. Es gibt zwar Leute, die dann sehr interessiert sind: Aha, krass, welche widersprüchlichen Gedanken ihr euch zu eurer Heimat macht, oder zu eurer Herkunft. Ich will jetzt nicht sagen, dass es keine Konflikte gibt in Familien aus Westdeutschland, aber es spielt sich vielleicht in einer anderen Qualität ab. Vielleicht ist es eine positive Sache, dass diese Konflikte in Ostdeutschland durch die Wende verschärft wurden und damit auch sichtbar geworden sind, während sie in anderen Familien unter der Oberfläche dahin gären.

A: Ja? Obwohl ich sagen muss, dass man von den offen liegenden Widersprüchen und Konflikten einerseits zwar weiß oder ahnt bei Leuten mit Ost-Biografien, aber andererseits habe ich auch das Gefühl, dass durch das gebrochene Verhältnis zur DDR eine Aufarbeitung und Thematisierung trotzdem sehr schwierig ist, als gäbe es dafür keine wirkliche Sprache. Sowohl in der Öffentlichkeit als auch privat. Bei der Generation meiner Eltern habe ich den Eindruck, dass diese Sprache ganz fehlt oder brüchig und kryptisch ist. Eigentlich kommt vieles oft noch hoch und sie wollen darüber sprechen, wissen aber gleichzeitig nicht richtig wie. Man will die DDR nicht beschönigen oder entpolitisieren durch das Private, durch Individualisierungen, man will sie aber auch nicht einfach als Stasi-Staat abtun. Man findet das dazwischen nicht, oder wie das geht. Es gibt ja auch dafür keine Öffentlichkeit fernab der ideologischen DDR-Kategorien. Das würde mich auch bei Dir interessieren: Wie kommt man zu einer Sprache dafür, zu Begriffen, zu einer Haltung, mit der diese Auseinandersetzung gut zu führen ist, mit der man dann auf die Eltern, Freunde zugehen und erkennen kann, was die eigentlichen Konflikte und Widersprüche sind? Mir kommt das alles noch ziemlich verschüttet und verformt vor, der Zugang und die Formen der Aufarbeitung. Erschwert durch die Bedingungen, unter denen die DDR nach ihrem Ende erscheint, als was sie verhandelt bzw. nicht verhandelt wird. Darin, wie die DDR heute bewertet wird, drückt sich der doppelte Bruch aus: die Überlappung, die Verdrängung deutscher Geschichte, die deutsche Ideologie – die Geschichte fängt eben nicht erst 1945 an.

K: Eine eigene Position zur DDR ist für mich auch schwierig. Ich würde fast sagen, dass ich die nicht so richtig habe. Ich kann auch nicht sagen, dass ich mich intensiv mit der DDR-Geschichte auseinandergesetzt habe. Ich habe die Erzählungen meiner Mutter. Ich kann abschätzen, was das Ideologische daran ist, aber ich könnte nicht sagen, dass ich eine differenzierte Sichtweise darauf habe. Ich nähere mich dieser DDR-Geschichte auch als eine Art demografisch-soziologischem Projekt an, indem ich mir anschaue, welche Handlungsmaxime es in der DDR gab. Warum haben die das gemacht? Warum sind die früh auf Arbeit gegangen? Wenn meine Interpretationen bezüglich der DDR ganz anderen Logiken folgen, als ihr das geläufig ist, dann wehrt meine Mutter das oft ganz stark ab, weil sie das als eine Fremdbeschreibung wahrnimmt. Als würde jetzt schon wieder jemand kommen und die DDR neu interpretieren wollen. Das kann sie nicht mehr hören. Da greift dann auch etwas sehr Identitäres, im Sinne von: ich habe das erlebt und weiß deshalb, wie es wirklich war. Es gibt auch wenig Einsicht dahingehend, dass meine Thesen vielleicht auch einen Zugang dazu finden könnten, die Wirklichkeit, um die es geht, ein Stück weit zu beschreiben.

A: Du hast mal gesagt, dass sie dann auch anmerkt, Du seist ja noch nicht mal in der DDR aufgewachsen…

K: Genau. Im Sinne von: Warum interessiere ich mich dafür? Es fällt ihr schwer zu sehen, dass ich diesen Bezug dennoch habe, persönlich. Ich bin ja witzigerweise noch in der DDR geboren; im Januar 1990. Sie ist auch sehr stolz darauf, dass ich noch eine DDR-Geburtsurkunde habe.

Ich interessiere mich biografisch und aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive und als Linke für die DDR, das versteht sie alles nicht. Dass sie das Biografische nicht nachvollziehen kann, verstehe ich tatsächlich nicht ganz – letztendlich hat sie mich ja nach DDR-Standards erzogen. Ich wusste schon mit sechs: »Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!«, das ist eine gute Sache, das hat der Marx gesagt, darauf kann man sich beziehen. Was auch interessant ist. Mir ist auch unklar, wie sie mein Links-Sein einschätzt. Und es wäre ebenso interessant zu wissen, ob ihr klar ist, warum ich zum Beispiel Soziologie studiere. Das kommt ja durchaus auch aus ihrer Erziehung heraus, so wie sie Gesellschaft beschrieben und wahrgenommen hat, dass ihr so vieles am Kapitalismus unlogisch erschienen ist. Ich würde schon sagen, dass sich das ein Stück weit daraus ableiten lässt. Aber ob ihr das alles so klar ist und wie sie mein politisches Engagement sieht – das weiß ich eigentlich gar nicht.

Das war auch schon manchmal ein Streitpunkt. Jetzt erstmal nicht mehr, weil ich das jetzt nicht mehr so viel thematisiere. Ich glaube, am Anfang, ich bin ja nach C. gezogen, da war ich 18, und dann habe ich ihr erzählt, was ich da mache, welche Leute ich da kenne, Hausbesetzer. Ich glaube, das fand sie sehr verrückt. Ich fand es ja auch sehr verrückt, ich habe ihr das auch so kommuniziert: Da gibt es ganz spannende Leute, verrückte auch. Das hat sie, glaube ich, mit kritischem Auge betrachtet, hat nichts weiter dazu gesagt, aber sie hatte immer Angst, dass ich zum Beispiel Punk werde, dass ich dann verwahrlose, bunte Haare habe, Piercings! Es wäre ein krasser Bruch gewesen, hätte ich das gemacht. Aber schon als ich 16 war, gab es bei H&M diese T-Shirts, auf denen PUNK stand und da wusste ich, damit kann ich nur noch meine Mutti aus den Latschen kriegen, aber sonst niemanden mehr auf der Welt. Deswegen war es mir das auch nicht wert. Na gut, dachte ich, dann muss man das eben anders machen.

A: Wie ist heute Euer Stand in den Konfliktpunkten, die Du beschrieben hast? Würdest Du das alles gern weiterführen mit deiner Mutter und hast Du das Gefühl, dass ihr darüber streiten, Euch damit auseinandersetzen könnt?

K: Mit dieser einen Sache, mit dieser Lustfeindlichkeit, da habe ich das Gefühl, dass es erstmal nicht weitergeht, weil das so tief drin sitzt bei ihr. Sie redet schon darüber, aber sie wehrt es ab, zumindest scheint es mir so. Man kann das ja auch hineininterpretieren. Das ist auch emotional so tief für sie, dass ich da nicht sehe, dass sich etwas ändern wird. Da fällt mir auch erstmal nichts mehr ein. Vielleicht müsste noch etwas Zeit vergehen.

Ich glaube, wo ich gern noch weiter bohren würde, ist die Frage, wie sie das Links-Sein wahrnimmt bei mir und was es für sie bedeutet, das interessiert mich. Zu überlegen, was das mit der DDR und ihrer Position zu tun hat und wie das wiederum für mich ist. Ihr begreiflich zu machen, dass ich mich dafür interessiere, dass es mir wichtig ist und uns vielleicht hilft, darüber zu reflektieren, was sie erlebt hat. Dass sie das nicht so abwehrt. Ein Problem dabei ist ja auch, dass ich sie nicht so oft sehe.

Es ist auch so, dass wir politische Themen nicht mehr so richtig ansprechen. Da hat sie schon Respekt davor. Ich glaube, ich merke das gar nicht so sehr. Ich mache mir da nicht mehr so die Platte, ich breche jetzt keine Rassismus-Debatte mehr vom Zaun, wenn es nicht sein muss. Da hatten wir auch so unsere Konflikte. Ich glaube, sie hat auch Angst, politische Sachen anzusprechen. Diese Angst lässt sich davon ableiten, dass sie schon weiß, dass ich irgendwie links bin und das ein anderes Links ist als ihr Links. Sie sieht sich schon als Linke, aber das ist ziemlich gebrochen alles, und gleichzeitig will sie ihre Werte vertreten sehen.

A: Wie steht es um den Anspruch und die Sicht auf eine Notwendigkeit Eurer Konflikte? Wie läuft das ab, wenn Ihr streitet? Teilt Ihr einen Anspruch?

K: Gestritten wird sehr krass. Wir sind uns auch sehr ähnlich darin, dass wir dann nicht von unserer Position abrücken wollen. Wir sind sehr festgefahren. Es kommt aber auch darauf an, um welche Diskussion es sich handelt. Aber prinzipiell hat sie, was das Biografische angeht, eigentlich immer den Anspruch, das durch zu reflektieren, zu analysieren, wie es so geworden ist. Obwohl es dann in dieser DDR-Thematik so einen Bruch gibt, dass sie genau das an dieser Stelle plötzlich nicht mehr versteht. Es ist auch ein Problem, wenn wir darüber reden, dass ich gern auf eine objektive Ebene gehen würde und natürlich auch gern ihre Gefühle teilen möchte. Aber mir ist fast klar, dass es für sie zu krass ist, ihre Gefühle einfach rauszulassen. Bisher hat sie das gut abgeblockt. Ich würde sagen, dass dieses Unverständnis darüber, warum wir jetzt darüber reden sollen, durchaus auch ein Abblocken von Gefühlen ist, sich nicht nochmal darauf einzulassen, was die Wende emotional für sie bedeutet hat.

Ich glaube, meine Gefühle sind sehr stark demgegenüber, aber ich kann sie nicht zuordnen, mir fällt es schwer, sie zu verbalisieren. Das letzte Mal habe ich vor meiner Mutti geweint. Das ist das einzige Gefühl, was ich habe.

Da war ich betrunken und ich habe gesagt: »Mutti, es tut mir so leid.« Das Gefühl, dass es mir leid tut. Es tut mir leid, weil ich eine Ahnung davon habe, wie krass alles für sie gewesen sein muss und dass es wenig Raum für sie gibt und gab, das für sich angemessen irgendwie klar zu kriegen. Es ist unter diesem Schuldgefühl begraben. Was mir leid tut ist, dass sie ein Ziel hatte in ihrem Leben, das war die bessere Gesellschaft, und dass ihr das einfach so weggenommen wurde und gesagt wurde, es ist falsch, was Du denkst und es gibt die bessere Gesellschaft nicht. Alles, was sie gefühlt hat und wie sie gehandelt hat, wurde in Frage gestellt, so eine Negation. Es sind noch andere Sachen sicher, Trauer ist ja nicht einfach das oder das. Traurig sein ist ja ein Gefühlszustand, der sich aus verschiedenen Sachen speist.

A: Was wir als abstrakten Widerspruch haben: die Gesellschaft zu kritisieren, aber es ändert sich nichts, die ganze Zeit sich darin reflektieren und den Anspruch der Ideologiekritik und jede Aufarbeitung hinkt und die Gesellschaft hinkt, all das ist ja in keinem guten Verhältnis möglich. Man ist permanent damit konfrontiert, dass das, was man kritisch reflektiert, widersprüchlich an einem klebt und man immer mindestens mit einem Bein in der Scheiße steckt. Und im Bezug zur DDR-Geschichte die Widersprüche auch in diesem Sinne und in den Beziehungen sehr real werden; über Generationen hinweg eine ganz reale Sache sind. Die hier besprochenen Konflikte geben einem ja nur eine Ahnung…

K: Mein Lieblingszitat von meiner Mutter ist mir vorhin eingefallen und vielleicht ist das eine super Überschrift: Es war mein 21. Geburtstag, als ich zu meiner Mutti am Telefon gesagt habe: »Mutti, jetzt lebe ich 21 Jahre hier und immer noch kein Kommunismus, das ist schon deprimierend« und da hat sie gesagt: »Na, was soll ich denn sagen, ich stand kurz davor und wurde dann in die Vormoderne zurück gebombt.« Ich musste so lachen. Ich finde es sehr passend, dass sie das so wahrnimmt, also mit der Vormoderne. Manchmal denke ich so, wow, wie kommt sie denn jetzt da drauf. Aus dem Nichts kommt dann so ein wahnsinnig politischer Spruch.



Anne Hofmann

13.07.2022
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