• Titelbild
• Editorial
• das erste: Die Wiederentdeckung des revolutionären Subjekts Arbeiterklasse als Ausdruck linksidentitärer Sehnsucht
• inside out: Jahresbericht 2019
• sport: Wenn Skateboarding zum Sport wird.
• leserInnenbrief: Bedenke was du trinkst, mein Kind
• position: Freie Zeit mit Corona
• doku: Konzerte in Zeiten von Corona: Livebranche am Abgrund
• doku: Corona und die Ernte
• doku: Corona und der kommende Aufschwung
• doku: Antisexistische Selbstjustiz: Der Richter bist du!
• das letzte: Alleinstellungsmerkmal Herkunft
»Skateboard zu fahren« ist ein teures Hobby. Alle dazugehörigen Elemente, sei es das Skateboard mit all seinen Bestandteilen selbst, Schuhe, Klamotten und die Körper der Skater_innen, sind Verschleißteile. Von dem vorher aufgezählten sind die Sachen, welche mit Geld bezahlt werden, über die Dauer der Ausübung des »Hobbys« vergleichsweise teuer, zumindest wenn ein gewisser Anspruch auf gute Qualität des »Sportgerätes« besteht.
Alleine für Kugellager kann mensch schon dreistellige Euro-Beträge bezahlen. Lebensdauer von Schuhen: Zwei Monate. Die Lebensdauer von Brettern (also nur Holz) reicht von zwei Stunden bis hin zu Jahren, wobei der Schnitt hier ebenfalls bei zwei Monaten liegt. Wird dabei der Preis betrachtet – im Schnitt 50–60 EUR für ein Deck, kommt da über ein Jahr schon ein bemerkenswerter Betrag zustande. In den mittlerweile zwei Jahrzehnten, in denen der Autor des Texts dieser Freizeitgestaltung frönt… ach… das rechnen wir mal lieber nicht aus…
Vor diesem Hintergrund ist es schon gut vorstellbar, wohin das Ziel von jungen Skater_innen geht: in Richtung Sponsoring. Im Schnitt beginnt ein Großteil der Skater_innen noch im Schulalter zu fahren und wie schön wäre es doch, einen Sponsor zu haben, welcher eine/n mit dem notwendigen Equipment versorgt und nicht ständig bis zum Geburtstag gewartet werden muss, bis es das notwendige Bestandteil oder die finanzielle Unterstützung gibt.
Größtes Ziel bleibt der »Pro Status«. Hier werden quasi alle lebensnotwendigen Ausgaben von den Sponsoren übernommen und der Skater oder die Skaterin wird hauptberuflich dafür bezahlt, dem vormaligen Hobby nach zu gehen. Klingt doch traumhaft!
Der Weg zu diesem Pro-Status ist im Skateboarding sehr vielfältig: Es gibt viele Möglichkeiten, sich als eine_r der besten der Welt zu profilieren. Dies ist nur ein kleiner Abriss des kreativen Outputs, den dieses Hobby mit sich bringt. Es gibt Contests (direkte Wettbewerbe), es gibt die Möglichkeit, sich einen Namen durch Videomaterial, »Sponsor-Me-Videos« bzw. einen Videopart (oder mehreren) einer großen Marke zu machen, auch Instagram und Youtube sind mittlerweile Kanäle hierfür geworden… schier unbegrenzte Möglichkeiten!
Und nun, im Jahre 2020, besteht erstmals die Möglichkeit sich als Teilnehmer_in oder gar Sieger_in der Olympischen Spiele einen Namen zu machen! 40 Jahre nach dem ersten großen Boom im Skateboarding ist nun das passiert, was 35 Jahre kaum jemanden interessierte: Skateboarding bei den Olympischen Spielen.
Ein kurzer Rückblick in die Vergangenheit
Mit der Aufnahme der »Sportdisziplin« Skateboarding in die olympischen Spiele 2020 in Tokyo wurde nun ein Schritt unternommen, welcher seit einigen Jahren innerhalb der skatenden Szene heiß diskutiert wurde. Als die Thematik bzw. die Idee das erste Mal aufgegriffen wurde, mit Skateboarding eine neue olympische Disziplin zu erschaffen, stieß dies bei den Skater_innen überwiegend auf Ablehnung.
Die Gründe hierfür sind relativ einfach: Skateboarding ist kein Sport! Skateboarding bewegt sich auf der Straße, Skateboarding entstand durch eine DIY-Kultur, welche mittlerweile noch wesentlich größer geworden ist. Skateboarding lebte in den Subkulturen, musikalisch hauptsächlich geprägt durch Hip-Hop und Punkrock, Skatepunk und Hardcore. Skateboard-Marken (s.g. »Brands«) und Skateshops wurden von Skater_innen für Skater_innen gemacht, ohne davon profitieren zu wollen.
Es galt rein der Antrieb, Skateboarder_innen zu pushen, zu motivieren, zu animieren und die unter dem Brand verpflichteten Pros zu versorgen. Mit dem dritten großen Push – verursacht vermeintlich durch die Tony Hawk's Pro Skater-Spieleserie – kamen mehr Talente zum Vorschein. Mehr Junge Skater_innen als je zuvor wurden in den »Pro Status« erhoben, Brands schossen überall auf der Welt aus dem Boden, der Markt wurde mit neuen Produkten überflutet. Das Problem dabei: Viele Marken teilen sich einen Kuchen und Hauptabnehmer_innen der Produkte waren nach wie vor die Schulkids und da die Lebenserhaltungskosten (sofern mensch dem Verbraucherpreisindex von Deutschland Vertrauen schenkt) seit Aufzeichnung noch nie gesunken sind, sind die Brands in die Bredouille gekommen, wenn es um die Finanzierung ihrer verpflichteten Skater_innen (»Fahrer_innen«) ging. Wie viele Sponsoren einen/e Fahrer_in haben, hängt lediglich von den vorliegenden Angeboten von Brands ab und von den vertraglichen Verpflichtungen dahinter. Ähnlich verhält es sich bei anderen Sponsor-Deals…
Als Skater_in bedeutet das, den Versuch zu unternehmen, möglichst viele Sponsoren zu erhalten, um seinen/ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Durch das anwachsende Interesse von Brands, welche nicht aus dem Skateboarding kommen, wie bspw. Energiedrinks, Sportschuhhersteller, Schokoriegelproduzenten, Frühstücksmüsli, eventuell sogar Klosteinhersteller (eventuell aber eher nicht), ergaben sich hier auch diese Möglichkeiten Geld zu verdienen.
Mit wachsender Popularität war es auch nur eine Frage der Zeit, bis Mainstream-Medien darauf aufmerksam wurden. Schnell wurden Serien mit Pro-Skater_innen produziert. MTV hat mit Fernsehserien das Talent des jungen Ryan Sheklers gefeatured oder den »verrückten« Alltag von Bam Magera. Der Jackass-Crew-Cast bestand hauptsächlich aus Skateboardern und MTV machte aus einer Nische einen neuen Trend.
Und dann Olympia
Parallel zu der kurz abgerissenen historischen Entwicklung, musste das Olympische Komitee (IOC) fest stellen, dass das Interesse an den herkömmlichen Disziplinen der Spiele gesunken ist. Die Zahlen der Zuschauer_innen sanken, das Alter wiederum stieg an. Es brauchte etwas frisches, etwas großes, um die Spiele der Jugend wieder schmackhaft zu machen. Es brauchte etwas, was eine Omnipräsenz darstellt und da in Deutschland (als Beispiel) der Volkssport Nummer 1 mit Fußball mit den Weltmeisterschaften eine größere Plattform hat und Volksport Nummer 2 – Biertrinken – wohl nie Olympisch wird, musste etwas anderes her.
Der Plan, Skateboarding Anfang der 2000er Jahre als Olympische Disziplin zu etablieren, scheiterte. Grund hierfür war vor allem die Gegenwehr der Skateboard-Szene selbst. Es gab keinen Bedarf, den eigenen Lifestyle als eine Sportart zu etablieren. »Keep Skateboarding illegal« lautete einer der Aufrufe, was angesichts früherer Forderungen, wie dem »Skateboarding ist not a crime«, für Szenefremde verwirrend sein könnte. Ein schöner Beweis für die Änderungen der öffentlichen Wahrnehmung des Skateboardings. Der Schrei nach einer Legalisierung kam auf, nachdem in den Vereinigten Staaten mehrere Fälle von polizeilichen Maßnahmen gegen (teilweise minderjährige) Skater_innen bekannt wurden. Diese sollen auf offener Straße verhaftet worden sein. Unter anderem gibt es Berichte von überzogenen Maßnahmen und Gewalt gegen die Skater_innen. Im Staat Florida kam die Idee nach einer Art Führerschein für Skatende auf. Wo also versucht wurde, eine Art Repression gegen Skateboarding aufzubauen, wurde der Ruf nach einer Legalisierung laut. Nun aber, wo Skateboarding als Sport etabliert werden soll, will die Szene zurück zur rebellischen Attitüde. Vielleicht sehen wir bei den übernächsten Olympischen Spielen als Kompromiss-Disziplin ja ›Wettflüchten vor der Polizei‹?
Interessante Nebeninformation: Bei Olympia dürfen keine Sportler_innen antreten, welche sich durch die Ausübung dieses finanzieren. Das heißt, dass keine Pro Skater_innen teilnehmen dürften. Es gab seitens des IOC keinerlei Idee, wie die neue Disziplin gestaltet werden kann und alle Facetten des Skateboardings, als Street, Vert, Bowl, S.K.A.T.E., Freestyle etc. untergebracht werden könnten, denn sofern es diese gab, waren sie nicht praktikabel.
Zudem gab es keine Regelungen, wie die antretenden Athlet_innen zu bestimmen wären. Wie auch, ohne eine entsprechende Qualifikation. Das IOC hatte keine Ahnung, wie eine einheitliche Trainingsumgebung zu gestalten wäre. Der Plan wurde vorerst auf Eis gelegt, man wollte sich noch etwas Zeit geben, daran im Stillen zu feilen…
Am 3. August 2016 wurde es dann vom IOC beschlossen: Skateboarding wird als olympische Disziplin erstmals bei den Spielen in Tokio 2020 vorhanden sein. Was hat sich seitdem geändert?
Die Antwort darauf ist zwar umfangreich, aber nicht weit her geholt. Zum einen sind viele der Skater_innen aus den Anfangszeiten nicht mehr aktiv in der Szene vertreten, sodass die Gegenwehr in dieser nachgelassen hatte. Zum anderen gibt es viel jungen Nachwuchs, welcher den Konflikt Anfang der 2000er Jahre gar nicht mit bekommen hat. Dritter Grund ist, dass es Investoren und größere Marken erfolgreich geschafft haben, sich in die Skateboard-Szene einzukaufen, sich zu etablieren und den ursprünglichen DYI-Gedanken zum Großteil durch einen sportlichen Wettkampf-Gedanken zu ersetzen Bei Wettkämpfen, welche bspw. durch das Sportbrand mit dem »Swoosh« gesponsert werden, sind Preisgelder im hohen sechsstelligen Bereich möglich. Gleichzeitig wurde mit der Gründung der SLS – Street League Skateboarding ein Wettbewerbsformat und Bewertungssystem entwickelt, welches quasi dafür gemacht wurde, vom IOC adaptiert zu werden.
Und mit dem Bau eines Skateparks extra für die Olympischen Spiele, hat auch das IOC seinen Teil dazu beigetragen (Dieser Park wird im Anschluss der Spiele wieder abgebaut). Ein Regularium hierfür gibt es nicht. Kommt der oder die Skater_in damit nicht zurecht, hat er/ sie halt Pech. Schutzausrüstung ist kein Muss (Anmerkung: nicht unbedingt das Schlimmste). Brands (und hierunter zählen eigentlich nur große Sportkonzerne) können Teams stellen mit Personen, welche von dem jeweiligen Brand gesponsert werden. Somit wäre die »Flagge« unter welcher die Skater_innen dann antreten, bestückt mit einem Swoosh oder drei Streifen. Die ganze Thematik, so kann man es zusammen fassen, wird mittlerweile gar nicht mehr so sehr innerhalb der Skateboard- Szene diskutiert. Ein Grund hierfür ist wohl auch, dass es keine Printmedien mehr gibt.
Alle jemals in Deutschland etablierten Skateboardmagazine mussten früher oder später ihre Pleite eingestehen. Das größte Skateboard-Magazin, das Thrasher Magazine (bekannt von den coolen Flammen-Logo-Pullover-Prints der Menschen in den Straßen von Großstädten, die in den meisten Fällen nicht mal wissen, was sie da tragen, aber naja… so sind Trends nun mal…), hat sich schon immer kritisch über Olympia geäußert und sich dazu entschieden, dem eigentlichen Event keine Plattform zu geben.
Doch wieso wird es nicht weiter behandelt? Die Antwort ist ganz einfach: Weil kein Mensch danach gefragt hat, Skateboarding olympisch werden zu lassen. Niemand aus der skatenden Szene hat darum gebeten, Skateboarding als olympische Disziplin zu etablieren. Es wurde einfach entschieden.
Doch was oder wo wird der Vorteil sein, wenn Skateboadring olympisch wird? Es gibt keinen. Den einzigen Vorteil erhalten die teilnehmenden Skater_innen selbst, in dem sie damit ihre Reputation erweitern, also sich einen größeren Namen machen können. Gut, hier könnte der Einwand gebracht werden, dass dies auch ein Weg zu mehr Sponsoren sein kann. Mit Sicherheit wird sich dadurch von großen Brands ein Interesse an den Skater_innen ergeben. In wie weit sich dieses allerdings von Core-Brands (also die mit der Anti-Olympia-Attitüde) sagen lässt, ist fraglich. Da sich leider keine Zahlen finden lassen, wie sich die Szene in die beiden Lager aufteilt, also »Pro«- und »No«-Olympia, kann dies zur Zeit nicht abschließend geklärt werden. Nichtsdestotrotz bleibt den Teilnehmer_innen in erster Linie der Ruf als Olympiateilnehmer_in.
Warum nur Reputation? Das IOC zahlt für Medaillensieger_innen keine Preisgelder. Im Falle einer Teilnahme an den Spielen wird die Teilnehmerin oder der Teilnehmer pauschal von dem jeweiligen Sportbund vergütet. Deutschland honoriert eine Goldmedaille mit pauschal 20.000 EUR, egal für welche Sportart (Ausnahme ist hier Fußball). Wenn eine zweite Medaille dazu kommt, bleibt es trotzdem bei dem Betrag, wird nicht mehr. Wenn nun also die Stadt, in welcher die Spiele ausgetragen werden, die Kosten übernimmt, idealerweise in Abstimmung mit dem jeweiligen Land
der Stadt, das IOC keine Athlet_Innen bezahlt und dann trotzdem die horrenden Lizenzkosten für Rundfunkübertragungen einfährt und Werbeeinnahmen der Sponsoren erhält, wohin geht dann dieses Geld? Zumindest nicht in die Szene der jeweiligen Sportarten zurück, das kann gesagt sein.
Kein permanent bestehender Skatepark wurde für »olympische Trainingszwecke« gebaut. Und hierfür gibt es auch – zumindest hier zu lande, keine Pläne. Das bedeutet, dass trotz der großen Olympischen Plattform dem Nischen-Sport keine geeigneten, permanenten Plätze geboten werden. Ganz im Gegenteil sogar, unzählige Skatespots und DIY-Spots (also von den Skater_Innen selbst gebaute Hindernisse) wurden alleine 2019 abgerissen, um Platz für bspw. Parkplätze zu schaffen oder Luxusbebauung (bspw. das Jahrtausendfeld in Leipzig, Trini in Dresden oder die Pläne zum Abriss des Stalin-Plaza in Prag, um nur drei zu nennen).
Ein weiterer, wohl eher individueller Störfaktor ist, dass in einem »Sport«, in dem es eigentlich keine Grenzen geben sollte, nun welche gezogen werden.
Skateboarding ist grundsätzlich sehr weltoffen. Menschen, die durch die gleichen körperlichen Anstrengungen gehen, um zu ähnlichen Zielen zu gelangen (also schwierige Tricks zu machen), die den gleichen Reisedrang haben, denen Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft und sexuelle Orientierung vollkommen egal sind, weil sie durch Skateboarding verbunden sind, stehen sich bei den Olympischen Spielen aufgrund ihrer Nationalitätszugehörigkeit im Wettkampf gegenüber.
Wer einen Skatecontest schon mal besucht hat, dem wird die freundliche lässige Atmosphäre aufgefallen sein. Es kommt weniger ein Wettkampf, als mehr ein lockeres Familientreffen zustande, im dem sich jede/r alles gönnt.
Somit bleibt zusammenzufassen, dass sich aus der Aufnahme Skateboardings in die Olympischen Spiele für Skateboarding selbst kein Mehrwert ziehen lässt. Das IOC bringt nichts mit, was den Ausbau von skatebarer Infrastruktur dient, die Kommunen werden die Notwendigkeit des Ausbaus selbst nach wie vor mit Scheuklappen vor den Augen nicht erkennen. So wurden beispielsweise sämtliche, zuletzt errichteten öffentliche Skateparks auf Forderung der lokalen Skateboardszene errichtet, jedoch nicht zwangsläufig unter dem Vorwand eines Trainingsplatzes für die Spiele. Im Gegenteil: in Selbstregie errichtete DIY-Skateparks auf sonst ungenutzten Flächen wurden von den zuständigen Städten und Gemeinden kurzerhand abgerissen und blieben bisher ersatzlos. Die zuständigen Bürgermeister_innen geben den Skater_innen bisher keinen Grund, sich bei der Unterstützung zum Bau von guten (!!!) Skateparks auf sie zu verlassen. Ob dieser Status Quo nach Olympia noch so ist, wird sich zeigen und hängt schlussendlich wohl immer an monetären Spielräumen. Tendenziell wird das Interesse innerhalb der Szene doch eher gering sein, solange sich bis dahin nicht ein gruppentaugliches Trinkspiel für die Zuschauer_innen entwickelt. Der Spaß, welchen Skateboarding machen kann, die Freiheit, nicht trainieren zu müssen, und die Individualität werden auch durch eine olympische Medaille nicht vermittelt. Es ist viel wichtiger Spaß zu haben, als bei einem Contest zu gewinnen.
Anfang der 2000er galt der Slogan: »Skateboarding is not a sport.« Ob das so jetzt noch proklamierbar sein wird, ist fraglich. Um frischer und »hipper« zu sein, braucht Olympia Skateboarding, Skateboarding jedoch braucht Olympia nicht.
von Dirk