• Titelbild
• Alle Jahre wieder
• das erste: Die Transformation des Faschismusbegriffs im 20. Jahrhundert
• Fatoni
• Kummer
• Second Encounter
• Schmutzki
• Altın Gün
• position: Unteilbare Gutbürger im Dienst fürs Kapital
• doku: Nicht nur »schwarzer Block«
• doku: Jean Améry
• das letzte: Terrifying low-tech-Terrorism
Die Rede vom „gamifizierten Terrorismus“ war nach dem neonazistischen Attentat von Halle in aller Munde. Seehofer wollte in einer großen Geste gegen die »Gamer-Szene« vorgehen. Der game-verband übte sich in Distanzierung, das sei ein gesamtgesellschaftliches Problem und Seehofer solle sich doch bitte einmal um diese Nazis kümmern. Diese Abwehrhaltung ist symptomatisch und erscheint zunächst auch einigermaßen plausibel: Denn zu sagen, es seien Gamer*innen insgesamt, die überwacht werden müssten, ist wie zu sagen, dass nun alle Netflix-Zuschauer*innen überwacht werden müssten. Dass das Videospiel als Medium so mannigfaltig ist wie seine Gamer*innen – geschenkt. Dass nun ein Livestream eines Rechtsterroristen auf der Gaming-Streamplattform Twitch – oder sei es auch Facebook wie beim Christchurch-Attentat – etwas ganz anderes sei als etwa eine Partie Counter-Strike, dass ingame nur Pixel erschossen werden, das alles ist geschenkt. Hat Seehofer eine neue Killerspieldebatte losgetreten? Man mag einwerfen: Nein! Denn hier werden nicht die Videospiele selbst als ursächlich angesehen, wie etwa Konservative beim Amoklauf von El Paso in den USA behaupteten. Vielmehr stehen nun die Gamer*innen selbst im Visier.
Die Killerspieldebatte war immer schon im Kern erzkonservativ: Sobald es eine Schießerei gibt, bemühen Politiker*innen das Videospiel als Ursache, um nicht über politische und gesellschaftliche Probleme zu sprechen. Da wären etwa Waffengesetze, Antifeminismus, Antisemitismus, Rassismus, rechte ImageBoards wie4Chan oder (das inzwischen halb verschwundene) 8Chan, krude, frauenfeindliche Phänomene wie die sogenannten »Incels« usw.. Nun ist es aber auch so, dass die bloße Verteidigungshaltung der Gamer*innen den Blick auf das Problem verstellt. »Not all gamers!« ist auch nicht mehr als eine Abwehrhaltung, die der Sache nicht ins Auge blickt. Denn seit jeher war Gaming in seiner Geschichte oftmals ein verlängerter Arm des militärisch-industriellen Komplexes, bediente infantile Männerphantasien und damit der Ausschluss und die Abwehr des Weiblichen und so weiter.
Dass gerade Rechte im Gaming eine Spielwiese gefunden haben, hängt auch mit der Entwicklung und den Konzepten der Spiele selbst zusammen. Wagt man einmal den Versuch, die Historie des Videospiels zu durchstreifen, lässt sich durchaus behaupten, dass Videospiele überdurchschnittlich Kriegsspiele hervorgebracht haben und Gewalt wie Tod in ihnen thematisch derart omnipräsent sind, dass es fast schon banal und trivial scheint, dies überhaupt zum Gegenstand zu machen. Nicht nur Gamer*innen stehen in der Verantwortung, was und wie sie spielen. Insbesondere die Industrie, die Spieleproduzierenden haben die Mittel, Spiele und digitale Welten zu produzieren, die etwa Antifeminismus, Antisemitismus, Rassismus oder Chauvinismus keinen Platz lassen.
Aber gerade für diese Branche ist es nach wie vor schwierig, sich politisch zu positionieren. Zu sehr fürchtet man Absatzmärkte zu verlieren – wenn der Begriff der »Kulturindustrie« für eine Sphäre zutreffend ist, dann für das Gaming. Grand Theft Auto V hat alleine mehr als doppelt so viel Einnahmen eingespielt als der bisher erfolgreichste Film und der gamifizierte Kapitalismus macht schon lange mehr Umsatz als Musik- und Filmindustrie zusammen. Die Games-Branche verkauft gerne die Marketing-Ideologie, das Videospiel sei das Leitmedium des 21. Jahrhunderts. Sobald aber Gaming-Bezüge in rechtsterroristischen Zusammenhängen auftauchen, sollenSeehofer und seine autoritären Freunde sich lieber um das Medium kümmern. Diese Debatte ist im Übrigen gewiss komplizierter als diese Darstellung suggeriert.
Let’s face reality: Das Medium des Computerspiels gehört in der Tat wohl zu den populärsten Massenphänomenen unserer Zeit. In krassem Missverhältnis steht dazu jedoch das Bewusstsein dieser kulturellen Sphäre, insbesondere das politische. »It’s just a game« war noch vor wenigen Dekaden die Standardauskunft von Developern, wenn ihr Spiel in politischer Hinsicht in die Kritik geraten ist. Überhaupt bemerkt Johan Huizinga in Homo Ludens, dem wohl einflussreichsten Werk der Gamesforschung bzw. Ludologie, dass das Spiel wesentlich durch die Differenz von »Ernst« und »Spiel« gekennzeichnet ist. Viele Gamer*innen betrachten ihr Treiben vor dem Monitor nach wie vor als eine entpolitisierte Sphäre der Freizeit, man solle sie doch bitte in diesem Rückzugsort von politischen Debatten verschonen. Spricht man sie auf ihr »Hobby« an, dann geben sie in der Regel die Auskunft, dass es doch nur ein Spiel sei, nicht das Wirkliche, das Reale.
In der Tat ist diese Differenz konstitutiv, um überhaupt ein Spiel zu spielen. Zugleich wird diese etwas nebulöse Unterscheidung dazu gebraucht, um unliebsame Inhalte in den Bereich des Fiktiven zu verbannen, man habe das ja gar nicht wirklich so gemeint. Dass das Politische im Spiel einen derart prekären Status innehat, mag durchaus mit dem »Wesen des Spiels« als solchem zusammenhängen. Aber Huizinga sagt auch, dass das Spiel mit so etwas wie einem »heiligen Ernst« durchdrungen ist. Diejenigen, die sagen, es sei ja nur ein Spiel, verkennen ihr eigenes Handeln, denn im Spiel regiert irreduzibler Ernst. Es ist nicht etwa zufällig, dass »neue« Rechte versuchen, auf dem Feld des Gamings ihre reaktionären und menschenverachtenden Inhalte zu teilen.
Dort treffen sie nicht nur auf wenig Widerstand, der auch noch mitunter im Testosteron, dem Gegröhle und den Feindbildern zusätzlich untergeht, sondern auch auf rechte Subjektivität. Man denke nur an die #Gamergate-Hetzkampagne, als sich Maskulinisten dazu verabredeten, Journalistinnen, Spieleentwicklerinnen, generell Frauen* online (und offline) zu terrorisieren. Wiederum ist es fatal, das Videospiel als Ganzes nun für einen Hort des Antifeminismus zu erklären und als männliche Killerspielwiese abzutun. Sowas wäre nicht nur fehlende Solidarität gegenüber zeitgenössischen, positiven Entwicklungen innerhalb des Mediums, sondern wäre auch eine defätistische Haltung gegenüber einem Antifaschismus, den Gaming bitter nötig hat. Denn krass ist das Missverhältnis von politischem Bewusstsein und Gamingkultur im Vergleich mit anderen Medien. Buch, Musik, Film – eine progressive Gegenkultur wäre hier schlicht nicht wegzudenken. Dass sich im Gaming nun etwas ändert, wird nicht Seehofer mit seiner Vorratsdatenspeicherung und Ausweitung der Überwachungsbefugnisse erreichen, sondern das ist unsere Aufgabe, die auch sonst in allen möglichen, anderen gesellschaftlichen Sphären wie etwa Sport, Freizeit, Klubkultur usw. ausgefochten wird.
Begeben wir uns nun auf eine kleine Zeitreise und gehen zum Ende der 90er, in die Jugendzeit der Millenials, zurück. Digitale Spielkultur war zu dieser Zeit zwar schon online, doch war die Verfügbarkeit des Informational Superhighway noch begrenzt – gerade im Internet-Entwicklungsland BRD. Zu dieser Zeit waren Gamer*innen noch viel eher eine marginalisierte Subkultur, die mit Vorstellungen vom unsportlichen Nerd verbunden war, der keine Freunde hatte und ein trauriges soziales Phänomen darstellte. Dieses Bild hat sich zur Gegenwart hin gewandelt. Doch zu dieser Zeit war Gaming als soziales Phänomen, das es immer auch ist – vermittelt durch local area network, kurz: LAN. Es war die Hochzeit der LAN-Partys, auf denen man sich in Garagen und Kellern verabredete, um mit Cola, Chips, Energydrinks und wohl auch saufisaufi abzuschimmeln.
Eine persönliche Note: Zur Schule ging ich in einem Vorort, d. h. Kuhkaff, im Westen, Rheinland-Pfalz. Dieses Bundesland gilt als – für deutsche Verhältnisse – einwanderungsfreundliches Land. Dort erlebte ich auf einer LAN-Party folgendes: Nachdem die Pizzabestellung kam, hatte einer der Teilnehmer Musik mit seinen Boxen angemacht. Es gibt ja nichts Schlimmeres, als auf einer LAN-Party Lautsprecher zu hören (Headphones-Pflicht!). Aber nicht irgendwelche Musik, sondern die Naziband Landser. Das war eine der widerwärtigsten Begegnungen, die ich im real life mit Gaming hatte. Man mag das nun als zufällig abtun, es gebe ja schließlich auch Nazis im Real Life. »You don’t say...« Aber den anderen war es reichlich egal. Niemand hatte irgendwas dagegen anzubringen in diesem Kuhkaff, wo sich alle kennen. Diese Erfahrung ist für mich symptomatisch für den Umgang mit Antifaschismus im Gaming. Nazi will niemand sein, aber dann sich klammheimlich doch in Call of Duty 2 freuen, auf der Seite der Achsenmacht zu spielen. »Opa, ich vermisse dich«... Nazis in Videospielen sind ohnehin zumeist »neutralisiert«. Gerade in kompetitiven Spielen, in denen mehrere Fraktionen sich agonistisch bekämpfen, neigen Videospiele dazu – insbesondere diejenigen mit historischen Themen und die der Ideologie der »historischen Akurranz« anhängen – Nazis einfach als Konfliktparteien unter anderen darzustellen. Das formale Gamesetting, in der etwa zwei Parteien – bspw. allies vs. axis – gegeneinanderspielen, macht die Kontrahenten kommensurabel, in solchen Spielen gibt es selten ein Wort über die Greueltaten und Naziverbrechen, kein Wort über Auschwitz. Es gibt aber auch Gegenbeispiele, gerade in jüngster Zeit: Wolfenstein: The New Order hat sich daran gewagt eine Schleichmission in einem Konzentrationslager zu gestalten, die Kritiken dazu sind wohlwollend.
Gaming geht also auch anders, nur erscheinen diese Momente marginalisiert. Es geht nicht nur darum, mit Konsumkritik Einfluss auf die Industrie ausüben zu wollen, obgleich in der Tat jüngste feministische Initiativen wie die von Anita Sarkeesian (feminist frequency) positiven Einfluss ausübten, was bspw. character cast und Diversität angeht. Es geht aber vor allem darum, eine Gamingkultur zu begründen, die politische Mindeststandards formuliert: Mit Neonazis gibt es nichts zu spielen. Antifeminismus, Antisemitismus, Rassismus, Chauvinismus dürfen keinen Platz in Games haben und müssen im virtuellen Raumebenso geächtet werden wie im reellen – wie sie es auch sonst in den mannigfaltigen Ausgestaltungen der Gesellschaft werden. Der »digitale Dualismus« von Realität und Virtualität, dass das Videospiel einem Körper-Geist-Dualismus gleich vom Realen getrennt aufgefasst wird, ist nicht zu halten.
Gaming ist kein politfreier Raum. Nicht allein deshalb, aber durchaus auch deshalb, sehen wir eine LAN-Party, die in den Räumen des Conne Island stattfindet, als Gegenkultur und das Potential, sich mit Genoss*innen zu vernetzen (vermittels eines LAN-Kabels). Aber davon abgesehen: Es ist eben auch ein unendlicher Fun, sich gegenseitig abzuballern, kompetitiv gegeneinander anzutreten (ohne sich mit der meritokratischen Leistungsideologie von Highscore-Schwanzvergleich zu hierarchisieren) oder auch einfach mal zusammen cozy und ambient cooperative games zu zocken. Es ist dies nicht nur eine nostalgische Note oder ein Anachronismus, eine LAN-Party an diesen Tagen zu organisieren. Das ist schon Retro, aber Retro, der ebensosehr in die Zukunft weist. Was gibt es außerdem Schöneres, als »sinnlos« seine sogenannte Freizeit mit Games zu verdaddeln, einzutauchen in die Erfahrungen, die wir nicht nur als Kind- und Jugendzeit wegschieben, sondern die auch heute unsere viereckigen Augen erstrahlen lässt? Darum haben wir uns ein Konzept überlegt, das Classics der LAN-Ära enthält, aber auch nichtkompetitive Games bereithält, etwa Couch-Coop-Games, womöglich auch Späße wie Mario Kart 64. Über die vorige LAN-Party im Conne Island wurde die Kritik formuliert, dass die Turniere nicht funktioniert haben. True that. Dieses Jahr wollen wir organisatorisch lernen: Diesmal gibt‘s wirklich Turniere. Voller Vorfreude verkünden wir ein besonderes Match: Controller Island vs. Institution für Zocken. Wir können es kaum erwarten.
Schließlich wollen wir hiermit alle Interessierten und Enthusiast*innen des Gamings herzlich einladen, zu unserer LAN-Party mit Tower oder Laptop zu spawnen und sich ein ganzes Wochenende der schönen Verschwendung hinzugeben. Second Encounter!
Never grow old. Good luck. Have fun. Good game.
[Odobenus]