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Fatoni
Kummer
Second Encounter
Schmutzki
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• doku: Nicht nur »schwarzer Block«
• doku: Jean Améry
• das letzte: Terrifying low-tech-Terrorism

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Terrifying low-tech-Terrorism

Der antisemitische Anschlag von Halle als Promotion-Flop des DIY-Terrorismus

Deutschland gehört zu den weltweit größten Produzenten und Exporteuren sogenannter Kleinwaffen, d.h. von Pistolen, Gewehren und Handgranaten. Zugleich sind der Zugang und die Anwendung in der Gesellschaft vom Staat streng reglementiert. Handfeuerwaffen können sich potenzielle Attentäter auf dem analogen wie digitalen Schwarzmarkt besorgen, bei Sprengstoffen gestaltet sich das schon schwieriger. Bei enttarnten Terrorgruppen, denen die Vorbereitung von Sprengstoffanschlägen zur Last gelegt wird, hatte in Deutschland in der Regel ein Geheimdienst seine Finger im Spiel. Generell ist jede Kontaktaufnahme zur Beschaffung von Waffen mit der Gefahr des vorzeitigen Auffliegens verbunden und mit dem Eintritt in illegale Märkte verlässt man auch ein Stück weit den die eigene Person betreffenden Schutz des Gesetzes, von dazu benötigten finanziellen Mitteln ganz zu schweigen. Während Dschihadisten dazu übergingen, Flugzeuge oder LKWs als Waffen zu missbrauchen, dabei jedoch weniger auf Verallgemeinerbarkeit, sondern vor allem den dysfunktionalen und symbolischen Gehalt des Terrors abzielten, erscheint diese Strategie einem Attentäter, der vom unmittelbaren Vernichtungswunsch getrieben ist, wenig attraktiv.
Im Land der Nachfahren des industriellen Massenmords an den europäischen Juden verfolgte der Attentäter von Halle, der 27-jährige Erwerbslose Stephan Balliet, in Ermangelung der Kontrolle über die Staatsmacht und der industriellen Potenzen des nationalen Kapitals deshalb die Propagierung eines low-tech-basierten »Lone Wolf«-Terrorismus. Sein Anschlag auf die Synagoge in Halle sollte zur internationalen Showcase für Waffen der Marke Eigenbau werden.
Es verwundert, dass diese Zielstellung in der medialen Berichterstattung bisher kaum Beachtung fand, schließlich lässt sie sich unmittelbar seinem in den Medien häufig als »Manifest« bezeichneten »pre-action reports« entnehmen. Die darin aufgestellten Ziele des Anschlags lauten in ebendieser Reihenfolge: 1.) Die Wirksamkeit selbstgebauter Waffen zu beweisen, 2.) durch die Verbreitung des Livestreams die Moral anderer, sich unterdrückt fühlender Weißer zu steigern und 3.) so viele nicht-weiße Menschen wie möglich zu töten, bevorzugt Juden. In einem Post bat er zudem um eine möglichst weite Verbreitung des Hyperlinks zu seiner Dateisammlung mit den Bauanleitungen für die von ihm genutzten Waffen.
Wenngleich bei dem Anschlag deutliche Elemente der vielbemühten ›Gamification‹ berücksichtigt werden müssen, stellte der Attentäter zum Beweis der Wirksamkeit für jede seiner Waffen ein Tötungs-»Achievement« auf. Die einzige nicht selbst hergestellte, zugleich jedoch zuverlässigste und treffsicherste Waffe, ein Verschlussladegewehr, hatte Balliet bewusst nur als Reserve eingeplant, »da der ganze Zweck der Operation die Demonstration der Zuverlässigkeit improvisierter Waffen« sei, weil nicht jeder seiner potenziellen Nachahmer Zugang zu industriell hergestellten Waffen habe.
Wer sich die vollständige Aufzeichnung des Livestreams angetan hat, der weiß: entgegen der Intention des Attentäters handelt es sich um ein Dokument des Scheiterns. Nach dem Mord an zwei Zufallsopfern und noch bevor er in einem Schusswechsel auf mittlere Distanz von einem Polizisten leicht verletzt wird und flüchtet, bilanzierte Balliet seine Tat mit den Worten: »Ich habe auf jeden Fall bewiesen, wie wertlos improvisierte Waffen sind.«
Dennoch kursierten bereits kurz nach dem Anschlag in unpolitischen Messenger-Gruppen, selbst unter Minderjährigen, Clips des Livestreams, in denen die Waffen in Aktion und die Ermordung der beiden Todesopfer wie in einem Ego-Shooter zu sehen sind. Insofern ist zu befürchten, dass sich andere ermutigt fühlen könnten, Balliet nachzueifern oder sich herausgefordert sehen könnten, ihn zu übertreffen.
Dessen eliminatorischer Antisemitismus bewirkte (im Zusammenspiel mit der geringen Durchschlagskraft seiner Waffen), dass es nicht noch zu mehr Opfern kam. Denn ursprünglich habe er ein schlechter gesichertes Ziel wie eine Moschee oder ein »Antifa ›Kultur‹-Zentrum« angreifen wollen. Doch die wahnhafte Vorstellung einer zu bekämpfenden, alles kontrollierenden jüdischen Weltverschwörung (»Zionist Occupied Government«) ließ ihn sich zu einer in Deutschland aus Gründen für gewöhnlich besser geschützten Synagoge hinwenden.
Obwohl von ihm »Achievements« für die Tötung von Muslimen, »Niggern«, »Verrätern«, »ZOG-Bots« (vmtl. Polizisten), Kommunisten und Christen vorgesehen waren, galt doch sein oberstes Primat der Ermordung von Jüdinnen und Juden sowie, gesondert aufgeführt, jüdischen Kindern. Er entschied sich bewusst für den höchsten jüdischen Feiertag, das Versöhnungsfest Jom Kippur, da an diesem auch »nicht-religiöse« Juden häufig die Synagoge besuchen würden und somit die Anzahl potenzieller jüdischer Opfer erhöht werden könne. Und zum Ende seines Planes bekennt er, dass auch nur ein ermordeter Jude die ganze Sache wert sei.
Balliets sichtlich unter Schock stehende Mutter, eine Grundschullehrerin, hielt den im Livestream geäußerten Antisemitismus, Rassismus und Antifeminismus ihres Sohnes im Gespräch mit Spiegel TV durchaus für eine verbreitete und nachvollziehbare Reaktion auf Zumutungen der modernen Gesellschaft. Auf die Frage hin, was ihr Sohn denn gegen Juden habe, antwortete sie: »Er hat ein falsches Vokabular. Er hat nichts gegen Juden in dem Sinne, er hat was gegen die Leute, die hinter der finanziellen Macht stehen. Wer hat das nicht?« Außerdem suche er »nach den Verursachern, die die weißen Männer verunglimpfen. Und das gibt’s«, ergänzte sie: »Ich hab das auch schon gesehen.«
Nachbarn galt der Attentäter von Halle als »ruhig« und »unauffällig«. In der 2.000-Einwohner-Gemeinde Benndorf, in der der 27-Jährige im mütterlichen Haushalt lebte, hat bei Wahlen in den letzten drei Jahren gut jeder Vierte sein Kreuz bei der AfD gemacht, in der unmittelbar benachbarten 4.000-Einwohner-Gemeinde Helbra, wo der Vater wohnt, gut jeder Dritte. Aufmerksamkeit erregte hier bei einem Nachbarn nur der wenige Tage zuvor entliehene Mietwagen des Attentäters, weil er ein auswärtiges Kennzeichen (»EU«) trug. Wer hingegen wie Torsten Hahnel von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus des Vereins Miteinander e. V., darauf hinweist, dass die Heimat des Halle-Attentäters, das Mansfelder Land, einen Schwerpunkt der AfD-Parteiarbeit darstellt und in Eisleben, wo Balliet zur Schule ging, und Umgebung häufig rechtsextreme Konzerte, Kameradschaftsabende und Kampfsportveranstaltungen stattfinden, bekommt von Lokalpolitikern schnell den Vorwurf des Nestbeschmutzers zu hören. Dabei hat auch ein Mitglied der jüdischen Gemeinde in Halle gegenüber der Jungle World darauf hingewiesen, dass Antisemitismus seit den Mahnwichtel-Demonstrationen im Jahr 2015 spürbar zugenommen habe. Auch 500-700 Muslime, die beim Zuckerfest aus Mangel an Räumlichkeiten auf freier Wiese beteten, wurden bereits zweimal mit einem Luftgewehr beschossen.
Doch die zugrundeliegenden Einstellungsmuster beschränken sich nicht auf die sachsen-anhaltinische Provinz. Einer diesjährigen Umfrage der New Yorker Anti-Defamation League zufolge stimmte fast jeder vierte Befragte in Deutschland Aussagen zu, wonach Juden zu viel Macht im Wirtschaftsgeschehen und auf den internationalen Finanzmärkten besäßen. Für jeden Sechsten verfügten sie zudem über zu viel Kontrollmacht in den internationalen Beziehungen sowie den Medien. Im europäischen Vergleich zeigte sich, dass diese Werte durchaus verallgemeinerbar sind.
Obwohl Balliet durchaus mit Symbolen und Bezeichnungen des historischen deutschen Faschismus kokettiert, ist sein Bezugsrahmen ein globaler. Explizite Bezugnahmen auf die eigene Nation finden sich keine. Die von ihm in den veröffentlichten Dokumenten verwendete und im Livestream bevorzugte Sprache ist Englisch. Die wenigen Einlassungen zum Tatmotiv sind ideologisch eher den Ideen der »White Supremacy« als dem deutschen Nationalsozialismus verbunden. Auch in den polizeilichen Vernehmungen soll Balliet darauf bestanden haben, dass er ein Rassist und Antisemit sei, »aber kein Nazi«. Die Adressaten seines Anschlags waren, wie die taz treffend festhielt, »die Rechtsextremen aller Länder«.
»Wenn jeder weiße Mann nur einen einzigen Juden tötet, gewinnen wir.« Mit diesem Satz beendete Balliet die Darstellung seines Vorhabens. Um Gleichgesinnten einen Anstoß zu geben und eine mörderische Perspektive zu bieten, verübte und dokumentierte er seinen antisemitischen Terroranschlag. Es bleibt zu hoffen, dass sein Dilettantismus auf potenzielle Nachahmer nicht anspornend, sondern demotivierend wirkt.


von Anja Nevik

13.12.2019
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