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Aktuelles Heft

INHALT #259

Titelbild
Editorial
Roboterkommunismus – nur eine Utopie?
Ceremony
• position: Unteilbare Gutbürger im Dienst fürs Kapital
• position: Über die Islamisierung der Universität und die Verblödung der Studenten
• doku: Was bleibt von der Welt am Ende des Monats?
• doku: System Change Not Climate Change
• doku: Außer Kontrolle
• doku: Vergeblich Erdöl säen
• das letzte: Grün-braune Heimatliebe

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Folgend dokumentieren wir ein Flugblatt, welches zum dritten Global Climate Strike for Future am 20. September in Leipzig verteilt wurde.



Was bleibt von der Welt am Ende des Monats?

Angesichts zunehmender Hitze und Waldbränden, steigender Meeresspiegel und Artensterben ist es beinahe unmöglich geworden, die Augen vor der ökologischen Krise zu verschließen. Die Zeit, den Planeten und damit die Menschheit vor sich selbst zu retten, schmilzt so schnell dahin wie die antarktischen Eisschilde. Dank der bereits ein Jahr andauernden Proteste von Fridays for Future ist nun auch die Öffentlichkeit gezwungen, den Klimawandel nicht länger als Randthema zu behandeln.
Und trotzdem: Abgesehen von Lippenbekenntnissen tut sich wenig – auch in Deutschland lässt man es eher gemütlich angehen. Während die Lausitzer und Rheinischen Kohlekraftwerke weitere 20 Jahre ihr CO2 in die Luft schleudern können sollen, sitzt die auf fossiler Energie basierende deutsche Automobilindustrie fest im Sattel. Derweil bemüht sich die Politik, zu beschwichtigen und den radikalen Forderungen der Protestierenden den Wind aus den Segeln zu nehmen. Darauf sollten wir uns aber nicht im Mindesten einlassen, denn es ist buchstäblich überlebensnotwendig geworden, auf maximalen Forderungen zu beharren und auf der Straße so viel Druck wie möglich aufzubauen. Zugleich ist es inmitten der Proteste nötig, uns darüber zu verständigen, wofür und wie wir kämpfen wollen.


Anders konsumieren für eine bessere Welt?

Der Klimabewegung mangelt es nicht an Vorschlägen, was man als Individuum tun könnte, um einen Beitrag zur Rettung des Planeten zu leisten. Weniger Plastiktüten, Zug statt Auto, weniger Fleisch und mehr lokale Produkte – all das sind prinzipiell nützliche Vorschläge, denn sie machen darauf aufmerksam, wie viele Ressourcen wir tagtäglich sinnlos verbrauchen. Dabei wecken diese Vorschläge die Idee, dass wir den Klimawandel stoppen könnten, wenn wir nur unser individuelles Konsumverhalten verändern würden. Aber stimmt das denn?
Nachhaltiger Konsum ist erstens nicht allein eine Frage des Willens ist, sondern vor allem auch eine Frage des Geldbeutels. Mit einem Einkommen von 1000 € netto können viele Familien kaum abwägen, ob nun der Käse aus dem Bioladen oder der von Aldi zu kaufen ist, sie müssen sich vielmehr darum sorgen, ob das Geld überhaupt bis zum Ende des Monats reicht. Politische Reformen, die den Konsum regulieren wollen, schlagen in die gleiche Kerbe: Wenn zum Beispiel der französische Präsident Macron eine Benzin-Steuer einführen will, um den CO2-Ausstoß zu senken, dann führt das in erster Linie dazu, dass diejenigen, die weniger Geld zur Verfügung haben, am ehesten auf den Konsum verzichten müssen: Eben die Arbeiter_innen auf dem Land, die auf ihre Autos angewiesen sind, um überhaupt zur Arbeit zu kommen. Die Menschen mit viel Geld, die übrigens statistisch gesehen am meisten Kilometer zurücklegen, können diese Reform aufgrund ihrer finanziellen Mittel eher wegstecken – in den oberen Einkommensklassen ändert sich wahrscheinlich nicht einmal das Konsumverhalten. Die französischen Gelbwesten haben der Regierung mit ihren Demonstrationen, Blockaden und Versammlungen die passende Antwort auf diesen schamlosen Versuch gegeben, die ökologische Krise durch die CO2-Steuer zur weiteren Ausplünderung der Arbeiter_innen und Armen zu nutzen.
Zweitens steht der Versuch, Klimaschutz durch eine Veränderung des Konsums zu erreichen, in krassem Widerspruch zu der Art und Weise, wie in unserer Gesellschaft produziert wird. Der Appell, weniger und vernünftiger zu konsumieren, beißt sich mit dem Ziel der kapitalistischen Produktion, Profit zu machen. Das bedeutet, dass in dieser Gesellschaft nicht danach produziert wird, was wir vernünftigerweise brauchen, sondern allein danach, was den Unternehmen Gewinn einbringt. So ist die Produktion von Solarzellen zum Beispiel nicht deswegen eingebrochen, weil wir keinen Strom aus Sonnenenergie wollten, sondern weil die Unternehmen keinen Gewinn damit erzielen konnten. Zudem muss unter dem Diktat des Privateigentums an Produktionsmitteln und des Profits die Produktion fortlaufend gesteigert werden: Um sich in der kapitalistischen Konkurrenz durchzusetzen, muss beständig neu investiert, die Produktion erweitert und der eigene Markt ausgeweitet werden – dies alles auf Kosten der Umwelt. Und wozu, wenn die Mittel für ein weitreichendes Nahverkehrssystem, für eine ökologische Nahrungsmittelherstellung, die die Weltbevölkerung drei Mal ernähren könnte, und für die Erschließung nachhaltiger Energiequellen schon lange vorhanden sind. Die ökologische Krise ist eine direkte Konsequenz aus der kapitalistischen Produktion.
Da die Produktion am Profit und nicht an unseren Bedürfnissen und den natürlichen Grenzen dieses Planeten ausgerichtet ist, können wir letztlich nicht einfach durch umweltbewusste Konsumentscheidungen Einfluss auf die Produktion nehmen. Aber auch in den Fabriken und Unternehmen entscheiden nicht die Arbeiter_innen darüber, was und wie produziert wird, sondern die Eigentümer_innen. Diese können im Prinzip schalten und walten, wie sie wollen. Das geht nicht nur auf Kosten der Umwelt, sondern auch der Menschen, die lange Arbeitszeiten, schlechte Löhne, gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen oder Angst um ihre Zukunft erdulden müssen.
Vollständig wird das Schlamassel dadurch, dass wir selbst am Tropf dieser Profitmaschinerie hängen und damit auch mehr oder weniger an deren Interessen. Das heißt, sofern wir eben nichts besitzen als unsere Arbeitskraft – im besten Fall mit Hochschulabschluss, im schlechtesten ohne Qualifikation und Aufenthaltsgenehmigung –, sind wir Zeit unseres Lebens dazu gezwungen, diese Arbeitskraft zu verkaufen, indem wir arbeiten gehen. Damit das funktioniert, muss auch jemand da sein, der sie kauft, was wiederum eine florierende Wirtschaft voraussetzt. So muss es uns als Lohnabhängige absurderweise interessieren, dass die Unternehmen Profit machen können, damit es genügend Arbeitsplätze gibt – und das läuft immer auch auf einen Raubbau an der Natur hinaus. Schließlich gehen die Kohlearbeiter_innen nicht gegen den Kohleausstieg auf die Straße, weil es ihnen Spaß macht, CO2 in die Luft zu schleudern, sondern weil ihre Existenz an diesem Job hängt und sie wissen, dass Arbeitslosigkeit in dieser Gesellschaft kein Spaß ist.


Wie und mit wem kämpfen?

Das alles bedeutet, dass wir unter Bedingungen leben, die es uns gar nicht ermöglichen, an dieser Art der Produktion einfach etwas zu ändern – zumindest nicht allein. Denn derzeit entscheiden wir nicht kollektiv darüber, was und vor allem wie wir produzieren. Produziert wird unter dem Kommando einzelner Unternehmer und dabei auch lediglich das, was Profit abwirft. Zu allem Überfluss führt unsere eigene Abhängigkeit vom Kapital dazu, dass unser Interesse, ein gutes Leben zu haben, daran geknüpft ist, dass die umweltschädliche Produktion weiterhin gut läuft. Was können wir also tun?
Einige werden behaupten, dass staatliche Maßnahmen den Kapitalismus grüner und sozialer machen könnten. Ein radikaler ökologischer und sozialer Umbau seitens des Staates – durch Reformen und technologische Innovation – könnte die Energiewende mit einer sozial gerechteren Welt verbinden, so das Versprechen. Doch der Staat ist zu Reformen nur solange bereit, wie es dem Kapital nicht wehtut, das heißt solange Unternehmen dabei keine Verluste erleiden. Denn nur dann bleibt der „Standort“ weiterhin für Unternehmen aller Art attraktiv, was wiederum sprudelnde Einnahmen für den Staat und Arbeitsplätze verspricht. Daher eignen sich aus Sicht der Politik vor allem Reformen, bei denen man die Kosten auf die Arbeiter_innen abwälzen kann – wie bei der CO2-Steuer in Frankreich. Weiterreichende Eingriffe, die angesichts des Klimawandels ohne Zweifel erforderlich sind – sei es die Energiewende, eine ökologische Landwirtschaft oder ein nachhaltiges Verkehrssystem –, werden aus Perspektive der Unternehmen und damit auch des Staates immer zu kostspielig sein.
Die gute Nachricht ist: Die Finanzierbarkeit von Lösungen kann uns egal sein, wenn uns am Fortbestehen der kapitalistischen Gesellschaft nichts liegt. Allerdings sollten wir nicht davon ausgehen, dass die Politik dabei auf unserer Seite steht. Vielmehr gilt es, den Druck und die Macht von unten auszuweiten und dazu entsprechende Aktionsformen zu wählen. Große bundesweite Demos mit weiter Beteiligung sind zwar beeindruckend und symbolisch wertvoll, sie zwingen Staat und Unternehmen aber nicht zum Handeln. Besetzungen wie die im Hambacher Forst und von Ende Gelände, oder auch Blockaden, wie zuletzt am Londoner Flughafen versucht wurde, sind schon vielversprechender, weil sie die Profitmaschinerie zumindest kurzfristig lokal zum Stillstand bringen.
Woran es uns überdies mangelt, ist die Ausweitung des Klimaprotests auf das Terrain der Produktion. So wird der Klimastreik seine volle Wirkung erst entfalten können, wenn nicht nur Schüler_innen und Student_innen auf die Straße gehen, sondern die Bewegung sich auf weitere Bereiche ausbreitet. Ein tatsächlicher Streik, zum Beispiel im Energiesektor, wäre eine äußerst machtvolle Demonstration, da er die ganze Stromversorgung binnen kürzester Zeit lahmlegen könnte. Insgesamt würden Streiks in verschiedenen Sektoren den Druck unwahrscheinlich erhöhen, weil Arbeitsniederlegungen wie kein anderes Mittel finanziellen Schaden anrichten und ein einfaches ›Weiter so‹ verunmöglichen. Dies ist die einzige Sprache, die Politik und Unternehmen verstehen.
Nicht zuletzt haben die Arbeiter_innen von heute, die wir morgen selbst sein werden, auch die Macht in der Hand, die gesamten Bedingungen der Produktion umzuwälzen. Dazu müssen wir die Entscheidungsgewalt der Unternehmen und des Staates über die Produktion abschaffen und sie unter die kollektive Kontrolle eines wirklich demokratischen Gemeinwesens stellen. Erst dann könnten wir Maßnahmen ergreifen, die sich nicht am Maßstab der Finanzierbarkeit, sondern an unseren Bedürfnissen und den Grenzen des Planeten orientieren. Auch wenn es in der gegenwärtigen Lage utopisch klingt – es ist der einzige realistische Weg.
Diejenigen, die diesen Weg gehen, werden schon bald den erbitterten Widerstand der Kräfte zu spüren bekommen, die an der Aufrechterhaltung des status quo interessiert sind. Die an Teile der Klimabewegung gerichteten Schmeicheleien von Regierungschefs und Unternehmensvorständen sind ein sicheres Zeichen dafür, dass letztere zur Lösung der Krise nichts, zu ihrer Verwaltung und der Einhegung der Proteste dafür umso mehr beizutragen haben. Von dieser Strömung und ihren Fürsprechern in den Parteien wird schon bald der Ruf kommen, vernünftig zu sein und realistische Lösungen anzustreben. Wir aber wissen: Vernünftig wäre es allein, dieser blinden, Katastrophen hervortreibenden Gesellschaftsordnung ein schnelles Ende zu bereiten.

von (Future) Workers for Future

02.11.2019
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