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Aktuelles Heft

INHALT #251

Titelbild
Editorial
• das erste: Für einen Antifaschismus ohne Kompromisse
• inside out: Stellungnahme des Conne Island zum Vortrag von Thomas Maul
Chefket
Danger Dan
Hamburger Gitter
Die Wilde Jagd + New Hook
Zur Theorie des Riots
Drohende Gefahr
• leserInnenbrief: Richtigstellung
• doku: Roter Salon in einem Brief an das Plenum des Conne Island
• doku: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
• doku: REVOLUTION
• das letzte: Letztalltägliches aus dem sich seinem Ende zuneigenden Spätkapitalismus

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Wir dokumentieren folgend einige Anmerkungen des Orga-Bündnisses 70 Jahre Israel zu den öffentlich geführten Auseinandersetzungen rund um die Veranstaltung mit Thomas Maul am 28. Mai 2018 im Conne Island.



Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

I.

»Man schreie nicht zu sehr über den Zynismus.
Der Zynismus liegt in der Sache und nicht in den Worten,
welche die Sache bezeichnen.«
Karl Marx

In Zeiten totaler Vergesellschaftung kann das Eintreten für Vernunft keine andere Gestalt haben, als in der Kritik dessen, was gewöhnlich als Meinung oder Ideologie bezeichnet wird. Dies ist seit Marx darin begründet, dass die Gedanken und Gefühle des bürgerlichen Menschen auf Grund der fetischistischen Gestalt gesellschaftlicher Totalität für ihn nicht als das erscheinen, was sie ihrer Genese nach an sich immer auch sind, nämlich »Personifikationen ökonomischer Kategorien« (Marx). Der Warenaustausch stellt sich objektiv als die individuelle Handlung zweier Warenbesitzer dar, die sich in diesem Austausch als Freie und Gleiche wissen. Zugleich ist das allgemeine Äquivalent, das jeden Tausch, d.h. die Vergleichung des qualitativ Ungleichen, überhaupt erst ermöglicht, nicht durch die je Einzelnen in die Welt gesetzt. Es wird von ihnen einerseits vorgefunden und andererseits im Akt des Austausches unabhängig von ihrem Wissen und Wollen stets aufs neue reproduziert. Die Warenform, die alle Güter und Arbeitskräfte in kapitalistischen Gesellschaften übergestülpt bekommen und Vorbedingung für deren Austausch darstellt, ist aber die unbewusste Form einer »gesellschaftlichen Synthesis« (Sohn-Rethel). Jene ruft daher, weil sie nur unbewusste Allgemeinheit ist, in den Subjekten die wahnhafte Vorstellung einer sichtbaren und fühlbaren Macht hervor, die das mystische Treiben der unsichtbaren Hand erklären kann.
Dass die gesellschaftlichen Verhältnisse auf diese Weise ihre eigene Undurchsichtigkeit produzieren, veranlasste die kritischen Theoretiker seit Marx bekanntlich dazu, die Kritik des Fetischismus ins Zentrum ihrer Kritik der politischen Ökonomie zu stellen, die nunmehr als unabdingbare Voraussetzung einer Überwindung der »menschenfremden Sachlichkeit« (Lukács) gelten sollte.
Die Universalität der Warenstruktur, deren unmittelbarste Folge in der abstrakten Gleichmacherei alles dessen besteht, das Warenform annimmt, hat derweil Ausmaße angenommen, die bis in die Persönlichkeitsstruktur der Einzelnen hineinreichen. Die gesellschaftliche Zurichtung und Verdinglichung betrafen in Zeiten der Hochindustrialisierung vorrangig die körperliche Verausgabung. Die Charaktereigenschaften besaßen noch keinen Wert und blieben in den meisten Fällen unberührt, was allerdings keineswegs bedeutet, dass die Gefühlswelten und das Bewusstsein in dieser Phase des Kapitalismus weniger vergesellschaftet waren. Erst gegen Ende des Fordismus entstand durch die zunehmende Verausgabung »geistiger Arbeit« eine qualitativ neue Form des falschen Bewusstseins, das im Folgenden skizziert werden soll.
Das Funktionieren auf zwischenmenschlicher Ebene ist heute zweifellos wichtiger, als in der Zeit der Industrialisierung, in deren Zuge die Arbeiten zunehmend stupider und simpler wurden. Mit der fortschreitenden Verlegung der Produktion in die Dritte Welt sowie der Digitalisierung und zunehmenden Automatisierung industrieller Produktion führt die damit einhergehende Freisetzung riesiger Mengen von Arbeitskräften zu einer Veränderung des Charakters der Arbeit und deren Einsatzbereichen. Die einst fast nur körperliche Verausgabung wird zusehends durch Arbeiten geistiger Natur ersetzt oder ergänzt, die sich angefangen von der Produktentwicklung über die Arbeitsoptimierung und dem Umgang mit Hochtechnologie bis hin zur sogenannten Kulturbranche und der Wissensarbeit erstrecken.
Die durch das Kapital konsumierten Arbeitskräfte heutiger Lohnarbeiter umfassen in steigendem Maße neben ihrem Wissen auch ihre charakterlichen Qualitäten und Kompetenzen wie Teamfähigkeit, psychische Belastbarkeit, Kommunikationsfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Einfühlungsvermögen oder Vorurteilsfreiheit. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass sich die Angestellten in ein harmonisiertes und hochproduktives Team am Arbeitsplatz einfügen und hierdurch ihren persönlichen Wert für das Unternehmen oder den jeweiligen Kulturbetrieb voll entfalten können. Aus dieser Entwicklung spricht die Tatsache, dass in nahezu jedem zeitgemäßen Betrieb regelmäßig sogenannte Teambuilding-Maßnahmen, Betriebsausflüge und gemeinsame Freizeit-Aktivitäten stattfinden.
Die geistige Lohnarbeit verlangt daher eine stetige Konditionierung und ständige Neuerfindung der nunmehr produktivsten Ressource der Beschäftigten – nämlich ihrer Persönlichkeit. Die Beschäftigungsverhältnisse wechseln dadurch oft in demselben Maße, wie die geistigen und charakterlichen Ansprüche gegenüber denjenigen, die sich in dieser Weise verdingen müssen.
Die Verdinglichung der Arbeit und des Bewusstsein nimmt aber in demselben Maße eine neue Qualität an, wie sich das »Organ«, das zur Arbeit eingesetzt wird, ändert. Wird der Kopf zum Produktionsmittel, erfährt die Kopfarbeit dieselbe Zerlegung in einzelne Produktionsschritte, wie sich die Arbeitsteilung in der Fabrik einst zergliederte.
Ein unmittelbare Folge dieser Rationalisierung und Zerlegung der Persönlichkeit hat frühzeitig schon Georg Lukács in »Geschichte und Klassenbewusstsein« erkannt und besteht in der Abtrennung und Verdinglichung einzelner psychologischer Eigenschaften von der Gesamtpersönlichkeit der Menschen, die sich ihnen gegenüber objektivieren und in die rationalisierte Produktion einkalkuliert werden.
Das sich hierdurch einstellende Zerreißen der Persönlichkeit führt notwendigerweise zu inneren Konflikten und psychischen Erkrankungen, die bezeichnenderweise in demselben Maße steigen, wie sich der Anwendungsbereich geistiger Arbeit ausweitet. So führt die DGPPN als größte psychologische Fachgesellschaft in Deutschland mit Stand vom April 2018 an, dass hierzulande 18 Millionen Menschen der erwachsenen Bevölkerung psychische Erkrankungen aufweisen, die »mit massivem Leid verbunden [sind und] oft zu schwerwiegenden Einschränkungen im sozialen und beruflichen Leben« führen (DGPPN, »Zahlen und Fakten der Psychiatrie und Psychotherapie«). Der angesprochene rationelle Zugriff des Produktionsprozesses auf die persönlichen Eigenschaften der Menschen erschließt deren Sozialkompetenzen und geistige Fähigkeiten als Produktivkräfte für das Kapital und unterwirft sie durch diesen Zugriff der Warenform. Dies bewirkt neben der angedeuteten psychischen Belastung zudem eine weitere Erschwerung gelungener Persönlichkeitsentwicklung, da die gesellschaftliche Macht solcherart ausgeübt in steigendem Maße in das Bewusstsein und den Charakter der Menschen hineinreicht und sich in ihnen als reale psychische Gewalt ausdrückt.
Diese psychische und reale Ohnmacht der Einzelnen kann aber nicht ohne weiteres zu Bewusstsein gelangen, ohne dass, wie Adorno es ausdrückte, dieselben »einem unerträglichen Maß an narzißtischer Kränkung ausgesetzt« wären (Adorno, »Meinung Wahn Gesellschaft«). Die Abwehr dieser kränkenden Erfahrung gelingt zumeist nur durch die affektive Identifikation mit »absurden Meinungen«, die jene Ich-Schwäche kaschieren, in letzter Hinsicht aber »bloß verdoppeln, was sie ohnehin müssen, ihnen wie sehr auch scheinhaft die Orientierung erleichtern und momentan das Gefühl ihrer Fremdheit dem Leben, auch dem eigenen gegenüber beschwichtigen« (Ebd.).
Weil aus diesem Grund der Wahrheitsgehalt dessen, was geglaubt wird, im Grunde keine Rolle spielt und allein seine psychologische Funktion ausschlaggebend ist, werden solche Meinungen ironischerweise ganz korrekt auch nicht wie Erkenntnisse behandelt, die immerhin richtig oder falsch sein können und über die man sich streiten kann, sondern werden von den Einzelnen nur entweder als angenehm oder als verletzend empfunden und demnach beurteilt. Die zur Abwehr des Bewusstseins der eigenen Ohnmacht in Funktion gesetzte Meinung wird, und das ist der Grund hierfür, zu einem »Besitz, zu einem Bestandstück seiner Person, und was die Meinung entkräftet, wird vom Unbewußten und Vorbewußten registriert, als werde ihm selber geschadet« (Ebd.). So gelangen diejenigen, die sich permanent und zwanghaft mit ihrer Meinung identifizieren müssen fast automatisch zu der Überzeugung, dass auch das freie Wort dort beschnitten werden muss, wo sie es als verletzend empfinden und sie in irgendeiner Art kränken könnte. Die Forderung nach »gewaltfreier Kommunikation« kann unter diesem Blickwinkel nur als eine narzisstische Projektion der eigenen Empfindlichkeit auf Andere verstanden werden, deren Intention in erster Linie in der Vermeidung solch kränkender Erfahrungen besteht.
In dieser Verdopplung der gesellschaftlichen Macht steckt aber zynischerweise auch der scheinbar moralische Charakter begründet, der jenen »absurden Meinungen« oftmals anhaftet. Denn in heutigen Zeiten wird die projektive Abwehr des Bewusstseins der eigenen Ohnmacht vorrangig an solchen Menschen ausagiert, die gemeinhin als ganz besonders benachteiligt gelten. So müssen die Unterdrückten dieser Welt als die offensichtlichsten Opfer jener harten Realität nicht nur geschützt, sondern auch verehrt werden, weil in dieser Verehrung die Übermacht des gesellschaftlichen Zwanges, den sich das gekränkte Ich selbst nicht eingestehen kann, endlich sichtbar und erfahrbar wird. Dieser infantile Abwehrmechanismus sucht sich einen Schuldigen für das eigene Elend, erlaubt die Verdrängung der eigenen Anteile an dem Erhalt des Status Quo und versperrt somit die Erfahrung an diesem gesellschaftlichen Verhängnis. Weil aber der durch die Verdinglichung des Bewusstseins bewirkte psychische Zwang unerkannt bleibt, müssen die Einzelnen die Meinung entwickeln, irgendeiner besonderen Form von Diskriminierung ausgesetzt zu sein, die die erfolgreiche Entwicklung ihrer Persönlichkeit von vornherein behindert und verunmöglicht hat. Am besten gelingt diese Projektion des eigenen Unheils darum auf Andere weil das Ich hierdurch nicht unmittelbar gezwungen ist, seine eigene Schwäche zur Schau stellen zu müssen. Zugleich wird im Begriff der »Diskriminierung« der Schein jener Macht identifizierbar und personifizierbar, die unerkannt das Seelenleben des postbürgerlichen Menschen quält: Schuld am eigenen Elend ist der weiße Mann und alles, was mit ihm assoziiert wird. Dieser, so die gängige Meinung, profitiert in aggressiv-rücksichtsloser Weise von Privilegien, die er unverdient gegenüber benachteiligten Menschen ausspielen kann. Die komplexen Herrschaftsverhältnisse werden somit personifiziert wahrgenommen, zur moralischen Frage degradiert und finden sich in gemeinen Welterklärungen wieder, in denen weiß = böse und subaltern = integer gilt. Dies führt zu der oben beschriebenen Verehrung der sogenannten Underdogs und der Projektion der eigenen asketischen Ideale auf diese. Im Endeffekt geht es der moralinsauren Meinungsmache selten um die konkrete Verbesserung der Lebensbedingungen von sogenannten Subalternen, sondern lediglich um die Befriedigung eigener narzisstischer Bedürfnisse und den eigenen Seelenfrieden.
Die zentrale Rolle des substanzgebenden Gefühls der Ohnmacht gegenüber dem eigenen Leben begründet den individuell-psychischen Mehrwert dieser Geisteshaltung und verschleiert zugleich dessen gesellschaftlichen Ursprung für den unbewusst Gekränkten. Und so scheint es kein Zufall zu sein, dass sich die Linke, deren Wortführer sich spätestens seit den 68er Jahren aus dem Milieu der Kopfarbeiter rekrutieren, weitestgehend von der Kritik der politischen Ökonomie verabschiedet haben und sich nahezu ausschließlich mit Empowerment und antiautoritären Diskursstrategien beschäftigen.
In Zeiten des sich stets ausweitenden Anwendungsbereiches der geistigen Arbeit muss der Ausdruck Adornos, dass Meinungen für die Gekränkten zu einem »Besitz« werden, mit dem sie sich identifizieren, aber auch in einem materiellen, ökonomischen Sinne verstanden werden. So können die moralisch angereicherten Meinungen zugleich auch als charakterliche Qualitätsmerkmale und zur Schau gestellte Sozialkompetenzen gelesen werden, die für ein produktives Klima im Betrieb sorgen und auf diese Weise ihre ökonomische Verwertbarkeit beweisen. Teambuilding-Workshops, regelmäßige Aussprachen und Betriebsausflüge allein sind schließlich keine verlässlichen Garanten für ein gut funktionierendes Team am Arbeitsplatz mehr. Moralisierende Meinungen verschaffen ihren »Besitzern« dadurch einen besseren Tauschwert auf dem Arbeitsmarkt und werden darum auch in Form ihrer praktischen Konsequenz, dem sozialen Engagement, vorauseilend in Lebensläufen angegeben.
Eine Kritik dieser Geisteshaltung muss sich darum auch so verheerend für die Kritisierten auswirken, weil der Gegenstand der Kritik, die affektiv besetzte Meinung, ungewollt auch deren psychisches Wohlbefinden tangiert und dieses das Schicksal mit jenem teilt. Ganz so, als hätten die Kritisierten das Bewusstsein davon, dass der geäußerte Widerspruch ihren persönlichen Tauschwert auf dem Arbeitsmarkt vermindern könnte, wird die Kritik abgewehrt und autoritär tabuisiert.
Und so schlägt die der Kritik ausgesetzten persönliche Meinung unmittelbar in das um, was sie an sich immer schon war, nämlich in einen Konformismus der »gesellschaftlichen Macht, die das als bloße Willkür denunziert, was mit ihrer eigenen Willkür nicht zusammenstimmt« (Adorno »Meinung Wahn Gesellschaft«). Die politisch korrekte Meinung ist als das verdinglichte Bewusstsein des postmodernen Bürgers daher besonders resistent gegenüber einer der wirklichen Erkenntnis eigenen Spannung zwischen ihr und dem Gegenstand und kann daher einzig durch Kritik denunziert werden. Es handelt sich hierbei jedoch um eine gesamtgesellschaftliche Tendenz, die im Folgenden am Beispiel der Reaktionen auf unsere Veranstaltung mit Thomas Maul beschrieben wird.

II.
Durchaus idealtypisch konnte man dieses doppelte Verhängnis der Meinungen zuletzt in der sächsischen Hauptstadt der Geisteswissenschaften beobachten, in Leipzig. Als wir, die Organisatoren der Veranstaltungsreihe »70 Jahre Israel. Zum weltweiten Antisemitismus und dem Objekt seiner Begierde«, für den 28. Mai Thomas Maul zu einem Vortrag »Zur Kritik des islamischen Antisemitismus und seiner Bagatellisierung« luden, schien das bei einem Großteil der linken und studentischen Szene dieser Stadt ein helles Entsetzen auszulösen, das zwar wenig Argumente, dafür aber um so mehr Empörung auf den Plan rief.
Als Aufhänger für die aufgeregten Reaktionen musste ein missverstandenes Facebook-Posting herhalten, in dem Thomas Maul eine vor dem deutschen Bundestag gehaltene israelsolidarische Rede des AfD Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland verlinkte und zustimmend kommentierte. Darin machte er die fehlende öffentliche Kritik am Islam für den Aufstieg der AfD mitverantwortlich und bemängelte die schwindende Israelsolidarität u.a. in der Linken. Für die politisch korrekte Meinung der Spezialisten für alle wirklichen und unwirklichen Formen der Diskriminierung sollte diese Tatsache allein schon für einen handfesten Skandal ausreichen. Und so diente dieser Kommentar den empörten Kennern der Szene nun endlich als der lang ersehnte Beweis dafür, dass Thomas Maul und die Redaktion der Berliner Zeitschrift »Bahamas«, für die er regelmäßig Artikel verfasst, eine Sekte aus Neuen Rechten sei, deren Kritik des Islam seit jeher schon unter Rassismusverdacht gestellt wurde.
Das Theater begann damit, dass so gut wie jede linke Kleingruppe der Stadt ihren 3-Zeiler auf den sozialen Netzwerken abgab und dabei auch durch zahlreiche Promis der Szene beklatscht wurden. Anschließend sahen wir uns einem Shitstorm ausgesetzt, in dessen Zuge wir uns sowohl im Netz, als auch darüber hinaus im persönlichen Umfeld mit Nötigungen, Verleumdungen und Distanzierungen konfrontiert sahen. Von nahezu allen Seiten wurden wir auf sogenannte »Rote Linien« aufmerksam gemacht, zu deren Überschreitung wir nicht das Recht hätten. Einige unserer Plakate wurden abgerissen oder die Zeile der Veranstaltung mit der Aufschrift »Nazischwein« versehen. Im Netz stapelten sich neben Gewaltaufrufen und Beleidigungen auch vermehrt Forderungen nach einer Absage der Veranstaltung. Die Gruppe Prisma, die ihrerseits in dem antizionistischen Bündnis »Interventionistische Linke (IL)« organisiert ist, gab die Parole »Gaulandversteher raus aus dem Conne Island!« heraus und bekam von der flugs gegründeten »Initiative gegen Rechte Antideutsche« eine Rechtfertigung für diesen bald Schule machenden Aktionismus geliefert. Indem nämlich Personen wie Thomas Maul »ein Forum gegeben wird« so hieß es dort, »macht sich eine Linke zum Steigbügelhalter des Aufstiegs der Rechten, reißt jede rote Linie und begünstigt damit ein weiteres Erstarken von Antisemitismus« (»Initiative gegen rechte Antideutsche«).
Aus dem Lob dieser israelsolidarischen Rede ausgerechnet eine Beförderung des Antisemitismus zu konstruieren, d.h. jede Logik über Bord zu werfen und dabei auch noch allgemeinen Beifall zu ernten, gelingt freilich nur, wenn es sich bei dem Redner um einen Vertreter der AfD handelt. Denn die unlängst zum Hauptfeind der antirassistischen Linken auserkorene Partei dient denselben als »willkommenes Nazi-Schreckgespenst […], als seien Abschiebungen, Grenzsicherungen oder moralisch verrohtes Denken Erfindungen der AfD«, wie es zutreffend in einem Artikel der Zeitschrift »Bahamas« vor zwei Jahren hieß (Bahamas #73, »Die Volkspartei des gesunden Menschenverstandes«). Die AfD, so der Artikel weiter, profitiert von der neudeutschen Tugend, »dass man lang mit betroffener Miene Klage gegen die Einheimischen führen kann, aber mit vollem Verständnis pariert, wenn Angehörige fremder Kulturen die Sau raus lassen«. Diese Doppelmoral, mit der auch das Plenum des Conne Island schon üble Bekanntschaft machen musste, wird dabei von einem »moralischen Rigorismus« flankiert, der die »berechtigte Abneigung gegen so manchen islamischen Brauch als Ausländerhass oder Rassismus denunziert« (Ebd.).
Als wolle die »Initiative gegen rechte Antideutsche« jener Analyse nun ein Beispiel par excellence liefern, wurde in dem oben erwähnten Statement davor gewarnt, dass keinesfalls ein »monolithisch-essenzialistisches Bild« des Islam gezeichnet werden solle, dass also keine »homogenen ‚kulturellen' und ‚islamischen' Praktiken konstruiert werden« dürfen, da ansonsten »rassistische Tendenzen« befördert würden. Ganz so, als sei es ein Ausweis übler Rassentheorie, festzustellen, dass der Allerweltsislam eine Fülle an homogenen Praktiken aufweist, kommt die nunmehr essenzlose Kritik der islamischen Barbarei bei den Autoren auch folgerichtig zu sich selbst: Sie bleibt aus. Um sich nicht dem Vorwurf ausgesetzt zu sehen, am »antimuslimischen Ticket« nach oben zu schwimmen, soll am Gegenstand islamischer Gesellschaften nämlich nur noch das allgemeine Gewäsch von »geschlechtsspezifischer Sozialisierung« und »politischen Konflikten« Beachtung finden, denn mit dem Islam, den es sowieso nicht gibt, kann Frauenverachtung, Djihad und Despotie jedenfalls nichts zu tun haben. Im Gegenteil dazu müsste der politische Islam, als die größte antisemitische Bewegung der Gegenwart, in besonderer Weise Gegenstand einer linken und israelsolidarischen Kritik sein, aber das hier nur nebenbei bemerkt.
Typisch für diejenigen, die Belehrungen gegen angeblich falsche und rassistische Islamkritik erteilen, ist das völlige Ausbleiben einer Skandalisierung islamischer Umtriebe, wenn sie am dringendsten gefordert ist. So ist für die Leipziger Linke bezeichnend, dass sie tausende Menschen auf die Straßen mobilisieren kann, wenn sich Neonazis zu einer Demonstration versammeln, während die Aktivitäten um die salafistische Al-Rahman Moschee im Leipziger Norden seit Jahren in großes Schweigen gehüllt werden. Die von dem Prediger Scheich Hassan Dabbagh geleitete Moschee, in der schon 2008 im Zuge von Hausdurchsuchungen Propagandavideos der tschetschenischen Al-Qaida gefunden wurden, bildet laut dem sächsischen Verfassungsschutzbericht von 2017 seit Jahren den »Schwerpunkt salafistischer Bestrebungen in Sachsen« und verzeichnete bei den Freitagsgebeten seit »den Jahren 2015 und 2016 im Zuge der Migrationsströme« einen deutlichen Zuwachs. Mittlerweile pilgern jeden Freitag über 1000 Menschen in die radikalislamische Moschee. Einig mit dem »Salafist von Sachsen« (MDR), welcher in einer Talkshow Steinigungen einst als »Gesetz Gottes« bezeichnete, dürfte die »Initiative gegen rechte Antideutsche« an der Stelle sein, wenn er die angeblich »islamfeindliche Medienberichterstattung« bejammert, wenngleich sie den ungläubigen Westen sicher noch nicht als »schmutzig« und »verdorben« bezeichnen würde.
Beifall bekam das Pamphlet dieser Initiative u.a. vom Neuen Deutschland, das die vorgetragene Beschwerde um den Punkt ergänzte, dass das Conne Island, in das die Veranstaltung kurzfristig verlegt werden musste, immerhin »nicht das erste Mal in der Kritik [steht], überzogene islamkritische Positionen zu dulden oder zu verbreiten« (ND, 01.06.2018). Und weil der Antifaschismus stets zur Praxis drängt, fand diese meinungsmachende Programmschrift ihren Abschluss in einem letztendlich folgenlosen Appell an die Organisatoren der Veranstaltungsreihe, »Thomas Maul keine Möglichkeit zur rechten und reaktionären Agitation zu bieten und die Veranstaltung abzusagen«.
Die nachfolgenden Vorgänge boten ein Schauspiel linker Intoleranz, das wir weder erwartet, noch für möglich gehalten haben. Ist erst einmal eine unliebsame Kritik der »rechten und reaktionären Agitation« für schuldig befunden, erübrigt sich für die linke Weltanschauung jede Diskussion und kann offenbar nur noch dadurch gehandhabt werden, dass unter dem Banner der guten und schönen Gesinnung kurzerhand eine Fatwa gegen Thomas Maul ausgerufen und dieser zur persona non grata erklärt wird.
Ernst damit machten innerhalb von ein paar Tagen, ohne zuvor mit den Organisatoren der Reihe zu diskutieren, die Naturfreundejugend Berlin sowie die Falken Leipzig, die ihre eigenen Vorträge in der Reihe ohne zu zögern absagten. Zur Begründung hieß es von Seiten der Falken, dass sie »die Vorgehensweise einiger Bündnispartner*innen, in deren Resultat an der Einladung und einer Verteidigung Mauls festgehalten wird, […] nicht mittragen« können. Auch die Naturfreundejugend Berlin stellte ebenso wie die Falken über Nacht fest, dass Thomas Maul »seit Jahren für seine unhistorischen, rassistischen Diskursen zuarbeitenden Versuche, Islamismus allein durch die Auslegung des Koran erklären zu wollen […] bekannt« ist und folglich eine Veranstaltungsreihe, die ihm nach wie vor eine Bühne bietet, von ihnen zwingend zu boykottieren sei. Die umgekehrte Frage wurde überhaupt nicht aufgeworfen, wie es denn überhaupt sein kann, dass der »nicht erst seit gestern für seinen […] Linkenhass bekannte« und im Conne Island Newsflyer als »Nazi-Zombie« bezeichnete Thomas Maul es mit seinem grenzenlosen Hass vereinbaren konnte, in einem linken Zentrum in einer Veranstaltungsreihe neben so manchen linken Rednern zu sprechen. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass die Antwort ebenso einfach wie entlarvend ist. Thomas Maul mag für manche zwar ein streitbarer Autor sein und befeuert mit Polemik die Auseinandersetzung, aber er sucht im Gegensatz zu seinen Widersachern die Diskussion und stellt sich bereitwillig auch seinen Gegenstimmen, wie es jeder Anwesende spätestens im Conne Island auch in Erfahrung bringen konnte. Nichts anderes als diese Bereitschaft zur Diskussion ließen die Falken Leipzig und die Naturfreundejugend Berlin allerdings vermissen und zogen es lieber vor, ihre Vorträge, die freilich gänzlich anderen Themen galten, reflexartig abzusagen.
Das Vorgehen, solchen Personen die nicht »auf Linie« sind, den Gesinnungszwang der Szene spüren zu lassen auch wenn das heißt, einer Veranstaltungsreihe einen Kollateralschaden zuzufügen, deren Anliegen man grundsätzlich teilt, sagt mehr über die Absagenden aus, als sie vielleicht vermuten. Die Absagen können nämlich als eine weitere Ausweitung der Radarfallen des linken Moralismus verstanden werden, die nicht zuletzt wiederum einen Schutzreflex zur Vermeidung einer möglichen Kontaktschuld mit dem als Rassist und an anderer Stelle auch als Sexist gebrandmarkten Thomas Maul darstellen.
Gleiches gilt für den »Student_Innenrat der Universität Leipzig«, der den Organisatoren die Nutzung der Räume in der Universität kurzfristig untersagte. Auch die sächsische Rosa-Luxemburg Stiftung sah sich in der gesinnungspolitischen Pflicht zu Handeln und kürzte den Organisatoren auf Grund mangelnder sonstiger Einflussmöglichkeiten kurzerhand die bereits zugesagten Gelder für eine Buchvorstellung mit Florian Markl und Alex Feuerherdt, die die Deligitimierung Israels seitens der UNO zum Gegenstand hatte. Diese Beschädigung einer Veranstaltung, die mit Thomas Maul noch nicht einmal in Berührung stand, zeugt von einer durch nichts mehr zur Vernunft zu bringenden Rigorosität, die auch dadurch nicht kaschiert werden kann, dass die Rosa-Luxemburg Stiftung mit heuchlerischen Bedauern nach der schicksalshaften Notwendigkeit ihres Entzuges der Fördermittel erklärte: »Grundsätzlich begrüßen wir eine Veranstaltungsreihe zum 70. Jahrestag der Staatsgründung Israels«.
Auf diese Weise wird die berühmte »Grenze des Sagbaren« unter aktiver Mitwirkung der linken Gesinnungspolitik immer enger gezogen. Die Gefahr, die bei einer Übertretung dieser Grenze droht, besteht in Ausschluss, Stigmatisierung und Sanktionierung. Motiviert ist dieser Reflex auch nicht unmittelbar durch Interessen des Machterhaltes, obwohl der Kampf um Privilegien und Arbeitsplätze in der postmodernen linken Gesinnung keine geringe Rolle spielt, sondern durch die Abwehr einer narzisstischen Kränkung, die durch das Verletzen einer zum persönlichen Besitz gewordenen, und damit zur Gesinnung gesteigerten Meinung ausgeht. Die schiere Vielzahl der enthemmten Reaktionen auf ein zum offenen Verrat an sogenannten linken Standards aufgeblasenes Lob der israelsolidarischen Rede Gaulands, kann nicht durch die Beantwortung der Frage erklärt werden, ob Thomas Maul nun letztendlich damit recht hatte oder nicht und was darum an dieser Stelle auch völlig unbedeutend ist. Vielmehr lassen die Trotzreaktionen, die zumeist inhaltsleer daherkommen und von Beleidigungen und von Gewaltphantasien nur so strotzen, über diejenigen, die sie äußern, die Vermutung zu, dass sie im wörtlichen Sinne 'Betroffene' sind.
So muss die Ablehnung all jener Themen, die die AfD besetzt, derart konstitutiv für einen nicht unerheblichen Teil der deutschen Linken sein, dass sie selbst das ‚zur Kenntnis nehmen' israelsolidarischer Reden von AfD Politikern im deutschen Bundestag schon hyperventilieren lässt. Denn in der Tat scheint der Kampf gegen die AfD für zahlreiche Linke nicht nur aus dem ehemaligen Antifaumfeld eine gewisse identitätsstiftende Funktion zu haben. Persönliche Einstellungen nach dem Format »dafür« oder »dagegen« sind folglich ebenso affektiv besetzt, wie die gefühlsmäßige Abwehr dem widersprechender Behauptungen. Und weil das unbedingte Festhalten an solchen Meinungen, die das eine Mal vielleicht als linke Standards oder in ihrer negativen Fassung als Rassismus und Sexismus dingfest gemacht werden, eine identitätsstiftende Funktion ausübt, kann eine am Inhalt interessierte Auseinandersetzung, die im Voraus entschiedene Urteile naturgemäß ignorieren muss, nicht stattfinden. So reichte es beispielsweise aus, Thomas Maul als ein, wie auf einem zur Veranstaltung verteilten Flyer der »Feministischen Heulsusen« nachzulesen war, »sexistisches und rassistisches Arschloch« zu bezeichnen, damit Jutta Dittfurth dasselbe als ein »sehr gutes feministisches Kritikpapier« hochlobt.
Ganz folgerichtig musste der linke Protest an der Veranstaltung auch zunehmen, als das Conne Island seinen Veranstaltungssaal als Ersatz für den entzogenen Hörsaal bereitstellte und sich damit einmal mehr den Vorwurf der Nestbeschmutzung im linken Connewitz zuzog. Dass der vermeintliche Rechtsruck nun auch offenbar in der nicht ganz so typisch »linken Bastion« (Junge Welt) Einzug halten würde, wussten in Windeseile die Junge Welt, KenFM, das Neue Deutschland, Tag24, die TAZ, Russia Today Deutsch und auch die Linke Zeitung zu berichten und versahen ihre stets gut recherchierten, d.h. vor Lügen nur so strotzenden, Artikel nicht selten mit Hinweisen auf den zunehmenden Einfluss »Rechtsantideutscher« Kreise, die den Leipziger Süden unterwandern würden. Jene paranoide Verschwörungstheorie wurde ebenso gern durch die Behauptung ergänzt, dass sich das Conne Island bereits in vorauseilendem Gehorsam gegenüber den neuen Machthabern im Freistaat übt, denn im nächsten Jahr droht immerhin eine Regierungsbeteiligung der AfD in Sachsen.
Wenn linksidentitäre Aktivisten schon Wahnvorstellungen bekommen, weil Thomas Maul lediglich in einer Fußnote bezüglich ausgewählter Reden von Alexander Gauland und Beatrix von Storch feststellt, dass es »vor Einzug der AfD […] solche proisraelischen und antisemitismuskritischen Reden im Deutschen Bundestag nicht gegeben« hat, dann kann deren Beifall durch antizionistische Antiimperialisten auch nicht mehr überraschen. So wurde durch die ebenfalls allein zum Anlass dieses vermeintlichen Skandals gegründete »Initiative für eine linke Gegenkultur« sogleich zum allgemeinen Boykott des Conne Island aufgerufen und versucht, sämtliche demnächst im Conne Island auftretende Künstler per Mail zur Absage zu bewegen. Diese Initiative, die nicht nur in ihrer Methodik dem BDS nahe steht, sondern auch ganz offen antizionistische Positionen vertritt, erntete im Gegensatz zu dem Auftritt von Thomas Maul allerdings keinerlei öffentlichen Gegenwind von den Leipziger Wächtern der guten und politisch korrekten Gesinnung.
Die dargestellten Geschehnisse offenbaren, dass sich ein großer Teil der hiesigen Linken bereits in den Bereich irrationaler Moralität verabschiedet hat und keinerlei Interesse mehr an einer Kritik zeigt, die sich wahrhaft am Gegenstand orientiert. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, wollen sie die Reihen geschlossen halten um Abweichler, die ihren gesinnungspolitischen Safe-Space bedrohen, fernzuhalten. Hierzu bleibt ihnen offenbar einzig das Mittel, Störenfriede als reaktionäre Agitatoren zu diskreditieren, um sich der inhaltlichen Auseinandersetzung mit einer Kritik, die sie im Kern betrifft, nicht befassen zu müssen. Dass diese Abwehr nicht nur Kollateralschäden in Kauf genommen hat, sondern fast durchweg enthemmte Formen infantiler Affekte zu Tage brachte, ist entlarvend. Das begriffslose Wortspiel der zahlreichen -Ismen stellt hierbei nur den sichtbaren Bereich des postmodernen Verfalls der einstigen materialistischen Gesellschaftskritik dar, die auch für eine Kritik des Antisemitismus unabdingbare Voraussetzung bleibt. Und weil dies so ist und gar nicht anders sein kann, muss eine bedingungslose Solidarität mit Israel auf die verdinglichte Moralität als Nährstoff heutiger linker Politik notwendigerweise verzichten.




von den Organisatoren der Reihe »70 Jahre Israel«

23.09.2018
Conne Island, Koburger Str. 3, 04277 Leipzig
Tel.: 0341-3013028, Fax: 0341-3026503
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