• Titelbild
• Sonntag ist Selbstmord
• das erste: Kollektives PMS
• Querschnitt Feminismus I
• Querschnitt Feminismus II
• King Gizzard & The Lizard Wizard im Conne Island
• Die Rackets und die Souveränität
• Vom Körper - Feministische Perspektiven auf Text
• The Millionaires Club - Comic- und Grafikfestival
• Feministisch streiten – Texte zu Vernunft und Leidenschaft unter Frauen
• Our Piece of Punk - Ein queer_feministischer Blick auf den Kuchen
• Offenes Antifa Treffen
• doku: Österreich: Mit permanenten Tabubrüchen wird eine neue Normalität geschaffen
• doku: Das Richtigere im Falschen tun
• doku: Prostitution als Empowerment?
• das letzte: Deutschland wird fair …
Der Artikel ist aus einem Vortragsmanuskript hervorgegangen. Der Vortrag hätte am 25.01.2018 bei der Heftrelease-Veranstaltung der Phase 2 zu „Konjunkturen der Angst“ im Conne Island gehalten werden sollen. Er musste aufgrund von Krankheit abgesagt werden. Eine längere Version des Artikels ist in der aktuellen Ausgabe der Phase 2.55 nachzulesen.
Im Zuge der #metoo-Kampagne und ihrer Nachwirkungen gab es einen Vorwurf, der in unterschiedlicher Weise immer wieder vorgebracht wurde und zum Arsenal antifeministischer und frauenfeindlicher Ressentiments gehört: der Vorwurf, es handele sich um reine Hysterie. Zwar ist die Hysterie als Krankheitsbild verschwunden, aber als Ideologem ist sie immer noch präsent. Der Körper der Frau war bereits um 1900 Projektionsfläche für die Abwehr weiblicher Emanzipation und er ist es bis in die Gegenwart geblieben. Vor diesem Hintergrund sind die Kommentare zu #metoo vor allem als Ausdruck von männlicher Angst vor weiblicher Emanzipation zu verstehen.
Die Vorstellung eines Leidens, bei dem der Uterus, die Hystera, im Mittelpunkt steht, reicht zurück bis in die Antike. Der Uterus wurde als ein kleines rastloses Tier gedacht, das durch den Körper wandert und sich in andere Teile verlagert – solange die Gebärmutter unbefriedigt ist. So als wäre er nicht Teil der Frau, sondern von ihr getrennt, kommt dem wandernden Uterus eine aktive, eigenständige Rolle zu. Das legt nahe, dass die Frau keine Kontrolle über ihren Körper hat, insbesondere nicht über das Reproduktionssystem.
Ebendiese Vorstellung hält sich bis in die Gegenwart, wenngleich die Zeit um 1900 für die Beschäftigung mit der Hysterie besonders interessant ist, da in dieser Periode gehäuft bei Frauen Hysterie diagnostiziert wurde. Vorausgegangen waren dieser Beobachtung Paradigmenwechsel in fast allen Bereichen des Lebens: Erkenntnisse in den Naturwissenschaften, vor allem in der Medizin, Fortschritte in der Technik und die Industrialisierung, aber auch die Entstehung des Bürgertums und damit verbundene soziale und kulturelle Umbrüche. Diese führten zu einer Verunsicherung bei den Menschen, vor allem aufgrund der Kehrseite dieser Fortschritte wie Unfälle, die z. B. durch Dampfmaschinen, Eisenbahnen und später Automobile verursacht wurden. Die Naturgewalt, die unvorhersehbare Katastrophe, die man wenigstens noch Gott und seiner Straf- und Rachlust in die Schuhe schieben konnte, wurde abgelöst vom zufälligen Unglück, für das man niemanden mehr anklagen konnte.
Die Sehnsucht nach Ordnung war im ausgehenden 19. Jahrhundert dementsprechend groß und wurde mit Hilfe der Wissenschaft wiederhergestellt. Das Weibliche diente dabei als Projektionsfläche für alles Angstauslösende, für das Chaos, für das Unlogische, Widersinnige, Irrationale und Ambivalente. Es traf die Frau, weil sie dem Mann gesellschaftlich unterstellt war, nun aber im sozialen Bereich zunehmend nach Autonomie und Anerkennung strebte. Damit stellte sie klassische Vorstellungen von Männlichkeit in Frage. Das verunsicherte den Mann, denn es bedeutete für ihn Veränderung seiner gesellschaftlichen Stellung und Verlust von Macht. Aus dieser Verunsicherung entstand das Gefühl von Bedrohung, denn die Veränderungen von Weiblichkeitsbildern griffen die Selbstsicherheit des Mannes an. Die Abwehr des Weiblichen und die Angst vor der emanzipierten Frau wurzeln in dieser Bedrohung für die traditionelle Ordnung. Die Abwehr hatte also das Ziel, die soziale Norm, die Sicherheit des Mannes aufrecht zu erhalten bzw. wiederherzustellen.
Die Reduzierung der Frau auf ihre Biologie erlaubte, dass die Abweichungen vom normativ geforderten Verhalten auf der medizinischen Ebene verhandelt werden konnten. Eines der Krankheitsbilder, auf die man dafür im 19. Jahrhundert zurückgriff, war die Hysterie. In ihr wurden Phänomene und Symptome aus unterschiedlichsten Bereichen gebündelt, manche davon reale Störungen, andere imaginierte psychische und physische Defizite. Als »objektive Zeichen« galten: Zitter- und Ohnmachtsanfälle, sensorische Störungen wie eine halbseitige Herabsetzung der Empfindung und der Globus Hystericus (eine Art Kloß im Hals). Ebenso ein schwankendes Charakterbild sowie »abnorme Bewusstseinszustände«. Wenn die Gesellschaft gerade Nachwuchs für die voranschreitende Industrialisierung brauchte, wurde Hysterie mit ausstehender Mutterschaft in Verbindung gebracht. Andererseits wurden auch Uterusverstopfung oder Übererregung der Gebärmutter diagnostiziert.
In der Gegenwart sind die Mechanismen zur Disziplinierung der Frau weniger stark an ein medizinisches Konzept gebunden, aber sie stehen in dessen Tradition. Die Abwertung »hysterisch« dient dem Ersticken von unerwünschten Kampagnen oder Debatten, ohne dass man noch Argumente ins Feld führen muss – ähnlich wie einst mithilfe des Krankheitsbildes. Die Urteilsfähigkeit und Glaubwürdigkeit der Frau wird angezweifelt indem man z.B. wie in der ZEIT fragt: »Tausende Opfer von Missbrauch und Erniedrigung melden sich öffentlich zu Wort. Ein großer Tabubruch? Oder eine neue Hysterie?« #metoo wird in den Medien und in der Öffentlichkeit immer dann als hysterisch bezeichnet, wenn Stimmen in der Debatte disqualifiziert und delegitimiert werden soll. Mit diesem Vehikel werden sie entmündigt und ihre Argumente geschwächt – heute wie vor hundert Jahren.
Um 1900 galt die Frau entweder als unzurechnungsfähig, weil sie als Hysterikerin in einem permanenten Zustand des Dämmerns und der Bewusstlosigkeit war oder sie wurde als eine krankhafte Lügnerin diffamiert. In beiden Fällen konnte sie selbst nicht zwischen Wahrheit und Lüge oder Wirklichkeit und Phantasterei unterscheiden. Infolgedessen durfte man ihr nichts glauben und ihr nicht vertrauen. Die schwierigsten Fälle waren diejenigen, die eine Mischform der beiden ersten darstellen: Sie waren Bewusstlose und Lügnerinnen zugleich. Hier wird die Willkür in der Setzung von Symptomen offenbar und die Verzweiflung, mit der die Männer um eine klinische Manifestation der Hysterie rangen. Die Urteilsfähigkeit der Frau – und das galt nicht nur für die Hysterikerin – war noch viel mehr eingeschränkt, wenn sie beispielsweise menstruierte, sie neige dann zu Falschaussagen.
Auch darin trat eine Angst des Mannes zu Tage, die im Tabu der Menstruation festgeschrieben ist: Die männliche Angst vor der Monatsblutung, die immer neue Wege findet, die Frau während der Periode zu isolieren. In der Gegenwart korrespondiert das einem Phänomen, das man fast synonym zu »hysterisch« benutzen kann: das sogenannte Prämenstruelle Syndrom, PMS. Wann immer eine Frau unerwünschtes, vermeintlich irrationales, gereiztes oder aggressives Verhalten an den Tag legt, ist die naheliegendste Frage, ob sie gerade PMS habe. Das geht so weit, dass sich die Frau regelmäßig selbst einredet, PMS sei schuld an ihrem Verhalten. PMS ist offiziell eingeordnet als Krankheit und Gesundheitsproblem bzw. als »Disorder«, also Fehlfunktion. Dass es die reale Erfahrung von Symptomen gibt, die im Zusammenhang mit der anstehenden Menstruation stehen können, soll hier nicht zur Debatte stehen. Die Frage »Hast Du PMS?« oder das Eingeständnis »Ich habe PMS« sind darum skandalös, weil sie einer Diskussion das vernünftige Fundament rauben. Die Frau hat nur irrational und emotional überreagiert, es gibt keine reale Grundlage für ihr Verhalten, ihre Biologie täuscht ihre Sinne.
PMS und Hysterie sind also austauschbar als Schlagworte, wann immer es darum geht, eine Meinung zu disqualifizieren. Dazu passt folgender Tweet, der als Reaktion auf die Kampagne #Aufschrei aus dem Jahr 2013, veröffentlicht wurde: »DER Monat, in dem eine laute Minderheit deutscher Frauen gleichzeitig #PMS bekamen! [sic] Geschichtsträchtig.«
An das Weibliche ist nicht nur das Emotionale und Irrationale gebunden, es wird schlicht als dumm, verrucht und hinterlistig markiert. In der ZEIT heißt es noch einmal zu #metoo: »Die Kampagne ›Ich auch‹ ist eine wirklich wunderbare Erfindung. Die ersten Berichte zur Sache, die ich in den TV-Kanälen sah, wurden allesamt von sehr betroffen blickenden Moderatorinnen mit Push-up-Brüsten und auf mindestens 80-mm-Heels ›anmoderiert‹.« Die Abwertung des Weiblichen geschieht durch Zuschreibungen in Bezug auf Erscheinung und Intellekt. Einerseits verweist der Kommentar auf ein »Da biste selbst schuld, guck Dich doch mal an« und schreibt damit weiblicher Verführung die Schuld an Übergriffigkeit zu. Andererseits stellt er fest: Wer so aussieht, ist dämlich und kann bestenfalls »anmoderieren«.
Twitter ist voll von Abwertungen, die angeblich typisch weibliche Charakteristika anrufen. Das liebste Motiv ist das der gänzlich talentfreien Frau, die ohne die Hilfe des Mannes nichts erreicht: »Wie viele der bekannten Schauspielerinnen sind nur deshalb berühmt, weil sie im richtigen Moment mit dem richtigen Mann geschlafen haben? Und wie viele sind heute unbekannt, weil sie es nicht getan haben?« Oder: »Erst sich dem Typen an den Hals werfen, um Karriere zu machen, und dann ›sexuelle Belästigung‹ rufen – typisch Frau.«
Historisch wurden Weiblichkeitsbilder unter anderem in Abhängigkeit von Klassenzugehörigkeit produziert. Die bürgerliche Frau war die triebkontrollierte Person, der die triebhafte Proletarierin gegenübergestellt wurde. Was in der bürgerlichen Klasse als abnorm oder pervers galt, wurde als Krankheitsbild unter die Hysterie subsumiert. Die proletarische Frau hingegen galt als moralisch ungesund. Das ist vor allem vor Gericht relevant, denn die proletarische Frau wird strafrechtlich sanktioniert, während die Kontrolle der bürgerlichen Frau über die medizinische Diagnose der Hysterie funktionierte. Diese Unterscheidung war wichtig, wenn es um die Sanktionierung der Frau ging.
Im Zusammenhang mit der sogenannten Notzucht, dem damals geläufigen Begriff für Vergewaltigung, und der Sanktionierungen des Mannes lag die Deutungshoheit bei dem Mediziner. Jungen Mädchen und Frauen wurde aufgrund ihres unterstellten hysterischen Leidens eine krankhafte Phantasie und ein pathologischer Erfindungsdrang nachgesagt. Beschuldigte ein junges Mädchen einen rechtschaffenen Mann der Vergewaltigung, so konnte es vorkommen, dass ihr ganz einfach Hysterie diagnostiziert wurde, egal ob proletarisch oder bürgerlich. Es konnte sich bei ihrer Aussage nur um eine Falschbeschuldigung handeln. Die Hysterikerin kann einerseits schwer zwischen Phantasie und Wirklichkeit unterscheiden, andererseits ist sie ohnehin krankhafte Lügnerin. Die sogenannte Notzucht blieb in einem solchen Fall dementsprechend ungeahndet.
Wenn es Klassenunterschiede zwischen Mann und Frau gab, beispielsweise im Bereich der Prostitution, wurde die bessere Stellung des Mannes ebenfalls ausgenutzt, um ihn von den Vorwürfen zu befreien. Der Trieb des bürgerlichen Mannes wurde als männliche Schwäche umgedeutet und Verführbarkeit durch das hintertriebene, raffinierte, verderbte proletarische Mädchen. Der Mann, das arme Opfer der weiblichen Lust.
Dabei wurde um 1900 die Abwesenheit von weiblicher Lust gleichermaßen problematisiert. Frigidität und Laszivität, der fehlende und der überzogene Geschlechtstrieb, beide werden als Symptome in der Hysterie aufgehoben. Beide gelten als Abweichung von der sogenannten normalen Sexualität. In ihnen ist die Angst vor der weiblichen Verführung einerseits und die Angst vor dem souveränen Sich-Entziehen der Frau andererseits aufgehoben. In der Gegenwart klingt das in etwa so: »#metoo is was für Mauerblümchen, Heuchlerinnen, moralinsauertöpfische Altjungfern, ›männliche‹ Feministen und Trutschn aller Art.«
Die historischen Therapieformen, die der Hysterikerin anempfohlen wurden beziehen sich alle auf den Körper. Massagen der Beckenmuskeln, Druck auf den Eierstock und Geschlechtsverkehr galten seit der Antike als Behandlungsmethoden. Und obwohl der Paradigmenwechsel in der Wissenschaft im 19. Jahrhundert auch das Nervensystem in das Entstehen einer Hysterie involviert, wurde sie weiterhin mit den Eierstöcken in Zusammenhang gebracht. Es wurden also weiter Eierstockmassage und Elektroschocks angewandt. Auch der sogenannte Paroxysmus, der weibliche Orgasmus, so die Lehrmeinung, helfe die Hysterie zu heilen. Auf diesem Wege wurde der elektronische Dildo erfunden, weil der Arzt bei der manuellen sogenannten Behandlung seiner sogenannten Patientin so häufig Krämpfe erlitt. Die Grenzen zwischen Therapie und Missbrauch verschwommen; die Hoheit über ihren Körper hatte die Frau jedenfalls nicht.
Mehr als hundert Jahre feministischer Kämpfe haben die Reste dieser überlegenen und übergriffigen Praxen nicht tilgen können. Und so poltert der Mann auf Twitter: »Aber Hauptsache die verbohrte Ideologie preisen, weil man frustriert ist, da schon ewig keiner mehr Verlangen nach einem hatte.«
von Stine Meyer