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Aktuelles Heft

INHALT #247

Titelbild
Ein Angriff auf uns alle
• das erste: Der Stress mit Weihnachten ist vorerst vorbei.
The Menzingers
Sepultura
Terrorgruppe
Chain & the Gang
The Pains of Beeing Pure at Heart
• position: Abwege einer Polemik
• das letzte: Den Schaden haben die Anderen

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Der Stress mit Weihnachten ist vorerst vorbei.

Der mit Sachsen ist geblieben

Wenn das Unbehagen gegenüber Weihnachten dem gegenüber Sachsen ähnelt, dann stellt sich die Frage, ob man an die Ungeheuerlichkeiten von 2017 erinnern oder das Geschehene lieber vergessen sollte.

Neben der Aufregung auf all die erwartbaren Dinge und der Anspannung vor den unerwartbaren Dingen, welche die vergangene Weihnacht für uns bereit hielt, meldete sich auch das jährliche Gefühl, einer irgendwie empfundenen Unlust gegenüber den angeblich besinnlichsten Tagen des Jahres, zurück. Ob es die verspürte Doppelmoral dieses ganzen Traditionskitsches war, der sich darum drehte, mit der Rückkehr ins beschauliche Heim die heilige Familienbande davon abzuhalten, das Beisammensein zu einem Pegida-Stammtisch avancieren zu lassen oder, ob es der mit etlichem Stress verbundene Geschenkemarathon war, welcher im Höhepunkt der Übergabe einem Zeremoniell von Laienschauspielern ähnelte, wobei sich der reine Genuss in dieser Situation doch wieder nicht so richtig einstellen wollte, sondern von einigen Gedanken an Flucht und Fremdscham zunichte gemacht wurde. Oder ob es gar die von allen Seiten verordnete Besinnlichkeit und Erholung dieser angeblich schönsten Zeit im Jahr war, für die sich partout kein Termin im vollen Smartphone-Kalender finden ließ, bevor man es zu Silvester gleich wieder so richtig krachen lassen wollte.

Das Verlangen nach der vorweihnachtlichen Stimmung wollte, durch den Druck unzähliger gesellschaftlicher Konventionen und der obsessiven Suche nach dem versprochenen Glück, einfach nicht so recht aufkommen. Nachdem die kindliche Faszination den erwachsenen Pflichten gewichen ist, verdichtet sich so langsam aber sicher die persönliche Erfahrung, dass mit Weihnachten und der beschworenen Gefühlsdusselei im alljährlichen Rhythmus das große Glück unter dem Weihnachtsbaum nicht mehr zu finden sein wird. Gleich geblieben ist dagegen das umständebedingte Gefühl eines gewissen Unmutes gegenüber diesem gesamten Brimborium. Dieses leicht widerständige Unbehagen ist nicht so recht rationalisierbar und doch ist es spürbar vorhanden. Bisweilen kann es gar infantile Züge annehmen, wenn trotzig-schlechte Laune aufkommt, weil die eigene Verweigerungshaltung gegen Weihnachten aufgegeben werden muss, um dem Common-sense mit Freunden, Familie und Gesellschaft klein beizugeben.

Im Moment des inneren Umkippens - des Sich-Anstecken-lassens - vom Sinnestaumel dieser Kulturtradition, geschieht etwas Sonderbares. Ein befreiendes, lockerndes Gefühl kommt auf, weil eine innere Blockade gelöst wird. Es wird ein Stück individueller Wille aufgegeben. Die einverleibende Kultur wiederum dankt es dem Individuum damit, dass sich dieses gut dabei fühlt - obwohl es sich ein Stück von sich selbst entfremdet. Inmitten der weihnachtlichen Stimmung fühlt sich ein solcher Moment der Selbstaufgabe gar nicht so schlimm an, man arrangiert sich eben mit den umgebenden Verhältnissen (die sich sowieso nicht ändern lassen). Es lässt sich auch sagen, man gewöhnt sich daran und ist nun bereit sich der kollektiven Traditionspflege hinzugeben.

Was ebenso zur Pflege der jährlichen Tradition zählt, ist die Rückbesinnung auf das vergangene Jahr. Das Rekapitulieren, Revue passieren lassen und Resümieren beginnt sicherheitshalber bereits in der Vorweihnachtszeit. Ein Jeder tut es, von der Kanzlerin mit ihrer Weihnachtsansprache, bis hin zu häufig konspirativ arbeitenden Linksradikalen. Der Unterschied zwischen beiden Beispielen ist nur, mit welcher Intention die Zielgruppe angesprochen werden soll. Die Kanzlerin versucht, mitsamt den Höhen und Tiefen, die 2017 hatte, Harmonie in der nationalen Familie zu erzeugen, sodass sich diese über die Weihnachtstage von den etwaig begangenen Sünden reinigen kann. Und anstatt den Dienst zu quittieren, muss sich diese Nation bereit machen für die noch größeren Aufgaben des kommenden Jahres. Anders geht es linksradikalen Gruppen, nicht beabsichtigt der Nation die Absolution auszusprechen, scheitern diese eher daran, Menschen außerhalb des eigenen Dunstkreises überhaupt noch für die Ungeheuerlichkeiten des vergangenen Jahres zu erreichen. Das Problem hierbei ist, dass sich Menschen sukzessive an die Realität der sie umgebenden Zustände gewöhnen, ebenso wie Weihnachten uns ein Stück weit dazu bringt, unseren freien Willen zurück zu stellen. Eine solche Gewöhnung ist traurig, aber gleichzeitig auch notwendig, um die eigene Lebenswirklichkeit überhaupt ertragen zu können. Das Traurige daran ist nur, dass diese moralische Abkühlung mit jedem weiteren Schritt der Verrohung unserer Welt dazuführt, dass sich die Bereitschaft zur Empörung allmählich abnutzt. Insofern wird Empörung zwar weiterhin zum Ausdruck gebracht, jedoch führt dies nicht zwangsläufig zu einer Verhaltensänderung von Menschen wie beispielsweise zu mehr Empathie. Empörung allein scheint kein Lerneffekt zur Folge zu haben, sondern eher ein ›Abgegessen sein‹ der gesellschaftlichen Subjekte mit der Barbarisierung ihrer Schicksalsgemeinschaft.

Dass durchaus auch zivilisatorische Errungenschaften auf dem Spiel stehen können, beweist und bewahrheitet sich in dem bitter umkämpften Erbe dieser Gesellschaft zu ihrem Vorgänger: dem Nationalsozialismus. Denn obwohl der Erinnerungsweltmeister Deutschland sogar von einigen Nationen darum beneidet wird, wie selbstlos und pietätvoll hierzulande an der eigenen Vergangenheitsbewältigung gefeilt wird, so ist genau diese deutsche Lehre aus der eigenen Vergangenheit doch eine falsche. Das Hauptnarrativ des heutigen Deutschlands gegenüber dem Nationalsozialismus heißt nämlich, man habe daraus gelernt - so wie wir Deutschen eben auch aus Auschwitz gelernt haben - wir sind schlichtweg immun geworden gegen einen derartigen Rückfall. Das als absolut und daher unmöglich zu betrachten, schließt jegliche Möglichkeit regressiven Denkens und Handelns mit ein. Dieser Umstand macht etwas mit unserem kollektiven Bewusstsein. Es speist sich geradezu daraus, sagen zu können ›wir hatten doch unser Auschwitz schon mal, reicht es nicht langsam mal, immer wieder damit mahnen zu müssen, wir haben doch längst verstanden.‹ Gerade weil es so müßig und anstrengend ist, sich mit der Schuld unserer (Ur-)Großeltern auseinander zu setzen und mit dem uns in die Wiege gelegten historischen Vermächtnis, ist es weitaus weniger falsch es zu tun, anstatt es zu unterlassen.

Dass die Bösartigkeit unserer Gesellschaft geradezu in Banalitäten aufschimmert, zeigt sich Jahr für Jahr an den erschreckenden Veröffentlichungen der Amadeu Antonio Stiftung und PRO ASYLs. Es sind so abstumpfende Zahlen wie 1.713 Angriffe auf Geflüchtete im Jahr 2017, von denen es viele Linke buchstäblich leid sind diese anzuführen, um wieder und wieder davor zu warnen, was selbst dem Stammesoberhaupt der Sachsen (a.D.) Stanislaw Tillich letztes Jahr einmal über die Lippen kam: »Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus«, bevor er, anstatt seinen Ankündigungen Taten folgen zu lassen, den Rückzug wählte. Glaubt man den viel gewichtigeren Worten der grauen Eminenz Kurt Biedenkopf, galten ja die Sachsen noch bis vorgestern als grundsätzlich immun gegen Rassismus. Dummerweise sagte das König Kurt als ein ausrangierter Westpolitiker, welcher vom ehemaligen Klassenfeind geschickt wurde, um die renitenten Arbeiter und Bauern so zu zivilisieren, wie sich das xenophobe Bergvolk Bayerns selbst gerne sehen würde. Obwohl er damit die Ossis scheinbar besser kannte als diese sich selbst, hätte ihm als zugezogener Patron eigentlich von vornherein klar sein müssen, dass sich ein waschechter Sachse von niemandem etwas sagen lässt und am wenigsten, dass er auf einmal Antirassist sein soll.

Dass es im gesamten Bundesgebiet ähnlich antirassistisch zugeht, lässt sich zugegebenermaßen einfach skizzieren, denn wir beschreiben ein Jahr, in dem eine selbsternannte »Alternative« für Deutschland nicht nur das Parteientableau in der BRD durcheinander brachte, sondern von 12,6% der Wähler beauftragt wurde im deutschen Bundestag ihren Platz einzunehmen, um die Grenzen des Sagbaren zu verschieben. Eine derartige Aufwartung des Wahlvolks gegenüber den Neuen im Reichstagsgebäude verspricht, der sich noch in der Selbstfindungsphase befindlichen, vermeintlich nur nationalkonservativ oder doch nur völkischnationalistisch gesinnten, Partei, nun zukünftig 92 Bundestagssitze, Mitsprache- und Entscheidungsrechte im Bund, Zugriff auf öffentliche Gelder und Einfluss auf die Meinungsbildung, beispielsweise durch eine zukünftige parteinahe Stiftung. Die gewählten Volksvertreter der AfD genießen, wer hätte es gedacht, besonders in Sachsen die höchsten Zustimmungswerte und haben bisher niemand geringeren als den Vorsitzenden der sächsischen CDU, Ministerpräsident Tillich, als ihr erstes Bauernopfer auf dem Gewissen. Überflügelt von ihrem Wahlerfolg und ihrer eigenen politischen Wirkmächtigkeit wird es die sächsische AfD nun bereitwillig angehen, das demokratische Kuschelangebot in Form von ganz viel Verständnis für ihre Sorgen und Ängste durchzustehen, um sich anschließend ihrer eigentlichen Aufgabe zu widmen und die Verhältnisse in Sachsen umzukrempeln.

Währenddessen bestärken sich die etablierten Parteien sowie die Gesellschaft Sachsens gleichermaßen darin, ihre traditionell autoritären Charakterzüge als ihre besonders geartete Auffassung eines Demokratieverständnisses zu konservieren, um sich diese nicht vom Rest der Republik schlecht reden zu lassen, nur weil es mit dem Totkuscheln der Problemkinder AfD und Pegida nicht geklappt hat.

Eine ebenso gebührende sächsische Manier ist es, die sich seit Jahren bestätigenden Ergebnisse über die weit verbreiteten menschen- und demokratiefeindlichen Einstellungen der restlichen Angehörigen der sächsischen Familie Michel, wie sie beispielsweise der Sachsen Monitor dokumentiert, in einer kollektiv einstudierten Nonchalance zu ignorieren. Auch hierzu mangelt es selbst im 21. Jahrhundert nicht an passenden Beispielen, um zeigen zu können, dass egal welcher Polemik man sich bedient, in Sachsen findet sich dazu der real-zynische Gegenpart. Und so geschah dies dem erst am 13. Dezember ins Amt des Ministerpräsidenten gebettelten Michael Kretschmer, gemeinsam mit zwei Anwesenden der sächsischen Hofberichterstattung vom MDR, als sich im Bürgercheck genannten Dialogangebot für besorgte Untertanen offen und ehrlich die Meinung gesagt wurde. Was nichts Anderes, als die sächsische Mundart, dafür ist, seinem rassistischen Mindsetting freien Lauf zu lassen. Derart sanktionslose Begegnungen sind wohl so in kaum einem anderen Bundesland möglich. Was ist passiert? Der Besorgte, in diesem Fall auch noch Bürgermeister einer nordsächsischen Gemeinde, bringt seine Beschwerde vor und übertrumpft dies noch mit einem – sicherlich wie immer nur gut gemeinten – Kommentar: »Immerhin haben wir zum ersten Mal einen Sachsen als Ministerpräsidenten«. Als ihm sowohl unverhohlenes Staunen also auch betretenes Schweigen gegenüber tritt, erklärt er selbst, dass Milbradt und Biedenkopf schließlich nur Wessis gewesen sind, während Tillich »nur« Sorbe sei. Wenn darauf weder die Medienvertreter noch der Newcomer in der Staatskanzlei Antworten parat haben, sondern wohl eher damit beschäftigt scheinen, ihren Körper und Geist vom Hintergrundrauschen der Umgebung zu isolieren, dann braucht es nicht mal einen Kurs im Kaffeesatzlesen, um prognostizieren zu können, wohin die Reise für den Freistaat zukünftig gehen wird.

vom Geist der vergangenen Weihnacht

11.02.2018
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