• Titelbild
• Willkommen zurück in der Zukunft!
• das erste: I can’t relax in Katalonien
• Motorpsycho
• Der NSU, die BRD und der rassistische Normalzustand
• Konsumierende Freund*innen - was kann ich tun?
• Filmriss Filmquiz
• Magnus Klaue: Doof geboren ist keiner.
• Klub: HO_SE OF KANN
• Offenes Antifa Treffen
• SUBBOTNIK
• SOOKEE
• review-corner event: Wir sind viele, wir sind krass
• das letzte: Das Parlament der Dinge
Im vergangenen Heft hatte sich Leauthier an einer Wahlprognose versucht, deren treffendste Vorhersage der Rücktritt der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry aufgrund des »Rechtsrucks« ihrer Partei war. Vergessen die Zeiten, in denen sich die CDU bei Verkündung der Wahlergebnisse mit dem Die Toten Hosen-Chorus »Kein Ende in Sicht« von Tage wie diese in den Armen lag. »Komm' dir entgegen, dich abzuhol'n, wie ausgemacht«, heißt es darin, »wo alles laut ist, wo alle drauf sind, um durchzudreh'n«. Doch all das Entgegenkommen, das Zuhören, das zur Sorge verklären von Brandstiftung und Gewalt, das Beschwören von Angst, wo Hass grassiert, das Bedienen rassistischer und nationalistischer Forderungen hat die Konstituierung der in sozialwissenschaftlichen Studien seit Jahrzehnten registrierten nationalchauvinistischen Einstellungen zu einer selbständigen Repräsentations-, wenngleich noch ungefestigten Organisationsform nicht verhindert, sondern befördert. Auf dem ›Deutschlandtag‹ der Jungen Union in Dresden betrat Angela Merkel die Bühne zu einem Song der Fantastischen Vier. Während diese ihn mit den Zeilen »Alles klar, jetzt gibt's Megastress / Ihr wolltet grade gehn, ahah, vergesst's / Wir wollen doch mal sehen, wer hier wen verlässt« beginnen, verfolgte Angela Merkel trotz heftiger Kritik des Jugendverbandes eine versöhnliche Strategie, ganz in der Hoffnung: »wir bleiben troy«. Auch sie sei mit dem eigenen Wahlergebnis »nicht zufrieden und ein Stück weit geschockt gewesen«. Laut Medienberichten des Redaktionsnetzwerk Deutschland hob sie jedoch das Erreichen des strategischen Ziels besonders hervor: das Verhindern einer linken Mehrheit gegen CDU/CSU. Die AfD - und laut Verfassungsgericht sogar die NPD – werden noch gebraucht.
In Sachsen hingegen ging diese Rechnung nicht auf: Die AfD wurde knapp stärkste Kraft, die drei gewonnenen Direktmandate garantieren auch ohne die für das Überwinden der 5%-Sperrklausel nötigen Weststimmen den Einzug in den Bundestag. Der vor 15 Jahren abgedankte König Sachsens, Kurt Biedenkopf, sah sein »Lebenswerk« in Gefahr und strengte mittels der Zeit ein öffentliches Amtsenthebungsverfahren gegen Ministerpräsident Stanislaw Tillich an. Dieser war zu Beginn des Jahres bei ihm in Ungnade gefallen, als er vor dem sächsischen Verfassungsgerichtshof aussagte, mit der öffentlichen Förderung von Biedenkopfs Memoiren durch das Land in Höhe von 307.900 Euro nichts zu tun zu haben. Dabei hatte Biedenkopf Tillich im Vorwort seines ersten Bandes ausdrücklich dafür gedankt, dies »vorgeschlagen« und die Angelegenheit anschließend zu »seiner Sache« gemacht zu haben. Den Wahlverlierer wollte er am liebsten durch einen Fast-Wahlverlierer ersetzen: Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der im Wahlkreis Meißen fast 17 Prozentpunkte an Wählerstimmen verlor und sein Direktmandat mit nicht einmal 6 Prozentpunkten Vorsprung gegen den erstmals angetretenen AfD-Kandidaten Carsten Hütter verteidigte. Noch-Ministerpräsident Stanislaw Tillich hingegen bestimmte einen waschechten Wahlverlierer als Nachfolger: den langjährigen sächsischen CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer. Der hatte erklärtermaßen keinen ›Plan B‹, als er über 18 Prozentpunkte der Stimmen verlor und sein Direktmandat knapp an den weitgehend unbekannten AfD-Kandidaten Tino Chrupalla verlor. Doch im sächsischen Sumpf wäscht eine schmutzige Hand die andere und Tillich erinnerte sich sicherlich gern daran, dass Kretschmer vor einigen Jahren Sponsoring-Angebote für Fotos und Gespräche mit ihm oder lobende Erwähnungen in Reden des Ministerpräsidenten an Unternehmen versandt hatte, um die Parteikasse aufzubessern. Doch nicht nur die finanzielle Finesse, auch die politische Eignung bringt »Wutbürgers Liebling« (Anne Hähnig, Zeit) mit. Wenn etwas »die Menschen [...] zu sechsmillionenfach in Deutschland bewegt«, wusste Tillich nach der Wahl im Deutschlandfunk zu berichten, dann der starke »Wunsch, dass Deutschland Deutschland bleiben möge«. Das hat Kretschmer längst erkannt: Ende September vergangenen Jahres legte er gemeinsam mit anderen CDU/CSU-Abgeordneten einen unter Beratung des Dresdner Politikwissenschaftlers und Pegida-Verstehers Werner Patzelt entstandenen Aufruf zu einer Leit- und Rahmenkultur vor, wonach Heimat, Patriotismus und Leitkultur die Kraftquellen der Nation sind, in der ein »jeder nach Kräften selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen« muss und »wechselseitige Solidaritätserwartungen« nicht überzogen werden dürfen. Wo die Grenzen der Solidarität für ihn erreicht sind, erklärte Kretschmer im Deutschlandfunk: »wir sehen ja, mit jeder Turnhalle, die mehr genutzt werden muss, die dann eingreift auch in das Leben [sic!], fragen sich die Menschen überall in Deutschland, ist das noch richtig.«
Fast könnte man meinen, er kenne die Grenzen des guten Geschmacks. Nach den Straßenschlachten von Neonazis mit Polizist/innen vor einer Asylnotunterkunft in einem ehemaligen Heidenauer Baumarkt erklärte er: »wenn Arschlöcher anfangen, Brandsätze in die Unterkunft von Flüchtlingen zu werfen, dann wird mir schlecht«. Doch wenig später darauf angesprochen, bedauerte er seine Wortwahl. Schließlich brauche es, »gerade für das Thema Flüchtlinge, auch für die Lösung der anstehenden Fragen[,] Ruhe und nicht weitere Eskalation«. Wenn Brandstifter Biedermeier sind, wer sind dann die Arschlöcher?
Die Redaktion