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Aktuelle Termine

CEE IEH-ARCHIV

#230, Februar 2016
#231, März 2016
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#235, Oktober 2016
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Aktuelles Heft

INHALT #234

Titelbild
Editorial
• das erste: Postnational. Eine Anmerkung zu Gutgemeintem
• inside out: 25YRS: Das Conne Island feiert wieder ein Jubiläum
Halftime
The Moment of Enlightenment is a Sound
Ignite + Isolated
85 Jahre Gemeinsam: Conne Island, Altin Village, Jungle World & Testcard
MOOSE BLOOD
Vergangenheit als Zukunft? Europas Krise und die Linke
King Champion Sound
Demented Are Go
Klub: Electric Island
Karl Blau & Dead Western
APOLOGIES, I HAVE NONE + BLACKOUT PROBLEMS
CEE IEH goes B12
Drum and Bass Reloaded
Youth Code & Trepaneringsritualen
25YRS Conne Island & 20YRS Drug Scouts
• kulturreport: Was bisher geschah
• position: Weshalb Antizionisten eben doch Antisemiten sind
• doku: Hemmnisse und Hindernisse der »Care Revolution«. Erfahrungen illegalisierter Hausarbeiterinnen in Berlin
• doku: Zwischen Ideologie und Anpassung.
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Was bisher geschah

Der Beginn einer Epoche, so scheint es. Nein, hierbei handelt es sich leider nicht um die »Bestätigung der gesamten revolutionären Theorie unserer Zeit und sogar hier und da der Beginn ihrer teilweisen Verwirklichung«, wie es die Genoss_innen der Situationistischen Internationale (S.I.) in der »Bewegung der Besetzungen« 1968 in Frankreich erblickt haben wollen, sondern um den globalen Hype des Handyspiels Pokémon Go. Das Spielprinzip sei hier kurz erläuert: Man lasse sich via GPS orten, sehe auf sein Handy um Pokémon in der Umgebung zu finden, gehe zum Ziel und versuche die lustigen Wesen zu fangen. Der Clou dabei ist die reale Bewegung zum Ziel, welche den alten Konflikt im Elternhaus beheben sollte, wo die Sorge um zu wenig Aktivität bei zu viel Videospielen weiterhin besteht. Nun sorgt das Spiel für reichlich Freude (und kuriosen Situationen) bei Konsument_innen, aber Einiges an Kopfzerbrechen bei staatlichen Institutionen. Hat man es bei Pokémon Go vielleicht sogar mit einem subversiven Werkzeug zur revolutionären Erhebung der Massen zu tun?


Zumindest der zivile Ungehorsam scheint bei einigen Leuten geweckt zu sein, wo sonst nur Achselzucken und Desinteresse vorherrscht. So warnt mittlerweile das Verteidigungsministerium und die Bundeswehr vor dem Spiel, da damit »die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr unmittelbar berührt werden« und Spione das Spiel als Tarnung nutzen könnten um Fotos »in unmittelbarer Nähe zu militärischen Liegenschaften« zu machen. Hintergrund war die Suche dreier Spieler_innen nach Pokémon, woraufhin sie sich plötzlich auf einem Übungsgelände der Bundeswehr verirrten und dabei knapp dem Tod entkamen. In Russland treibt die Sorge die üblichen Autoritäten mit den üblichen Wahnvorstellungen umher. Linke Spießer der kommunistischen Partei fordern ein Verbot des Spiels und ziehen Parallelen mit Drogen- und Spielsucht, und Geistliche wittern gar die Gefahr, dass Dämonen im Menschen zum Vorschein kommen würden. Auch sonst wird eine psychologische Kriegsführung, angeführt durch die USA, befürchtet. Die staatliche Antwort kam noch vor offizieller Erscheinung von Pokémon Go in Russland unter dem Titel Know. Moscow. Photo. Mit dieser patriotischen App kann die Vaterlandsliebe gestillt werden, indem nun statt Pokémon die Jagd auf historische Figuren der russischen Geschichte in Moskau gemacht werden kann.


Doch auch abseits staatlicher Angelegenheiten sorgt das Spiel für kuriose Gegebenheiten und bisweilen sogar für revolutionäre Impulse. Ein Neuseeländer beispielsweise folgte der wertkritischen Parole »Proletarier aller Länder, macht Schluß!« und schmiss seinen Job als Kellner hin um sich vollends der Suche nach allen 151 Pokémon in Neuseeland zu widmen. In Dänemark hingegen endete die Suche beim Fund einer Leiche, was in ähnlicher Form auch schon in den USA passierte.


Der in Syrien geborene Künstler Khaled Akil hingegen möchte auf den jahrelangen Bürgerkrieg aufmerksam machen, indem er Pokémon in Bilder aus den Ruinen der Städte einarbeitet und somit Aufmerksamkeit bzw. sinnvolle Suche herstellen möchte. Die Reihe ist ein fortlaufender Prozess und findet sich unter dem Titel Pokémon Go in Syria im Netz.


Umherstreifen dank Pokémon Go


Die eingangs erwähnte S.I. versuchte mittels unterschiedlicher Techniken der spektakulären Gesellschaft experimentell zu begegnen und auch »Waffen der Kritik« zur Umwälzung der bestehenden Ordnung zu liefern. Eine dieser Techniken wird als Dérive bezeichnet und zu Deutsch auch als Umherstreifen übersetzt. Der nachfolgend übersetzte Text ist dem australischen Overland Magazin übernommen - das selbsternannt »radikalste Literatur- und Kulturmagazin seit über 60 Jahren«. Inwiefern das zutrifft, mag ich nicht beurteilen. Der folgende Text hat jedoch einige lohnenswerte Gedanken, wenn auch teils arg interpretiert. Aber mögen die Leser_innen selbst entscheiden.


Leben im Moment – Die Situationist_innen und Pokémon Go


In den letzten Tagen haben sich die Straßen mit Situationist_innen gefüllt, denn mittels Pokémon Go wurden Dérives von Millionen von Menschen praktiziert. Ok, der Vergleich hinkt ein wenig. Der Situationist Guy Debord beschrieb das Dérive (oder auch Umherstreifen), eine psychogeographische Technik, mit welcher er und sein Klüngel im Paris der 1950er experimentierten, folgendermaßen:


»Eine oder mehrere das Umherschweifen experimentierende Personen verzichten für eine mehr oder weniger lange Zeit auf die ihnen im allgemeinen bekannten Bewegungs- bzw. Handlungsgründe, auf die ihnen eigenen Beziehungen, Arbeiten und Freizeitbeschäftigungen, um sich den Anregungen des Geländes und den ihm entsprechenden Begegnungen hinzugeben. Dabei ist der Anteil des Zufälligen weniger ausschlaggebend, als man es im allgemeinen glaubt: vom Standpunkt des Umherschweifens aus haben die Städte ein psychogeographisches Bodenprofil mit beständigen Strömen, festen Punkten und Strudeln, die den Zugang zu gewissen Zonen bzw. den Ausgang daraus sehr mühsam machen.«


Alle Pokémon Go-Spieler_innen sollten wissen, was damit gemeint ist.


Das Spiel hingegen ist zum Verrücktwerden: Der Akku ist ständig leer, unzählige Daten werden verbraucht und die Server sind immerzu überfordert. Doch trotz aller Macken sorgt das Spiel dafür (zumindest temporär), dass das Umherstreifen im urbanen Dschungel zu neuer Verzückung einladen kann. Ein Ort, an dem in jeder Straße ein neues Pokémon auftauchen kann und altbewährte Pfade neuen Zielen dienen.


Ein Dodo posiert außerhalb eines KFC-Restaurants, während ein Enton am unteren Ende eines Aquariums sitzt. Zwei ältere Personen kreuzen unbewusst den Weg einer bedrohlichen Kreatur und ein Bisasam tollt im Hörsaal umher. Das ist das Schöne an der erweiterten Realität durch Pokémon Go - es verfremdet und sorgt somit für eine Zweckentfremdung von Orten wie wir sie kennen.


»Wir langweilen uns in der Metropole«, schrieb Ivan Chtcheglov in seinem Formular für einen neuen Urbanismus, »einen Sonnentempel gibt es nicht mehr. Zwischen den Beinen der vorübergehenden Frauen hätten die Dadaisten gerne einen Schraubenschlüssel gefunden und die Surrealisten ein Becherglas - eine verlorene Wette. […] Wir langweilen uns in der Stadt und nur wer sich enorm müde läuft, kann noch geheimnisvolle Namen auf den Straßenschildern entdecken. […] Eine Geisteskrankheit hat unsere Welt befallen: die Herrschaft der Banalität.«


Die erweiterte Realität durch Pokémon Go bietet, so könnte man meinen, eine herunterladbare Alternative zu dieser Banalität und präsentiert den Spieler_innen die überraschende Verwandtschaft zwischen der wirklichen und der erträumten Stadt. Folglich treten außergewöhnliche Dinge zu Tage, wenn beispielsweise das Blog Mary Sue Tweets sammelt, in welchen sich von Depression und anderen seelischen Krankheiten Betroffene zum Spiel äußern und dieses sie zum Gang aus dem Haus oder zur Kommunikation verhalf. An der State Library of Victoria in Melbourne hingegen sammelten sich an einem Freitagabend dutzende Spieler_innen um mittels Lockmodulen Pokémon zu ködern – eine Spielvariante von Debords »Strömen, festen Punkten und Strudeln«. Das Gebäude glänzt durch schöne Architektur und ist reich an faszinierender Geschichte, aber junge Leute hängen dort für gewöhnlich nicht an einem Freitagabend rum. Doch plötzlich ist sie zu einem Ort für eine kurzzeitige Community geworden, welche für vorbeigehende Nicht-Spieler_innen unsichtbar erscheint.


Natürlich ist das nur ein Teil der Geschichte. »Wenn du die Triangle Shirtwaist Factory besuchst während du Pokémon Go spielst, dann bekommst du drei kostenlose Pokébälle«, twitterte Ben Regenspan. Dieser Kommentar drückt das Unbehagen von mir aus, wenn ich durch Melbourne laufe und die virtuelle neben der realen Stadt betrachte. Das System bedient sich vieler Sehenswürdigkeiten (Statuen, Gebäude, Skulpturen etc.), verarbeitet diese ins Spiel und funktioniert diese als PokéStops oder »Kampfarenen« um. Einerseits ist es natürlich cool, wenn die örtliche Kneipe plötzlich von Pokémons bewohnt wird. Andererseits ist es ziemlich geschmacklos, wenn reale Geschichte für ein millionenschweres Geschäft herhalten muss. Fast 150 Menschen verloren ihr Leben als die Triangle Shirtwaist Factory ausbrannte. Der sinnlose Tod dieser Menschen war die Folge abscheulicher Arbeitsbedingungen innerhalb der Textilfabrik in New York. Der Ort wurde ein Treffpunkt für die Gewerkschaftsbewegung und der Name ein Synonym für die Habgier der Arbeitgeber_innen. Nun gibt es dort drei kostenfreie Pokébälle.


Man könnte nun als sagen, so sehr das Spiel es auch erlaubt das Prinzip des Dérive umzusetzen, so sehr ist es auch eine bezeichnende Demonstration für das Phänomen, welches Debord kritisiert. »Das ganze Leben der Gesellschaften«, so schreibt er, »in welchen die modernen Produktionsbedingungen herrschen, erscheint als eine ungeheure Sammlung von Spektakeln. Alles was unmittelbar erlebt wurde, ist in eine Vorstellung entwichen.« Im Besonderen betont Debord die Fähigkeit der modernen Stadt die eigene Vergangenheit zu zerstören. »Die ›neuen Städte‹ der technologischen Pseudobauernschaft«, argumentiert er, »prägen in das Terrain deutlich den Bruch mit der geschichtlichen Zeit ein, auf die sie aufgebaut sind; ihr Motto kann lauten: ›Hier selbst wird nie etwas geschehen und hier ist nie etwas geschehen‹. Weil die Geschichte, die es in den Städten zu befreien gilt, in ihnen noch nicht befreit worden ist, gerade darum beginnen die Kräfte der geschichtlichen Abwesenheit, ihre eigene exklusive Landschaft zusammenzustellen.« Die erweiterte Realität verfremdet die urbane Banalität, wenngleich die Fantasie der globalen Marktwirtschaft unterliegt: die »Kräfte der geschichtlichen Abwesenheit« könnten auch einem bewussten Mythos unter der Ägide von Marketing darstellen.


Andererseits, was sollte es sonst auch sein? Kapitalistische Banalität rekuperiert zwangsläufig jedwede ästhetische Kritik an kapitalistischer Banalität, während Utopie und Dystopie stets die Schattenseiten des anderen zeigen. Und doch gibt es diese Momente im Spiel, wenn auch meist nur für wenige Minuten, die einem neuen Urbanismus ähneln, welcher Chtcheglov vorschwebte: »Morgen wird also die Architektur ein Mittel sein, die heutigen Auffassungen von Zeit und Raum zu modifizieren. Sie wird ein Mittel zur Erkenntnis und zur Handlung sein. Das Gesamtbild der Architektur wird abänderbar sein. Es wird sich je nach dem Willen der Bewohner_innen teilweise oder ganz wandeln.«


Ist das nicht die Vision, die Pokémon Go so süchtig macht: der flüchtige Blick auf eine Welt, wie ich sie mir vorstelle?



Shlomo

20.08.2016
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