• Titelbild
• Editorial
• das erste: Theorien im kritischen Dialog
• Schwarze Deutsche im Nationalsozialismus
• SPACE BINGO
• Madball
• Klub: Electric Island / Dixon
• Sick of it all
• Baroness
• Wurzellose Kosmopoliten. Von Luftmenschen, Golems und jüdischer Subkultur.
• WORD! cypher / End Of The Weak Leipzig (Open-Mic-Freestyle-Session).
• Dabei Geblieben – Aktivist_innen erzählen vom Älterwerden und Weiterkämpfen
• Vorsicht Volk!
• Die Neuordnung der deutschen Geschichte – Bundesrepublikanische Geschichts- und Gedenkstättenpolitik seit 1990
• Hawaiianischer Schnee Tour (Teil 2)
• Easter Ska Jam
• Record Release Party zur Hannah (EP) von Duktus
• TOCOTRONIC - »Pädagogisch Wertlos Tour 2016«
• review-corner event: Sleep In-Review
• position: Antifaschistischer Selbstschutz und die Gewaltfrage
• doku: Jetzt kommt die Nagelprobe
• doku: Sächsische Zustände
• das letzte: Das Letzte
• Neue Titel im Infoladen
Nachdem verschiedene rechte Gruppen am 12. Dezember zum Sternmarsch nach Connewitz aufgerufen hatten und dieser Plan etwa einen Monat später umgesetzt wurde, als anlässlich des Jahrestags von LEGIDA hunderte Nazi-Hools die Wolfgang-Heinze-Straße angriffen, ist die Debatte um rechte Angriffe, die Verteidigung dagegen sowie nach einer größeren Strategie gegen Rechts unumgänglich. Ende Januar trafen sich im Conne Island bei einem Offenen Treffen Aktivist_innen aus verschiedensten linken Bezügen um zu diskutieren Was ist passiert? Was können wir tun? Schutz. Vernetzung. Politische Antworten. Bei diesem Treffen wurden Untersuchungsergebnisse und Organisationsstrukturen der angreifenden Faschos vom 11. Januar geschildert und in Kontext zu den faschistischen Übergriffen der vergangenen Wochen und Monate gestellt. Ziel war es auch, politische Handlungsperspektiven aufzuzeigen. So wurde erklärt, dass es kein Ziel sein könne, sich in der »Festung Connewitz« einzuschließen und den braunen Sumpf Sachsen einen braunen Sumpf sein zu lassen. Wie dies aber verhindert werden soll beziehungsweise welche Probleme auch in der Leipziger Linken bestehen, konnte hier nicht diskutiert werden. Dieser Text soll einen Diskussionsanfang in der Leipziger antifaschistischen Bewegung bieten: Wie putzen wir die Nazis von den Straßen und wie kriegen wir die Leute auf unsere Seite (gegen die Nazis).
Oberbürgermeister Jung schwang mit Vergnügen die Extremismuskeule und setzte in einer Meldung die Nazi Angriffe vom 11. Januars mit den Ausschreitungen des 12. Dezembers gleich: »Erneut mussten wir Zeuge werden, wie Extremisten, diesmal von rechtsaußen, mit offenem Straßenterror versuchten, Angst und Schrecken zu verbreiten. Und auch hier hatte das Geschehen nichts mit Politik, mit unterschiedlichen Meinungen zu tun: Es ging um nackte Gewalt, sonst nichts.« Seine Analyse ist selbstverständlich haarsträubend falsch, natürlich ging es in beiden Fällen um Politik, um eine Hoheit auf der Straße, um das Gewaltmonopol, um Machtdemonstrationen. Mensch kann sich ärgern über die unsägliche Extremismustheorie und die Gleichsetzung linker und rechte Gewalt. Jedoch gab es in der Leipziger Linken wenig ausführliche Analysen dieser Ereignisse. Egal wie verzerrend Jungs Einschätzung ist, so ist sie doch interessant, denn sie deckt sich mit der Einschätzung von vielen Leipziger_innen. Es geht hier nicht um die besorgten Brandstifter_innen bei Asylunterkünften, sondern um Refugees die am 12. Dezember dachten, der Nazimob würde sich auf der Karli mit der Polizei Gefechte liefern, Mitdemonstrant_innen, welche genervt die Demo verließen und vergraulte Anwohner_innen. Es ist selbstverständlich, dass in Leipzig nicht alle Menschen gegen Nazis auf die Straßen gehen werden, aber wenn es tatsächlich der Anspruch ist, sich nicht in der »Festung Connewitz« einzuschließen (wo die Mauern offensichtlich auch ernste Risse zeigen), dann müssen auch in linksradikalen Kreisen diese Stimmen gehört werden. Es steht außer Frage, dass die Extremismustheorie Bullshit ist, dass Polizeigewalt gegen Antifaschist_innen fortwährend unter den Tisch gekehrt wird und dass die Polizei auf dem rechten Auge eine massive Sehschwäche hat. Aber wenn wir in Leipzig die Nazis tatsächlich und dauerhaft von der Straße halten wollen, dann müssen wir auch diese Leute mitnehmen.
Als am 11. Januar Nazis die Wolfgang-Heinze-Straße verwüsteten, waren es nicht antifaschistische Gruppen, sondern die Polizei, die sie festsetzte und verscheuchte. Dies zeigt klar, dass wir offensichtlich nicht selbstständig ein antifaschistisches Gewaltmonopol aufrechterhalten können.
Antifaschistische Schutzräume sind vom Gedanken her nett, unpraktischerweise zeigt die Realität, dass wir Leipzig nicht als antifaschistischen Schutzraum halten können, und ganz Sachsen erst recht nicht. Bis dahin sind wir also stellenweise auch auf die Polizei angewiesen. Das heißt bei aller berechtigten Kritik an der sächsischen Polizei, der (Straßen)Kampf gegen die Polizei als Schlägertrupp des bürgerlichen Staats kann zur Zeit kein Schwerpunktthema antifaschistischer Gruppen sein. Ob ein antifaschistisches Gewaltmonopol wünschenswert wäre oder nicht, kann vorerst am Küchentisch ausdiskutiert werden. Wichtig ist jedoch festzustellen, dass der Kampf für ein (regional begrenztes) antifaschistisches Gewaltmonopol nur von einer kleinen Minderheit befürwortet würde, denn dies ist eine Auseinandersetzung mit sehr geringen Erfolgschancen. Der bürgerliche Staat verfügt über ein Vielfaches mehr an Geld, Personal, Waffen und kann dauerhaft nur von einer großen gesellschaftlichen Bewegung der Lohnabhängigen, Arbeitslosen und Unterdrückten gestürzt werden. Anknüpfungspunkte für diese Bewegung bestehen in vielen Gebieten, gemeinsame Kämpfe für Bleiberecht von Asylsuchenden, gewerkschaftliche Lohnauseinandersetzungen ebenso wie antifaschistische Kämpfe. Ein Punkt ist jedoch allen gemein: das Ziel soll nicht der Kampf gegen die Mehrheitsgesellschaft sein, sondern diese zu überzeugen.
Dass die Rechten am 11. Januar überhaupt nach Connewitz gekommen sind, kann als Konsequenz der massiven Mobilisierung von *GIDA, AfD und noch vielen verschiedenen Besorger_innen verstanden werden. Die Verwüstungen der Faschisten setzen ein klares Zeichen: was im Dezember auf der Karli gelaufen ist können wir auch – in eurem Viertel. Es ist auch ein Zeugnis ihrer Selbsteinschätzung: Die Aktion war für alle Ordnungsfanatiker, die seit Jahren um das »rechtsfreie Connewitz« bangen, die sich nun freuen, »dass den Zecken mal ordentlich eins ausgewischt wurde«.
Es ist der bisherige Höhepunkt eines sich zuspitzenden Konflikts: Einerseits Messerangriffe von Nazis auf Refugees und Antifaschist_innen, auf der anderen Seite verwüstete Wohnungen von rechten Hetzern und Übergriffe auf NPD-Funktionäre. Diese Zuspitzung birgt übrigens auch für antifaschistische Aktivist_innen weitere Gefahren. Ein jeder solcher Übergriff bietet für die rechten Schlägertrupps einen gelungenen Anlass zum Gegenschlag, für die bürgerliche Presse eine Orgie in der Extremismustheorie, der praktische Nutzen eines solchen Übergriffs von Antifaschist_innen ist allerdings geringfügig. In Leipzig gibt es, im Gegensatz zu vielen Ecken im Umland, eine linksliberale Mehrheit. Auf den Demos gegen LEGIDA sind regelmäßig mehr Menschen als bei den Rettern des erträumten Abendlands. Auch die Blockade von Nazis wird von breiten Schichten der Stadtbevölkerung getragen – Straßenschlachten mit der Polizei, welche unter bestehenden Machtverhältnissen nicht langfristig gewonnen werden können, hingegen nicht.
Nur wenn auch eine Mehrheit der Leipziger_innen bereit ist gegen Nazis auf die Straße zu gehen, ihre Demos zu blockieren und bei Angriffen ihr Viertel gegen die Faschisten zu verteidigen, können längerfristig antifaschistische Schutzräume geschaffen werden. Mit brennenden Mülltonnen neben der Nazidemo, zerdepperten Haltestellen und Angriffen auf Polizeiwachen wird dies nicht erreicht, mit gut organisierten, koordinierten Blockaden, Aufklärungsmaterialien und Stadtteilarbeit (auch außerhalb von Connewitz) schon eher.
Wie eine Aktivist_in bei dem Vernetzungstreffen im Januar richtigerweise feststellte, bestimmt jede Gruppe die Mittel ihrer Aktionen selbst – und keine außenstehende Person kann dies für eine andere Gruppe festlegen, für die heterogene linke Szene der Stadt schon gar nicht. Vor dem Hintergrund einer massiven rechten Mobilisierung und vielfältigen Rückschlägen für linke Strukturen ist ein Austausch der verschiedenen Strömungen jedoch unerlässlich. Es gibt auch jetzt schon einen gewissen, unausgesprochenen Konsens was Aktionen angeht. So sind mir weder Gruppen bekannt, die etwa Yoga gegen Nazis machen, noch solche die sie mit Schusswaffen jagen.
Je mehr wir auf Revolutionsinszenierungen verzichten und den gegebenen Problemen realistisch entgegentreten, desto mehr Menschen erreichen wir. Und je produktiver und abgestimmter die verschiedenen Gruppen in Leipzig (sowie im Umland) zusammenarbeiten, desto besser können wir die Rechten zurückdrängen.
von Lou Anton