Wer einen gut plazierten Molli, einen seiner
ursprünglichen Funktion beraubten Pflasterstein und all die anderen
Aspekte einer zünftigen Randale ablehnt, vorausgesetzt sie entspringen
nicht faschistoidem, rassistischem Scheißdreck, ist sowieso nur ein
Spießer. Wer aber die vitalsten Formen eines jugendprotestlerischen
Selbstverständnisses als Vorbote revolutionärer Kämpfe deutet,
ist ein Utopist. Vertreter beider Seiten hatten auf jeden Fall nicht so viel
Spaß, wie diejenigen, denen es vergönnt war, in den ersten Mai-Tagen
einen Schnellkurs in Sachen militanter Protest in Berlin oder Gorleben zu
absolvieren.
»Bullenschweine«
Facts and Fictions
Am 1.Mai kam es im Anschluß an die Revolutionäre 1.Mai
Demonstration zu einer 3/4-stündigen Auseinandersetzung mit der Polizei.
Die Medien nahmen dieses Ereignis mehr als dankbar auf und da auch schon am
Vorabend, während der Walpurgisnachtfeier im Prenzlauer Berg sich der eine
Stein oder die andere Flasche im Schilder- und Helm-Wall der Exekutive verfing,
war es mal wieder ein Leichtes, das Remake der Autonomen zu verkünden. Der
Vergleich mit jener Zeit als die besagte Demo für die, welche sie
veranstalteten, zum extensiven Ausdruck ihres Politikverständnisses und
für diejenigen, gegen die sie sich richtete, zum hochstilisierten
Sicherheitsrisiko wurde, zeigt, daß wieder mal meterdick aufgetragen
worden ist. Im Jahr 1987 gelang es über mehrere Stunden fast einen ganzen
Stadtteil (Kreuzberg), Polizei-frei zu gestalten. Damals mußten keine
Archivbilder bemüht werden, um die Dimension von Widerstand/Gewalt
nachzuweisen. Die Steine, Flaschen, umgekippten Bauwagen und beim Anrücken
der Polizei gleich wieder verlassenen Barrikaden der diesjährigen
Auseinandersetzung sind dagegen eher ein Klacks. Nur die 200 Festnahmen und vor
allem die daraus eventuell entstehenden Ermittlungsverfahren sind es wirklich
nicht. Ähnlich die Situation um die Protestaktionen gegen den
Castor-Transport in Gorleben. Von dem dort fast konsensfähigen Sportarten,
wie Baumstämme auf Schienen hiefen und Bahngleise aus ihrem Schotterbett
zu befreien, mal abgesehen, bestand die angebliche Aggression der Blockierer
gegen die Polizei meist nur aus Grassodenwürfen (tut bestimmt übelst
weh), einzelnen vereinzelten Flaschen- und Stein-Schleudereien sowie brennenden
Strohballen. Nicht, daß jetzt hier der Aktionismus der vor Ort anwesenden
Fightergangs diskreditiert werden soll. Ganz im Gegenteil.
Nur in Zeiten, in denen es eine Staatsanwaltschaft schafft, aus einem Eier-Wurf
auf einen Polizisten einen schweren Landfriedensbruch zu konstruieren (so
geschehen im derzeitigen Verfahren gegen die Autonome Antifa aus
Göttingen), sollte man die realen Geschehnisse nicht aus Polizeiberichten
oder Medienpräsentationen ableiten. Zumal beide Institutionen ein
Interesse daran haben, sowohl den Voyeurismus der bürgerlichen
Gesellschaft als auch deren ständigen Sicherheitsparanoia zu bedienen.
Wer mit 20 noch bei keiner Straßenschlacht war, wird nie ein guter...?
Ein ganz anderes Problem ist, wie man denn als Skeptiker gegenüber der
ökologischen Bewegung und revolutionärem Attentismus diese neue
militante Option bewertet? Anbetracht der Tatsache, daß gerade zwischen
Rot, rot, rot, sie kriegen uns nicht tot und Grün,
grün, grün, wir machen Deutschland schön eine Vielzahl von
linksradikalen Bewußtseins- und Tätigkeitsfeldern gibt, kann man
ohne die Hysterie, seine eigenen politischen Intentionen unbedingt auf
revoltierende Kids übertragen zu müssen, ganz in Ruhe Positives und
Negatives miteinander abwägen und warten was weiter passiert. Selbst bei
der notwendigen linken Kritik an der ökologischen Bewegung haben im
Allgemeinen die Berichte von sonst wohl eher biederen Bauern und
Wohlstandsbürgern, die ihre Trecker zu Straßensperren machen oder
ihre Arztpraxen schließen, um verwundeten Demonstranten zu helfen etwas
objektiv gutes. In Zeiten, in denen die deutschen
Sekundärtugenden auf dem Weg sind, das kurze Intermezzo westlichen
Demokratieverständnisses, inclusive zivilen Ungehorsams endgültig
abzulösen, ist die Multi-Kulti-Öko-Anti-Atom-Yuppie-Fraktion mit
ihrer noch nicht gelösten Verankerung in Basisgruppen noch das kleinere
Übel. Von Öko-Faschisten mal abgesehen.
Alles zu spät
Natürlich wäre esschöner, würden statt Schienen von ihrem Gleisbett,
Abschiebehäftlinge aus bundesdeutschen Knästen befreit. Doch was beim
wohlsituierten Wendland-Widerständler auch beim 100. Schlag mit dem
Polizeiknüppel auf die Birne nicht einsetzen wird, nämlich ein
Denkprozeß, der zur Folge hat, sich mit den wirklich Betroffenen der
deutschen Politik zu solidarisieren und den Backlash als solchen überhaupt
zu begreifen, kann bei tobenden Kids vielleicht noch passieren. Nicht,
daß darauf vertraut werden könnte aber selbst die
Widerstandssozialisation unter grünen Vorzeichen, führt vielleicht zu
einem selbstbewußten Umgang mit staatlicher Macht, kann ein Anfang sein.
Klar ist, die ökologische Wende im Massenbewußtsein der Deutschen
nach dem Gau in Tschernobyl nützte nicht den Linken. Und die Grünen
schaffen es immer mehr, sich von der, entgegen der politischen Realität
erfolgenden, Fremdzuschreibung durch Konservative als linke Kraft, zu
lösen. Aber das gute ist, daß die Chaoten ihre linken Codes nicht
loskriegen. Wenn z.B. das Hamburger Abendblatt die jungen Militanten von
Gorleben und die notorischen Krawallmacher, die Akteure der Chaostage von
Hannover-Nordstadt und des 1.Mai in Berlin-Kreuzberg in einen
Zusammenhang stellt, dann ist klar, daß es nicht das Schlimmste
wäre, wenn dieser eintreten würde. Falsch ist es aber schon jetzt
irgendwelche Hoffnungen auf eine neue linksradikale Bewegung zu setzen. Steine
schmeißende Youngsters sind keine Vorhut von revoltierenden
Lohnabhängigen und Studierenden, wie es auch die Tageszeitung Junge
Welt suggerieren möchte. Da hätte fast eher der Spiegel recht
mit seiner Vermutung, das neue aufrührerische Potential
würde vom schlichten Spaß am antiautoritären Protest und
die Lust auf eine solide Straßenschlacht mit der Polizei getrieben.
Das war dann aber auch dem Spiegel zu wenig, er relativierte und entdeckte die
Gründe für die Aggression der Jugendlichen in dem beispiellosem
Bruch ihrer Lebensverhältnisse (...) den sie zu verarbeiten hätten.
Letztendlich ist es ein bißchen egal, welche Ursachen ein demolierter
Polizeihelm hat. Auf jeden Fall ist es gut möglich, daß beim Gerede
von der sozialen Deklassiertheit oder irgendwelchen tiefenpsychologischen
Lebensbrüchen der Aktiven, der Wunsch Vater des Gedanken ist. Mit der
Vorstellung, daß hier profanere Gründe zusammenfallen, von der
Kinderzimmerrevolte über den ganz normalen Streß mit Eltern, Schule,
Lehre bis hin zum Reiz mit Verboten der Gesellschaft zu brechen, welche dann in
einem kollektiven Leckt mich am Arsch! resultieren, tun sich
Linkssoziale und Mainstreamrechte gleichermaßen schwer. Da man letztere
eh vergessen kann, bleibt nur noch zu begründen, warum die nicht besonders
gefestigte und bewußte linke Motivation, einem Polizisten ein Aua zu
bereiten, immer noch radikaler bleibt als der Großteil der PDS. Bewiesen
hat dies, die schon durch ihre Ausflüge mit Neonazis bekannt gewordene
PDS-Politikerin Christine Ostrowski: Es ist (...) nicht länger
hinnehmbar, daß bisweilen der Eindruck von Gemeinsamkeiten zwischen der
PDS und Leuten entsteht, die randalierend durch die Gegend ziehen und
behaupten, sie seien Linke. Ob hier der Verfassungsschutz der Ostrowskien
sekundierte oder umgedreht, ist noch nicht raus. Auf jeden Fall dürften
sich alle drei (Ostrowski, Nazis, Behörden) auf einigen Ebenen ganz gut
verstehen, denn laut O. gilt es, das staatliche Gewaltmonopol (als) eine
zivilisatorische Errungenschaft zu verteidigen und sowieso seien
Menschen, die in pseudo-revolutionärer Aufwallung das Auto (ihres)
Nachbarn anzünden oder Bahngleise zerlegen (...) ein Fall für die
Polizei, nicht für linke Solidarität. Die adäquate Antwort
darauf hatte ein 16 jähriger Teilnehmer an der Berliner Randale. Als er
von einem Redakteur des Neuen Deutschland im Ostrowski-ähnlichen Duktus
gefragt wurde, ob die Gewalt nicht der linken Bewegung schade, antwortete er:
Alles Scheiß, wer mit seinem fetten Arsch zu Hause sitzt oder sein
Fähnlein zur Bonzen-Demo ausrollt, der kann sich gleich begraben lassen.
Was weißt du schon von der linken Bewegung. Und auch einige
Alt-Autonome scheinen mit dem zarten Revival der Militanz auf der Straße
besser umgehen zu können. Weil sie, egal was sonst noch, eine wohltuende
Abgrenzung vom West- und noch schlimmeren Ost-Spießer-Konservatismus ist.
Der Veteran aus Berliner-Häuserkampftagen Noggi brachte in der
Tageszeitung Junge Welt die Revolte 96 auf den Punkt: Besser
ein Bad vom Wasserwerfer als eins in der Masse.
ulle
pc-baden
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