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revolte 96, 0.9k

Wer einen gut plazierten Molli, einen seiner ursprünglichen Funktion beraubten Pflasterstein und all die anderen Aspekte einer zünftigen Randale ablehnt, vorausgesetzt sie entspringen nicht faschistoidem, rassistischem Scheißdreck, ist sowieso nur ein Spießer. Wer aber die vitalsten Formen eines jugendprotestlerischen Selbstverständnisses als Vorbote revolutionärer Kämpfe deutet, ist ein Utopist. Vertreter beider Seiten hatten auf jeden Fall nicht so viel Spaß, wie diejenigen, denen es vergönnt war, in den ersten Mai-Tagen einen Schnellkurs in Sachen militanter Protest in Berlin oder Gorleben zu absolvieren.

1. mai 96 in berlin, 9.1k
»Bullenschweine«

Facts and Fictions

Am 1.Mai kam es im Anschluß an die „Revolutionäre 1.Mai Demonstration zu einer 3/4-stündigen Auseinandersetzung mit der Polizei. Die Medien nahmen dieses Ereignis mehr als dankbar auf und da auch schon am Vorabend, während der Walpurgisnachtfeier im Prenzlauer Berg sich der eine Stein oder die andere Flasche im Schilder- und Helm-Wall der Exekutive verfing, war es mal wieder ein Leichtes, das Remake der Autonomen zu verkünden. Der Vergleich mit jener Zeit als die besagte Demo für die, welche sie veranstalteten, zum extensiven Ausdruck ihres Politikverständnisses und für diejenigen, gegen die sie sich richtete, zum hochstilisierten Sicherheitsrisiko wurde, zeigt, daß wieder mal meterdick aufgetragen worden ist. Im Jahr 1987 gelang es über mehrere Stunden fast einen ganzen Stadtteil (Kreuzberg), Polizei-frei zu gestalten. Damals mußten keine Archivbilder bemüht werden, um die Dimension von Widerstand/Gewalt nachzuweisen. Die Steine, Flaschen, umgekippten Bauwagen und beim Anrücken der Polizei gleich wieder verlassenen Barrikaden der diesjährigen Auseinandersetzung sind dagegen eher ein Klacks. Nur die 200 Festnahmen und vor allem die daraus eventuell entstehenden Ermittlungsverfahren sind es wirklich nicht. Ähnlich die Situation um die Protestaktionen gegen den Castor-Transport in Gorleben. Von dem dort fast konsensfähigen Sportarten, wie Baumstämme auf Schienen hiefen und Bahngleise aus ihrem Schotterbett zu befreien, mal abgesehen, bestand die angebliche Aggression der Blockierer gegen die Polizei meist nur aus Grassodenwürfen (tut bestimmt übelst weh), einzelnen vereinzelten Flaschen- und Stein-Schleudereien sowie brennenden Strohballen. Nicht, daß jetzt hier der Aktionismus der vor Ort anwesenden Fightergangs diskreditiert werden soll. Ganz im Gegenteil.
Nur in Zeiten, in denen es eine Staatsanwaltschaft schafft, aus einem Eier-Wurf auf einen Polizisten einen schweren Landfriedensbruch zu konstruieren (so geschehen im derzeitigen Verfahren gegen die Autonome Antifa aus Göttingen), sollte man die realen Geschehnisse nicht aus Polizeiberichten oder Medienpräsentationen ableiten. Zumal beide Institutionen ein Interesse daran haben, sowohl den Voyeurismus der bürgerlichen Gesellschaft als auch deren ständigen Sicherheitsparanoia zu bedienen.

Wer mit 20 noch bei keiner Straßenschlacht war, wird nie ein guter...?

Ein ganz anderes Problem ist, wie man denn als Skeptiker gegenüber der ökologischen Bewegung und revolutionärem Attentismus diese neue militante Option bewertet? Anbetracht der Tatsache, daß gerade zwischen „Rot, rot, rot, sie kriegen uns nicht tot“ und „Grün, grün, grün, wir machen Deutschland schön“ eine Vielzahl von linksradikalen Bewußtseins- und Tätigkeitsfeldern gibt, kann man ohne die Hysterie, seine eigenen politischen Intentionen unbedingt auf revoltierende Kids übertragen zu müssen, ganz in Ruhe Positives und Negatives miteinander abwägen und warten was weiter passiert. Selbst bei der notwendigen linken Kritik an der ökologischen Bewegung haben im Allgemeinen die Berichte von sonst wohl eher biederen Bauern und Wohlstandsbürgern, die ihre Trecker zu Straßensperren machen oder ihre Arztpraxen schließen, um verwundeten Demonstranten zu helfen etwas „objektiv“ gutes. In Zeiten, in denen die deutschen Sekundärtugenden auf dem Weg sind, das kurze Intermezzo westlichen Demokratieverständnisses, inclusive zivilen Ungehorsams endgültig abzulösen, ist die Multi-Kulti-Öko-Anti-Atom-Yuppie-Fraktion mit ihrer noch nicht gelösten Verankerung in Basisgruppen noch das kleinere Übel. Von Öko-Faschisten mal abgesehen.

hippies und bullen, 14.0k
Alles zu spät

Natürlich wäre esschöner, würden statt Schienen von ihrem Gleisbett, Abschiebehäftlinge aus bundesdeutschen Knästen befreit. Doch was beim wohlsituierten Wendland-Widerständler auch beim 100. Schlag mit dem Polizeiknüppel auf die Birne nicht einsetzen wird, nämlich ein Denkprozeß, der zur Folge hat, sich mit den wirklich Betroffenen der deutschen Politik zu solidarisieren und den Backlash als solchen überhaupt zu begreifen, kann bei tobenden Kids vielleicht noch passieren. Nicht, daß darauf vertraut werden könnte aber selbst die Widerstandssozialisation unter grünen Vorzeichen, führt vielleicht zu einem selbstbewußten Umgang mit staatlicher Macht, kann ein Anfang sein. Klar ist, die ökologische Wende im Massenbewußtsein der Deutschen nach dem Gau in Tschernobyl nützte nicht den Linken. Und die Grünen schaffen es immer mehr, sich von der, entgegen der politischen Realität erfolgenden, Fremdzuschreibung durch Konservative als linke Kraft, zu lösen. Aber das gute ist, daß die Chaoten ihre linken Codes nicht loskriegen. Wenn z.B. das Hamburger Abendblatt die jungen Militanten von Gorleben und die „notorischen Krawallmacher, die Akteure der Chaostage von Hannover-Nordstadt und des 1.Mai in Berlin-Kreuzberg“ in einen Zusammenhang stellt, dann ist klar, daß es nicht das Schlimmste wäre, wenn dieser eintreten würde. Falsch ist es aber schon jetzt irgendwelche Hoffnungen auf eine neue linksradikale Bewegung zu setzen. Steine schmeißende Youngsters sind keine Vorhut von revoltierenden Lohnabhängigen und Studierenden, wie es auch die Tageszeitung „Junge Welt“ suggerieren möchte. Da hätte fast eher der Spiegel recht mit seiner Vermutung, das „neue aufrührerische Potential“ würde vom „schlichten Spaß am antiautoritären Protest und die Lust auf eine solide Straßenschlacht mit der Polizei“ getrieben. Das war dann aber auch dem Spiegel zu wenig, er relativierte und entdeckte die Gründe für die Aggression der Jugendlichen „in dem beispiellosem Bruch ihrer Lebensverhältnisse (...) den sie zu verarbeiten hätten. Letztendlich ist es ein bißchen egal, welche Ursachen ein demolierter Polizeihelm hat. Auf jeden Fall ist es gut möglich, daß beim Gerede von der sozialen Deklassiertheit oder irgendwelchen tiefenpsychologischen Lebensbrüchen der Aktiven, der Wunsch Vater des Gedanken ist. Mit der Vorstellung, daß hier profanere Gründe zusammenfallen, von der Kinderzimmerrevolte über den ganz normalen Streß mit Eltern, Schule, Lehre bis hin zum Reiz mit Verboten der Gesellschaft zu brechen, welche dann in einem kollektiven „Leckt mich am Arsch!“ resultieren, tun sich Linkssoziale und Mainstreamrechte gleichermaßen schwer. Da man letztere eh vergessen kann, bleibt nur noch zu begründen, warum die nicht besonders gefestigte und bewußte linke Motivation, einem Polizisten ein Aua zu bereiten, immer noch radikaler bleibt als der Großteil der PDS. Bewiesen hat dies, die schon durch ihre Ausflüge mit Neonazis bekannt gewordene PDS-Politikerin Christine Ostrowski: „Es ist (...) nicht länger hinnehmbar, daß bisweilen der Eindruck von Gemeinsamkeiten zwischen der PDS und Leuten entsteht, die randalierend durch die Gegend ziehen und behaupten, sie seien Linke.“ Ob hier der Verfassungsschutz der Ostrowskien sekundierte oder umgedreht, ist noch nicht raus. Auf jeden Fall dürften sich alle drei (Ostrowski, Nazis, Behörden) auf einigen Ebenen ganz gut verstehen, denn laut O. gilt es, „das staatliche Gewaltmonopol (als) eine zivilisatorische Errungenschaft“ zu verteidigen und sowieso seien Menschen, die „in pseudo-revolutionärer Aufwallung das Auto (ihres) Nachbarn anzünden oder Bahngleise zerlegen (...) ein Fall für die Polizei, nicht für linke Solidarität. Die adäquate Antwort darauf hatte ein 16 jähriger Teilnehmer an der Berliner Randale. Als er von einem Redakteur des Neuen Deutschland im Ostrowski-ähnlichen Duktus gefragt wurde, ob die Gewalt nicht der linken Bewegung schade, antwortete er: „ Alles Scheiß, wer mit seinem fetten Arsch zu Hause sitzt oder sein Fähnlein zur Bonzen-Demo ausrollt, der kann sich gleich begraben lassen. Was weißt du schon von der linken Bewegung.“ Und auch einige Alt-Autonome scheinen mit dem zarten Revival der Militanz auf der Straße besser umgehen zu können. Weil sie, egal was sonst noch, eine wohltuende Abgrenzung vom West- und noch schlimmeren Ost-Spießer-Konservatismus ist. Der Veteran aus Berliner-Häuserkampftagen „Noggi“ brachte in der Tageszeitung „Junge Welt“ die Revolte 96 auf den Punkt: „Besser ein Bad vom Wasserwerfer als eins in der Masse.“

ulle

1. mai 9 in berlin, 4.3k
pc-baden


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last modified: 28.3.2007