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In seinem September-Heft dokumentierte das CEE IEH eine „strategische Auswertung und Perspektivierung“ der linksradikalen Leipziger Gruppe The Future is Unwritten (FU) zu der von ihr mitorganisierten Parade der Unsichtbaren in Thesenform. Das Conne Island-Plenum hatte zuvor ein Residuum an Restvernunft erwiesen, indem es von einer Unterzeichnung des Aufrufs aufgrund dessen identitärer Ausrichtung absah.
Die Parade der Unsichtbaren hatte am 30. Mai parallel zu einem offiziellen Sternmarsch der Stadt stattgefunden und sollte die „Erwerbslosen, prekär-Beschäftigen, Aktivist*innen in alternativen Kulturprojekten, usw.“ (Aufruf) repräsentieren, die im Selbstbild der Stadt nicht vorkämen; ergo „von keiner der Löwenskulpturen repräsentiert“ wurden und den „Löwen höchstens beim Brüllen und Stolzieren zusehen“ durften. Die Parade wollte allerdings nicht als „Demonstration gegen die Stadtfeierlichkeiten“ (1. These) missverstanden werden. „Ob die große Sause stattfinden wird oder nicht,“ heißt es großspurig, „war uns […] reichlich egal.“ Wo aber die Stadt die mediale Aufmerksamkeit suchte und sich damit die „linken“ – jetzt also doch - „Gegenaktivitäten“ schwerer verschweigen ließen, unternahm man den Versuch „'auf dem Rücken' der offiziellen Marketingpolitik“ Platz zu nehmen.
Nun weiß ein jedes Kind, dass wenn wer gegen etwas agieren oder auf einem Rücken reiten möchte, es dazu eines Gegenstands bedarf. Es ward jedoch schnell vergessen, da der Ausritt des Orga-Bündnisses „neutral bis wohlwollend“ (2. These) von der LVZ begleitet wurde. Weshalb? Man war harmloser als von der Krawallmedien befürchtet: „Entgegen den Panik-Machen von Bild, Mopo und co. waren wir nicht gekommen, um inhaltsleere Randale zu veranstalten“ (Facebook 31.05.), beteuerten FU im Nachgang der Demo.
Die LVZ-Berichterstattung lässt sich denn auch so im Ticker nachlesen:
„Die Polizei spricht bislang von einem friedlichen Verlauf der Protestdemo. In Kürze soll der Aufzug starten.“ [sic!] ... „Die 'Parade der Unsichtbaren' hat für eine Viertelstunde auf dem Augustusplatz gestoppt, um lautstark zu protestieren.“ … „Zahlreiche Teilnehmer haben Transparente dabei, die sich auch gegen Rassismus richten.“ Aha. So weit, so FdGO-konform, aber: „Vor der alten Hauptpost kam der Zug [...] auf dem Ring zum Stehen und blockierte damit vorübergehend den Verkehr.“ Schweinerei! Wiederholungstäter! Hatte es doch eben schon geheißen: „Der Zug [...] zieht [...] über die Eisenbahnstraße. Es kommt zu erheblichen Verkehrsbehinderungen.“ Doch es gibt Grund zur Entspannung: „Inzwischen hat sich der Demo-Zug wieder in Bewegung gesetzt. Vor Ort herrscht trotz aller Kritik nach wie vor eine entspannte, friedliche Atmosphäre.“ - und gaaanz wichtig: „Auch Eltern mit Kindern sind dabei.“
Das Vorhaben, nicht nur Objekt der Berichterstattung zu sein, sondern selbst als ernstzunehmender Akteur mit eigenen Inhalten aufzutreten ist damit „besser gelaufen, als es [FU] sonst bekannt ist.“ Ein vom Uni-Radio Mephisto 97.6 interviewter Besucher der offiziellen Feierlichkeiten gab dazu folgende Einschätzung: „Was ich ä bissl kritisieren würde, das war die erste Demo, [...] wo irgendwelche dagegen demonstriert haben.“
Doch lag es allein am vorauseilenden Verzicht auf Randale, dass sich die Medien in ihrer Suche nach dem Spektakel auf die Parade-Inhalte stürzten? Nicht ganz, denn auch die „visuelle Ausgestaltung der Demo“ trug ihren Teil dazu bei: „Die üblichen (post-)autonomen Verhaltens- und Kleidungskodizes waren am 30.05. nicht sichtbar und damit die Demonstration nicht in den üblichen bürgerlichen Wahrnehmungskanon“ - „Menschen - unter ihnen viele junge Familien“ (LVZ) - „integrierbar.“ (3. These)
Infolgedessen sei eine „pauschalisierende Aburteilung linksradikaler Intervention“ schwerer zu bewerkstelligen gewesen. Vom linksradikalen Agenda Setting haben es denn eine als belästigend empfundene Videoüberwachung, „das böse Wort Gentrifizierung“, „Alltagsrassismus und mangelnde Freiräume für Kreative“ in die LVZ-Artikel geschafft, allesamt Themen also, die auch von anderen linksradikalen Gruppen wie der Piratenpartei und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband wiederholt vorgebracht worden sind.
BILD hingegen deutete die kraftmeierische Ansage im Demo-Bündnis versammelter linksradikaler Gruppen, trotz Einladung „nur als ungebetene Gäste“ zu kommen, als „eindeutig[e]“ Ankündigung von Randale und auch das Ordnungsamt bemühte sich, den „Protest in Hör- und Rufreichweite der städtischen Umzüge zu verhindern.“ (4. These) Das gelang, denn am Rande des Augustusplatz angekommen, blieb ein Großteil der DemoteilnehmerInnen neben und nordwärts der Alten Hauptpost auf dem Georgring stehen, während Straßenbahnen und Bullenwannen die Sicht zum Augustusplatz hin abschirmten und sich die Ordner der Stadtfeierlichkeiten wie ein privater Sicherheitsdienst gerierten und in gleichen Abständen auf den kleinen grünen Wällen positionierten. Kurz vorm Endpunkt der Demo am Johannisplatz ließ man es sich dann doch nicht nehmen, etwas Pyrotechnik zu zünden – Teile des eigenen Klientel sollten schließlich nicht durch die Abwesenheit post-autonomer Verhaltensweisen verprellt werden.
Die Delegitimierungs- und Kriminalisierungsabsichten deuten FU dabei als „Spiegelbild“ der „realen Vorgänge in der Stadt“, wie sie sich in Stadtvierteln wie Connewitz oder Volkmarsdorf zeigen. Ausgerechnet die städtische Politik in einigen der räudigsten Gegenden der Stadt, nicht etwa des Stadtzentrums, wird zum „Vorläufer einer neuen urbanen Ordnung, die stärker als zuvor an den Kriterien des Profits organisiert sein wird.“ Dieses Starren auf die repressive Seite von Ordnungspolitik unterschätzt unseres Erachtens die Folgen einer sublimeren Strukturpolitik, wie sie etwa die Umwandlung der einzigen Leipziger No-Go-Area für Bullen (O-Ton ihres Chefs Bernd Merbitz), der Stö, in die schönste Spielstraße des Viertels haben kann.
Stattdessen schwärmen FU lieber von den good old times, in denen die Stadt ein „Mekka billiger Mieten, freier Wohnungswahl und der Aneignung der Viertel durch die BewohnerInnen“ (5. These) gewesen sei. Dass die billigen Mieten eine Folge des enormen Bevölkerungsrückgangs und damit einhergehenden Wohnungsleerstandes waren und durch eine hohe Arbeitslosenquote und dem großen Niedriglohnsektor getragen wurden, fehlt in dieser Sozialromantik ebenso wie der Umstand, dass sich die BewohnerInnen in einigen Vierteln nur selbst einrichten konnten, weil diese sich nach dem Anschluss zu einem gewissen Teil selbst überlassen wurden. Diese zum Teil bereits aus dem kapitalmangelbedingten Verfallenlassen der DDR geborenen Verhältnisse wirken noch bis heute nach. Grenzwertig ist es, wenn damit begonnen wird bürgerliche Ideologie zu reproduzieren und von einer „freien Wohnungswahl“ zu schwadronieren. Dann ist es nicht mehr weit, auch im Recht auf freie Wahl von „Beruf, Arbeit und Ausbildungsstätte“ (Art. 12 GG) den Kommunismus durchblitzen zu sehen.
FU aber geben sich kämpferisch und betonen, dass in Leipzig „im Gegensatz zu anderen Städten die Messe noch nicht gelesen“ sei. Die Zuversicht des gallischen Dorfs in allen Ehren, doch gibt es dafür wenig Grund. Eine herbeigesehnte „Recht auf Stadt“-Bewegung kann die Entwicklung mancherorts vielleicht verzögern und verlangsamen, das Genick jedoch wird ihr nichts anderes als das Platzen der selbsterzeugten Immobilienblase brechen können.
Bei der Begeisterung für eine „Recht auf Stadt“-Bewegung spielen allerdings noch andere Motive eine Rolle: So sei „linksradikalen Vereinen“ mit diesem Politikfeld endlich eine Chance eröffnet, die sonst praktizierte StellvertreterInnenpolitik hinter sich zu lassen, und stattdessen die „eigenen Interessen“ mit ihrer „abstrakt antikapitalistischen Gesinnung“ (7. These) zu verbinden. Dabei könnten die „studentischen Mitglieder“ von FU ihre eigenen Interessen vermutlich viel besser bei Hochschulprotesten oder bei Arbeitskämpfen in etwaigen Nebenjobs vertreten, denn ob für sie bei einer Mietsteigerung die „eigenen Lebensumstände bedroht“ sind, lässt sich bezweifeln. Nach ein paar Jahren Bachelor- oder Masterstudium kehren StudentInnen dem Studienort für gewöhnlich wieder den Rücken zu. In ihren Lebensumständen bedroht dürften hingegen eher Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende und RentnerInnen sein, also jene, die auch sonst im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess weitestgehend an den Rand gedrängt sind.
Zu dieser verkehrten Sehnsucht nach einer „konkreten politischen Subjektivität“ gehört auch, dass man am Ende doch nicht gedanklich aus seinem „meist weißen, studentischen“ Milieu herauskommt. Nur wenn die Miete hauptsächlich von den Eltern, dem BAföG-Amt oder per Studienkredit gezahlt wird, gelangt man bei der Feststellung, dass „die Mieten in dieser Stadt mittlerweile schneller steigen, als das Realeinkommen wächst“ (Aufruf), zu der Idee, politisch bei den Mieten anzusetzen.
Doch weil den GesinnungsgenossInnen von FU die Welt der Lohnarbeitsverhältnisse vielleicht zu fremd, auf jeden Fall aber zu fragmentiert und von „Individualisierungsprozessen“ („Stichwort Jobcenter“, hä?!) durchzogen ist, wenden Sie sich bei der krampfhaften Suche nach einem „konsistenten“, d.h. widerspruchsfreien [sic!], „Subjekt von Emanzipation“ (8. These) dem ganz Konkreten, dem unmittelbaren Geschehen vor der eigenen Haustür, zu. Das eigene „Wohn- und Lebensumfeld“ wird ihnen somit zum bestimmenden Erfahrungsraum, „Prozessen ausgesetzt zu sein, über die man nicht bestimmt und deren Auswirkungen“ - da sollten die interessierten NachbarInnen schon einmal das Wörterbuch zücken - „Leid evozieren.“ Nun ist diese Erfahrung nicht fürs eigene Wohnumfeld reserviert, sondern entspringt der gesellschaftlichen Totalität, wie sie sich u.a. eben kommunal manifestiert und konkretisiert. Für FU aber ist entscheidend, dass hier „überhaupt[!] noch gemeinsame Erfahrungen“ von „verschiedenen gesellschaftlichen Subjekten“ möglich seien. Allerdings widerläuft es den Ergebnissen der Sozialwissenschaften, ja wir würden sogar sagen bereits den Auffassungen des gemeinen Menschenverstandes, dass die BewohnerInnen eines womöglich weit stärker fragmentierten und individualisierten Lebensumfelds, zumindest ist das ja die erklärte Zielvorstellung von FU, gleichlaufende Prozesse auch gleich erfahren, verarbeiten und darüber im günstigsten Fall zu einem gemeinsamen Handeln gelangen.
Das sehen natürlich auch FU, weshalb sie auf eine mögliche Synthesis durch „Recht auf Stadt“-AkteurInnen spekulieren. In einigen Stadtteilen ist dies vielleicht nicht unvorstellbar, da in Leipzig aufgrund des großen Niedriglohnsektors die Segregation wie in keiner anderen deutschen Großstadt (mit Ausnahme Frankfurt am Mains) fortgeschritten ist. Doch ist unter diesen Bedingungen die auch von FU für möglich gehaltene Begrenzung auf eine (im besten Fall noch oppositionelle) „Kiezromantik“ (10. These) nicht unwahrscheinlich. Ebenso gehen die Integrationswünsche der Parade fehl, den „Unsichtbaren“ zunächst eine Ersatzrepräsentation im Stadtjubiläum zu bieten, um dann anschließend „die Aneignung des urbanen Reichtums für [sic!] alle“ zu fordern. Denn die Frage, in welcher Form sich dieser Reichtum wie, warum und wofür materialisiert (Stichwort: kapitalistische Produktionsweise) wird, auch wenn man sonst viel adjektivisch von Kommunismus redet, nicht gestellt. Wer aber unbestimmt von einer „neuen urbanen Ordnung“ redet, der sollte sich in seiner „kommunistischen Kritik“ um die Bestimmung Kapitalismus nicht herumdrücken.
Wir sind der Ansicht, dass die Dinge oft schon ihre Wahrheit selbst zur Schau stellen. Was das Leipziger Stadtjubiläum betrifft, konnte etwa der alltägliche Ausschluss der ärmeren Bevölkerung nicht treffender als durch die Entscheidung verdeutlicht werden, den öffentlichen Nahverkehr an diesem Tag für alle Fahrgäste kostenlos anzubieten.
Allein die kritische Darstellung dieses Umstands enthält mehr Potenzial als so manche FU-These. Deshalb waren die Stadtfeierlichkeiten auch kein „Leuchtturmprojekt für den Ausverkauf der Stadt“ (1. These), sondern nichts weiter als ein aufgeblähter Ausdruck ihrer alltäglichen Grundrechnungsart.