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Was ist der Status von Kunst in einer Gegenwart, in der avantgardistische Kunst nicht mehr gesellschaftsgefährdend, sondern gesellschaftsstützend ist, in der sie darum »unter dem freundlichen Lächeln der Mächtigen und dem gesitteten Wohlwollen des staatserhaltenden Publikums« blüht (Améry 2007: 590)? Fast scheint es unter diesen Umständen aussichtslos, noch an der Konzeption ästhetischer Theorie Theodor W. Adornos festhalten zu wollen, die aus dieser Perspektive vielfach als veraltet angesehen wird. Dieser Text soll dennoch dem Versuch gewidmet sein, aufzuweisen, dass diese ästhetische Theorie so unverändert aktuell ist, wie die Verhältnisse, denen sie sich verdankt.
Kunst, Widerstand, Versprechen
Die Vorstellung Adornos davon, wie der Schleier der falschen, fetischistisch vollzogenen Vermittlung durch ästhetische Erfahrung und deren philosophische Reflexion zerrissen werden könnte, wird schon in Die Aktualität der Philosophie, seiner Antrittsrede als Privatdozent von 1931, deutlich. Darin entwickelt er, im Anschluss an Ernst Blochs Überlegungen zur Deutung und zur »Gestalt der unkonstruierbaren Frage« (Bloch 1977: 209ff., vgl. 145ff., 287), sowie von in eine ähnliche Richtung weisenden Betrachtungen Benjamins, ein Modell von Philosophie als Deutung. Diese wird von ihm als Rätsellösung verstanden, die darin besteht, die Rätselgestalt blitzhaft zu erhellen und aufzuheben. Deutung erhellt eine Frage jäh und augenblicklich und bringt sie zugleich zum Verschwinden, indem eine Konstellation ihrer singulären und versprengten Elemente gefunden wird, die als Antwort lesbar ist (vgl. Adorno 1973: 335).
In der Ästhetischen Theorie kehrt dieses Motiv im Rätselcharakter der Kunst (Adorno 1970: 192) und in ihrem davon ausgehenden Wahrheitsgehalt wieder. Ausgangspunkt der ästhetischen Theorie Adornos ist die gesellschaftlich produzierte Verkennung bzw. Verleugnung (vgl. Görg 2003: 49) wertförmiger Vermittlung, die zum Schein von naturhafter Unmittelbarkeit führt (vgl. Adorno 1979: 369). Der Wahrheitsgehalt authentischer Kunstwerke geht demgemäß aus der objektivierten Darstellung dieses falschen Bewusstseins, der falschen Objektivität, hervor, das in der ästhetischen Erscheinung zur Wahrheit jener wird (vgl. Adorno 1970: 196). Mit diesem Begriff ästhetischer Negativität verkehrt sich der Sinn des Mimesisbegriffs. Hier nimmt Mimesis ans Tote, ans Verhärtete und Entfremdete, an die zweite Natur als »erstarrte Geschichte« (Adorno 1973: 357), kritischen Charakter an, die dem Bann des naturhaft erscheinenden gesellschaftlichen Vermittlungszusammenhangs entgegenwirkt, indem sie ihn zeigt (vgl. Adorno 1970: 39).
Erscheint in der ästhetischen Negativität, der Negation der Wirklichkeit im ästhetischen Schein, die Wahrheit der gesellschaftlichen Wirklichkeit, wodurch diese als unversöhnte und antagonistische gezeigt wird, so sieht Adorno scheinbar im Widerspruch dazu in der ästhetischen Form des Kunstwerks zugleich die Möglichkeit von Versöhnung aufbewahrt (vgl. Wellmer 1983: 145). Bezieht sich der Moment des Aufscheinens der Wahrheit der Wirklichkeit mehr auf das mimetische Ausdrucksvermögen der Kunstwerke, so bezieht sich der utopische Gehalt, der auf Versöhnung weist, eher auf das ästhetische Formprinzip, wobei beides miteinander vermittelt ist. Das Entscheidende dieses Formprinzips, das auf Versöhnung deutet, besteht darin, dass hier mimetischer Ausdruck und rationale Konstruktion sich in einer dialektischen Figur zu »Rationalität in der Mimesis« verbinden (Adorno 1970: 488, Brunkhorst 1990: 275). Was in Kunst aufscheint ist eine »nicht länger gewalttätige Rationalität« (Adorno 1970: 381), eine Rationalität, die das Divergierende gewaltlos integriert, so Mimesis und Rationalität, Sinnlichkeit und Vernunft, und die Antagonismen der Realität damit transzendiert, ohne die Illusion zu erzeugen, es gäbe sie nicht mehr (vgl. ebd.: 283). Es kommt damit im Kunstwerk eine andere Form von Vernunft zum Ausdruck als die vorherrschende, aus Naturbeherrschung hervorgegangene instrumentelle Vernunft. Im Kunstwerk wird wirklich, was gesellschaftlich bisher Utopie geblieben ist: die vernünftige Beherrschung des Verhältnisses von Natur und Menschheit (Benjamin 1991a: 147), die Beherrschung der Naturbeherrschung: »Durch Beherrschung des Beherrschenden revidiert Kunst zuinnerst die Naturbeherrschung« (Adorno 1970: 207). Beherrschung des Beherrschenden wäre zu verstehen als die Aufhebung der Herrschaft der naturwüchsigen Naturgeschichte in Form des Naturzwangs der ersten Natur auf der einen Seite und der bloß instrumentellen und daher irrationalen Vernunft der gesellschaftlichen zweiten Natur auf der anderen Seite durch »zweite Reflexion« (Adorno 1970: 105, 209, 430, 2003: 201f.) in ästhetische Rationalität. Auf dieser Ebene ließe sich das antinomische Verhältnis von Autonomie und Souveränität des Ästhetischen (vgl. Menke 1991: 9ff.) innerhalb des Rahmens der negativen Dialektik Adornos verstehen: Es stellt sich hier dar als ein Verhältnis von Autonomie, die in der ästhetischen Eigengesetzlichkeit begründet ist, zur Souveränität, als einem Überschreiten der außerästhetischen Vernunft, die ebenfalls in der ästhetischen Eigengesetzlichkeit begründet liegt. Souverän ist die Kunst gegenüber der Gesellschaft dadurch, dass dabei außerästhetische instrumentelle Vernunft innerästhetisch in ästhetische Rationalität aufgehoben wird. Die ästhetische Form, wie sie Adorno bestimmt, ist nicht dadurch souverän, dass sie eine Überwindung, Zersetzung oder Krise der Vernunft wäre, sondern weil sie eine andere Form von Vernunft modellhaft darstellt. Diese Form von Vernunft wird in der ästhetischen Autonomie durch zweite Reflexion der instrumentellen Vernunft gewonnen und stellt sich dem absoluten Anspruch dieser damit als Widerstand entgegen. Dies ist eben dadurch möglich, weil in der Kunst eine rationale Identität aufscheint, die eine Vermittlung von Momenten instrumenteller und mimetisch-ästhetischer Rationalität darstellt (vgl. Brunkhorst 1990: 182).
In der Eigengesetzlichkeit des ästhetischen Formprinzips liegt bei Adorno die Autonomie der Kunst begründet. Die Eigengesetzlichkeit kommt den Kunstwerken dadurch zu, dass sie, als authentische, Selbstzweck an sich sind, »Zweckmäßigkeit ohne Zweck« (Kant 1968: 85). Damit sind sie keinen anderen Bestimmungen unterworfen, als den sich aus der ästhetischen Form selbst ergebenden. Aus der gewaltlosen Einheit der beiden widerstrebenden Momente, dem mimetischen Ausdruck und der rationalen Konstruktion in der Eigengesetzlichkeit des authentischen Kunstwerks, ergibt sich sein Widerstand (vgl. Adorno 1970: 81, 303, 513, Lindner 2014: 163f.) gegen die empirische Realität der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Dieses Widerstandsmoment von Kunst ist zugänglich durch ästhetische Erfahrung. In der ästhetischen Erfahrung vollzieht sich durch ihren Prozesscharakter mit der Negation außerästhetischer automatischer Wiedererkennung eine Negation außerästhetischer automatischer und identifizierender Erfahrung. Daraus geht das Moment ästhetischer Negativität hervor (vgl. Menke 1991: 47ff.). Die ästhetische Negativität kann so eine Unterbrechung automatischer identifizierender Erfahrung bewirken und erlaubt damit einen anderen, einen reflexiven Modus von Erfahrung. Kunst wäre also nur dann authentische Kunst im Sinne Adornos, wenn sie das Subjekt im Vollzug seines eigenen Immanenzzusammenhangs, der dem gesellschaftlichen korrespondiert, in der ästhetische Erfahrung irritiert. Der Modus außerästhetischer Erfahrung wird dabei durch den Modus ästhetischer Erfahrung in einem Akt der »Subversion der verstehenden Identifizierung« (ebd.: 50) negiert und so die außerästhetischen Verstehensmuster durch ästhetische Erfahrung momenthaft erschüttert. Im Moment einer solchen ästhetische Erfahrung kann das Subjekt also reflexiv aus dem alltäglichen gesellschaftlichen Immanenzzusammenhang, aus der objektiven gesellschaftlichen und seiner eigenen subjektiven zweiten Natur herausgehoben werden. In Kunstwerken kann nach Adorno eine veränderte Gestalt von Statik und Dynamik im Sinne eines zu Versöhnung veränderten Verhältnisses der Menschheit zur Natur für Augenblicke aufblitzen (vgl. Adorno 1979: 236).
Kulturindustrie, Ästhetisierung, Simulation
Indem Geschichte bis heute »Vorgeschichte« (Marx 1961: 9) geblieben ist, in der sich der in die gesellschaftlichen Verhältnisse transformierte Naturzwang nach wie vor unbeherrscht durchsetzt und Fortschritt und gesellschaftliche Dynamik als Ausdruck dieses unbeherrschten gesellschaftlichen Naturzwangs auftreten, bringt sie ganz offenbar erhebliche soziale und ökologische Widersprüche hervor, die innerhalb des Rahmens der bestehenden Verhältnisse nicht zu lösen sind. Die kapitalistischen Gesellschaften des Westens befinden sich seit mindestens einem Jahrhundert schon in dieser Konstellation. War im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch eine revolutionäre Aufhebung dieser Zustände zumindest vorstellbar, sind mit dem 1. Weltkrieg, dem Scheitern der anschließenden Revolutionsversuche, dem Aufstieg faschistischer Bewegungen und insbesondere mit dem Nationalsozialismus und Auschwitz historische Zäsuren gesetzt worden, die solche Hoffnungen auf eine revolutionäre Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen kaum noch möglich erscheinen lassen. Auch die nachfolgende Entwicklung erscheint als eine einzige Demonstration der Übermacht der gesellschaftlichen Verhältnisse gegenüber den Menschen, die sie hervorbringen. Diese gesellschaftliche Konstellation hat Konsequenzen in allen gesellschaftlichen Bereichen. Ein Kernpunkt gesellschaftlichen Handelns scheint deshalb schon seit über einhundert Jahren vor allem darin zu liegen, die scheinbare Ohnmacht gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnissen, die als unbezwingbare Naturmacht erscheinen, auf verschiedenste Art zu bewältigen.
Es gibt daher nicht zufällig seit der Zeit der Lebensreformbewegung und der künstlerischen Avantgarden im frühen 20. Jahrhundert immer wieder Überschneidungen von Kunst und sozialen und politischen Bewegungen, die sich veränderte gesellschaftliche Bedingungen zum Ziel setzen. Benjamin beschrieb die »Ästhetisierung der Politik« als Eigenart des Faschismus und stellte die »Politisierung der Kunst« als Forderung des Kommunismus dagegen (Benjamin 1991: 469). Was Benjamin damit anzeigt, dürfte weit über den Faschismus hinausreichen und wäre als ein Merkmal von Politik überhaupt seit mindestens einem Jahrhundert zu analysieren. Was mit der Ästhetisierung von Politik vollzogen wird, ist die Bewältigung der scheinbaren Ohnmacht der Gesellschaft ihr selbst gegenüber dadurch, dass die gesellschaftlichen Widersprüche durch imaginäre Inszenierungen zum Verschwinden gebracht werden.
Die zentralen gesellschaftlichen Bearbeitungsweisen des Widerspruchs, dass wirkliche gesellschaftliche Veränderung sich gegenwärtig als so notwendig wie scheinbar unmöglich erweist, scheint aus dieser Perspektive heraus vor allem in einer Art Pseudoaktivität zu bestehen. Ein wesentliches Muster besteht dabei in imaginären Inszenierungen oder Simulationen, die in scheinhaften Revolten gegen den Fetischismus, die Unterwerfung unter fetischisierte Verhältnisse als deren Beherrschung erscheinen lassen. Diese, mit den Begriffen Pseudoaktivität, imaginäre Inszenierung oder Simulation beschriebenen, gesellschaftlichen Erscheinungen haben ihren Ursprung in einer bestimmte gesellschaftliche Konstellation, die als romantischen Konstellation bezeichnet werden kann. Diese ist bestimmt von nicht erfüllten oder nicht erfüllbar scheinenden revolutionären gesellschaftlichen Veränderungen. So ist schon seit der Frühromantik, im Nachgang der französischen Revolution, ein Spannungsverhältnis der sich wechselseitig bedingenden und aufeinander einwirkenden Sphären der Kunst bzw. des Ästhetischen und des Sozialen festzustellen (vgl. Klinger/Stäblein 1989, Klinger 1995).
Kunst wird nach Benjamin dann zum Teil der Produktion einer Phantasmagorie als Ausdruck des vom Warenfetischismus produzierten falschen Bewusstseins, in der der Schein des Neuen zurückgeworfen wird auf den Schein des immer wieder Gleichen, wenn sie das Neue zu ihrem obersten Wert macht (vgl. Benjamin 1983: 55). Genau dies scheint es gegenwärtig zu sein, wozu Kunst der Gesellschaft vor allem dient: den Schein zu erzeugen, als gäbe es Neues im Gleichen, Verändertes inmitten des Unveränderten. Kunst als gesellschaftliche Institution scheint damit gegenwärtig weitgehend nach dem Muster zu funktionieren, welches Ingolfur Blühdorn als dasjenige sozialer Bewegungen und auch als dasjenige gegenwärtiger Politik und Demokratie beschreibt, dem der Simulation (vgl. Blühdorn 2007: 13f., Blühdorn 2013: 182).
Als Ästhetisierung der Politik fasst es Benjamin, wenn das Recht der Menschen auf Veränderung der Produktions- und Eigentumsverhältnisse seinen Ausdruck in deren Konservierung erhalten soll (vgl. Benjamin 1991: 467, 506). Es wird dabei also nur eine Illusion der Veränderung dieser Verhältnisse erzeugt, ohne dass die Verhältnisse tatsächlich in dem genannten Sinne verändert werden würden. Es kann daher danach gefragt werden, ob nicht die gegenwärtige Kunst genau diesem von Benjamin beschriebenem Schema der Ästhetisierung der Politik entspricht, indem sie die Illusion der Möglichkeit wirksamer politischer Intervention mit den Mitteln der Kunst darstellt. Dadurch, dass dies durch die Kunst in der Kunst mit Mitteln der Kunst erfolgen soll, bleibt die Intervention vollständig innerhalb des Raums der Kunst, aber es wird der Eindruck erzeugt, die Intervention ginge über den Bereich der Kunst hinaus tatsächlich bis in die gesellschaftlichen Wirkungszusammenhänge hinein. Die Unmöglichkeit dieser Annahme ist in der Autonomie der Kunst begründet. Diese Autonomie der Kunst, die aus ihrer Formbestimmtheit hervorgeht, also ihr nicht-praktisch-werden-können, ist gerade das Moment an der Kunst, das der gesellschaftlichen Wirklichkeit entgegensteht.
Wenn Kunstwerke nach Adorno als Objektivation scheinbar objektiver gesellschaftlicher Verhältnisse, indem sie sich als Schein diesen entgegenstellen, zur Erkenntnis des falschen gesellschaftlichen Vermittlungszusammenhangs führen können, so erscheint fraglich, ob diese Konzeption unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen noch als wirksam angenommen werden kann. Wenn in der Gegenwart auf Kunst die Funktion übertragen wird, Handlungsfähigkeit und Autonomie virtuell, als Simulation, zu erzeugen, sie also nicht mehr die Übermacht der erstarrt erscheinenden gesellschaftlichen Verhältnisse und den Eindruck des Ausgeliefertseins der leidenden Individuen an diese, sondern im Gegenteil Verschiebung, Verflüssigung, Heterogenität, Fragmentarität, Dekonstruktion, Pluralität, Kontingenz, d.h. die Vorstellung unbegrenzter Möglichkeit, darstellen soll, dann scheint hier eine Umkehrung stattgefunden zu haben. Die Wahrheit so konzipierter Kunst wäre nicht mehr auf die bei Adorno vorgestellte Weise der »Schein des Scheinlosen« (Adorno 1970: 199), der Vorschein auf einen Zustand, der nicht mehr notwendig scheinhaft wäre, wenn sie selbst schon imaginär den Schein der Unmittelbarkeit des gesellschaftlichen Vermittlungszusammenhangs unmittelbar aufbrechen soll. Sie gerät so zur Verdoppelung der falschen Identität von Schein und Wirklichkeit der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre nur noch entgegen diesem Schein zu fassende Wahrheit wäre dann die Erstarrung und die Ohnmacht angesichts hermetisch erscheinender gesellschaftlicher Objektivität.
Was Benjamin sich noch vom Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit versprach, eine Freisetzung revolutionären Potentials, scheint endgültig untergegangen in Massenkultur und Kulturindustrie, wie Adorno es schon konträr zu Benjamins Hoffnung sah. Etwas Sprengkraft scheint nun nur noch mittels doppelter Negation aus Kunst herauszulösen zu sein. Damit ist aber ebenso die Notwendigkeit philosophischer Reflexion verdoppelt, ohne die Explosivität nicht mehr freizulegen ist, sondern im Modus des Pseudos verschwindet. Es scheinen daraus zwei Möglichkeiten zu folgen: Entweder wird Kunst nur noch rein affirmativ gelesen und damit zur Simulation oder es ist eine Verdopplung der Reflexion notwendig, um die Bedeutung der Bedeutungslosigkeit (vgl. Bürger 1988) als Ausdruck des Scheiterns an der Übermacht der Verhältnisse auszumachen. Die erste Tendenz wird bei Adorno in der These der Entkunstung der Kunst gefasst, als »Praxis, welche die Kunst unreflektiert, diesseits ihrer eigenen Dialektik der außerästhetischen annähert« (Adorno 1970: 271). Die Unvereinbarkeit der Idee der Erschütterung des Ichs durch Kunst mit der Praxis der Zerstreuung durch die Kulturindustrie, die das Ich schwächt, bezeichnet er als die innerste Motivation der Entkunstung der Kunst. Kunst in der Kulturindustrie, als subjektiv scheinbar befriedigendes Erlebnis, wird so zur kulturellen Ersatzbefriedigung (vgl. ebd.: 364f.). An dieser Stelle bezeichnet Adorno sehr genau den Umschlag des Ästhetischen von der Kunst zur Kulturindustrie, denn an diesem Umschlagpunkt geht die Wirksamkeit der Kunst, ihre ästhetische, potentiell transformierende Kraft (vgl. Menke 2008: 24, 59ff., 78, 106), unter.
Kunst wird in der Gegenwart, in der das Feld der Kunst praktisch ausnahmslos nach dem Muster der Kulturindustrie strukturiert ist, vor allem in dieser Erlebnisform inszeniert und wahrgenommen. Ihr wird damit eine gesellschaftliche Funktion zugewiesen, die ihrer Autonomie nicht gerecht wird, indem sie sie in den Dienst nimmt. Die Inanspruchnahme von Kunst für ihr äußerliche Zwecke widerspricht der Autonomie, die aus ihrem inneren Formzusammenhang hervorgeht. In dieser Unvereinbarkeit von Autonomie und Heteronomie liegt daher letztlich, wie verdeckt auch immer, noch immer und unausweichlich ihr Widerstand gegen die repressive kapitalistische Gesellschaft. In der Gegenwart, in der Kunst fast ausschließlich als konsumierbares Erlebnis erscheint, wird aber gerade die Autonomie der Kunst und der ästhetische Schein in Anspruch genommen, um gesellschaftlich nicht vorhandene Autonomie imaginativ erscheinen zu lassen. Noch die Sprödigkeit von Kunstwerken, die Adorno noch als negative Erscheinung ihrer Wahrheit sah, wird in der Gegenwart, wie alles Abweichende, kulturindustriell vereinnahmt. Mit der Inanspruchnahme des Autonomen für das Heteronome verschwindet die Autonomie der Kunst nicht, aber sie wird, indem ihr ein Zweck zugewiesen wird, der nicht ihr eigener ist, zweckentfremdet, instrumentalisiert und damit ihrer Kraft beraubt (vgl. Menke 2013: 11): »Was anders wäre, wird gleichgemacht« (Horkheimer/Adorno 1996: 18). Es wird nicht durch manipulative Handlungsweisen gleichgemacht, sondern durch gesellschaftliche Verhältnisse, die es anders kaum ermöglichen. Adorno bezeichnet diese Konstellation mit dem Begriff der Neutralisierung: Die Kunstwerke, auch die radikalsten, büßen durch ihre gesellschaftliche Integration tendenziell ihre Wirkmächtigkeit als bestimmte Negation der Gesellschaft ein (vgl. Adorno 1970: 339, 348), womit aber ihr Charakter und ihre Qualität als Kunstwerke nicht vollends durchgestrichen werden. Kunst als Freiraum, als »Freiheit vom Sozialen im Sozialen« (Menke 2013: 14), ihr Fürsichsein in ihren Relationen zur Gesellschaft (vgl. Adorno 1970: 337), wird wirklich nur in ihrer formbestimmten Autonomie vom Sozialen. Der ästhetische Schein bleibt notwendig Schein, zugleich aber, in wie auch immer verzerrter Gestalt, Vorschein von Versöhnung.
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