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Achtsamkeit, Sensibilität, Empathie und Einfühlungsvermögen stehen übersetzt für das, was ursprünglich aus der Psychologie stammt und seit einigen Jahren in unterschiedlichen politischen Zusammenhängen unter dem Schlagwort Awareness firmiert. In politischen Gruppen und bei Veranstaltungen wird der Begriff benutzt, um ein ganzes Konzept von Verhaltensregeln zu präsen-tieren oder einfach zu labeln, gegen welche Formen der Diskriminierungen sich gerichtet wird. Mittels eines »machtkritischen Bewusstseins für die eigene Position« (AK Awareness Universität Kassel) wird zum einen der Anspruch gehegt, Herrschafts- und Machtverhältnisse sichtbar zu machen und zum anderen, diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die davon betroffen sind. Damit sollen letztlich Diskriminierungen reduziert und ein behutsames Miteinander ermöglicht werden.
Sich achtsam und empathisch anderen gegenüber zu verhalten, stellt dabei durchaus einen berechtigten Anspruch dar. Da im alltäglichen Umgang miteinander Wünsche und Sehnsüchte aus unterschiedlichen Gründen nicht immer eindeutig artikuliert werden können, stellen diese Reaktionen immer auch nur einen Versuch dar, der möglicherweise sogar das Gegenteil bewirkt. Man denke beispielsweise an ältere Menschen, denen in der Bahn ein Platz angeboten wird und sie sich dadurch auf ihr Alter reduziert fühlen könnten. Um Gefahrenquellen des schlechten Verhaltens zu verkleinern, scheint es nun bei immer mehr Veranstaltungen verschiedener linker und links-alternativer Gruppen eindeutiger Benimm-Regeln zu bedürfen, deren Einhaltung von einer bestimmten Gruppe, dem sogenannten Awareness-Team kontrolliert wird. Den Knigge, der in konservativen Kreisen ehemals als Orientierung für gutes Benehmen diente, ersetzt in links-alternativen Zusammenhängen nun die ähnlich restriktive Awarness-Arbeit. Stellten linke Lokalitäten einst Orte dar, an denen sich auch bewusst mittels »schlechtem«, gar beleidigendem Benehmens gegen gängige Normen und Werte aufgelehnt wurde, zeigt man sich heute gern von seiner konformistischen Seite. Beim Einlass zum Punkkonzert kann es da schon mal passieren, dass einem ein Zettel mit den dortigen Verhaltensregeln in die Hand gedrückt wird: »against sexism, racism, lookism, ableism and classism«.
»Awareness-Arbeit hat«, kann bei Awareness-blogsport.eu nachgelesen werden, »das Ziel, mit allen Beteiligten diskriminierungsfreie(re) soziale Räume herzustellen.« Das sei notwendig, »damit sich dort möglichst viele Menschen wohlfühlen können.« Was unter Erwachsenen selbstverständlich sein sollte, scheint heutzutage erst artikuliert werden zu müssen: So wünscht sich das Awareness-Team des Piraten-Parteitags 2014 »ein von Respekt und Empathie geprägtes Miteinander unter allen Teilnehmenden«. Damit auch überprüft werden kann, ob die Spielregeln des Miteinanders eingehalten werden, gibt es bei den Veranstaltungen Awareness-Teams an die man sich wenden kann und die dann für Vermittlung sorgen oder Fehlverhalten dadurch sanktionieren, dass der (meist männliche) Übeltäter gehen muss.
Im akademischen Betrieb ist Awareness nun auch angekommen. So verdeutlicht der Arbeitskreis Awareness der Universität Kassel anhand konkreter Beispiele, wie ein sensibles und durch Einfühlungsvermögen geprägtes Miteinander aussähe: Es gelte »sich einzumischen, wenn Menschen unsere Unterstützung brauchen.« So lohnt es, wie auf der Internetpräsenz des AK zu lesen ist, etwas zu sagen und einzugreifen, »wenn auf einer Party eine Person eine andere penetrant antanzt, welcher dies offenbar unangenehm ist«. Der AK Awareness hat darüber hinaus Internetseiten verlinkt, die sich ebenfalls gegen »rassistisches, sexistisches, ableistisches, klassistisches, lookistisches Verhalten« wenden. Man bekommt einen Leitfaden über geschlechtergerechte Sprache an die Hand und kann sich auf der Seite von »Hurraki« über leicht verständliche Sprache informieren, denn: »Viele Menschen reden umständlich. Nicht jeder versteht das. Die Wörter bei Hurraki soll jeder verstehen können. Niemand soll ausgegrenzt werden.« Und so liegen die Einträge dieses Wörterbuchs, das von einem studentischen Arbeitskreis verlinkt wird, meist unter dem Niveau von Kinderbüchern: »Die Erde kann wackeln. Man sagt dann: Das ist ein Erdbeben.«
Dass gut Gemeintes selten gut ist, wird bei der Auseinandersetzung mit Awareness deutlich. Hier versuchen meist links-politisierten Erwachsene ebensolche zu erziehen, was mit einer gleichzeitigen Entmündigung einhergeht. Man könnte es mit Humor nehmen, wenn man in ehemals besetzten Häusern Flyer in die Hand bekommt, die darauf hinweisen: »Auszerdem wünschen wir uns einen bewussten Konsum: Kenne deine Grenzen und nimm‘ nur so viel, wie du für dich selbst und für andere verantworten kannst.« Aber all dies erinnert nicht zufällig an die eingängigen öffentlichen Warnhinweise auf Zigarettenpackungen (»Rauchen ist tödlich«), an Autobahnen (»Einer rast, zwei sterben«) und auf Nahrungsmitteln (»Kann bei übermäßigen Verzehr abführend wirken«).
Linke Gruppen und Veranstalter, die die von ihnen genutzten Orte gern als Freiräume bezeichnen, kultivieren einen gesamtgesellschaftlichen Trend, der Erwachsene zu Kindern degradiert, die für alles Ratgeber und Verhaltenskodizes brauchen: Studierende wissen nicht mehr, was sie machen sollen, wenn ihnen keinen Plan an die Hand gegeben wird; im Fernsehen lernen angeblich mündige Bürger, wie sie mit Geld umgehen, kochen und ihre Kinder erziehen; in Bussen und Bahnen reihen sich Abbildungen aneinander, die vermitteln, für wen bei Bedarf Platz gemacht werden sollte. Ohne Reglement scheinen Menschen keine Rücksicht aufeinander zu nehmen, gar übereinander herzufallen. Befinden sich in einem öffentlichen Raum keine Verhaltensregeln, gilt scheinbar: anything goes. Dass mit Awarness-Arbeit dabei eigentlich nur das fortgesetzt wird, was man doch gerade vermeiden will, wird insbesondere in links-alternativen Kreisen häufig nicht reflektiert. Anstatt Menschen zu befähigen mit Selbstbewusstsein, zu der auch Selbstironie gezählt werden kann, und Wissen auf das Verhalten anderer adäquat zu reagieren, wird genau das Gegenteil getan. So behaupten manche Kritiker des sogenannten classism (eine der vielen Diskriminierungsformen, gegen die sich mit dem Awareness-Konzept gewendet wird), wer sich so artikuliere, dass andere ihn nicht verstehen, verhalte sich klassistisch und diskriminiere dadurch sein Gegenüber. Dabei sind jedem und jeder Situationen im Leben bekannt, in denen andere mehr wissen als man selbst. Erwachsene sollten jedoch in der Lage sein, das entweder einfach hinzunehmen und darüberstehen zu können oder bestenfalls angeregt werden, sich selbst das fehlende Wissen anzueignen. Durch die Aufforderung, Wissen nicht herauszustellen, wird sich hingegen in ein kollektives Unwissen geflüchtet. Anstatt sich gemeinsam darüber aufzuklären, wodurch gesellschaftliche Diskriminierungen entstehen und warum sich diese allein durch ein »Bewusstsein-machen« und auch in sogenannten Freiräumen nicht aufheben lassen, wird in manchen Kreisen ein eher infantiles Verhalten kultiviert. Infantil deshalb, weil sich selbst und anderen regressive Formen des gesellschaftlichen Miteinanders auferlegt werden: man reduziert den eigenen Wortschatz durch Berufen auf einfache Erläuterungen, beispielsweise eines »Erklärbären« (awareness-blogsport.eu) oder kommuniziert non-verbal mittels Handzeichen, die denen in der Schule gleichen. Auch die Anforderung Ironie und Sarkasmus zu kennzeichnen (wirliebenkonsens.wordpress.com/nettiquette) und damit einzugestehen, dass man nicht in der Lage ist, diese zu verstehen und sich dadurch möglicherweise streitet, ähnelt eher kindlichem Verhalten.
Zweifellos gibt es Sexismus, Rassismus und Ressentiments gegenüber Menschen mit einem anderen Bildungshintergrund auch unter Linken. Aber jedes unschöne Verhalten unter Erwachsenen, zu dem Beleidigungen ebenso gehören wie ungewünschte aufdringliche Flirtversuche unter dem Stichwort Diskriminierung zu fassen, relativiert zum einen den Begriff und suggeriert zum anderen, man sei permanent gewaltförmigen Handlungen ausgesetzt. Jede Berührung ohne vorher artikulierte Zustimmung, stellt demnach schon ein potentiell übergriffiges, gewaltförmiges Verhalten dar. Jede sachliche Kritik, die eine Auseinandersetzung zum Ziel hat, wird durch sogenannte gewaltfreie Kommunikation im Keim erstickt. Anstatt sich zu fragen, woher das kollektive Harmoniebedürfnis stammt und warum sich anscheinend immer mehr Menschen durch andere ständig angegriffen fühlen, bestätigen Awareness-Beauftragte dieses Schutzbedürfnis und schwingen sich zu Hütern der Ordnung auf, die den staatlichen ähneln. Dabei waren gerade linke und links-alternative Lokalitäten doch immer auch Orte, an denen Menschen, die in ihrem Äußeren oder in ihren Gedanken nicht der Mehrheitsgesellschaft entsprachen, Schutz fanden. Dieser Schutzraum, der notfalls zu Recht auch mit Gewalt verteidigt wurde, schlägt nun mancherorts in einen Schonraum um.
Die Ursachen für dieses enorme Bedürfnis nach Schutz und Harmonie könnten in verschiedenen gesellschaftlichen Veränderungen, die auf die einzelnen Individuen immer stärker einwirken, gesehen werden. Eine zunehmende ökonomische Konkurrenzsituation stellt beispielsweise kooperatives zwischenmenschliches Verhalten in immer stärkerem Maß als kontraproduktiv für das eigenen Leben in Frage. Das wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus. Um das eigene Vorankommen zu sichern, müssen dabei gesellschaftliche Anforderungen vor allem durch Selbstdisziplinierung verinnerlicht werden, die dann in vorgesehenen Rahmen durch exzessives Ausleben kompensiert wird. Es mag daher durchaus sein, dass tatsächlich weniger Menschen in der Lage sind, sich ohne vorgegebene Regeln rücksichtsvoll zu verhalten. Weil es sie jedoch nicht dazu befähigt, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen, stellt Awareness-Arbeit aber gerade keinen Ausweg daraus dar, sondern eher eine Flucht in Konformismus und Autoritarismus.
Malina Schwarz