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Aktuelles Heft

INHALT #219

Titelbild
Editorial
• das erste: -Break the Silence-
• inside out: Skinheadkultur im Conne Island – Eine Herzensangelegenheit
Stomper 98, Grade 2, Soifass
Tuvia Tenenbom "Allein unter Deutschen"
Terrorgruppe, Radio Havanna, Lulu & die Einhornfarm
4 Promille, Toxpack
At the Gates, Tryptikon, Morbus Chron
Sascha Lange: Connewitz zwischen Straßenschlachten und Kiezromantik - Die Entstehungsgeschichte eines Mythos
Halftime: caramba! records
Bingo Hüttenzauber
Hot Christmas Hip Hop Jam #12
For the Kids Fest Pt . 2
Loikaemie
Klub: How deep can you start?
• position: Zur innerlinken Debatte um die Akzeptanz und Unterstützung antisemitischer Klüngel
• review-corner event: Beklatscht und Verhöhnt – Die Antisemit_innen vom AK Nahost und die Identitäre Solidarität mit Israel
• doku: Saudi Arabi Moneyrich – oder Haftbefehls ambivalente Befreiung vom Antisemitismus
• doku: »Deutsche Tugenden werden Rumänien verändern«1
• doku: »Islamischer Staat«: Vom Terror zum Kalifat
• doku: Von Moskau bis Mossul
• doku: »Baut eure Zivilgesellschaft doch in Leipzig auf, nicht in Israel«
• doku: Im Asyl
Anzeigen
• das letzte: Rezension: Thomas Maul – Drei Studien zu Paulus.

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-Break the Silence-

Ein Gespräch mit Theo von der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh e.V.
von Emilia

Emilia: Schön, dass du als Vertreter der Initiative hier bist. Kannst du uns einen allgemeinen Einblick in den Fall Oury Jalloh geben?

Theo: Oury Jalloh war ein Asylbewerber aus Sierra Leone, der nach Deutschland gekommen ist und dann im Flüchtlingsheim in Dessau-Roßlau gelebt hat. Vor 10 Jahren, am 7. Januar 2005, wurde er von der Polizei morgens festgenommen und in die Polizeiwache in der Wolfangstraße in Dessau gebracht. Da wurde er im Keller in der Zelle Nr. 5 auf einer feuerfesten Matratze angekettet und ist dann dort verbrannt.

Das ist sozusagen die offizielle Version der Ereignisse?
Ja, es gab später zwei Prozesse, bei denen es genau darum ging, was an diesem Vormittag passiert ist. Damit kommen wir gleich zum Hauptkritikpunkt: Es ging nie darum, wie das Feuer eigentlich ausbrechen konnte.

Das wäre dann auch die nächste Frage: Wie kann es sein, dass ein gefesselter Mensch auf einer feuerfesten Matratze verbrennt.Wie sieht da die offizielle Erklärung von Seiten der Staatsanwaltschaft aus?
Immer wenn ich das erzähle, klingt das natürlich total unglaublich. Allein diese Umstände: An Händen und Füßen auf einer feuerfesten Matratze fixiert, in einem komplett gefliesten Raum und dann bricht ein Feuer aus und er verbrennt bis zur Unkenntlichkeit. Die Leiche war danach total verkohlt und es sind sogar Finger abgefallen durch die starke Hitzeentwicklung. Wie kann so etwas passieren – in einer Polizeizelle? Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen. Wie kann so ein Feuer überhaupt unentdeckt entstehen und ihn derartig verstümmeln, verbrennen? Die offizielle Version ist, dass er sich selbst angezündet hat. Er wurde vorher durchsucht, da wurde kein Feuerzeug gefunden. Trotzdem ist die offizielle Version vom ersten Tag an gewesen, dass er sich selbst angezündet hat. Das wurde nie in Frage gestellt, weder von der Staatsanwaltschaft, noch von richterlicher Seite. Die Initiative geht davon aus, dass er sich nicht selbst angezündet hat. Dafür sprechen sehr viele Indizien und Beweise.
Kannst du uns kurz die Beweislage darstellen?
Das größte Streitobjekt ist das Feuerzeug. Es gibt hinreichende Beweise, dass er das Feuerzeug nicht bei sich hatte. Es ist erst drei Tage später, bei den Asservaten aufgetaucht und soll angeblich unter der Leiche gefunden worden sein. Dieses Feuerzeug enthält aber keine Spuren von Oury Jalloh, weder von seiner Kleidung, noch seiner DNA und auch keine Fasern von der Matratze. Das hätte es aber alles geben müssen bei einem Feuerzeug, das derartig verschmort war. Eine andere Sache ist der ganze Brandverlauf. Die Leiche war ja total verbrannt. Es ist schier unmöglich, das ohne Brandbeschleuniger hinzubekommen. Die Staatsanwaltschaft selbst hat im ersten Prozess einen Gegenbeweis erbracht. Da haben sie nachgestellt, wie es trotz der Handschellen in dieser Situation möglich wäre, die feuerfeste Schutzhülle der Matratze aufzureißen und das Innere anzuzünden. Das glühte dann nur so ein bisschen, aber würde sofort ausgehen. Außerdem muss man im Hinterkopf behalten, dass Oury Jalloh betrunken war. In diesem Zustand 10 Minuten lang mit einem kleinen Feuerzeug zu versuchen, die Matratze anzuzünden, ist schwierig. Andererseits würde es ja auch nie zu so einem starken Feuer kommen. Die Initiative hat dazu auch im letzten Jahr ein Brandgutachten in Auftrag gegeben, wo unter verschiedenen Parametern die Situation nachgestellt wurde. Unter normalen Bedingungen, ohne Brandbeschleuniger, konnte kein Feuer herbeigeführt werden. Erst mit Brandbeschleuniger konnte dieser schwere Verbrennungsgrad nachgestellt werden.

Ihr musstet sozusagen selber aktiv werden und »Detektiv« spielen, um das, was die Staatsanwaltschaft versäumt hat, nachzuholen?
Genau, das ist die große Schweinerei: dass die Staatsanwaltschaft sich nie darum geschert hat, wie dieses Feuer ausbrechen konnte und sich mit dieser sehr unwahrscheinlichen Behauptung zufrieden gegeben hat. Das Gutachten hat zu der Erkenntnis geführt, dass solch ein Brandbild nur mit Brandbeschleuniger möglich gewesen wäre. Dann ist natürlich die Frage, wo der Brandbeschleuniger herkam, denn den wird er wohl nicht in seiner Tasche gehabt haben ...

Wie sieht es denn aus mit Zeugen? Gibt es Menschen, die irgendetwas beobachtet haben an diesem Abend in Dessau?
Ja, es gibt Zeugen. Das ist die andere Sache, die uns sehr umtreibt: Es müssen Leute wissen, was da eigentlich passiert ist. Also es gibt die beiden Polizisten, die ihn festgenommen haben. Die haben ihn auch in die Zelle gebracht und haben dann später widersprüchliche Angaben gemacht und auch gemauert. Es gab noch einen dritten Zeugen, der die beiden dann noch später in der Zelle gesehen hat, um halb 12 etwa, also eine halbe Stunde, bevor das Feuer ausgebrochen ist. Dieser Besuch geschah undokumentiert, obwohl es ein eigentlich ein Buch gab, in das man sich eintragen muss. Da stellt sich natürlich die Frage, was haben die da genau gemacht? Dann hat eine andere Zeugin von einem plätschernden Geräusch berichtet, dass sie über die Gegensprechanlage vernommen hat. Die Zelle war nicht videoüberwacht. Das könnte Brandbeschleuniger gewesen sein. Die Zeugin hat dann später aber ihre Aussage revidiert und zurückgenommen.

Also waren in dem Verfahren die Zeugen allesamt Polizeibeamte?
Ja,das ist auch noch so eine Sache. Alle Zeugen, die es gibt, sind Polizeibeamte. Jemand anderes war nicht da. Das ist ja auch das Problem, dass das alles Polizist_innen sind, die da als Zeugen benannt wurden. Die haben sich auch vorher abgesprochen. Da herrscht natürlich dieser Korpsgeist vor, dass man sich nicht gegenseitig ans Bein pinkelt. Es ist auch bekannt, dass es ein Rundschreiben an die Mitarbeiter_innen gab, in dem die offizielle Version der Ereignisse geschildert wurde und dadurch die Leute auf Linie gebracht wurden.

Du hast ja bereits das Brandgutachten erwähnt, wie sieht denn die Arbeit eurer Initiative aus? Beschränkt ihr euch darauf, solche Gutachten in Angriff zu nehmen oder ist eure Arbeit umfassender?
Unsere Hauptaufgabe ist es, die Aufklärung dieses Falles voranzutreiben, weil es die Staatsanwaltschaft einfach nicht macht. Weil der Justizapparat nicht funktioniert, wie er funktionieren sollte, aber vorgibt zu funktionieren. Hätte es die Initiative nicht gegeben, wäre es wahrscheinlich noch nicht einmal zum ersten Prozess gekommen. Wahrscheinlich wäre das unter den Tisch gekehrt worden, wie das in vergleichbaren anderen Fällen, bei denen Menschen von Polizisten umgebracht wurden, auch geschehen ist. Zwei Jahre vorher ist in der gleichen Polizeiwache und -zelle der Obdachlose Mario Bichtemann durch einen Schädelbasisbruch zu Tode gekommen, auch das wurde nie aufgeklärt. Übrigens war das derselbe Polizeibeamte, der auch bei Oury Jalloh angeklagt wurde. Die Aufgabe der Initiative ist da vor allem, weiter Druck zu machen und Aufklärung zu betreiben. Die Initiative ist Nebenklägerin zusammen mit der Familie von Oury Jalloh und als solche auch mit Anwälten vertreten. Beim ersten Prozess gab es eine internationale Prozessbeobachtung durch die Liga für Menschenrechte, worum sich die Initiative gekümmert hat. Natürlich auch die Gutachten, denn es gab ein ärztliches Gutachten zum Zustand der Leiche und jetzt dieses Brandgutachten. Weiterhin die Öffentlichkeitsarbeit, d.h. Veranstaltungen, Pressemitteilungen, etc. Seiner Familie wurde ermöglicht, an den Prozessen teilzunehmen; und natürlich die jährliche Demonstration am 7. Januar in Dessau.

Jetzt hast du gerade ein bisschen über die Aktivisten der Initiative gesprochen. Kam es denn im Laufe der Jahre zu Repressalien von Seiten der Staatsmacht?
Ja, das ist passiert und das ist auch sehr skandalös. Der Prozess wurde immer wieder verschleppt, zumal von der Initiative immer Druck kam, Brandgutachten zu stellen. Auf der einen Seite gab es da so eine Mauschelei von Seiten der Staatsanwaltschaft und auf der anderen Seite eine Verfolgung von Mitgliedern der Initiative. In Magdeburg wurde jemand angezeigt, weil er das Gerichtsgebäude beschädigt haben soll. Eine andere Aktivistin wurde angezeigt, weil sie »Oury Jalloh das war Mord« auf einer Demonstration gerufen hat, wobei es schon lange ein Gerichtsurteil gab, dass es im Rahmen der Presse- und Meinungsfreiheit erlaubt ist, das zu sagen. Trotzdem wurde sie angeklagt und dann aber auch freigesprochen. Ein weiterer ziemlich krasser Fall ist Mukta Bahr, der als einer der Initiatoren der Initiative und Freund Oury Jallohs sehr häufig Repressalien ausgesetzt war. Er betrieb ein Telecafé in Dessau; die Erlaubnis dafür wurde ihm entzogen. In einem Fall wollten Mitglieder der Initiative von Dessau zum Bundesgerichtshof fahren, um sich das Urteil des Revisionsverfahrens anzuhören. Genau an diesem Tag kam am Morgen die Polizei vorbei und hat eine »Drogen-Razzia« gemacht. Die sind also in dieses Telecafé rein und haben alle an die Wand gestellt und die Aktivisten mussten sich ausziehen und wurden durchsucht. Dessau ist nicht groß und Mukta Bahr ist da sehr bekannt, der Staatsanwalt in Dessau, Volker Bittman, erstattete eine Anzeige gegen Mukta Bahr wegen Diebstahl und Hehlerei. Ihm wurde vorgeworfen, Hemden aus einem Kaufhaus entwendet zu haben. Doch das Kaufhaus selbst hatte überhaupt keinen Diebstahl gemeldet. Der Staatsanwalt hatte ihn dann privat eingeladen und meinte: »Jaja, ich kann die Anklage da fallen lassen, wenn du aufhörst mit deinem Stress.« Ein sehr bezeichnendes Verständnis von Justiz.

Wie sieht es denn aktuell mit den Verfahren aus? Sind alle eingestellt worden oder sind noch welche am Laufen?
Im ersten und zweiten Verfahren in Magdeburg ging es ja immer nur um die Frage, ob der Dienstgruppenleiter schnell genug im Zellentrakt war um das Feuer zu löschen. Im ersten Prozess wurde er freigesprochen, im zweiten wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt wegen Fahrlässigkeit mit Todesfolge.

Es ging also nie darum, wie das Feuer entstehen konnte?
Nein, es wurde immer davon ausgegangen, dass er sich selber angezündet hat. Die Frage war nur, ob sich alle richtig verhalten haben und schnell genug den »selbst herbeigeführten« Brand zu löschen. Nach dem zweiten Urteil gab es noch ein Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof. Aber der Bundesgerichtshof hat das Urteil bestätigt. Es gibt jetzt noch die Möglichkeit zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu gehen. Das streben wir auch an, aber das Problem dabei ist, dass es dann wieder nur um die Frage geht, ob der Dienstgruppenleiter an diesem Tag schnell genug gehandelt hat.

Ihr habt ja letztes Jahr dieses Brandgutachten gemacht, das darauf hindeutet, dass er sich nicht selbst angezündet hat.
Ja, das ist ein sehr starker Beweis, der zu den ganzen anderen hinzukommt. Daraufhin hat die Initiative auch bei der Generalstaatsanwaltschaft Anklage gegen Unbekannt wegen Mordes erhoben. Diese hat dann das Verfahren wieder an das Gericht in Dessau weitergeleitet.


Also wieder genau dasselbe Gericht?
Das macht zwar nun die Staatsanwaltschaft, aber am Ende ist das wieder derselbe Sumpf in Sachsen-Anhalt. Genau dieser Staatsanwalt, Volker Bittman, der von Anfang an für den Fall zuständig war und vehement diese Selbstentzündungsthese vertreten hat, ist jetzt wieder damit beauftragt. Es gibt jetzt zumindest eine Verlautbarung seinerseits auf der Pressekonferenz, bei der wir das Brandgutachten vorgestellt haben, wo er sich sehr schockiert gezeigt hat und meinte, das müsse man prüfen. Jetzt laufen die Ermittlungen gegen Unbekannt bei der Staatsanwaltschaft Dessau. Unsere Aufgabe ist es nun wieder zu schauen, ob da ernsthaft ermittelt wird, damit das nicht zu einer reinen Formalie wird. Da kann man nur hoffen, dass Volker Bittman seine Äußerungen nicht nur so in die Luft gesagt hat.

Und gibt es auch bald wieder eine Demonstration?
Ja, die Demonstration am 7. Januar 2015 in Dessau, für die es auch einen Bus aus Leipzig geben wird. Um 14 Uhr geht es am Hauptbahnhof in Dessau los und ich hoffe, dass es diesmal eine große Demonstration wird. Es ist ja auch der 10. Todestag von Oury Jalloh und es ist wichtig, gerade der Staatsanwaltschaft in Dessau zu zeigen, dass der Fall weiterhin verfolgt wird und wir da genau hinschauen.

Dann danke ich dir für das Interview und wünsche euch bei eurer Arbeit weiterhin viel Kraft und Erfolg für alle weiteren Schritte!


Aktuelle Informationen findet ihr auf:
initiativeouryjalloh.wordpress.com

Desweiteren gibt es eine detaillierte Chronik des ersten Prozesses und der Ereignisse am 7. Januar 2005 in Dessau unter:
www.prozessouryjalloh.de

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18.12.2014
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