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Aktuelles Heft

INHALT #219

Titelbild
Editorial
• das erste: -Break the Silence-
• inside out: Skinheadkultur im Conne Island – Eine Herzensangelegenheit
Stomper 98, Grade 2, Soifass
Tuvia Tenenbom "Allein unter Deutschen"
Terrorgruppe, Radio Havanna, Lulu & die Einhornfarm
4 Promille, Toxpack
At the Gates, Tryptikon, Morbus Chron
Sascha Lange: Connewitz zwischen Straßenschlachten und Kiezromantik - Die Entstehungsgeschichte eines Mythos
Halftime: caramba! records
Bingo Hüttenzauber
Hot Christmas Hip Hop Jam #12
For the Kids Fest Pt . 2
Loikaemie
Klub: How deep can you start?
• position: Zur innerlinken Debatte um die Akzeptanz und Unterstützung antisemitischer Klüngel
• review-corner event: Beklatscht und Verhöhnt – Die Antisemit_innen vom AK Nahost und die Identitäre Solidarität mit Israel
• doku: Saudi Arabi Moneyrich – oder Haftbefehls ambivalente Befreiung vom Antisemitismus
• doku: »Deutsche Tugenden werden Rumänien verändern«1
• doku: »Islamischer Staat«: Vom Terror zum Kalifat
• doku: Von Moskau bis Mossul
• doku: »Baut eure Zivilgesellschaft doch in Leipzig auf, nicht in Israel«
• doku: Im Asyl
Anzeigen
• das letzte: Rezension: Thomas Maul – Drei Studien zu Paulus.

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Markus Textor widmet sich in folgendem Text dem neuen Musikvideo von 
 »Ihr Hurensöhne/Saudi Arabi Moneyrich«. Am Besten vor 
 Lesen mal auf youtube reinschauen. Der Text ist zuerst auf dem Blog 
 und Frieden (emafrie.de) erschienen.



Saudi Arabi Moneyrich – oder Haftbefehls ambivalente Befreiung vom Antisemitismus

von Markus Textor

Orthodoxe Juden trinken mit Gangsterposen Champagner, eine Frau mit einer Burka der Marke Louis Vuitton, ein lebendiges Lacoste Krokodil, Vermummte, die alte Kulturgüter mit einem Baseballschläger zerstören. In Haftbefehls neuem Video »Saudi Arabi Money Rich« sind viele auf den ersten Blick groteske Dinge zu sehen. Haftbefehl ist mit diesem neuen Video ein genialer Schachzug geglückt, er hat sich formal vom Antisemitismus getrennt und verarbeitet die Bilder, die er im Zuge der Antisemitismusdebatte um seine Person reflektiert hat in seiner Kunst. Was allerdings geblieben ist: Die Juden sind immer noch die Herren des Geldes.
Zum Hintergrund: Haftbefehl geriet jüngst in die Kritik, da er sich antisemitisch geäußert hatte. Vor allem eine Textzeile wurde besonders oft diskutiert: »Ich ticke Kokain an die Juden von der Börse«. In vielen Medien wurde auf das antisemitische Klischee des Juden als Inbegriff des Finanzkapitals angespielt. Der Offenbacher Rapper antwortete darauf: »Viele reiche Börsianer sind nun mal einfach Juden. Aber das heißt ja nicht, dass ich etwas gegen Juden habe. Überhaupt nicht. Ich habe nichts gegen andere Völker, ich respektiere jede Kultur. […] Als Kurde weiß ich auch, was es bedeutet, verfolgt zu werden. Ich kenne meine Grenzen. Ich würde Juden niemals beleidigen oder mit irgendwelchen Judenwitzen um die Ecke kommen« (Rapgenius 2014. Haftbefehl – Psst). In der Tageszeitung »Die Welt« legte er Wert auf die Feststellung, mit vielen Juden befreundet zu sein. (Welt.de. »Kokain an die Juden von der Börse«. 16.02.2014) Auf seiner Facebookseite distanzierte er sich komplett vom Antisemitismus, auch in der Form der Gleichsetzung der Juden mit dem Finanzkapital: »Ich bin kein Antisemit. Darüber hinaus beurteile ich keinen Menschen aufgrund seiner Religion, Ethnie oder Hautfarbe. […] Zu der Textzeile, die aus mir einen Antisemiten machen soll, möchte ich folgendes ergänzen: Als ich noch als Jugendlicher am Frankfurter Banken und Bahnhofsviertel Drogen verkaufte, hatten einige meiner ›Stammkunden‹ jüdische Wurzeln. Hätte ich Gummibärchen an Eskimos verkauft, wäre die Textzeile anders ausgefallen. Ein Aspekt des Antisemitismus ist die Gleichsetzung vom Judentum und Geld, die ich für falsch und dumm halte«.
Nun nutzt Haftbefehl diese durchaus ambivalente Ausgangslage als Vehikel, um die Juden als seine Freunde zu stilisieren. Zugleich spielt er allerdings immer noch mit dem Bild der Juden als Symbol der Macht, genauer gesagt als Symbol des personifizierten Finanzkapitals. Also eine audiovisuelle Inszenierung seiner Aussagen zum Antisemitismusvorwurf. Damit schlägt er zwei Fliegen mit einer Klappe: 1) Er reinigt sich vom Antisemitismusvorwurf, da er und die dargestellten orthodoxen Juden befreundet sind. 2) Er kann dennoch mit dem Klischee spielen, mit dem gerne gespielt wird und auf dem der moderne Antisemitismus fußt: Die Juden als Sinnbild des Finanzkapitals. Unter Anhängern der kritischen Theorie ist dieses projektive Bild auch als »falsche Projektion« bekannt.
Das Video spielt auf zwei getrennten Ebenen: Auf einer Ebene macht Haftbefehl Geschäfte mit orthodoxen Juden auf einem Flugfeld. Sie tragen schwarze Anzüge, Hüte, langes Haar und Schläfenlocken. Sie haben einen Koffer, eine Uhr und ein älteres US-Amerikanisches Auto, in dem sie später alle gemeinsam fahren. Auffällig dabei ist, dass alle dargestellten Juden fast gleich aussehen und auch die gleiche Brille tragen, ein Modell, angelehnt an die legendäre Ray-Ban-Brille »Club-Master«. Von den dargestellten Posen her könnten die Juden auch aus einem Mafia- oder Gangsterfilm stammen.
Auf der zweiten Ebene zeigt er sein anderes Leben oder seine Wünsche in einer Lagerhalle: Verschleierte Frauen in Louis Vuitton-Burkas, ein Krokodil als Haustier, ein teurer Daimler und noch vieles mehr, was mit Geld und Frauen zu tun hat. Interessant: es gibt drei Typen von Frauen: Die vollverschleierte Frau, die Stripperin und eine Frau, die im adretten Lacoste-Tennisdress Bälle schießt und ein Krokodil Gassi führt. Alle drei Frauentypen könnten sinnbildlich für Frauen stehen, die aus Haftbefehls Lebenswelt stammen: Die Heilige, die Sexarbeiterin und die Partnerin. Derart oszillierende Frauenbilder sind in diesem Genre weit verbreitet. Auch bei anderen Gangsterrappern tauchen immer wieder Frauen mit Verschleierung und Frauen in Reizwäsche gemeinsam auf. So z.B. bei Kollege Massiv, in dessen Video zum Track »Im Schatten der Skyline« Frauen mit Kopftuch erotisch tanzen. Kollege Bushido überfällt im Track »So mach ich es« gar mit zwei vollverschleierten (vermeintlichen) Frauen, eine Bank. Die Burkas sind hierbei sichere Verstecke für die Maschinenpistolen, die später zum Einsatz kommen.
Die Bilder in Haftbefehls Lagerhalle spiegeln seine inszenierte Lebenswelt wieder: »Wasche mir die Hände mit Evian und pisse Don Perignan«. Immer wieder ist eine maskierte Person zu sehen, die alte Kunstgegenstände zerstört, sei es ein opulent gerahmtes Bild oder eine alte, ostasiatische Vase.
Beide Ebenen finden dann zueinander, als sichtbar wird, dass er sich dieses Leben nur leisten kann, weil er mit den Juden Geschäfte macht. Er fährt mit Ihnen in einen amerikanischen Wagen und sie ziehen auf dem Flugfeld Donuts: das Auto übersteuert, so dass die Reifen qualmen und das Auto sich im Kreis dreht. Dabei trinken sie Champagner und rauchen Zigarren und Zigaretten, solange bis das Auto aus ungeklärten Gründen brennt. Danach verschwinden sie gemeinsam.
Das amerikanische Auto kann metonymisch als der Kapitalismus verstanden werden. Neben den Juden als personifiziertes Finanzkapital spielen schließlich die Vereinigten Staaten eine tragende Rolle im verkürzt gedachten Antikapitalismus. Auffallend hierbei ist, dass dieses Auto kein moderner Sportwagen, sondern eine alte Mühle ist. Der Champagner und die Zigarren stehen für absolute Luxusgüter, die sich nur wohlhabende Finanzjongleure leisten können. In marxistischer Diktion Produkte des »Mehrwerts«, an dem sich die Kapitaleigner bereichern. Nach ihrer Feier, der subtilen Darstellung eines Deals, sieht man Haftbefehl und die orthodoxen Juden vom plötzlich explodierenden Auto weglaufen. Dies kann als klassische antikapitalistische Heuschreckenmetapher gelesen werden. Im Nationalsozialismus bezog sich diese Metapher direkt auf Juden, während heutzutage euphemistisch die Finanzkapitalisten an der Börse damit verunglimpft werden.
Nach dieser Szene regnet es Euroscheine, der Deal ist geglückt, vom Kapitalismus wurde profitiert. Direkt nach dem Brand sieht man Haftbefehl wieder in der Halle sitzen, in seiner Lebenswelt. Er wischt sich die Hände ab, um zu demonstrieren, dass er mit solchen Geschäften nichts zu tun, bzw. damit abgeschlossen hat und suhlt sich im Geld. Nach dieser Szene sind die Juden nicht mehr zu sehen. Das könnte bedeuten, dass Haftbefehl die Juden nur für das Geschäft (aus)genutzt hat und sich danach in seinem reinen Reich ausruhen kann.
Die Genialität dieser Botschaften gewinnt erst dann an Bedeutung, wenn immer wieder eingeblendet wird, wie die maskierten Menschen die alten Kunstgegenstände zerstören. Derartige Kunstgegenstände symbolisieren die Kulturgüter einer herrschenden Elite. Die sinnbildliche Zerstörung dieser Gegenstände kann als Auflehnung gegen die Elite betrachtet werden. Haftbefehl revolutioniert in seinem beachtlichen Werdegang nämlich nicht nur die Rap-Technik, sondern auch den Umgang mit politischen Statements. Während andere Gangsterrapkollegen auf immer gleich stumpfem Wege versuchen, die Vorwürfe gegen sie entweder wieder aufzugreifen oder aber sie abzustreiten, geht Haftbefehl deutlich gewiefter mit den Antisemitismusvorwürfen um. Er spielt mit subtilen Botschaften, die neben reiner Provokation vor allem unterschwellig das verdeutlichen sollen, was Haftbefehls Meinung ist: Juden sind schon okay, dennoch haben sie etwas mit dem Finanzkapital zu tun. Sein Satz aus der »Welt« belegt das, was auch von breiter gesellschaftlicher Mehrheit mitgetragen wird: »Ich habe nichts gegen Juden, aber dennoch haben sie sehr viel Macht«. So ist es auch im Video, er feiert mit den Juden und zollt ihnen sogar einmal gehörigen Respekt. Wer ganz genau hinsieht, bemerkt, dass Haftbefehl im Geschäftspart sogar öfter lacht als in der dunklen Lagerhalle. Dennoch werden die vermeintlichen Finanzkapitalisten irgend-
 ausgeblendet. Es verhält sich wie mit dem Feierabend. Während vorher Privat- und Geschäftsleben sich die Klinke in die Hand gegeben haben, wird am Feierabend nur noch das Private zelebriert. Wohlgemerkt auch mit den Dingen, die man sich verdient hat, z.B. mit einem Unterhaltungsgerät, einem Hobby oder eben einem Feierabendbier.
Haftbefehl transportiert damit Bilder, die äußerst kritisch zu hinterfragen sind. Denn die Überzeugung, dass die Juden den Kapitalismus in der Hand hielten und der Glaube, dass man sich durch Trennung vom so genannten Finanzkapitalismus in einen scheinbar ehrlichen Kapitalismus retten könne, so wie das Haftbefehl nach dem Geldregen tut, sind eng miteinander verwandt. Sie stehen für eine höchst problematische Form von Antikapitalismus. Dieser hat nicht wirklich verstanden, was Kapitalismus ist und führte in der brutal offenen Variante der NS-Gesellschaft, die sich vornahm, das »schaffende« Kapital vom »raffenden« Finanzkapitalismus des Weltjudentums zu befreien bekanntermaßen zur Shoah. Aber auch heutige antikapitalistische Bewegungen bedienen sich, wenn mit Sicherheit oftmals unbewusst, eines antisemitisch gefärbten Denkmusters  – demjenigen der »gierigen Heuschrecken«.
Dennoch gelingt es Haftbefehl, der als idealer postmodernen Performer betrachtet werden kann, im Gegensatz zu anderen Rappern, seine Message durch subtile Botschaften an die Rezipierenden zu bringen. Nach Jean-François Lyotard erschaffen sich die Künstler der Postmoderne ihre Regeln selbst und können somit nicht nach herkömmlichen, bekannten Kriterien untersucht werden. Während andere Rapper ständig betonen, warum sie marginalisierte Gruppen ablehnen oder eben auch nicht, gelingt es Haftbefehl, subtile Bilder für sich sprechen zu lassen. Freilich arbeitet Haftbefehl, genauso wie alle anderen Gangsterrapper, menschenverachtende Phrasen in seinen Raps ein, ein Umstand, der wohl dem Rapgeschäft geschuldet ist.
Das gewöhnliche Publikum wird bei Saudi Arabi Money Rich nur schwerlich feststellen, mit welchen Bildern tatsächlich gespielt wird und welche gesellschaftlichen Verhältnisse dadurch reproduziert werden. Zumal es diese Bilder oft genug selbst teilt. Es ist anzunehmen, dass es – ganz wie Haftbefehl auch – tatsächlich nichts gegen Juden hat und vielleicht sogar mit welchen von ihnen befreundet ist. Aber am bitteren Ende sind es eben doch wieder die Juden, die die Macht und das Geld besitzen. Was war anderes zu erwarten?

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18.12.2014
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