• Titelbild
• Editorial
• das erste: Kritik des GegenStandpunkts – Von Fehlern und Härten unreflektierter Rationalität
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• inside out: Stellungnahme zur Absage der Afrob & Megaloh- Tour im Rahmen der Königsklasse 2014
• inside out: Brief an Afrob
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• doku: Aufruf zur Schrumpfung der Degrowth-Konferenz An den Vorbereitungskreis und alle anderen Klein- und Bescheidenheitsgeister!
• doku: Dummheit des AK Nahost schlägt sich an unserer Haus- wand nieder
• doku: Es gibt kein Menschenrecht auf Israelkritk – Gegen den antisemitischen Konsens
• doku: Perspektiven antirassistischer Arbeit in Leipzig: Auswertung der »Refugees Welcome!« -Demo
• doku: Das war eine spezielle Mentalität, nicht wahr? – Nachruf auf Peter Scholl-Latour
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• das letzte: Bob Ross and The Joy of Painting oder There are no mistakes – just happy little accidents
Am 16.08.2014 verstarb Peter Scholl-Latour und machte sich damit in einer Weise um die Qualität deutscher Nahostberichterstattung verdient, die ihm zu Lebzeiten stets verwehrt blieb. Binnen weniger Stun-den sammelten sich die Geier des
deutschen Feuilletons, um einem der ihren die letzte Ehre zu erweisen. Der »Welterklärer« sei gestorben, wurde der Spiegel-Titel von dermaleinst immer und
immer wieder zi-tiert, von Spiegel bis FAZ ließ man es sich nicht nehmen, die zutiefst »romantische und reale« Gestalt zu ehren.
Die Beliebtheit Peter Scholl-Latour gründete sich dabei in erster Linie auf just jener Authentizität, die ihm den Ruf des Romantikers überhaupt erst einbringen konnte. Sie war das journalistische Pfund, mit dem er zeitlebens wuchern konnte: »Dabei beziehe ich mich immer wieder auf das persönliche Erlebnis vor Ort, auf
die Tuchfühlung mit dem realen Geschehen, was im Zeitalter einer perfektionier-ten Meinungsmanipulation durch die Medien unentbehrlicher ist denn je«, beginnt er sein Buch Weltmacht im Treibsand. Dass er, der durch die deutschen Talkshows gereicht wurde wie sonst nur Hel-mut Schmidt, nicht Bestandteil ebenjener Manipulation sei, daran ließ er keinen Zweifel. Mehr als einmal pries er sich an als Fels in der Brandung eines verkommenen Journalismus im »Deutschland der Selbst-zensur, der braven Anpassung an die ‚political correctness‘«, was ihm auch noch posthum den Applaus all jener deutschen Presseorgane garantierte, die ihm doch anscheinend hätten gar keine Stimme ge-währen dürfen.
Dass solche Ungereimtheiten weder ihm noch seiner Klientel je übel aufstießen, lag daran, dass Scholl-Latour nicht für die Vernunft, sondern für’s Herz schrieb:
All jene, die aus ihrem Herzen noch nie eine Mördergrube machten, durften sich in der Scholl-Latour Prosa in ihren Vorurteilen und Ressentiments bestätigen lassen. Mitzubringen an Vorwissen und kritischem Geist hatte man hierfür kaum je mehr als die Bereitschaft, sich schlechtere Kopien eines Karl-May-Romans anzutun.
»Die Augustsonne steht im Zenit über Babylon. Der Euphrat drängt sich nicht mehr mit seiner grünen Flut an das weite Ruinenfeld aus Lehmziegeln. Aber ein neu gezogener Kanal und eine um-strittene Rekonstruktion der alten Metropole erwecken die Illusion, es habe sich nicht allzuviel geändert seit der fernen Zeit, als der Großkönig Nebukadnezar hier das Zentrum seines Reichs zwi-schen Mittelmeer und persischem Golf errichtete und die Kinder Israel an den Ufern des fremden Stromes weinend des verlorenen Zion, des verwüsteten salomonischen Tempels gedachten.(…) Ich bin ganz allein in diesem Feuerofen mit meinem archäologisch gebildeten Führer[.]« sind Zeilen, die einigermaßen charakteristisch für das Scholl-Latour Schaffen sind. Die Landschaftsbeschrei-bungen und ausufernden rassentheoretischen Exkurse suggerieren immer wieder, dass man es hier mit einem zu tun hat, der Land und Leute wahrlich kennt und stets auf Tuchfühlung ging. Dabei wäre es noch zu viel unterstellt, ihm hier eine Strategie vorzuwerfen: der exotistische Kennerblick, mit dem er seine Freunde und Bekanntschaften in Spezien unterteilte, kam vermutlich wirklich aus tiefstem Herzen.
Dass Rafsanjanis spärlicher Haarwuchs wohl auf seine mongolische Abstammung
ückzuführen ist, ist für den Leser Scholl-Latour so interessant wie die Tatsache, dass Khameinis Temperament auf sein Türkentum zurückzuverfolgen wäre. Die Welterklärungen Peter Scholl-Latour funktionierten durch diese einfache Formel: erst einmal ethnisiert, wurden die Konflikte der Welt dem deutschen Publikum fass- und begreifbar. Dies galt umso mehr, als man letztendlich stets darauf zurückkommen konnte, den amerikanischen Mangel an Verständnis für die kulturellen Eigenheiten der Region als Hauptursache nahöstli-cher Flächenbrände auszumachen. Das Pentagon hatte eben, im Unterschied zu den Getreuen Peter Scholl-Latour »nur ein Minimum an Kenntnissen über die religiösen Verhältnisse, die spezielle Men-talität der Araber«. Hätte das Pentagon sich nur ein wenig besser im Irak ausgekannt, es hätte wissen können, dass die Iraker sich nach
mehr sehnten als nach einem »Saddam-Staat ohne Saddam Hussein«, was den Absturz ins Chaos vermieden hätte. Schließlich weiß man von der Maas bis an die Memel: »Bis zum neuen Kriegsausbruch 2003 funktionierte [das Saddam-System] hervorragend, was in einem orientalischen Land fast einem Wunder gleichkam.«
Dieser Zynismus, der den arabischen Menschen stets die angemessene Knute wünschte und sich ohne weiteres auch mit den Ayatollahs anfreunden konnte, garantierte Scholl-Latour bis zu seinem Lebensende Ehrenplätze in sämtlichen Diskussionsrunden, die Deutschland bestätigten, was es immer schon über
und Perser wusste. Die gelegentlichen antisemitischen Invektiven, die der
aller Nah-ostexperten stets nur als Anekdoten zum Besten gab, taten ihr übriges zu seiner ungebrochenen Beliebtheit: sei es das Geraune, dass Washington letztlich nach der Pfeife Jerusalems tanze oder aber die Ein-sicht, dass der Zionismus die Ursache für die Rückkehr der Araber zu den Theokratien wäre – Scholl-Latour authentischer Art gelang es bis zum Schluss, derartigen Unsinn als neueste Einsicht zu verkaufen. Der alte Weise agierte dabei als Gesamtkunstwerk. Selbst das Füllsel, das zu seinem Markenzeichen avancierte, ein an seine Erklärungen angehängtes »nicht wahr?« heischte beim Publikum nach einer stets er-neuerten Bestätigung seiner Persona als aufrecht und unparteiisch.
Dieses Schema F bescherte ihm bereits Jahre vor seiner Nahostexpertenschaft das meistverkaufte Sachbuch der Nachkriegszeit. Seine Vietkong-Schmonzette Tod im Reisfeld hatte bereits alle seine späteren Gassenhauer im Programm: »Die dunkelhäutigen Khmer-Mädchen mit dem leicht gelockten Haar unterschieden sich von ihren vietnamesischen Schwestern durch ein animalisches Naturell und durch fröhliche Wildheit… diese kupferhäutigen Menschen mit den kaum geschlitzten Augen, die angeblich der polynesischen Rasse zuzuordnen waren, wurden als Moi, das heißt als Wilde be-zeichnet… Im Jahr 1946 hatte ich die Moi im Umkreis von Dalat noch nackt, nur mit einem Lendenschurz angetan, durch die Wälder streifen sehen. Jetzt trugen die meisten Männer grünes ameri-kanisches Drillichzeug und die Frauen versteckten ihre wohlgeformten Brüste. Dem Europäer gegenüber waren diese einfachen Menschen von herzlicher Zutraulichkeit. … Das Grundelement die-ser Rasse ist hart und spröde. Im Gegensatz zu den triebhaften und heiter-undifferenzierten Siamesinnen ist die Vietnamerin ähnlich zerebral wie die Chinesin… Der Mann faszinierte uns. Er war ein asiatischer Albino mit schneeweißem Haar und bleicher Haut…«
Was der Gegenstandpunkt bereits vor Jahren adäquat für die Causa Vietnam kriti-siert hatte, blieb dem geneigten Publikum erhalten: Konflikte ergaben sich für den Welterklärer nicht aus politischen und öko-nomischen Gemengelagen, sondern aus Mentalitäten, die bestenfalls von jenen affiziert wurden. Ganz folgerichtig waren etwaige Animositäten Israels mit seinen Nachbarn auch weniger ein Resultat antisemiti-scher Agitation der Nationalsozialisten in der arabischen Welt oder auch nur der Genese antisemitischer Ideologien, sondern vielmehr Ausläufer jahrtausendealter Charaktermerkmale der Völker: »[Es] voll-zog sich auch schon um 920 vor Christus ein blutiger Spaltungsprozeß, an dessen Folgen – so seltsam es klingt – der zeitgenössische zionistische Staat in seinem innersten Wesen noch krankt. Die Todfeindschaft der beiden Erben Salomos, Rehabeam und Jerobeam, kulminierte in der Gründung zweier rivalisierender Königreiche…. Wenn ich den fernen Zeitabauf dennoch in ein System ein-zuordnen versuche, so wegen seines brisanten Bezugs zur Gegenwart. Ohne diesen summarischen Rückblick lassen sich die derzeitigen Spannungen im Heiligen Land kaum erklären… Es läge nahe, auch den neu entbrennenden Sektenstreit zwischen Pharisäern und Sadduzäern – die Namen sind uns aus den Evangelien wohlvertraut – in das moderne Schema von Orthodoxen und Säku-laren zu zwingen.« Und so weiter.
Wer bei soviel Expertise noch am hohen Stand der Scholl-Latourschen Bildung zweifelte, musste sich spätestens von den gänzlich unnötigen Einflechtungen bildungsbürgerlichen Stumpfsinns becircen lassen. So fällt dem Globetrotter beispielsweise im Angesicht fehlender Trauerrituale des Saddam-Regimes ein, dass »Tote ohne Begräbnis« ja auch ein Stück von Sartre sei, während die Hausbesitzer seiner Meta-phern nicht etwa »Achtung vor dem Hund« sondern »Cave canem«-Schilder an ihren »Pforten« anbringen.
Selbst die simple Formulierung, dass das »zweite Geschlecht berufliche Schlüsselstellungen« erobert habe, kommt bei einem solchen Mann von Welt nicht ohne den Hinweis aus, dass das Wort ursprünglich von de Beauvoir stamme.
Was als vereinzelter Fehltritt auch tatsächlich vernachlässigbar gewesen wäre, muss dennoch im Kontext seines ganzen Wirkens betrachtet werden: es waren derlei Anekdoten und altkluge Kommentare, die ihm die Aura des bescheidwissenden Welterklärers stifteten und auch über seinen Tod hinweg seine gesamtdeutsche Beliebtheit bis weit ins linke Kulturbürgertum hinein sicherten.
Dass Scholl-Latour selbst hier Anhänger sammeln konnte, war keineswegs selbstver-ständlich und ist in der Tat als Verdienst seines Charismas zu rechnen. Wie kaum ein zweiter bediente er die Klaviatur kultu-ralistischer Ressentiments, sein notorischer Antiamerikanismus sicherte ihm dabei auch auf der politischen Linken eine treue Stammleserschaft. Diese ließ sich nicht einmal davon beirren, dass Scholl-Latour in seinen letzten Jahren auch wieder ganz öffentlich und ohne jegliche Scheu zu erkennen gab, dass seine Tabubrecherei weit im rechten Lager zu verorten wäre. Er beteiligte sich nicht nur an Konferenzen des an-tisemitischen und schwulenfeindlichen Compact-Magazins Jürgen Elsässers, sondern gab auch unmissverständlich zu verstehen, dass er die Kameraden des rechten Kampfblättchens Junge Freiheit als unab-hängige Geister seines Schlages begreife.
Da Scholl-Latours Wirken in der Hauptsache über seine Ausstrahlung des ehrbaren Vermittlers funktionierte, der es über die Jahre hinweg immer wieder gelang rechte und reaktionäre Positionen auch in der Mitte der Gesellschaft diskussionsfähig zu machen und zu halten, ist sein Tod ein schwerer Verlust für all jene, denen sein Wirken zeitlebens in die Hände spielte: auch die Islamische Republik Iran verlor mit dem Tod des selbsternannten Khomeini- einen ihrer eifrigsten Fürsprecher, weshalb das Regime sich prompt um öffentliche Beileidsbekundungen bemühte.
Das Ende der Publikationstätigkeit des alten Reaktionärs ist vor diesem Hintergrund ein Grund zur Freude für all jene, die auch in der arabischen Welt, im Iran, Israel, im Nahen und im fernen Osten nie Gefal-len daran fanden, sich ethnischen Zwangseinrichtungen kritiklos unterzuordnen und denen Jahr um Jahr in den Rücken gefallen wurde. Die Abertausende, die vom »hervorragenden Funktionieren« des Saddam-Regimes vor 2003 dahingeschlachtet wurden und die zahllosen, die im Iran und in Syrien auch heute noch um ihre Freiheit kämpfen, verlieren mit Peter Scholl-Latour einen mächtigen Gegner. Sein Tod ist für all jene entgegen der nun angestimmten allgemeinen Lobhudelei ein Grund zum Aufatmen, bedeutet er doch, dass seit dem vergangenen Wochenende eine Stimme weniger predigt, die Araber seien qua Rasse darauf verpflichtet, auf ewig im Joch zu leben.
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