• Titelbild
• Editorial
• das erste: Kritik des GegenStandpunkts – Von Fehlern und Härten unreflektierter Rationalität
• FM BELFAST, BERNDSEN
• Klub: DEEJAYS ON THE LOW
• Warm Graves, Creams, Stefkovic van Interesse
• Kraftklub
• Total Heels, The Dropout Patrol
• Klub : Sonntag!
• Caribou, Jessy Lanza
• OFF!, Cerebral Ballzy!
• Truckfighters
• Die Sterne
• Klub : Electric Island
• Bonaparte
• Hellnights 2014
• Blood Red Shoes
• After the Burial
• Smoke Blow
• inside out: Stellungnahme zur Absage der Afrob & Megaloh- Tour im Rahmen der Königsklasse 2014
• inside out: Brief an Afrob
• review-corner platte: Aphex Twin – Syro
• doku: Aufruf zur Schrumpfung der Degrowth-Konferenz An den Vorbereitungskreis und alle anderen Klein- und Bescheidenheitsgeister!
• doku: Dummheit des AK Nahost schlägt sich an unserer Haus- wand nieder
• doku: Es gibt kein Menschenrecht auf Israelkritk – Gegen den antisemitischen Konsens
• doku: Perspektiven antirassistischer Arbeit in Leipzig: Auswertung der »Refugees Welcome!« -Demo
• doku: Das war eine spezielle Mentalität, nicht wahr? – Nachruf auf Peter Scholl-Latour
• Anzeigen
• das letzte: Bob Ross and The Joy of Painting oder There are no mistakes – just happy little accidents
Ihr wollt Wachstumskritiker sein, ihr wollt die Schrumpfung? Das können wir euch kaum glauben, denn eure Konferenz wächst und wächst und ihr seid sogar stolz darauf. Warum immer mehr ReferentInnen, mehr Work-shops, mehr Kooperationspartnerinnen, mehr Teilnehmerinnen, mehr Spektakel? Glaubt ihr etwa, eine Unmenge Aktionen und kleinkünstlerischer Gesinnungskitsch kann die gähnende geistige Leere kaschieren, die eure »Wachstumskritik« kennzeichnet? Wir verraten euch im Voraus: das wird euch nicht gelingen. Aber wahrscheinlich kommt euch die trübe Unbestimmtheit des »Wachstums«, gegen das ihr kämpft wie Don Quichotte gegen Windmühlen, gerade recht. Denn nur wenn es immer schön vage bleibt kann sich jeder ungefähr das darunter vorstellen, was ihm genehm ist und was er ohnehin meint. Ihr macht das schon richtig: intellektuelle Konfusion ist der key to success für eine Bewegung, die sich um jeden Preis aufblähen will.
Man schaue sich nur an, wer sich bei euch alles tummelt. Da gibt es zunächst die radelnden Professorinnen für allgemeines und vergleichendes Asketentum, allen voran im gelben Trikot aus vierter Hand: Niko Paech. Daneben posiert eine Riege aalglatter Realos mit Juteaktenkoffern, die es kaum erwarten kann, bei den Umweltverbänden oder in irgendeiner Ecobusiness-AG »Verantwortung zu übernehmen«. Um sie herum schwirrt ein Schwarm bienenfleißiger Idealisten, die mit ganzem Herz und ohne Verstand bei der Sache sind. Es sind Umwelt- und Sonstwiebewegte, die zwar nicht so genau sagen können, was sich wohin bewegen soll, es aber auf jeden Fall unglaublich toll finden, dass sich jetzt endlich mal was bewegt! Die Menschen sind großartig und von überall her, die Ideen sind super spannend, die Themen total wichtig, und es ist halt einfach ein starkes Gefühl, Gutes zu tun und die Welt ein bisschen besser zu machen!
Ihr werdet euch noch wundern, was passiert, wenn die Realos ihren vielleicht entschleunigten, aber nicht weniger zielstrebigen Marsch durch die Institutionen antreten. Sie werden im Nu euer Postwachstumsprogramm zurecht schrumpfen, auf dass es sich noch besser in die kapitalistischen Sachzwänge füge. Nicht vergessen darf man in eurem Riesendurcheinander die »Apokalypse-Jetzt!«-Ökofaschistinnen und Esospinner – ohne die geht es in Deutschland eben traditionell nicht ab, wenn man sich die Sorge um die liebe Natur aufs Banner schreibt. Angesichts dieser gewachsenen Traditionen verlässt euch offenbar euer Schrumpfungsmut. Alles in allem wirkt ihr so, als wolltet ihr die Grünen noch einmal gründen. Nichts gelernt und alles vergessen!
Oberflächlich betrachtet, man schaue sich nur euer monströses Konferenzprogramm an, wirkt es, als wolltet ihr eine Menge. Eine Vielzahl von Dingen, die gleichermaßen auf Herz und Gewissen zielen, wie Suffizienz, Zeitwohlstand und Buen vivir. Tatsächlich wollt ihr aber etwas sehr bescheidenes, was sich hinter der riesenhaften Wirrnis eurer ideologischen Versatzstücke zwergenhaft ausnimmt, nämlich die »Gesundschrumpfung« des Kapitalismus, wie es bei euren Keynesattachés Passadakis und Schmelzer heißt. Bereits an eurer Sprache soll man euch erkennen: der gute alte Kapitalismus ist euch reine Natur, deren Hege und Pflege ihr euch als echte Naturschützer selbstverständlich gerne annehmt. Und so träumt ihr den alten reformistischen Traum einer »natürlichen Wirtschaftsordnung«, eines Kapitalismus mit menschlichem Antlitz: nämlich eurem, da ihr ja schon jetzt mit dem unbedingten Willen zum guten Gewissen die Avantgarde der moralisch zertifizierten Renovierung der Klassengesellschaft bildet.
Wir wissen, dass ihr euch über euren ökologischen Fußabdruck den Kopf zerbrecht, doch anscheinend nicht genug, sonst hättet ihr eingesehen, dass für eure Konferenz jeder Fußabdrucksquadratmillimeter einer zu viel ist. Eure wachstumskritische Konferenz scheint euch über den Kopf zu wachsen, was uns zu Wachstumskritikerinnen werden lässt. Als solche fordern wir euch auf: Befreit euch von der Sklaverei des Wachstumsdenkens! Arbeitet an euren »mentalen Infrastrukturen«! Geht in euch und macht die Welt ein bisschen besser! Seid konsequent und fangt bei euch selbst an! Befreit euch von überflüssigem Tand: Schrumpft eure Konferenz!
Interessengemeinschaft Robotercommunismus
[...]
11 Thesen aus der Broschüre:
16 Thesen zur Degrowth-
«
Interessengemeinschaft
II. Die entfremdete Arbeit und die Untergrabung der Springquellen des Reichtums
Das Kapital hat die Produktion aus den Fesseln der Tradition befreit, ohne sie jedoch darum bereits nach Maßgabe der Bedürfnisse der assoziierten Produzentinnen organisiert zu haben. Im Gegenteil: die Geschichte der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise ist die Geschichte der Proletarisierung der ungeheuren Mehrzahl der Menschen weltweit. Und diese Produktionsweise hat zu siegen nicht aufgehört. Auf die gewaltsame Trennung von ihren Produktionsmitteln (Boden, Werkzeuge) und die Auflösung ihrer archaischen Produktionsgemeinschaften folgt für die Proletarisierten das Joch der Lohnsklaverei, unter dem heute das Gros der Weltbevölkerung direkt oder indirekt lebt, wenn sie nicht komplett »überflüssig« ist. Die immer höhere Vergesellschaftung der Arbeit, ihre Verwissenschaftlichung, Technisierung und Rationalisierung haben es möglich gemacht, eine immer größere Menge von Produkten mit immer weniger Aufwendung menschlicher Arbeitskraft herzustellen. Nicht die Verkürzung der Arbeitszeit und die Mehrung des Genusses der Produzentinnen sind jedoch Zweck dieser Entwicklungen – denn wir leben in einer Gesellschaft, in der selbst Hunger kein Grund zur Produktion ist, von anderen menschlichen Bedürfnissen zu schweigen. Nur wenn das Bedürfnis in der Form der zahlungskräftigen Nachfrage auftritt, kann es mit Befriedigung rechnen, da nur der Kauf seiner Waren es dem Kapital ermöglicht, sich produktiv zu verwerten. Die Akkumulation des Kapitals, die letztlich auf die Verwandlung von Geld in mehr Geld zielende Ausplünderung der Arbeitskraft der Produzentinnen und die unbezahlte Aneignung ihrer Mehrarbeit, ist der autistische Selbstzweck des Kapitals, dem alle anderen gesellschaftlichen Belange unterzuordnen sind, notfalls mit Gewalt.
Die vom Kapital angeeignete Arbeit tritt den Proletarisierten nicht nur als Geld heckendes Geld, sondern auch in den Formen von Maschinerie, Technologie und Wissenschaft als fremde Macht gegenüber, der sie im Arbeitsprozess unterworfen sind und die ihre eigene Arbeitskraft zunehmend überflüssig zu machen droht. Wo der Schein der untrennbaren, wesenhaften Verschmelzung der entfremdeten Gattungskräfte mit dem Kapital nicht durchschaut wird, liegt eine abstrakte und kurzsichtige Technikkritik nahe, welche die Produktivkräfte der Gattung mit ihrer bewusstlosen und bornierten kapitalistischen Nutzung identifiziert. Denn der Prozess der Akkumulation des Kapitals, der eine Ausweitung der produzierten Gebrauchswerte, eine Vergrößerung des gesellschaftlichen Reichtums und eine Entwicklung des Wissens und der Handlungsmacht der Menschheit mit sich bringt, untergräbt zugleich die Springquellen des Reichtums, die Produzentinnen und die Natur. Die totale Armut inmitten des krassesten Reichtums, Hunger wegen der Überproduktion und irreversible Naturzerstörung trotz der stetig fortschreitenden Einsicht in die Gesetzmäßigkeit der Naturabläufe gehören zu dieser Produktionsweise wie der Schatten zum Licht und offenbaren ihren antagonistischen, bewusstlosen und (auto-)destruktiven Charakter.
III. Das Degrowth-Patchwork
Die sich seit einigen Jahren formierende Degrowth-Bewegung speist sich aus einem Unbehagen mit verschiedenen Momenten der skizzierten gesellschaftlichen Entwicklung. Im Mittelpunkt stehen dabei die sozialökologische Doppelkrise einerseits, lebensweltliche Entfremdungserscheinungen wie Stress, erzwungene Beschleunigung, Flexibilisierung und ein gesteigerter Konkurrenzdruck andererseits. Degrowth betreibt Zeitdiagnostik, will mutmaßliche Ursachen benennen und praktische Lösungsvorschläge bieten. Unter den Labels Degrowth, Post-Wachstum oder Schrumpfwirtschaft werden sozioökonomische Theorien entwickelt und gesellschaftspolitische Ziele artikuliert – mindestens ebenso wichtige Elemente der Bewegung sind jedoch: kulturkritisches Lamento, das Ineinanderfließen von Aktionismus und »gemeinwohlorientierten« Geschäftsmodellen, Lifestyle- und Konsumberatung, esoterisches Psychocoaching, Zivilisationsmüdigkeit und katastrophengeile Survivaltrainings für den Ausnahmezustand, sowie eine moralisierende Volkspädagogik. Diese macht es sich zum Auftrag, dem nimmersatten Pöbel mit den neusten Erkenntnissen positivistischer Glücksforschung zu erklären, warum weniger
manchmal mehr sei.
IV. Der kleinste gemeinsame Nenner
Die Degrowth-Bewegung ist recht heterogen in ihren Ausdrucksformen, ihren politischen Standpunkten und ihrer sozialen Zusammensetzung. Dies ändert jedoch überhaupt nichts an der Tatsache, dass es in ihr durchaus verbindende und vereinheitlichende Elemente gibt – und zwar Elemente, die es geboten machen, die Bewegung in toto zu kritisieren. Der Kardinalfehler der gesamten Bewegung besteht in ihrer Überhöhung des »Wachstums« zum Inbegriff aller Übel, zum scheinbar letzten Grund gesellschaftlicher Prozesse und somit auch zum Hebelpunkt einer qualitativen politischen Veränderung. Dies ist nicht nur aus einem, sondern gleich aus einer Handvoll Gründen falsch.
V. Beware of floating signifiers
Zunächst: Der Begriff des »Wachstums« sagt nichts aus – und er sagt gerade deshalb nichts aus, weil er alle Phänomene mit der einfachen Zauberformel vom Wachstum bannen möchte. Das Bruttoinlandsprodukt wächst, die Produktion wächst, der Konsum wächst. Der Energieverbrauch »explodiert« sogar, während Profite und Schulden wachsen, genauso wie Ansprüche, Bedürfnisse und alltägliche Maßvorstellungen. Märkte werden immer größer, Produktionsketten und Transportwege immer länger und gleichzeitig wachsen Stress und Reizüberflutung, Zeitnotstand, Beschleunigung und vieles mehr. Es handelt sich hier um einen Versuch, disparate Aspekte des gesellschaftlichen Lebens um den schillernd-bildhaften Begriff des »Wachstums« assoziativ zu gruppieren, um den Versuch, Komplexität durch trübe Analogien zu reduzieren und überall semantische Verbindungen herzustellen, die dann für objektive ausgegeben werden. Ein solches Verfahren erhellt jedoch weder die verschiedenen Phänomene in ihrer Spezifik, noch ihren
Zusammenhang untereinander. An die Stelle einer differenzierenden theoretischen Arbeit des Begriffs, welche die Phänomene in ihrer besonderen Stellung in der konkreten Totalität der gesellschaftlichen Gesamttätigkeit erfasst, tritt die Plattitüde, dass eben alles irgendwie wächst. An die Stelle der Erklärung von Zusammenhängen tritt die Herausstellung formaler Ähnlichkeiten unterschiedlichster Phänomene, deren Nebeneinander in der diffusen Synthese des »Wachstums« nur dem Anschein nach überwunden wird.
VI. Die Welt als Wille und Vorstellung
Wo die Chiffre mehr als ein Passepartout für all das sein soll, was in unserer »Kultur des Wachstums« so schief läuft, wo also den Gründen für das allseitige Wachstum auf den Grund ge-
gangen werden soll, wird es schnell zirkulär und banal. Der Grund für das allseitige Wachstum sei das sogenannte »Wachstumsparadigma«, das wiederum deshalb so zäh sei, weil wir uns an das Wachstum gewöhnt haben. Der aus der Wissenschaftstheorie entlehnte Begriff des Paradigmas ist dabei kaum mehr als die bildungssprachlich frisierte Version der trivialen Phrase vom »Wachstumsdenken«, die in Publikationen der Degrowth-Gemeinde allen Ernstes als Frucht tiefen Nachdenkens über den Menschen unserer Zeit angepriesen wird. (Nebenbei bemerkt: Es scheint niemanden zu stören, dass das sachlich verwandte »Anspruchsdenken« eine der wichtigsten Kampfvokabeln des rotgrünen Pauperisierungsfeldzugs war, der dem Proletariat vor wenigen Jahren u.a. Hartz IV beschert hat.) Ob »Denken« oder »Paradigma«: Beide Erklärungsformeln sind zutiefst idealistisch, indem sie das Denken, den Geist zur letzten Triebkraft der Gesellschaft erklären, während es – umgekehrt – die rastlose und hinter dem Rücken der Menschen sich naturwüchsig vollziehende Akkumulation des Kapitals ist, die den Subjekten das »Wachstumsdenken« als realitätsgerechte Denkform aufzwingt. Während die Rede vom Paradigma aber immerhin noch – analog zum Wissenschaftsparadigma – auf institutionalisierte Normen des Denkens verweist, zielt die hausbackene Rede vom frei flottierenden »Wachstumsdenken« darauf, die maßlosen Individuen mit ihren überzogenen Ansprüchen zum Ursprung der Misere zu erklären. Davon wird noch zu sprechen sein.
VII. Same old, same old
Der Begriff des gesellschaftlichen Paradigmenwechsels suggeriert eine radikale sozialökonomische Veränderung; verstand doch Thomas S. Kuhn, der den Begriff prägte, darunter immerhin eine »wissenschaftliche Revolution«, etwa vom geo- zum heliozentrischen Weltbild. Und wäre nicht die »Sicherstellung eines guten Lebens für alle« (Degrowth-Konferenz Leipzig) tatsächlich ein revolutionärer Bruch mit allem bisher Dagewesenen? In der Popularität einer Bewegung wie Degrowth, die sich immerhin als prinzipielle Alternative zur bestehenden Gesellschaft versteht, schlägt sich die Verschärfung des Krisenbewusstseins in den letzten Jahren nieder. Der ungetrübte Glaube an die Bewältigung ökologischer und ökonomischer Krisen durch ein paar Subventionen für Windräder und die Regenerationskräfte des Marktes ist in den letzten Jahren in ganz Europa erodiert. Auf diesem Nährboden gedeiht die Rede von der großen »Wachstumswende«.
Tatsächlich bleibt aber auch in den radikaleren Degrowth-Konzeptionen alles beim Alten. Keine der grundlegenden Kategorien der kapitalistischen Produktionsweise soll außer Kraft gesetzt werden. Keineswegs soll die Produktion gesellschaftlich geplant werden. Nach wie vor sollen die Produkte als Waren privat produziert und nachträglich über den Markt getauscht und gesellschaftlich vermittelt werden. Die Trennung der Produzentinnen von den Produktionsmitteln, historische Grundvoraussetzung und permanent reproduziertes Resultat der kapitalistischen Ausbeutung, wird nicht angekratzt: die Klassenherrschaft der Bourgeoisie muss also keine Schrumpfung befürchten. Schließlich wird man auch vergeblich nach einer Kritik des Staates suchen, die diesen als die waffenstarrende Schutzmacht und Organisator der Herrschaft des nationalen Gesamtkapitals, als Moderator der Konkurrenzkämpfe der Einzelkapitalien und schließlich als Hort einer illusorischen Gemeinschaftlichkeit in einer Welt gesellschaftlicher Trennungen begreift. Dass ein Paradigmenwechsel, der so moderat mit der bestehenden Eigentumsordnung umspringt, von deren Repräsentanten und Lautsprechern hofiert wird (man sehe sich die Liste mitwirkender Organisationen auf der Homepage der Leipziger Postwachstums-Konferenz 2014 an), ist ganz folgerichtig, denn Degrowth ist etwa so radikal wie ein Evangelischer Kirchentag.
VIII. Moral und Politik
Im Spektrum von Degrowth blühen Lebensreform, Selbstmanagement-Strategien und ein politischer Existenzialismus des Verzichts, der das eigene Leben zur Werbefläche für eine andere, nachhaltige Existenzweise im falschen Ganzen verklärt. Der damit einhergehende asketische Dünkel erlaubt einen erheblichen Distinktionsgewinn, so wie die kontrollierte und tugendhafte Optimierung des eigenen Lebensstils in einer unsicheren und verworfenen Außenwelt Halt zu geben vermag. Die vorderhand zur Schau gestellte Demut lässt jedoch ein Klima des Verdachts entstehen, in dem diejenigen zur Räson gezogen werden, die nicht in der Lage oder nicht willens sind, sich dem Lebensstil der geistig-moralischen Elite anzupassen. Eine individualistische Konsumkritik führt notwendig zu einer Entsolidarisierung unter den Lohnabhängigen und ist somit ein Teil des Problems und nicht dessen Lösung. Die vorauseilende individuelle Anpassung an ein gesellschaftlich opportunes Bedürfnisniveau ist dabei eine zeitgenössische, nämlich »selbstverwaltete« Zügelung der Subjekte für die Anforderungen eines auf Austerität gepolten Krisenregimes. Merkwürdigerweise ist die herrschende Klasse in ganz Europa zeitgleich mit der Degrowth-Bewegung auf die Idee verfallen, dass »wir alle viel zu lange über unsere Verhältnisse gelebt haben« und hat in Griechenland, Spanien & Co schon einmal mit der Schrumpfung begonnen. Die Wachstumskritikerinnen mögen noch so sehr zetern, dass sie gute Menschen sind, sie mögen sich noch so sehr einbilden, dass ihr im Namen der Natur geleisteter Verzicht dieser am Ende auch zugutekomme: tatsächlich ist die selbstauferlegte Mäßigung des Proletariats die beste Voraussetzung für die Verewigung der Kapitalverwertung, die alles verwüsten wird, was sich dem Gesetz der Profitmaximierung in den Weg stellt.
Fruchtbarer als in dem grassierenden Gewissenszwang – in geisteswissenschaftlicher Manier – einfach eine Spätwirkung des Protestantismus zu erblicken, oder – einseitig psychologistisch – Narzissmus und Autodestruktion als Triebfedern auszumachen dürfte es sein, die Allgegenwärtigkeit dieses moralistischen Subjektivismus vor dem realhistorischen Hintergrund der totalen Niederlage aller proletarischen Bewegungen im 20. Jahrhundert zu entschlüsseln: als Folge des Verlusts von gesellschaftlichem Terrain für kollektiv geführte politische und ökonomische Auseinandersetzungen. Da radikale gesellschaftliche Umwälzungen scheinbar unwiderruflich verstellt sind, geht es seitdem nicht mehr darum, die Welt zu verändern, sondern sich selbst oder das eigene alternative Milieu. Do it yourself! Gegen diese pseudopolitische Ersatzhandlung ist einzuwenden, dass Moral immer noch so weit wie möglich durch richtige Einrichtung von gesellschaftlichen Institutionen überflüssig gemacht werden muss, so dass niemand länger in seiner Existenz von der partikularen Zufälligkeit der Entscheidung zum Fairtrade-Almosen abhängig sein muss.
XI. Gesundschrumpfung
Eine Kritik, die an die Stelle des gesunden Wachstums eine »Gesundschrumpfung« setzen möchte, bleibt völlig in der Vorstellungswelt von Flora und Fauna befangen. Sie beweist obendrein, dass es ihr nicht um eine Abschaffung des Kapitalismus, sondern um ein sorgevolles Herumdoktern an dessen Gebrechen geht. Die Anhänger von Degrowth teilen die Begeisterung liberaler Wachstumsfreundinnen für die Naturalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse, doch nehmen sie für sich in Anspruch, das Sprachbild stringent zu verwenden. So ist etwa für die Seite degrowth.ch der kleine Kapitalismus längst dem Jugendalter entwachsen, in dem ihm das Wachstum gut bekam.
Auf seine Sturm- und Drangphase sollen nun viele geruhsame Jahre der Reife folgen: »Der Begriff ‚Wachstum‘ selbst ist der Biologie entlehnt, wobei dort niemand behaupten würde, eine Pflanze, ein Tier, eine Spezies kenne keine Grenzen des Wachstums. Irgendwann ist Reife angesagt, und das bewusste Gestalten einer reifen, physisch nicht wachsenden Wirtschaft ist der Job, dem sich Degrowth angenommen hat. Nichts kann ewig wachsen, so ungern der Mensch dies einsieht. Wir müssen uns der Natur anpassen.« Die ständige Polemik gegen die Fixierung auf Quantität, gegen die die Qualität ausgespielt werden soll, ändert nichts daran, dass Degrowth selbst sich gesellschaftliche Veränderung nur in den phantasielosen Kategorien von »mehr« oder »weniger« Kapitalismus vorstellen kann.
XV. (Nicht) hinreichende und notwendige Bedingungen der Nachhaltigkeit
Die ökologischen Probleme sind nicht nur durch die kapitalistische Organisationsweise der gesellschaftlichen Reproduktion bedingt, sondern liegen auch in den destruktiven Potentialenindustrieller Produktion im Allgemeinen. Ökologische Probleme erledigen sich daher nicht automatisch mit der kommunistischen Aufhebung des Kapitalverhältnisses. Verstanden als gesellschaftlich-bewusste Produktionsweise umfasst der Kommunismus die doppelte Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln. Das heißt: Aneignung der Produktionsmittel durch die Produzentinnen und die Organisation direkter und kooperativer Beziehungen zwischen den Betrieben sowie zwischen Betrieben und Konsumentinnen. Die kommunistische Bewegung muss sich die ökologische Kritik zu eigen machen, um Antworten auf die Frage zu entwickeln, wie eine
kommunistische Zivilisation sich die gesellschaftlichen Produktivkräfte auf dem Niveau von Automatisierung und Massenproduktion aneignen kann, ohne den Planeten zu ruinieren. Eine kommunistische Perspektive ist nur dann auf der Höhe der objektiven ökologischen Probleme, wenn sie die vielfältigen ökologischen Probleme in den allgemeinen Maßgaben kommunistischer Produktion reflektiert, die gesellschaftlichen Produktivkräfte auch hinsichtlich ihrer ökologischen Potentiale und Gefahren analysiert und eine Revolutionierung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse anstrebt. Diese Einsicht impliziert die Notwendigkeit einer Kritik des verdinglichten Begriffs der Produktivkraft von Sozialdemokratie und Leninismus, die
jene umstandslos mit den handgreiflichen Gestalten ihrer Realisierung im kapitalistischen Arbeits- und Verwertungsprozess identifizierte. Wie Raasan S. Loewe gezeigt hat, liegt hierin ein Grund für deren Neigung zu einer allzu optimistischen Feier einer ungehemmten quantitativen Produktionssteigerung. Die Ökologiebewegung dagegen kann nur als eine kommunistische erfolgreich sein, sie muss in der kommunistischen Bewegung aufgehoben werden oder scheitern. Naturzerstörung ist in dieser Produktionsweise ein Mittel in der Konkurrenz um die geringsten Produktionskosten. Und wer in der Konkurrenz nicht mithält, der kommt darin bloß noch schneller um als die anderen. Die Versuche der Ökologen, »die Umwelt zu retten« ohne die Klassengesellschaft abzuschaffen, enden zwangsläufig beim Zurechtstutzen der ökologischen Forderungen auf die Verwertungsbedürfnisse des Kapitals – der Green New Deal lässt grüßen. Die Genossen vom Freundeskreis Weltcommunismus haben es auf den Punkt gebracht: Das Öko-Kamel wird niemals durch das Nadelöhr der Verwertung gehen – also muss das Nadelöhr weichen!
XVI. Unser Reichtum
Ö
kologische Kämpfe müssen ein Terrain der Auseinandersetzung für Kommunistinnen heute sein. Sie zu unterstützen und sich das Bewusstsein über die ökologische Katastrophe(n) anzueignen ist notwendig – geht es doch um nicht weniger als die existentiellen Bedingungen der Möglichkeit nicht nur kommunistischer, sondern von Gesellschaft überhaupt. Unsere Aufgabe wäre es zu erklären, warum und wie diese destruktive Dynamik in der Produktionsweise begründet ist. Die kommunistische Position ist durch eine systematische Kritik des Ökoreformismus und die Ausarbeitung einer Strategie, in der sich ökologische Kämpfe mit den Kämpfen gegen die Privatisierung und für eine wirklich gesellschaftliche Daseinsvorsorge verbinden können, zu stärken.
Dafür wäre es grundlegend, sich des falschen Gegensatzes von Konsumismus auf der einen und Verzichtsethik auf der anderen Seite zu entschlagen. Stattdessen muss ein Begriff von Reichtum entfaltet werden, in dessen Zentrum die Vorstellung disponibler Zeit zur freien und allseitigen Entwicklung der Persönlichkeit im Umgang mit der ganzen Fülle des natürlichen und gesellschaftlichen Reichtums steht. Eine pseudohedonistische Identifikation von Reichtum mit dem individuellen Kauf einer möglichst großen Quantität von Luxuswaren in der sogenannten Freizeit ist ebenso zurückzuweisen, wie eine verlogene Spiritualisierung des Reichtums, die meint, das grobmaterialistische Haben durch zwischenmenschliche Wärme, inneren Frieden und ähnlich besinnliche Phrasen einfach unterschlagen zu können. Ohne die Überwindung des kapitalistischen Privateigentums wird der von Wachstumskritikerinnen gern proklamierte »Zeitwohlstand« mit materieller Armut Hand in Hand gehen. Denn solange der stoffliche Reichtum in Warenform gebannt ist, wird mehr Zeit für »die wichtigen Dinge im Leben« nur diejenige haben, die bereit ist, sich als sinnlich-gegenständliches Wesen zurückzunehmen. Das radikale Bedürfnis nach einem qualitativen Reichtum erfährt in der Form einer individualistischen Lebenskunst eine einseitige
Scheinlösung, welche die Trennung des Menschen von der Waren-Welt nicht aufhebt, sondern nur im sattsam bekannten Modus der Verinnerlichung verleugnet.
Dagegen ist es notwendig zu betonen, dass die materielle Grundlage für eine neue Form des Reichtums in der gesellschaftlichen Kontrolle der großen Industrie, in der Automatisierung der Produktion und der daraus resultierenden Reduktion der gesellschaftlich-notwendigen Arbeitszeit zur Befriedigung mannigfaltiger materieller Bedürfnisse der Menschen längst besteht. Die Freisetzung disponibler Zeit ist ein Potential, das durch die Entfaltung der Produktivkraft der Arbeit in ihrer kapitalistischen Form möglich wird, das aber nur durch die Aufhebung dieser kapitalistischen Form verwirklicht werden kann.