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Aktuelles Heft

INHALT #216

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Editorial
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21. Little Sista Skate Cup
C L O S E R
Zeit der Kannibalen
Ugly Heroes, Barrel Brothers
Benefizdisko!
Mountain Witch, Black Salvation
DEEJAYS ON THE LOW
This Will Destroy You
No -Crap -Flohmarkt
Talking to Turtles
Electric Island - Workshop!
Salon des Amateurs Nacht
Annisokay, Shields
Freddy Gibbs
Drum'n'Bass 2000 Reloaded
FIVA, Average
Evil Conduct
Königsklasse 2014
• doku: It’s complicated!
• doku: Warum starben 400 Kinder in Gaza?
• doku: Die falsche Arbeit der Gesellschaft an sich selbst
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• das letzte: Zur sächsischen Landtagswahl 2014

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It’s complicated!

von Leo Fischer

Fast noch possierlicher als diejenigen, die sich mit ihren »Free Palestine«-Rufen vorgeblich auf die Seite der Unterdrückten schlagen und in Wahrheit schon ganz genau wissen, wen und was sie damit unterstützen, finde ich ja diejenigen, die sich aus dem ganzen raushalten wollen – wehewehe, man weiß ja nicht, wer da wirklich die Guten sind, evtl. bleibt sogar an mir was hängen, wenn ich mich einseitig solidarisiere, können wir das hier in Europa überhaupt alles recht durchschauen? Das sieht dann so aus, daß man entweder »den Nahostkonflikt« beklagt, als objektives Faktum, als Naturschauspiel, auf das man keinen Einfluß hat, wie den Monsun oder den Borkenkäfer. Aus diesem Lager stammt dann die Phrase von den »Hardlinern auf beiden Seiten«. Oder man legt ganz pathetisch die Hände in den Schoß, wie es Misha Anouk getan hat - ignoramus, ignorabimus.

Denn es ist ja auch kompliziert. Auf der einen Seite haben wir eine Demokratie, in deren Talkshows Vertreter sämtlicher Parteien, gerade auch der arabischen, allabendlich die Verhältnismäßigkeit von »Protective Edge« diskutieren, wo es eine Friedensbewegung gibt und eine atheistische Linke, und wo sich die Regierung für jeden Toten, gleich auf welcher Seite, vor den Wählern verantworten muß – auf der anderen einen unter Räuberbanden aufgeteilten und vom arabischen Ausland in Geiselhaft genommenen Gesamtslum, in welchem schon das Kinder-TV zum Judenhaß aufstachelt, wo für tote Juden Kopfgelder bezahlt und auf den Straßen Süßigkeiten verteilt werden, wo es keine Opposition gibt und keine unabhängigen Medien, so wie etwa Haaretz, die Lieblingsquelle deutscher Antizionisten; ein Regime, nicht zuletzt romantisiert und gestützt vom antisemitischen Mainstream in weiten Teilen Europas.

Da fällt es natürlich schwer, eine moralisch 100%ig propere Entscheidung zu treffen, gerade auch vor dem Hintergrund, daß man nur ja keine Angst vor dem Islam fördern möchte, eine Religion, die offenkundig besonders schutzbedürftig ist, sich auch nicht selber schützen kann. Aber natürlich, die antiislamischen Ausschreitungen der letzten Woche sind wirklich entsetzlich, teilweise stellen sich Pro-Israel-Gruppen den judenkritischen Friedensfreunden sogar in den Weg oder provozieren, indem sie Kippa tragen oder bei Maccabi Fußball spielen. Ich finde es wirklich zauberhaft, wie diese Autoren ihre europäischen Sensibilitäten herumtragen – gute Güte, ich ertrage diese ganze Komplexität nicht!–, dennoch aber intellektuell ernstgenommen werden möchten.

Und wo die Autoren wenigstens ihr Nichtwissen eingestehen, haben sie stets das traditionelle Rüstzeug im Gepäck  – so spricht auch der so sorgfältig Äquidistanz wahrende Anouk vom »Ghetto« Gaza (und vermißt es in Fußballfeldern, oy vay! Gaza hat eine Bevölkerungsdichte, die etwas über der von München liegt), zitiert ganz unparteiisch israelische »Greueltaten«, glaubt zudem sogar zu wissen, was passieren muß – Zwei-Staaten-Lösung, Rückzug aus den besetzten Gebieten. Nur fürs Protokoll: Als sich Israel das letzte Mal irgendwo zurückzog, begann der unausgesetzte Raketenregen, dessen Existenz manche Autoren sogar großmütig anerkennen.

Aber die deutsche Moral, weiß Gott! Die muß halt immer wirklich jesusmäßig sein, mit allen Leidenden der Erde gleichermaßen mitfühlen. Dieses Äquidistanzargument – alle haben irgendwie Dreck am Stecken, beide Seiten müssen dies und das, ja wenn wir alle Englein wären - geht traditionell immer zu Lasten Israels, das immerhin zeigen diese Beiträge sehr schön. »Die Hamas muß den Staat Israel anerkennen«, wenn ich das schon lese! Die Deutsche Bank muß sofort den Kommunismus ausrufen! Beate Zschäpe muß einsehen, daß sie einen Fehler gemacht hat! Vom Boden der deutschen Demokratie aus, die den Leuten mit Bomben aufgezwungen wurde, sich weißgottwas auf einen Pazifismus einzubilden, der stets unterm Schutzschirm der NATO gedieh, ist das eine. Das andere ist, sich dabei auch noch so larmoyant zu spreizen, sich als gequälte Seele, gar als eigentliches Opfer des Konflikts zu inszenieren: Ah, diese verdammten Israelis! Zwingen sie mich doch tatsächlich dazu, einen Standpunkt haben zu müssen! Obwohl alles so schrecklich kompliziert ist!

Man verstehe mich nicht falsch: Viel wäre gewonnen, wenn sich alle Deutschen entschieden, in Sachen Israel aus guten Gründen mindestens tausend Jahre lang die Klappe zu halten. Es mangelt der Welt nun wahrlich nicht an engagierten Israelkritikern. Nur halten sie Autoren wie Misha Anouk gerade nicht, sondern plustern sich noch auf mit ihrer wohlfeilen Gewalt-ist-immer-schlecht-Argumentation. Ins Negative gewendet, ist das genau die Äquidistanz jener Leute, die vor beschmierten Synagogen stehen und sagen: Furchtbar, letztlich genau wie ’33, wobei, ein bißchen verdient haben sie’s auch, wenn man anschaut, wie sie schon jetzt wieder die Völker unterjochen.

In der Tat, ich halte Neutralität in dieser Sache für falsch. Und zwar interessieren mich gar nicht mal so sehr die eigentlichen Kampfhandlungen, die ich nur schwerlich beobachten kann und über deren Angemessenheit mir kein Urteil zusteht; vielmehr das, was der Konflikt hier in Deutschland anrichtet. Nämlich ein drastisches Aufflammen des Antisemitismus. Nirgendwo läßt sich das schöner beobachten als an den Leserkommentaren der Bild-Zeitung zu ihrer »Nie wieder Judenhaß«-Kampagne. Jetzt explodiert diesem Blatt sein jahrelang gepflegter Rechtspopulismus im Gesicht  – »nie wieder Bild-Zeitung« ist noch der harmloseste Kommentar. Wohlgemerkt, in der Kampagne fehlt der plakative Bezug auf Israel. Es heißt nur »Nie wieder Judenhaß«. Allein das ist dem Gros der Bild-Leser schon unerträgliche Provokation.

Die eitle Position »jetzt hauen sie sich wieder die Köpfe ein«, die sich dann auch noch besonders weise und differenziert dünkt, läßt einen nicht nur wirklich billig aus der Affäre kommen – sondern führt dann auch zu einer falschen Neutralität in Behandlung dieses inneren deutschen Antisemitismus. Der hat tatsächlich eine neue Qualität erlangt: Was die Montagsdemos gesäht haben, ernten jetzt die Gaza-Demos, verbinden Rechte und Linke, Nazis und Islamisten. Das konnte man sehr gut am WM-Wochenende sehen, wo nicht nur deutsche und palästinensische Fahnen an der Frankfurter Konstabler Wache fröhlich nebeneinander flatterten, sondern, nur rein optisch, Migranten und Biodeutsche gleiche Anteile stellten. (Dies übrigens die Demo, wo die Polizei zur »Deeskalation« die Einpeitscher »Kindermörder Israel« über die Lautsprecher ihres Einsatzwagens kreischen ließ.) Denn auch, wenn man sich gegenseitig haßt, den Juden haßt sich’s allweil besser.

Und tatsächlich bestürzend finde ich die Untätigkeit der Linken, die diese Demos offenbar für zu duldende Folklorefeste eines bildungsfernen Prekariats hält, dessen Kritik schon per se rassistisch/‘klassistisch‘ etc. wäre. Wer »Juden ins Gas« schreit, verfügt über genauso viel Bildung, wie er haben müßte, um solche Gemeinheit zu unterlassen. Nichts entschuldigt die geile Wut, die sich da Bahn bricht.

Und nein, es geht mir hier auch nicht um Muslime oder Araber; diese Friedensdemos bilden die deutsche Gesellschaft schon sehr präzise ab, da ist jedes Milieu dabei. Aber ich bin tatsächlich enttäuscht von einer Larifari-Linken, die bei NPD-Demos brav die Lichterketten hält, sich angesichts beispielloser antisemitischer Ausschreitungen in Deutschland aber hinter windelweichen Frieden-jetzt- und Ihr-habt-beide-recht-Appelle zurückzieht. Da ist Neutralität nämlich eine Position, und zwar eine schlechte.

Denn natürlich ist Israel ein kapitalistischer Staat. Aber nur, weil er sich wie jeder andere kapitalistische Staat kritisieren läßt, entsteht dadurch noch keine moralische Gleichberechtigung der Konfliktparteien. Sonst müßte Israel ja erst mal den Kapitalismus abschaffen, bevor es sich überhaupt verteidigen dürfte. Und im Vergleich zum puren Vernichtungswillen des Gegners, die permanente Einschwörung einer ganzen Gesellschaft auf mörderischen und selbstmörderischen Antisemitismus, finde ich die inneren Probleme der israelischen Gesellschaft, wie Rassismus etc., die es ohne Zweifel gibt, tatsächlich unbedeutend, jedenfalls für die Frage, welcher Gesellschaft dort unsere Sympathien grundsätzlich zu gelten hätten; Probleme, die sich vor dem Hintergrund des permanenten Kriegszustands seit Staatsgründung noch einmal so klein ausnehmen. (In Israel hat ein Araber evtl. geringere Chancen auf einen Job, in Gaza wird ein Jude umgebracht, wenn er sich zeigt.) Ich jedenfalls glaube nicht, daß ein Deutschland, das siebzig Jahre im Krieg mit einem Nachbarn gelegen hätte, über eine derart fortschrittliche Gesellschaftspolitik wie Israel verfügte (Homoehe, Abtreibung, Adoption etc.), die im übrigen in den meisten Bereichen weiter ist als Deutschland und die USA.

Kurz und gut: Wer vom deutschen Antisemitismus sprechen will, darf vom Antizionismus nicht schweigen. Und: Es ist gar nicht so kompliziert, für Israel zu sein. Tendenziell. Nur ein bisserl. Nicht mehr als nötig. Und sei es nur angesichts der Zustände in Deutschland.


Zuerst erschienen in: Magie für den Mittelstand – Leo Fischers täglicher Horrorroman

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28.08.2014
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