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Aktuelles Heft

INHALT #207

Titelbild
Editorial
• das erste: Das emanzipatorische Potential der Geissens
electric island: DIAL w/ John Roberts, Lawrence
Turbostaat
Music Of The Living Dead. Über die Angleichung von Leben und Tod im Brutal Death Metal.
Benefizdisco
The Black Dahlia Murder, Aborted, Revocation
WORD! cypher / OPEN MIC.
Kleine Bühne: Empowerment, WolfxDown, Barren, Angstbreaker
Herr von Grau »Freiflug« 2013
Betty Ford Boys X Ecke Prenz
14.10.1943 – Aufstand im Vernichtungslager Sobibór
The Dillinger Escape Plan, Maybeshewill, Deathcrush
Reverie w/ Louden Beats
Sophia Kennedy & Carsten „Erobique“ Meyer + electric island
Benefizdisco
GIRLZZZ EDIT DJ NIGHT
Hard Skin, Brassknuckle Boys, High Society, The 3 Skins
• inside out: Nachrichten aus der Provinz
• inside out: Montag ist Ruhetag.
• leserInnenbrief: LeserInnenbrief
• review-corner buch: Erich Mühsam: Die Freiheit als gesellschaftliches Prinzip (1929) – Eine Einführung
• doku: Erich Mühsam – Die Freiheit als gesellschaftliches Prinzip (1929)
• doku: Unterstützung bei sexistischen Erfahrungen im Conne Island
• doku: Wir bleiben dabei – gleiche Rechte für alle!
• doku: Berlin-Hellersdorf: Eine logistische Herausforderung
• doku: Verfolgte, die auf UN und Völkerstrafrecht bauen, haben bereits verloren.
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• das letzte: Über den Zusammenhang von Anarchismus, Totalitarismus und Haustieren

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LeserInnenbrief

Dass der Verein Lok Leipzig und zugehörige Fangruppierungen nicht gerade einen guten Ruf genießen, ist mir ebenso bekannt, wie die Verbindungen von Verein und Fanszene ins rechtsradikale Spektrum. Doch bisher war mir glücklicherweise näherer Kontakt erspart geblieben. Nach dem Spiel von Lok in Babelsberg, zwang sich mir dieser Kontakt jedoch auf und hinterließ einen Eindruck von Lok Leipzig und seiner Anhängerschaft, die ich niemandem wünsche. Da das Geschehen dem ich beiwohnte nicht wirklich an die Öffentlichkeit drang, versuchte ich irgendwie damit an die Öffentlichkeit zu gehen, jedoch gab es von diversen Redaktionen (unter anderem der LVZ) keine Rückmeldung. Daher entschied ich mich andere Wege zu suchen und wende mich mit meiner Schilderung der Ereignisse an das CI.

Dass sich die Anhänger des 1. FC Lokomotive Leipzig am 3. August beim Auswärtsspiel ihres Vereins in Babelsberg so verhielten, wie man es leider von ihnen zu erwarten gewohnt ist, konnte man nicht nur den lokalen Medien entnehmen. Dass sich jedoch im Rahmen des Lok-Spiels noch eine weitere Begebenheit mit Lok-Fans ereignete, wurde erst etwas später bekannt und auch nur, wenn überhaupt, nebenbei erwähnt. Bei diesem Ereignis indes zeigten sich nicht nur die „Lokisten“ in ihrem „besten“ Licht, sondern auch andere daran Beteiligte wie in etwa die Deutsche Bahn und die Polizei. Als eine unfreiwillig daran teilhabende Person möchte ich jenen Vorfall und meine Eindrücke dazu hier wiedergeben.
Während der Großteil der Lok-Fans wohl unter Polizeischutz zu den Rückfahrmöglichkeiten geführt wurde, schaffte es eine „kleine“ Gruppe von etwa 60 Lokisten, sich unbemerkt von der Polizei durch Potsdam zu bewegen und anschließend in die Regionalbahn Richtung Dessau zu steigen, in der auch ich saß, um von dort nach Leipzig zu fahren.
Anscheinend teilten sie sich bereits am Bahnhof in kleinere Grüppchen, sodass wohl in jede Zugtür eine Kleingruppe von etwa zehn „Lokisten“ zustieg, während diese sich mit lautem Gebrüll ankündigten. Da der Zug schon recht voll war, blieben sie in den Türbereichen stehen und intonierten verschiedene „Gesänge“, die hauptsächlich aus Worten wie „Fotze“ und „Möse“ bestanden. Des Weiteren beschimpften sie aus- und zusteigende Menschen als „Kanacken“, „Zigeuner“, „Juden“ und „Schwuchteln“ – allesamt Zeugnisse ihres durch und durch menschenfeindlichen Gedankengutes. Während des Haltens an diversen Bahnhöfen, verzögerten sie die Weiterfahrt, unter anderem weil sie es zweifelsohne amüsant fanden, an den Bahnhöfen wartende Frauen mit obszönen Sprüchen und Liedern zu überschütten; einige hielten es zudem für nötig, ihre Genitalien zu entblößen. Die so entstandene Verspätung führte dazu, dass der Zug in ein Gewitter kam und am Bahnhof Wiesenburg (Mark) schließlich nicht mehr weiterfahren konnte, da ein bis zwei Minuten vorher ein Blitz die Leitsignale beschädigte. Bereits zuvor war die Schaffnerin mit der Situation überfordert, lies sich von den „Lokisten“ beleidigen und ging nicht auf die Bitten anderer Fahrgäste ein, die Polizei zu verständigen.
Kinder waren eingeschüchtert und weinten; Menschen, die sich etwas dagegen zu sagen trauten, wurden durch „Näherkommen“ und Pöbeleien eingeschüchtert oder verhöhnt. „Wenn ich jetzt die Polizei rufe, gibt es nur mehr Verspätung. Das dauert mindestens eine Stunde, bis wir weiterfahren können“, erklärte die Schaffnerin. Nicht einmal am Bahnhof Wiesengrund (Mark), an dem der Zug schließlich ausfiel, wurde gleich die Polizei gerufen. Erst als die „Lokisten“ die Bahnhofskneipe stürmten, besetzten und die Wirtin am Schließen hinderten, tauchten dann zwei alternde Dorfpolizisten auf. Diese verschwanden jedoch sehr schnell auf dem Bahnhofsgelände, während einige Lok-Fans, auf dem Polizeiauto stehend, mit zum Hitlergruß erhobenem Arm posierten und mit den andern Parolen wie „Hier marschiert der Nationale Widerstand“ sowie NSU-verherrlichende und Beate Zschäpe-glorifizierende Gesänge skandierten („Beate Zschäpe, komm werde meine Frau“). Das Auftreten der Polizei hingegen führte lediglich dazu, dass sich die anderen Reisenden noch eingeschüchterter und verängstigter fühlten, da die „Lokisten“ so demonstrieren konnten, dass sie in dieser Situation, an diesem Ort, etwa 4-5 km vom nächsten Dorf entfernt, die „Herren“ waren und dadurch das staatliche Gewaltmonopol außer Kraft setzen konnten.
Schaffnerin und Zugführer bekamen davon allerdings nichts mehr mit, da sie ca. eine Stunde nach Erreichen des Bahnhofes wieder nach Berlin fuhren und die Reisenden alleine ließen. Zwar wurde vorher beschwichtigt, Busse wären unterwegs, ich persönlich jedoch habe keinen zu Gesicht bekommen. Es gab zudem bis auf einen Techniker keine weiteren Bahnmitarbeiter, die irgendwie Auskunft hätten geben können. Zu allem Überfluss kam zwei Stunden später der nächste Zug und spuckte weitere Reisende aus. Die Bahn hielt es demnach also nicht einmal für nötig, den nach Dessau Reisenden an den vorherigen Bahnhöfen zu vermitteln, dass dieser Zug dort nicht ankommen würde. Die einzige Unterstellmöglichkeit für Reisende war die kleine Bahnhofskneipe, die allerdings von betrunkenen Lokisten besetzt gehalten wurde. Als dann der zweite Zug angekommen war, trafen auch weitere Polizisten ein (insgesamt nicht mehr als etwa zehn). Diese schafften es aber ebensowenig, die bedrohliche Atmosphäre zu entspannen.
Nachdem es keinerlei Anzeichen dafür gab, dass die Bahn irgend etwas tun würde, lies ich mich mit dem Auto abholen und konnte gegen 22.30 endlich nach Hause fahren. Selbst zu diesem Zeitpunkt sah es am Bahnhof Wiesenburg noch so aus, als würden mehrere Menschen warten. Das hat mich verwundert, da Einheimische mir erklärten, dass am Bahnhof normalerweise niemand sei, und wenn doch, dann höchstens in der Bahnhofskneipe, die aber schon gegen 18-19 Uhr schließen würde.
Es bleibt eine enttäuschende Erinnerung an die Deutsche Bahn, die die Reisenden komplett im Stich gelassen hat. Weder gab es jemanden, der sich um die wartenden Reisenden kümmerte, noch gab es Informationen über den weiteren Verlauf. Erst nach langem Herumtelefonieren gelang es einigen Reisenden, in Erfahrung zu bringen, dass wegen der Urlaubszeit niemand da sei. Zwar erzählten ein paar Radfahrer, in den umliegenden Dörfern gäbe es Busunternehmen; inwiefern die Bahn jedoch versuchte, mit diesen in Kontakt zu treten, bleibt unklar. Auch die Einstellung der Schaffnerin, die selbst immer wieder mit „Du alte Pappschachtel“-Gesängen angepöbelt wurde, war erschreckend. Es wäre interessant zu erfahren, wieso ihr Pünktlichkeit wichtiger erscheint als das Wohl der Reisenden.
Desweiteren sorgte die machtlose, wenn nicht sogar unfähige Polizei für eine beängstigende Erinnerung an einen Mob, der schalten und walten konnte, wie er wollte.

Und es bleiben die Fragen: Wie konnte sich eine solch große Gruppe Lok-Fans ohne weiteres allein und frei bewegen, nachdem sie bereits bei der Anreise und im Stadion randalierten?
Wieso treffen Beamte der Polizei vereinzelt bzw. in Kleingrüppchen ein, um dann wieder zu verschwinden, ohne auch nur den Hauch von Interesse für die Situation der eingeschüchterten und verängstigten Menschen zu zeigen?
Wieso dauert es weitere ca. eineinhalb Stunden bis Verstärkung eintrifft, wobei auch diese nicht den Anschein erweckt, sie sei gekommen, um die Situation zu deeskalieren oder den Menschen zu helfen?

Erschreckend war natürlich auch das Auftreten der „Lokisten“. Dass der Verein mit 0:1 gegen Babelsberg verloren hatte, merkte man ihnen nicht an. Es wirkte auch nicht so, als seien sie sauer gewesen oder hätten gezielt Angst verbreiten wollen. Nein, das wirklich Erschreckende und Beängstigende war die Selbstverständlichkeit ihres Handelns, als wäre es das Natürlichste der Welt.
Am Ende bleibt die traurige Erkenntnis, dass sogenannte Zivilcourage da an ihre Grenzen stößt, wo ein Gefühl der Hilflosigkeit die Überhand gewinnt.
Wer so etwas erlebt hat, kann gut nachvollziehen, wie Nazis das Selbsbewußtsein entwickeln können, ein Mordprojekt wie die NSU aufzubauen und sich dabei in ihrem Treiben sicher fühlen. Es war nicht einmal nur pures Glück, dass die „Lokisten“ („Mörder und Faschisten“ – wie sie sich immer wieder selbst feierten) nicht irgendwen verletzten, da sie „glücklicherweise“ zu allererst damit beschäftigt waren, die Bahnhofskneipe leer zu saufen. Es war vielmehr so, als wüssten sie genau, dass ihr Verhalten keine tatsächlichen Konsequenzen für sie haben würde. Den Rest erledigte die Angst und das Bewusstsein über die Hilflosigkeit der Reisenden. Die Gruppe der anderen Reisenden wäre kaum dazu in der Lage gewesen, Gewalt zu unterbinden.

Rank Frikjaard

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28.09.2013
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