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Aktuelle Termine

CEE IEH-ARCHIV

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#202, März 2013
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Aktuelles Heft

INHALT #205

Titelbild
Editorial
• das erste: A new one – Skate Island 2013
Roter Salon: Sozialrevolte oder Aufstand der Täterinnen?
Edo G & Reks
Phase 2 präsentiert: „Samstag ist der neue Montag“
KANN Garden
Mock, El Gos Binari, Argument.
• inside out: Jahresbericht Projekt Verein e.V. 2012
• politik: Amnesie im Raum.
• doku: Optimieren statt Überschreiten?
• doku: Wut & Bürger
• doku: Die Notwendigkeit einer kommunistischen Solidarität mit Israel
• doku: Mythos „Nakba“
• leserInnenbrief: Perfides Spektakel
Anzeigen
• das letzte: Das Minimum

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Amnesie im Raum.

Zu Orten des Nationalsozialismus im Leipziger Westen.

„Loft im Denkmal“: Erstbezug, 3 Zimmer,
ca. 93 qm, Kaufpreis 198.000,00 €, Kaufpreis
pro qm 2.130,00 €. Standort: Industriestraße
81-83, in unmittelbarer Nähe zum „Stelzen-
haus“

„Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistun-
gen erbracht hat, hat ein Recht darauf von
Auschwitz nichts mehr hören zu wollen.“

Die Anpreisung der insgesamt 29 Lofts in der Industriestraße folgt der allgemeinen Praxis des Verschweigens, um welches „Denkmal“ es sich in der Realität handelt – dem Firmengebäude von Flügel & Polter. Bis zur Sanierung war der Schriftzug noch präsent – ganz im Gegensatz zur Firmengeschichte. Flügel & Polter steht nicht nur für die exzessive Kriegsproduktion im Zweiten Weltkrieg, sondern zeigt das engmaschige Netzwerk aus Politik und Wirtschaft, das das Dritte Reich besonders gut überstand. Das von Strauß votierte Vergessen um Auschwitz schließt den Flügel & Polter seit 1934 als alleinigen geschäftsführenden Gesellschafter vorstehenden Fritz Ries doppelt ein. 30 Kilometer von Auschwitz entfernt, gehörten die Oberschlesischen Gummiwerke in Trzebinia ebenfalls zu seinem Besitz einschließlich einer 10-Zimmer umfassenden Wohnstätte, für deren Verlust er durch den Status als „Mitläufer der NSDAP“ mit erlittenem Vertreibungsschaden 1953 einen Ausgleich erhielt. Ries studierte Rechtswissenschaften in Köln und Heidelberg, war Mitglied in der schlagenden Verbindung „Suevia“ und Fuchsmajor von Hanns Martin Schleyer. Nach 1938 kaufte er weitere Gummifirmen auf und warb auf Kondomschachteln mit dem Spruch „Jetzt arisch“. Kriegsproduktion hieß in diesem Fall, sich auf den Kondombedarf der Wehrmacht zu konzentrieren und somit den Umsatz von 500.000 RM im ersten Jahr als Unternehmer auf 10,34 Mill. RM im Jahr 1942 zu steigern und dafür ein Jahr später das Kriegsverdienstkreuz als „hervorragender Lieferant der Wehrmacht“ zu erhalten. Nach 1945 baute er die Pegulan AG in Frankenthal (Pfalz) auf – nun ganz dem Wiederaufbau verpflichtet mit der Produktion von Linoleum und anderen Bodenbelägen. Seine Tochter Ingrid aus zweiter Ehe heiratete Kurt Biedenkopf, dessen Vater als Wehrwirtschaftsführer im IG Buna-Werk III in Schkopau tätig war. Vor seinem Suizid 1977 folgten von staatlicher Seite 1967 das Große Bundesverdienstkreuz und 1972 der Stern dazu. Gegen die Recherchen von Bernt Engelmann zog Ries vor Gericht, um dessen Aussage, dass seine Gewinne in den Jahren bis 1945 ausschließlich aus Arisierung stammten, revidieren zu lassen: Anstelle von 100% erschienen nun 93,7 bzw. 97,1%. In der Literatur zu DDR-Zeiten ist zur Firmengeschichte zu lesen: „1934 Kauf des gesamten Betriebes durch den Nazi F. Ries“ und „Aufkauf kapitalschwacher Firmen in ganz Deutschland“. Eine differenziertere Sicht auf Geschichte vermag andere Perspektiven eröffnen.
Als von 1997 bis 2000 der Leipziger Westen und im speziellen die ehemalige Ladestelle 1 – der heutige Stadtteilpark Plagwitz – in der Industriestraße eine grundlegende Veränderung erfuhr, um bei der EXPO 2000 in Hannover den gesellschaftlichen Wandel nach 1989 zu zeigen, hätte endlich eine historische Aufarbeitung zu Fremd- und Zwangsarbeit einschließlich der Produktion und Unternehmensumsätze direkt vor Ort sowohl in der Firma Flügel & Polter als auch im benachbarten Unternehmen Grohmann & Frosch räumlich auch umgesetzt werden können. Auf der neu entstandenen Grünfläche finden sich Findlinge mit Dankestafeln für den Umbau – die Suche nach Elementen zum Gedenken an das Schicksal derer in den Jahren 1939 bis 1945 Tätigen bleibt folgenlos. Auch das 1937 errichtete Stelzenhaus steht heute eher für Gastronomie, obgleich der Bau des Gebäudes beispielhaft für die exzessive Kriegsvorbereitung einschließlich der Option des Luftschutzes steht. Bis zum Frühjahr 1945 wurde im Unternehmen u.a. „Siegfried“ – eine Schutzblechrahmenblende für Panzer – produziert.
Die Firmenschrift zum 50. Jubiläum 1939 eröffneten die Zeilen: „Eiserne Arbeit Stählerne Wehr Sichern uns Frieden Freiheit und Ehr“. Das Unternehmen unterstützte seit 1931 die NSDAP mit jährlich 50 RM und zuvor die Deutsche Volkspartei, die Deutschnationale Volkspartei und den Stahlhelm mit jeweils 100 RM.
Freundlich für Investoren und harmlos für zukünftige Mieterschaften zeigt sich ebenso das Gebiet Karl-Heine-Straße 78-90. Auch hierbei half die EXPO 2000 mit. Die Initiative „Jahrtausendfeld“, die an die ehemalige Produktion von Bodenbearbeitungsgeräten erinnern wollte, verschwieg sowohl die Kriegsproduktion samt Fremd- und Zwangsarbeit wie auch die personellen Verstrickungen im Nazisystem seitens des Unternehmers. Otto Sack – der Enkel des Firmengründers Rudolf Sack – saß bereits während der Weimarer Republik im Vorstand der Ortsgruppe Leipzig des Verbandes Sächsischer Industrieller und war Mitglied des Reichskuratoriums für Technik und Landwirtschaft, nach 1933 stieg er zum Leiter der Wirtschaftsgruppe Maschinenbau und ein Jahr später zum Führer der Bezirksgruppe Sachsen der Reichsgruppe der Industrie auf und wurde der erste Wehrwirtschaftsführer in Sachsen. Die 1909 gebaute Familienvilla in der Karl-Heine-Straße 12, die heute den 5. Strafsenat beheimatet, fand nach 1933 Verwendung als Kameradschaftshaus. In den Leipziger Adressbüchern taucht bis 1940 als Eigentümer E. F. Sack, Handelsvertreter, auf. 1940 ist lediglich die Bemerkung „unbewohnt“ zu finden. Am 1. Januar 1941 ging das Haus in den Besitz des Deutschen Reiches über und fungierte als Ort der Abteilung I (Verwaltung und Organisation) und der Abteilung III (Abwehr) der Gestapo. Nach 1945 wurde in der Villa das „Klubhaus der Freundschaft“ eröffnet. Erinnerungsspuren sind auch hier vor Ort nicht zu finden.
Im Unternehmen Rudolf Sack selbst arbeiteten seit 1942 1.570 Zwangsarbeiter aus zehn Ländern, die in Unterkünften in der Gießerstraße 13, direkt auf dem Betriebsgelände in der Karl-Heine-Straße 78-90 oder im ehemaligen jüdischen Kaufhaus Joske in der Ziegelstraße 1 (die heutige Walter-Heinze-Straße) untergebracht waren. Das erste Lager befand sich allerdings im Vereinsheim der Schrebergartenanlage Prießnitz. Im Februar 1943 erklärte der Kreisbeauftragte der Hauptabteilung Arbeitseinsatz der DAF gegenüber der Lagerbetreuung des Unternehmens, dass sieben „Führerbilder für saubere Ostarbeiterstuben“ zur Verfügung gestellt werden. Allerdings nur gerahmt sollen sie Stuben und Gemeinschaftsräumen als Auszeichnung zieren. Zum besten Lager im Gau Sachsen für ausländische Arbeitskräfte wurde im Oktober 1944 das Lager „An der Sandgrube“ der Erla-Maschinenwerke in der Theklaer Straße 150 ausgezeichnet.
Andere fast noch unaufgeregtere Orte des Nationalsozialismus als Schrebergartensiedlungen prägen die Raumwahrnehmung im Leipziger Westen bis heute. Da wäre das Karl-Heine-Denkmal an der Klinger-Brücke. Es kündet heute noch von den Plänen, 1940 eine großflächige Gutenberg-Reichsausstellung zu veranstalten. Aus diesem Grund erfolgte die Umstellung vom ursprünglichen Aufstellungsort des 1897 von Carl Seffner geschaffenen Denkmals auf die gegenüberliegende Seite. So schaut Heine nun in Richtung Stadt anstelle auf den nach seinem in feinster kapitalistischer Kosten-Nutzenrechnung geschaffenen Leipziger Westen. 1942 wurde das Denkmal im Zuge der „Metallspende des Deutschen Volkes an den Führer“ demontiert, 1943 kam es zur Einschmelzung und 2001 zur unkommentierten Wiederaufstellung, so wie es im Sinne des Dritten Reiches einst errichtet wurde.
Eine weitere, gern übersehene räumliche Veränderung geschah an der ehemaligen Frankfurter Straße – heute Jahnallee. Verweisen noch Mauerstücke und Bänke auf das geplante Richard-Wagner-Nationaldenkmal an der zum Stadtzentrum gelegenen Uferseite, so wurde die Zeppelinbrücke ebenfalls grundlegend verändert. Einerseits wurde ein Tunnel unter der Brücke in einer Breite angelegt, um problemlos im Trupp vom Adolf-Hitler-Feld (Festwiese) zum Denkmal marschieren zu können. Andererseits mussten die ursprünglichen Brückenhäuser ebenso weichen wie der Bauschmuck an den Brückenpfosten. Die ursprüngliche Gestaltung zeigt heute lediglich die sich auf der Lindenauer Seite befindlichen zwei Pfosten. Die übrigen acht wurden so geschliffen, dass sie auf der südlichen Seite einen hindernisfreien Blick auf den Richard-Wagner-Hain auch heute noch garantieren.
Die Radrennbahn, die wie auch der Kuhturm und das Große Gesellschaftshaus im Palmengarten 1938 im Zuge der Vorbereitungen auf die 500.000 qm umfassende Gutenberg-Reichsausstellung verschwanden, bildete neben Plätzen für Ballsportarten, Turnen, Luftbad auf dem heutigen Kleinmessegelände einen Ort des bürgerlichen Sports seit 1892. Dem Verein wurden seitens der Stadt die Pachtverträge 1935 gekündigt. Auf der Lindenauer Seite sollten sich links und rechts der damaligen Frankfurter Straße monumentale Ausstellungsbauten erheben. So waren auf dem Gelände des Palmengartens noch eine Stadt- und Kongresshalle sowie ein Terrassencafé vorgesehen. Damit standen diese Bauten als „heiteres Ufer“ dem „ernsthaften“ Wagner-Ufer gegenüber. Am heutigen Standort von Kleinmesse- und RB-Trainingsgelände war nicht nur ein Modell von Alt-Leipzig geplant, sondern die Gutenberghalle sowie das Haus der Deutschen Arbeitsfront.
Wurden einerseits Vereinslokale, Gaststätten, Turnhallen oder Läden zu Unterkünften für Fremd- und Zwangsarbeit umgenutzt, so befanden sich für diesen Zweck errichtete Barackenlager nicht nur am Rande der Stadt – etwa in Böhlitz-Ehrenberg oder Schönau –, sondern direkt an zentralen Plätzen wie auf dem Alten Messplatz, auf dem seit 1907 die Kleinmesse stattfand und am 30.1.1933 Mitglieder der Eisernen Front, am 19.2. der KPD und SPD, am 13.7. der DAF demonstrierten. In den Baracken an der damaligen Hindenburgstraße – heute Friedrich-Ebert-Straße – wurde zentrumsnah das DAF-Gemeinschaftslager für Fremd- und Zwangsarbeiter/innen eingerichtet. Die sich bis 1936 dort befindliche Kleinmesse wurde an den Cottaweg verlegt, wo sie sich heute noch befindet.
Ebenfalls zentral existierten Orte im Kolonnadenviertel, die „Für Deutsche verboten!“ waren. Es handelte sich um Bordelle für Fremdarbeiter, die seit der Richtlinie vom 9.9.1939 des Reichsministeriums des Inneren nachfolgend eingerichtet werden sollten. Sie resultierten aus der Umnutzung der Bordelle „Grauer Mops“ und „Blauer Affe“. Die Häuser in der heute nicht mehr existierenden Moritzstraße 25 und 27 lagen am Ende einer Sackgasse und in unmittelbarer Nähe zum Neuen Rathaus und der Katholischen Kirche. Auch wenn dieser Standort aus der historischen Perspektive vor 1939 nicht außergewöhnlich scheint, dann doch der Aspekt, dass noch 1932 im Bericht von Helmut L. B. Richter zu lesen ist, dass die Häuser am „teuersten und bekanntesten“ seien. Laut Polizeibericht im Oktober 1941 entwickelte sich der Raum davor als Umschlagplatz für Schwarzwaren. Im Inneren arbeiteten 70 Frauen aus Frankreich und Polen, die per Beschluss des Ministeriums nach sechs Monaten Aufenthalt in Deutschland einen vierwöchigen Heimurlaub antreten durften. Verboten war ihnen u.a. das Betreten des Stadtzentrums.
Die Silhouette von Lindenau und Plagwitz dominieren heute anstelle von über einhundert Schornsteinen die Türme der Philippus-, der Liebfrauen-, der Heilland- und der Nathanaelkirche. Ihre Rolle in der Zeit von 1933 bis 1945 wartet ebenfalls noch auf eine vollständige Aufarbeitung. Die Nathanaelkirche feierte beispielsweise 1934 das 50jährige Jubiläum des Kirchgebäudes unter der Losung „Mit Luther und Hitler für Glaube und Volkstum!“, die Pfarrer Oskar Pitschel in SA-Uniform auf der Kanzel sehr deutlich unterstrich. In der Festschrift wird zudem großen Wert darauf gelegt, dass sich die vier Gemeindepfarrer nach dem 30.1.1933 kaum „innerlich umzustellen“ brauchten, da sie „schon vorher auf dem Boden der nationalen Bewegung und des positiven Christentums gestanden haben“. Die Gemeindegruppe „Deutsche Christen“ stiftete zudem für das Gemeindehaus ein Hitlerbild. Die Evangelisch-Lutherische Kirchgemeinde, Verband Leipzig, vermietete die erste und zweite Etage in der Weißenfelser Straße 20 an die Geschäftsstelle der NSDAP, Ortsgruppe West.
Der Leipziger Westen kann mit vielen Erinnerungs- oder besser Vergessenskomplexen aufwarten, die über das allseits gepriesene Gründerethos einer gewinnmaximierenden Verwertung von Land eines Karl Heines hinausgehen. So beispielsweise auch mit dem Widerstand in der Produktion – wie beispielsweise die bereits im 1. Weltkrieg erprobte „Arbeite-langsam-Bewegung“ zum Ziele der Rüstungssabotage: „Ein Handgriff genügt oft, um eine ganze Apparatur lahmzulegen. Ohne Stillstand der Kriegsmaschine keine Beendigung des Hitlerkrieges. Das sind die Aufgaben von heute, morgen können andere, größere vor uns stehen.“


Britt Schlehan

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13.06.2013
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