• Titelbild
• Editorial
• das erste: Black Metal ist Mist!
• AFBL-/Brunch-Saisoneröffnung
• A night of music feat. Joey Cape
• Filmriss Filmquiz
• Amenra, Syndrome, Downfall Of Gaia, Fargo
• Shai Hulud, Dead End Path, Departures, Whirr
• Cloud Boat (R&S), Präzisa Rapid 3000 (Doumen), Simon12345 & The Lazer Twins (Doumen)
• Peter Pan Speedrock
• Sub.Island pres. Dub Echos
• Zur Kritik nationaler und transnationaler Migrationspolitik
• electric island „final edition“
• All 4 Hip-Hop Jam 2013
• Shellac (Touch & Go/us). Support: Auf
• Karocel /live (Freude am Tanzen)
• Suffocation, Cephalic Carnage, Havok, Fallujah
• Cafékonzert-Matinée – The Powertrip: Gone To Waste, Scarred Mind, Dull Eyes
• Broilers
• Summerclosing Sause
• review-corner film: Hannah Arendt – eine deutsche Denkerin?
• doku: Inside Syria: Letters from Aleppo – Teil 4
• interview: „Reise ins Ungewisse“
• position: »Ich bin der deutsche Geist!«
• position: Von der Kritik der Praxis zur Praxis der Kritik
• position: Erwiderung auf den Redebeitrag der Gruppe „the Future is unwritten“ auf der Demonstration von „Rassismus tötet!“ am 27.10.2012 in Leipzig
• position: Nicht mit und nicht ohne – Teil 2: Konkret
• Anzeigen
Auswirkungen auf die Stadt
Die Stadt, die bis in die 1970/80er Jahre eher ein kommunales Ausführungsorgan staatlicher und föderaler Politik war, und infrastrukturelle und sozialstaatliche Maßnahmen umsetzte, gleicht heute einem Unternehmen. Indem die Nationalstaaten vor dem Hintergrund der Globalisierung vermehrt gezwungen sind, ökonomische Entscheidungskompetenzen an eine supranationale Ebene wie die Europäische Union abzutreten, erleben sie ein Steuerungsverlust, infolge dessen die Städte einer zunehmenden Standortkonkurrenz ausgeliefert sind. Auf nationaler sowie internationaler Ebene treten Städte in Bezug auf die Ansiedlung von Großunternehmen, die Einwerbung von Fördergeldern oder begüterten und gebildeten Arbeitskräften als auch Bewohner_innen in markwirtschaftliche Konkurrenz zueinander. Um die Rentabilität zu gewährleisten oder zu erhöhen, werden ehemals städtische Einrichtungen privatisiert. Große Teile der öffentlichen Angebote oder kommunalen Projekte wie Wohnungsbau, Nahverkehr, Schwimmbäder, Grünflächen werden kommodifiziert, d.h. ehemalige öffentliche Güter werden in kommerziell nutzbare Waren verwandelt. Auch soziale Dienstleistungen wie die Betreuung älterer Menschen oder auch der Kulturbetrieb werden privatisiert oder erfolgen zunehmend über ehrenamtliche Tätigkeiten. Um in der Wettbewerbssituation zwischen den Städten zu bestehen, werden nicht nur Wirtschaftsbedingungen sondern auch so genannte weiche Standortfaktoren gefördert. Damit sind alle Lebensqualität steigernden Aspekte wie Natur und Naherholung, vor allem aber Kultur gemeint, weshalb sich der Text zu großen Teilen der Bedeutung der kreativen, subkulturellen und politischen Szene widmet.
Dass eine Stadt zunehmend nach kapitalistischer Logik funktionieren muss, führt zu einer Verschiebung städtischer Aufgaben und Problemwahrnehmungen. So richtet sich die Gestaltung der Stadt in vielen Punkten an Verwertungsmaßstäben aus. Insbesondere dem Aussehen der Konsum- und Erlebnisräume wird oberste Priorität eingeräumt, weshalb die Innenstädte zunehmend blank geputzten und sterilen Rieseneinkaufscentern gleichen. Bei den Bürger_innen, oder genauer gesagt, den Konsument_innen, existiert ein großes Bedürfnis nach einer sauberen und sicheren Innenstadt, dem auf verschiedenen Ebenen nachgekommen wird. Architektur und Design werden dazu eingesetzt, Räume luxuriös wirken zu lassen und damit zugleich das Verhalten der Nutzer_innen zu regulieren. Bänke, auf denen man sich ausstrecken kann, werden abgeschafft, damit sie Obdachlosen nicht als Übernachtungsort dienen können. Neue errichtete Grünflächen bestechen durch ihre minimalistische Ästhetik, die vor allem der Einsehbarkeit und damit zur Kontrolle dient. Die zunehmende Ausrichtung des öffentlichen Raums nach Sicherheitsargumenten beschränkt sich aber nicht auf Fragen der Gestaltung. Die Überwachung durch Kameras und Bürgerpatrouillen soll einen reibungslosen Ablauf des Geschäftsbetriebs ermöglichen, indem, wie beispielsweise in Leipzig, 700 Kameras Kontrollmöglichkeiten für die Polizei und privatwirtschaftliche Einrichtungen schaffen und somit bei den Bürger_innen ein Gefühl von Sicherheit erzeugen. Gleichzeitig werden viele Bereiche des ehemaligen öffentlichen Raums privatisiert. Wenn Orte wie beispielsweise Bahnhöfe in Privateigentum übergehen, können dadurch Hausordnungen erlassen werden, die beispielsweise Demonstrationen oder andere politische Äußerungen untersagen oder die Sicherheitsfirmen die Möglichkeit einräumen, Menschen, die den kollektiven Konsum stören könnten, des Geländes zu verweisen. In der Verbindung von Privatisierung, Sicherheit und Sauberkeit als obersten Prämissen entsteht somit ein städtischer Bereich, der blitzt und blinkt und in dem der individuelle Konsum die Gemeinsamkeit der dort verkehrenden Menschen darstellt. Personen, die bei dieser Art von Bedürfnisbefriedung hinderlich sein könnten, weil sie vielleicht gesellschaftliche Widersprüche wie Armut repräsentieren und damit irritieren, werden infolge dieser Entwicklungen von zentralen Orten verdrängt.
Die Auswirkung der zunehmenden Dominanz der Kapitallogik in den Städten lässt sich auch auf einer anderen Ebene nachvollziehen. Mit der Reduktion des Sozialstaats hat sich der politische Umgang mit dem Wohnungsmarkt völlig verändert. So wurde der soziale Wohnungsbau quasi eingestellt und dafür das sogenannte Wohngeld für sozial Bedürftige ausgeschrieben. Gleichzeitig fördern die Städte die Schaffung von privaten Haus- und Wohnungseigentum, um vor allem vermögende Mittelschichten zu binden. Letzterer Punkt ist besonders im sozio-ökonomischen Gesamtzusammenhang interessant. Die Eigenheimquote, also der Prozentsatz derjenigen, die in Deutschland in einem Eigenheim wohnen, ist im internationalen Vergleich erstaunlich niedrig. Während der Durchschnitt in Europa über 70 Prozent beträgt, sind es in Deutschland bisher etwa 40 Prozent, in Ostdeutschland noch weniger. In Zeiten der Wirtschaftskrise wird die Schaffung von privatem Eigentum in der Stadt als möglicher wirtschaftlicher Motor betrachtet, wie zahlreiche staatliche Aufbauprogramme (in Sachsen beispielsweise seitens der Sächsischen Aufbaubank betrieben) belegen. Dadurch werden nicht nur Kredite aufgenommen sowie Geld für Bauvorhaben und Renovierungen ausgegeben, auch wird sich vom sozialen Verhalten eines im Eigenheim lebenden Menschen einiges versprochen. Diese pflegten schließlich nicht nur ihr Haus oder ihre Eigentumswohnung, sondern sind aufgrund ihres Immobilienbesitzes auch an einer ordentlichen und sauberen Umgebung interessiert. Gleichzeitig wächst die Bedeutung von Immobilien als Kapitalanlage in Zeiten von instabilen Finanzmärkten, was sowohl von Privatpersonen als auch von internationalen Investmentfonds derzeit kräftig genutzt wird. Die Renditen, die mit Immobilien in gewissen boomenden Städten erzielt werden können, sind weitaus vielversprechender als in anderen Märkten, weshalb der Umsatz mit Immobilien seit 2008 kontinuierlich steigt.
Das für den Kapitalismus grundlegende Prinzip von Eigentum wird dabei auf verschiedenen Ebenen stabilisiert. So ist nicht allein skandalös, dass Immobilienfirmen wie Hildebrand und Jürgens oder GRK die Preise für jedes zu verkaufende Haus in Connewitz und der Südvorstadt pauschal überbieten. Die komplette Förderstruktur und Gesetzeslage ist auf Eigentum zur Selbstnutzung oder zur Verwertung ausgelegt, indem etwa für denkmalgeschützte Objekte steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten existieren, die erlauben, dass 90 Prozent der kompletten Kauf- und Sanierungskosten nach allein zehn Jahren wieder eingespielt sind. Diese Rechnung geht freilich nur auf, wenn man genügend Umsatz macht oder mit dem Einkommen im Spitzensteuersatz liegt. So werden diejenigen begünstigt, die sowieso über Kapital verfügen, weshalb im Eigentum eine wichtige Reproduktionskraft des Kapitalismus liegt. Gleichzeitig steht zu erwarten, dass der Anstieg an Wohneigentum in Deutschland die sozialen und hier insbesondere die sich in der Stadt räumlich abbildenden Ungleichheiten zusätzlich verfestigen wird.
Wie sich der Wohnungsmarkt entwickelt und in welcher Schärfe sich soziale Ungleichheiten räumlich ausdrücken, hängt nicht zuletzt von der Wirtschaftskraft der Stadt ab. Hamburg und München verzeichnen beispielsweise durchschnittlich das höchste Einkommen wie auch die höchsten Mieten. Folglich kommen diejenigen, die auf dem Arbeitsmarkt Erfolg haben, auch auf dem Wohnungsmarkt nicht zu kurz. Überdurchschnittlich schwer haben es Familien, Alleinerziehende, Prekäre, Studierende, Rentner_innen und ALG II-Empfänger_innen, die aus den attraktiven Gegenden und schönen Wohnungen verdrängt werden. Wenn jedoch mit Immobilien auch immenser Gewinn erzielt werden kann, hat dies eben zur Folge, dass jegliche Flächen dem Verwertungszusammenhang zugeführt werden. Infolgedessen haben auch soziale, kulturelle und politische Projekte, die nicht auf eine unmittelbare Mehrwertproduktion ausgelegt sind, um ihren Raum zu kämpfen. Auch wenn das Label einer kreativen Stadt fleißig gepusht wird, sobald die Umsätze anderer Wirtschaftszweige viel schwerer wiegen, können sich die Maßgaben als auch die Handlungsfähigkeit der Stadt schnell ändern.
Gentrifizierung lässt sich folglich nicht monokausal erklären. Die Preissteigerung im Wohnungsmarkt ist Teil einer kapitalistischen Normalität, die sich nicht auf das Wirken einzelner Immobilienmakler_innen reduziert, sondern hinter der ein komplexes Ursachengefüge von mittelbaren und unmittelbaren Gründen steht. Wenn Wohnen jedoch immer marktförmiger organisiert wird, führt eine Verknappung der Ware Wohnen zwangsläufig zum Ausschluss und zur Verdrängung von Personengruppen, die im Kapitalismus nicht mithalten können oder wollen.
Normalität in Leipzig, oder doch nicht?
Während für Städte wie Hamburg und Berlin unstrittig ist, dass sie einen Gentrifizierungsprozess erleben, wird nicht nur in der außerparlamentarischen Linken, sondern auch in der Wissenschaft darüber gestritten, ob Gentrifizierung als Phänomen in Ostdeutschland auftritt. Alternativ wird von sanfter Gentrifizierung gesprochen, um die verhältnismäßig seichte Entwicklung zu fassen. Manche anerkennen zwar die stadträumlichen Entwicklungen, wollen aber den Kampfbegriff der Gentrifizierung nicht nutzen, weil er zu unkonkret ist. Andere negieren eine Gentrifizierung in Ostdeutschland generell und sprechen von normalen Stadtentwicklungsprozessen.
Nach der Wende 1989/1990 befand sich in Leipzig quasi die komplette Bausubstanz in einem desolaten Zustand, weshalb durch zahlreiche Modernisierungsanreize und Abschreibungsmöglichkeiten Immobilienfirmen angelockt wurden, die nicht unter Marktbedingungen auf der Grundlage von Angebot und Nachfrage agieren mussten. Es handelte sich in gewisser Weise um eine im Vergleich zu Westdeutschland nachholende Modernisierung, bei der das Gros der immobilienwirtschaftlichen Umsätze durch eine Instandsetzung ganzer Wohnviertel, nicht jedoch durch einzelne hochpreisige Sanierungen erzielt wurde. Infolge des massiven Leerstands in ostdeutschen städtischen Wohngebieten mangelte es nicht an Wohnraum, weshalb auch keine drastischen Preissteigerungen für Mietwohnungen einsetzten. Auch heute noch wird häufig auf die niedrigen Mieten in Leipzig verwiesen, wobei vernachlässigt wird, dass Leipzig die ärmste der fünfzig größten Städte Deutschlands ist. Mit einem Durchschnittsnettoeinkommen im Jahr 2010 von 992 Euro liegt man sogar hinter Chemnitz. Aufgrund der sozialstrukturellen Spätfolgen des Staatssozialismus und einem schleppend verlaufenden Aufbau Ost, stellt sich die Gruppe der Gut- und Spitzenverdiener immer noch als sehr klein dar. Der kapitalistische Normalzustand, dass man im Alltag durch Luxusgüter oder Immobilien bestimmter Bevölkerungsschichten daran erinnert wird, wie ungleich der Kapitalismus ist, tritt hier erst langsam ein. So ist beispielsweise die SUV-Dichte in Leipzig immer noch gering, sind die hiesigen oberen Einkommen im bundesdeutschen Vergleich nur unteres Mittelmaß.
Mit Leipzig sah es also bisher unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht rosig aus und da das Angebot an Wohnungen groß ist, liegen die Mieten auf relativ niedrigem Niveau. Doch auch schon jetzt bilden sich soziale Ungleichheiten räumlich ab. Als ALG II-Empfänger_in eine bezahlbare Wohnung in den beliebten Stadtteilen Connewitz oder Südvorstadt zu bekommen, um damit auch in der Nähe von attraktiven Lokalitäten oder Naherholungsgebieten zu wohnen, gleicht einem Glücksfall. Wie sich die Preisdynamik gestalten wird, hängt zu großen Teilen von der Entwicklung des Arbeitsmarkts ab, denn um die anderen Lebensqualität steigernden Bedingungen steht es in Leipzig gut. Da in Leipzig nur wenige große Unternehmen ansässig sind, bemüht sich die Stadt besonders um die Kreativwirtschaft. Das zeigt sich nicht nur an den öffentlichen Ausgaben für Kultur, die im Vergleich mit anderen Städten mit zu den höchsten pro Einwohner_in zählen. Auch die Teilnahme Leipzigs am EU-Förderprogramm „Creative City” wie auch die geförderten Künstleransiedlungen und Wächterhäuser entsprechen dieser wirtschaftlichen Stoßrichtung. Das Ergebnis scheint sich auszuzahlen. Im Vergleich zur Gesamtwirtschaft zeichnet sich die Kreativwirtschaft durch ein konstantes Wirtschaftswachstum aus. Nach einer Studie des Wirtschaftsmagazins Capital, das die Wirtschaftsaussichten der sechzig größten deutschen Städte prognostizierte, lag Leipzig auf Platz vier. Bewertet wurde hier vor allem der Zusammenhang von steigender Einwohnerzahl bei gleichzeitigem Wirtschafts- und Arbeitsplatzwachstum. Das Resümee fällt somit ambivalent aus: Wenn Leipzig in der Standortkonkurrenz mithält und damit auch die Zahl derer sinkt, die aufgrund fehlender Arbeitsplätze die Stadt verlassen, wird die kapitalistische Marktlogik und ihr Drang nach Verwertung in dieser Stadt noch mehr um sich greifen; die damit einhergehenden Strukturen der (räumlichen) Ungleichheit werden sich weiter etablieren und verfestigen. Dafür wird Leipzig endlich ein wenig von seiner Provinzialität, seiner kulturellen Bedeutungslosigkeit und seinem illiberalen gesellschaftlichen Klima verlieren. Eine urbane, und damit auch pluralistische und boomende Stadt ohne Gentrifizierung gibt es im postfordistischen Kapitalismus nicht.
Handlungsmöglichkeiten in der Stadt
Die hier vollzogene Einbettung der Gentrifizierung in eine kapitalistische Gesamtentwicklung ist für die Suche nach Handlungsmöglichkeiten auf den ersten Blick ein Hindernis, schließlich erscheinen alle Interventionen, die sich nicht gegen das ökonomische System als solches wenden, unzureichend. So befürworten wir einerseits eine komplexe Analyse, denn nur so lässt sich eine problematische und verkürzte Kapitalismuskritik verhindern, in der einzelne Personen oder Gruppen als Verursacher_innen verantwortlich gemacht werden. Andererseits haben wir aber auch kein Problem mit einer Praxis, selbst wenn sie reformerische und realpolitische Züge annimmt. Uns erscheint es allemal als sinnvollere Perspektive, dem Interesse nach einem besseren Leben praktisch nachzugehen, als sich im theoretischen Elfenbeinturm zu verlieren und zu verharren, bis soziale Ungleichheiten oder kapitalistische Strukturprinzipien noch dominanter werden. Ebenso wäre es absurd, auf den großen Knall, der die sozialen und politischen Probleme in Wohlgefallen auflöst, zu hoffen. Alle revolutionären Überwindungsversuche des vergangenen Jahrhunderts, egal ob im Namen der Sowjetunion, der RAF oder sonstiger selbsternannter Menschenretter_innen, haben ihre inhumane und verbrecherische Seite mehr als deutlich offenbart. Es wäre politisch sinnvoll zu akzeptieren, dass politische Transformationsprozesse mühselig sind und in extrem kleinen Schritten erfolgen. Die Basis der Veränderung bildet nun mal der Mensch, aber dessen Erkenntnis- und Lernprozesse sind sollen sie nicht unter Zwang, sondern über eigene Reflexion als Individuum passieren bekanntermaßen langwierig. Veränderungen lassen sich somit nur herbeiführen, indem man stetig Thesen und Forderungen aufstellt, diskutiert, annimmt und auch wieder verwirft. Die Herausforderung besteht somit darin, sozialpolitische Interventionen und grundlegende Kritik gleichzeitig zu denken, denn gerade diese Kombination eröffnet gewisse Handlungsmöglichkeiten. Dabei sollten bestehende Spielräume präzise analysiert und strukturelle Grenzen des eigenen Tuns benannt werden, denn nur so können die Widersprüche zwischen Radikalität und Pragmatismus abgefedert werden.
Eigentlich gibt es keine günstigere Situation, strategisch über politische Interventions- und Artikulationsmöglichkeiten hinsichtlich des Themas Stadtentwicklung zu diskutieren, als derzeit in Leipzig. Die der Gentrifizierung zugrundeliegende kapitalistische Entwicklung ist in Leipzig eine nachholende, weshalb die aktuelle Lage mit mehr Wissen und Erfahrung beurteilt und Aktionen mit anderen Städten abgeglichen werden können. Jedoch sieht die politische Situation anders aus. Im Gegensatz zu Hamburg und Berlin gibt es keinen wirklich wahrnehmbaren politischen Druck, der sich aus einer radikalen Kritik speisen würde. Die Beschäftigung mit Gentrifizierung beschränkt sich auf einige Veranstaltungen, Texte sowie zahlreiche Farbbeutelattacken und fragliche Tags an neu sanierten Immobilien, Supermärkten und Stadthäusern. In Leipzig scheint sich die praktische Artikulation der Gentrifizierungskritik darauf zu reduzieren, dass der Kiez dreckig bleiben soll, damit Investor_innen und potentielle Eigentümer_innen abgeschreckt werden. Dass die Formen der radikalen politischen Praxis hier oberflächlich und verkürzt daherkommen, lässt sich nicht an sich mit dem Thema der Gentrifizierung begründen, auch wenn sich der Gegenstand zweifelsohne zur verkürzten Kapitalismuskritik anbietet. Es liegt vor allem an der mangelnden Erfahrung und Tradition radikaler sozial-politischer Interventionen in Leipzig. Dabei birgt genau die Verbindung zwischen dem Versuch einer konkreten Lebensverbesserung auf der einen und der grundlegenden Kritik auf der anderen Seite das Potenzial einer Politisierung sozialer Missstände, da man sich nicht nur über Bündnismöglichkeiten, politische und inhaltliche Mindeststandards sowie mögliche Ziele verständigen muss, sondern auch weil man mit Sicherheit an gesellschaftliche Grenzen stoßen wird.
Über die inhaltliche wie praktische Form einer Gentrifizierungskritik müsste gestritten werden, aber bisher wird weder die positive Selbstaneignung von öffentlichem Raum diskutiert noch die bewusste Schaffung sozialer und politischer Freiräume praktiziert. Auch das Prinzip des Eigentums steht nicht zur Debatte. Im Gegensatz zu früher, als Hausbesetzungen als politisches Mittel wie auch als persönliche Option zum Wohnraumerwerb en vogue waren, werden Hausprojekte initiiert und maximal Interessenvertretungen in Mietbelangen gegründet. Noch nicht einmal die Abschaffung der „Leipziger Linie” wird verlangt. Seit Anfang der 1990er Jahre existiert in Leipzig die ordnungspolitische Regel, dass die Polizei Neubesetzungen unmittelbar beendet, ohne dass vorher Verhandlungen mit dem/der Eigentümer_in oder der Stadt abgewartet werden. Um politischen Einfluss zu erstreiten und seine Forderungen durchzusetzen, ist es auch beim Thema Gentrifizierung unerlässlich, im öffentlichen Raum mit einer gewissen Radikalität präsent zu sein und etwa mit Demonstrationen oder Besetzungen symbolischer Orte politischen Druck aufzubauen. Nur so lässt sich der Handlungsspielraum für eigene Forderungen erweitern.
Eine sinnvolle Forderung, die mit solchen Mitteln vertreten werden könnte, bleibt unseres Erachtens die nach günstigem und schönem Wohnraum für jede und jeden. Ähnlich wie die nach kostenloser Bildung müsste sie als common sense innerhalb der Linken etabliert werden. Sich dabei an die Stadt zu wenden, hat unserer Meinung nach nichts mit Etatismus oder politischer Anbiederung zu tun. Denn wenn man sich auf eine pragmatische Praxis einlässt, muss man auch mit den Entscheidungsstrukturen hantieren, die es derzeit gibt. Man kann auch klassische sozialdemokratische Mittel zur Einschränkung des Markts wie einen stabilen Mietspiegel oder ein Verbot von Preiserhöhungen bei Mieter_innenwechsel fordern, ohne dadurch die soziale Marktwirtschaft zum Ideal zu erheben. Schließlich macht es Sinn, die Kommunen anzuhalten, keine weiteren Privatisierungen von städtischem Wohnraum zu erlauben, damit der Wohnraum nicht noch mehr dem Markt ausgeliefert wird. Ebenfalls kann man, wie es derzeit häufig in Berlin geschieht, Leute mit der eigenen Anwesenheit unterstützen, so dass sie nicht aus ihrer Wohnung zwangsgeräumt werden. Freilich sollten diese eher eindämmenden Forderungen mit Gedanken über neue Modelle des sozialen Wohnungsbaus verbunden werden. Nicht zu Unrecht erscheinen frühere Formen der Lösung der Wohnfrage in Gestalt von einheitlichen Wohnblocks als antiquiert und unattraktiv, weil sie dem individuellen Bedürfnis der Menschen nicht mehr entsprechen bzw. einfach aufgrund ihrer niedrigen Wohnqualität abzulehnen sind. Doch die zurzeit existierenden Alternativen sind mehr als fragwürdig. Was nützt es, wenn die Stadt Leipzig die soziale Aufgabe der Wohnversorgung samt finanzieller Ressourcen auf die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB) überträgt, die weder für schönen, günstigen oder besonders gut betreuten Wohnraum bekannt ist? Die Stadt Leipzig zeigt sich sogar noch davon überzeugt, einer sozialen Idee verhaftet zu sein, wenn sie ihre Häuser und Grundstücke nicht an Unternehmen, sondern an Eigentümer_innen für deren Eigennutz verkauft. Dahingegen gibt es bisher keine nennenswerte Unterstützung, wenn man gemeinschaftlich, also nicht basierend auf dem Prinzip des Privateigentums, ein Haus beziehen und die eigenen Vorstellungen sozialen Wohnens umsetzen möchte. Es bleibt einem nur die jahrelange Qual, eine Genossenschaft oder ähnliches aufzubauen, oder man macht es einfach wie im Gängeviertel in Hamburg und nimmt sich den Raum, den man braucht.
Denn soziale und politische Zentren aber auch gemeinschaftlich organisierte Hausprojekte sind für den Erhalt und den Ausbau von sozialen und politischen Freiräumen unabdingbar. Mit ihnen erschafft man Orte, die wenn sie streng nach den Gesetzen der Marktlogik funktionieren müssten so nie existieren könnten. So entstehen Freiräume, also Räume mit einem Zugewinn an Freiheit, die nicht nur für polit-kulturelle Aktivitäten aller Art, die kollektiv geplant und umgesetzt werden können, nutzbar sind. Gleichzeitig bieten diese Orte Entfaltungsmöglichkeiten für progressives politisches Denken wie auch für soziale Beziehungen außerhalb der gesellschaftlichen Norm. In Hausprojekten ist der Zugewinn an Freiheit meist weniger politisch aufgeladen, aber die dort wohnenden Menschen sind voraussichtlich sozial weniger isoliert und zahlen vielleicht auch weniger Miete. Freilich sind diese gemeinschaftlich organisierten Häuser kein Allheilmittel, da sie gleichzeitig die Verwertungsbilanz eines Stadtteils erhöhen und nicht grundsätzlich zur Lösung der räumlich strukturierten sozialen Ungleichheit beitragen. Vielmehr muss man sich eingestehen, dass Wohnprojekte ebenfalls Ausdruck kapitalistischer Ungleichheit sind. Auch wenn es Möglichkeiten gibt, Hausprojekte ohne Privateigentum zu realisieren, beweisen alle Beispiele, dass ein gewisses soziales und finanzielles Kapital vonnöten ist. Schlussendlich gilt es auch anzuerkennen, dass von linken Zentren und funktionierenden Hausprojekten eine befriedende Wirkung auf ihre Protagonist_innen ausgeht. Man richtet sich in den politischen Verhältnissen ein.
Die eigene Lebens- und Wohnrealität konkret auf verschiedenen Ebenen verbessern zu wollen, sehen wir demnach als einen richtigen Schritt an. Wir sind deshalb auch der Meinung, dass mehr Einfluss auf die gestalterischen und stadtpolitischen Entscheidungen, die die unmittelbare Umgebung betreffen, ausgeübt werden muss, ohne dass dies heißt, dass jede Person sich dafür interessieren muss, wie der soziale Wohnungsmarkt funktioniert oder ob Parks, Einkaufszentren oder Einfamilienhäuser gebaut werden. Um auf traditionellem Wege überhaupt Einfluss auf die Stadtentwicklung und Fragen des Wohnens nehmen zu können, müssten die unzureichenden Instrumente der Partizipation dringend ausgeweitet werden, sodass es realistische und modernere Möglichkeiten gibt, sich über stadtpolitische Angelegenheiten informieren zu können und dann auch mitzubestimmen. Die Bekanntmachung von geplanten Umstrukturierungs- oder Baumaßnahmen im „Amtsblatt” oder die Diskussion über etwaige Themen im Stadtbezirksrat Süd sind das genau nicht. Zudem existieren in Leipzig traditionell leider keine einflussreichen oder inhaltlich progressiven Interessenvertretungsorganisationen wie etwa Mieterbünde. So ist auch die Interessengemeinschaft Connewitz viel zu wenig präsent oder wirkungsmächtig. Ein Grund hierfür liegt in der besonders in Leipzig fehlenden Zusammenarbeit von Interessenvertretungen und linken Gruppierungen, weil für letztere Stadtteilarbeit in keinster Weise auf der politischen Agenda steht. Die unkonventionellen Aneignungen des öffentlichen Raums reduzieren sich auf den sommerlichen Bierkonsum auf der Straße oder Techno-Partys im Wald.
Der Forderung nach mehr Partizipation an den das unmittelbare Lebensumfeld betreffenden Entscheidungen oder der Stadtteilarbeit als solcher wohnt natürlich ein ambivalentes Moment inne, denn es schließt immer auch die mögliche Mitarbeit und Interessendurchsetzung von Personen mit sexistischen, rassistischen und antisemitischen Positionen ein. Aber wenn man ernsthaft an einer Modernisierung der Gesellschaft interessiert ist, sollte man sich den Möglichkeiten, die hinter einem politischen Diskussionsprozess und dem Kampf um diskursive Hegemonie stehen, nicht entziehen. Alles andere wäre eine Deckelung völkischen und chauvinistischen Denkens und damit die Kapitulation davor.
Egal welche Art von Praxis man wählt, d.h. ob man sich für eine Veränderung der privaten Wohnsituation oder für eine politische Beschäftigung mit dem Thema entscheidet, als Grundsatz bleibt bestehen: Neben der Existenz von sozialen, politischen und kulturellen Freiräumen soll jede und jeder ein Anrecht auf eine schöne Wohnung und darüber hinaus die Möglichkeiten haben, Entscheidungen, die die eigene Wohnsituation und -umgebung betreffen, real mitzubestimmen. Wenn die Praxis in Bezug auf Stadtentwicklung und Fragen des Wohnens dabei mit einer grundlegenden Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus verknüpft wird, lassen sich sowohl die mit dem ökonomischen System verbundenen Fortschritte an Freiheit anerkennen wie auch die negativen sozialen Konsequenzen angemessen thematisieren. Nicht ohne Grund bliebe so auch die mit der Stadt verbundene Hoffnung lebendig, die der Ort ist, an dem in diesen Zeiten sozialer Wandel stattfindet. So sollte man auch unabhängig von der aufgezeigten Praxis, die sowohl pragmatisch als auch an individuellen Interessen orientiert sein kann, nicht aufhören, über ein Ideal der Stadt nachzudenken. Denn wie der marxistische Sozialtheoretiker David Harvey zu Recht sagt, bedeutet die Frage, in welcher Stadt wir leben wollen, immer auch die Frage, welche Gesellschaft wir wollen. Ein Ideal der Stadt zu diskutieren, meint dabei nicht, ein funktionierendes Gesellschaftssystem oder eine Stadt am Reißbrett zu entwerfen. Stattdessen sollten diese Diskussionen dazu dienen, Kategorien zu entwickeln, anhand derer die Realität immer wieder gemessen wird. Eine ideale Stadt zeichnet sich nicht nur durch die Differenz und den Pluralismus ihrer Bewohner_innen aus, die ihre Individualität entfalten können und trotzdem sozial integriert sind. Sie orientiert sich zugleich an Formen radikaler Demokratie und ist frei von Arbeitszwang. Was wir tun können, um diesem Ideal näher zu kommen, sollten wir nicht unversucht lassen.
disneyland des unperfekten [Kooperation von INEX und der AG Gentrifizierung des Conne Islands]