Mo Di Mi Do Fr Sa So 
00 00 00 00 00 00 01 
02 03 04 050607 08 
09 10111213 14 15 
16 17 18192021 22 
23 24 25 26 27 28 29 
30 31 

Aktuelle Termine

CEE IEH-ARCHIV

#201, Februar 2013
#202, März 2013
#203, April 2013
#204, Mai 2013
#205, Juni 2013
#206, September 2013
#207, Oktober 2013
#208, November 2013
#209, Dezember 2013

Aktuelles Heft

INHALT #204

Titelbild
Editorial
• das erste: Black Metal ist Mist!
AFBL-/Brunch-Saisoneröffnung
A night of music feat. Joey Cape
Filmriss Filmquiz
Amenra, Syndrome, Downfall Of Gaia, Fargo
Shai Hulud, Dead End Path, Departures, Whirr
Cloud Boat (R&S), Präzisa Rapid 3000 (Doumen), Simon12345 & The Lazer Twins (Doumen)
Peter Pan Speedrock
Sub.Island pres. Dub Echos
Zur Kritik nationaler und transnationaler Migrationspolitik
electric island „final edition“
All 4 Hip-Hop Jam 2013
Shellac (Touch & Go/us). Support: Auf
Karocel /live (Freude am Tanzen)
Suffocation, Cephalic Carnage, Havok, Fallujah
Cafékonzert-Matinée – The Powertrip: Gone To Waste, Scarred Mind, Dull Eyes
Broilers
Summerclosing Sause
• review-corner film: Hannah Arendt – eine deutsche Denkerin?
• doku: Inside Syria: Letters from Aleppo – Teil 4
• interview: „Reise ins Ungewisse“
• position: »Ich bin der deutsche Geist!«
• position: Von der Kritik der Praxis zur Praxis der Kritik
• position: Erwiderung auf den Redebeitrag der Gruppe „the Future is unwritten“ auf der Demonstration von „Rassismus tötet!“ am 27.10.2012 in Leipzig
• position: Nicht mit und nicht ohne – Teil 2: Konkret
Anzeigen

LINKS

Eigene Inhalte:
Facebook
Fotos (Flickr)
Tickets (TixforGigs)

Fremde Inhalte:
last.fm
Fotos (Flickr)
Videos (YouTube)
Videos (vimeo)



„Reise ins Ungewisse“

Blog-Berichterstattung aus Syrien: Fotograf Boris Niehaus im Interview

CEE IEH: Du bist eher dafür bekannt, Streetart-Fotografie zu machen, wie kam es dazu, dass du als Fotograf nach Syrien gegangen bist?

BN: Mit Streetart-Fotografie hatte das nichts zu tun. Ich bin vor allem Fotograf und den „Wunsch” oder eher den Drang in ein Krisengebiet zu fahren, gab es schon länger. Das es speziell Syrien zu dieser Zeit geworden ist, hatte mit den Entwicklungen um den „Arabischen Frühling” zu tun. Außerdem hat meine Familie syrische Bekannte, von denen ich Geschichten gehört hatte. Thomas Rassloff, ein Fotograf, der schon in Syrien war, hat mich dann mitgenommen. Es war also eine Verkettung von Gründen, die zu meiner Reise geführt hatten. Die Planung war relativ kurzfristig. Rossi (Thomas Rassloff, Anmerk. Redaktion) hat gesagt, er fährt „runter” das war eine Woche, bevor wir die Tickets gebucht hatten.

CEE IEH: In Letters from Aleppo beschreibst du deine ersten Eindrücke vom türkischen-syrischen Grenzgebiet. Wie ging es dir bei der Ankunft an diesem Grenzkorridor nach Syrien?

BN: Ich wusste nicht, auf was ich mich einlasse. Das war meine erste Reise in ein solches Krisengebiet und in ein arabisches Land abgesehen von der Westbank. Ich hatte mir natürlich alle Nachrichten angesehen, trotzdem war da eine diffuse Angst. Kurz vor der Reise gab es Meldungen, dass Assad Giftgas einsetzen will, ich hörte Geschichten von syrischen Bekannten über den Geheimdienst und über Foltergefängnisse. Es gab viele Informationen und ich wusste nicht genau, was wahr ist. Die Reise war ein Selbstversuch. Im Vorfeld war dann noch gar nicht klar, ob wir überhaupt über die Grenze dürfen. Außerdem wusste ich nicht, was ich sehe, was passiert, wie ich darauf klarkomme und im Endeffekt hätte ich mir auch sehr gut vorstellen können, dass ich am ersten Abend schon wieder nach Hause fahre.

CEE IEH: Letters from Aleppo ist nicht zuletzt so interessant, weil plastisch wird, wie sich eine „Zivilperson” fühlt, die sich plötzlich in einem Bürgerkrieg befindet. Was hat dich bewogen, nicht zu sagen: Das ist verrückt, ich muss hier weg!

BN: In der Türkei gab es bis zum Grenzübertritt immer die Möglichkeit umzukehren. Als wir dann vor dem Minibus standen und auch schon zwei andere Journalisten kennengelernt hatten, war klar: „Ok, wir steigen jetzt in diesen Bus und fahren ins Ungewisse und da gibt es dann kein Zurück mehr”. Das ist wie ein Sprung ins kalte Wasser. Dann steht man am Beckenrand und springt einfach hinein. Man weiß nicht, wie kalt das Wasser ist, man taucht einfach ein.

CEE IEH: Was waren deine ersten Eindrücke von der Stadt Aleppo?

BN: Wir fuhren nach Aleppo, das ist von der Grenze eigentlich nur 30 Minuten entfernt, über 2 ½ Stunden. Das Gebiet von der Grenze nach Aleppo war immer noch umkämpft und überall waren Schuttberge. Im Abstand von ein paar Kilometern waren Checkpoints mit FSA-Kämpfern, die einen über das nächste Teilstück der Strecke informiert haben. Seit Ausbruch des Konfliktes kann niemand regulär arbeiten. Es gibt keine Tankstellen, an den Straßen sieht man Leute Benzin verkaufen, die damit etwas Geld verdienen wollen. Man sieht zerbombte Häuser und überall Rebellen mit Gewehren. Die ganze Stadt ist voller Waffen ich will gar nicht wissen, wie viele Waffen gerade in Aleppo im Umlauf sind. Im Vorfeld hatte ich gehört, Aleppo sei bereits fast befreit. Als wir dann aber da waren, haben wir auf einem Google-Maps Ausdruck im AMC (Aleppo Media Center, Anm. d. Redaktion) gesehen, welche Stadtteile von Aleppo befreit waren, das waren ca. 50%. Es gab noch eine ziemlich klare Frontlinie innerhalb der Stadt. Keine Menschen waren auf der Straße, die Häuser waren zerschossen, verbrannt oder zerbombt.

CEE IEH: Du hast von den geheimen Brotfabriken berichtet und die Zustände in einer verlassenen Klinik für psychisch Kranke und Behinderte fotografisch dokumentiert. Welche Bilder sind dir am stärksten im Gedächtnis geblieben?

BN: Einer der krassesten Eindrücke war sicherlich der im Krankenhaus einer Einrichtung für psychisch Kranke. In der Stadt hört man Gewehrfeuer oder Panzerschüsse. Es ist wie ein Grundrauschen in der Stadt, an das man sich gewöhnt. In den Straßen gibt es fast tumultartige Menschenaufläufe. Die besagte Klinik lag nahe der Frontlinie. Die Einrichtung war zu grausam, um Kulisse in einem Film sein zu können. Es gab einen Hof in der Mitte des Gebäudes, es war Winter und hat geregnet, die Menschen sind ohne Schuhe herumgelaufen. Es gab keine Einrichtungsgegenstände, alles war dreckig, Menschen haben geschrien. Wir wurden gebeten, Fotos zu machen. Die Ärzte und Schwestern waren geflohen, Medizin gab es dort nicht. Ich stapfte in ein Zimmer, in dem Menschen auf einem Bettenlager saßen und mich ansahen. Es stank bestialisch, ich weiß nicht wie Verwesung riecht aber vielleicht war es das sogar. Diese Klinik in dieser verzweifelten Stadt einen entsetzlicheren Ort kann man sich nicht vorstellen. Es ist schwer für mich in Worte zu fassen. Im Blog habe ich es, glaube ich, „Hölle” genannt.

CEE IEH: Im Verlauf der „Letters” bekommt man den Eindruck, dass sich deine Angst legt. Am Ende wolltest du sogar an die Frontlinie gehen. Wie kam es dazu?

BN: Diese große diffuse Angst hat sich irgendwann geklärt. Wahrscheinlich deshalb, weil wir dann zum AMC gefahren sind. Das war total improvisiert. Es hat geregnet und der Regen fiel vom Dach durchs Treppenhaus ins Foyer da waren riesige Seen. Strom gab es auch nicht, der Generator fiel dauernd aus und es war kalt. Die Leute, die da gearbeitet haben, waren keine Journalisten. Sie waren beispielsweise Englischlehrer. Jedenfalls hat sich dort dieser Nebel, diese diffuse Angst aufgelöst, weil wir die Strukturen kennenlernten. Und andererseits: Klar, ich wollte dahin. Man kennt die Bilder von Krieg und Leid aus dem Fernsehen oder dem Film. Es sind konstruierte Bilder. Und manche Punkte wollte ich selber erleben, wozu zum Beispiel die Front gehörte.

CEE IEH: Du hast Zeit mit den Kämpfern der FSA verbracht. Lässt in den Gruppen der FSA eine ideologische Grundübereinstimmung feststellen?

BN: Schwierige Frage. Am Anfang war der Aufstand eine soziale Bewegung, die sich dann bewaffnet und radikalisiert hat. Zu diesem Teil gehört auch die FSA. In Aleppo gibt es, glaube ich, zwanzig verschiedene Brigaden. Fünf von ihnen waren radikal-islamisch. Einige waren gemäßigter und dann gibt es natürlich noch andere Gruppen, die alle ein anderes Bild davon haben, wie Syrien nach der Revolution aussehen sollte. Syrien ist auch das Land der Minderheiten und Assad hat nach den Protesten immer versucht, dies zu instrumentalisieren. Es wurde gesagt, das hinter der Gewalt, diese oder jene stünden. Die einen würden von aus dem Westen gelenkt, die anderen vom Iran oder der Hisbollah. Das Ausspielen der Minderheiten gegeneinander macht aber nicht nur Assad, sondern wird auch von islamistischen Rebellen betrieben. Was die Leute von der FSA teilweise selber zugeben, ist, dass sie kaum Rückhalt von der Bevölkerung bekommen, weil sie ihnen den Krieg gebracht haben. Natürlich will man das Land befreien und Assad muss weg, aber das Leben ist zusammengebrochen. Es ist gibt auch niemanden, den man als festen Vertreter der Opposition festlegen könnte. Das macht es natürlich schwierig für den Westen.

CEE IEH: Wie war die Zusammenarbeit von Journalisten und der FSA? Du beschreibst in den Blogs, dass bei der Einreise Journalisten kontrolliert und im Computer abgeglichen werden.

BN: Du wirst kontrolliert wie an jeder anderen Grenze. Wir haben dann allerdings von schwarzen Listen gehört, auf denen unliebsame Journalisten stehen. Die FSA hat aber auch „dazugelernt”. Man hat anfangs Geschichten von Gräueltaten der FSA gehört, die von Journalisten dokumentiert wurden. Das hat zu schlechter Presse geführt. Die FSA weiß dies mittlerweile zu verhindern. Als wir am ersten Tag an der eingenommenen Militärakademie waren, wollten Journalisten die Leichen der Gefallenen sehen, um die Vorgänge zu dokumentieren. Die FSA wollte das nicht zulassen. Ein Journalist, der von Anfang an bei der Belagerung dabei war, sagte allerdings, dass bei der Erstürmung „nachgeschossen” wurde. Das heißt, dass Verletzte, die am Boden lagen, mit Kopfschüssen umgebracht wurden. Die FSA wusste genau: So etwas zeigt man keinem Journalisten.

CEE IEH: Wie sah die Zusammenarbeit mit dem Aleppo Media Center aus?

Die Leute im Aleppo Media Center haben wirklich gute Arbeit gemacht. Alles hat natürlich seinen Preis. Internet hatte einen festen Preis, Fahrer hatten einen Preis, Translator usw. Die Leute organisierten Kontakte, wenn man ein Interview brauchte oder zur Front wollte. Aber natürlich haben sie einen auch ein Stück weit gelenkt und beschwichtigt, wenn die Lage brenzlig wurde. Man hatte manchmal das Gefühl, das selektiert wurde, welche Infos gegeben werden und welche nicht. Wenn man zur Front wollte, dann kannten die Leute vom AMC schon ihre Einheiten, zu denen man geschickt werden konnte. Ganz davon abgesehen, dass die Islamisten von der Al Nusra eh keine Journalisten bei sich wollten, hätten die Leute vom AMC einen da nie hingeschickt, weil sie wollten, das man ein anderes Bild gewinnt. Die Arbeit der Leute im AMC ist deren Weg, gegen Assad Widerstand zu leisten.

CEE IEH: Du schreibst über die Journalisten-Teams aus aller Herren Ländern, die nach Syrien kommen und ihre Stories machen. Wie war die Zusammenarbeit mit den anderen Journalisten?

BN: Eigentlich ist die Zusammenarbeit gut. Es gibt ein funktionierendes Netzwerk von Krisenjournalisten. Ich kann darüber aber nicht viel sagen, weil es geheim ist. Wie sage ich es am besten...? In sozialen Netzwerken gibt es Gruppen, in denen sich Krisenjournalisten gegenseitig unterstützen und helfen. Sie wurden nach dem Tod zweier Journalisten in Tunesien gegründet. Außerdem bin ich Mitglied im Journalistenverband, der wusste, dass ich nach Syrien fahre. Als Journalist hat man in solch einem Konflikt schon eine Sonderstellung. Immerhin fährt man nicht als Kriegstourist dahin. Die gegenseitige Unterstützung gibt es. Es gibt aber auch Konkurrenz. Beispielsweise wird nicht über die Stories gesprochen, die jeder Einzelne macht.

CEE IEH: War es eigentlich beabsichtigt, die „Letters from Aleppo” in der Form entstehen zu lassen, in der sie letztlich entstanden sind?

BN: Es war von Anfang an klar, dass ich so etwas wie ein Tagebuch schreiben wollte. Aber ich hätte mir auch gut vorstellen können, schon nach dem ersten Tag abzureisen, weil ich Schiss bekomme. Bis ich abends angefangen habe zu schreiben, war eigentlich nicht klar, was das wird. Ich sehe es als journalistische Arbeit. Es war meine Story, über meine Erfahrungen und meine Gefühle, das habe ich quasi zur Story gemacht. Ich habe noch versucht alles mit Fakten zu unterfüttern und da war auch nichts gefälscht.

CEE IEH: Würdest du wieder in einem Krisengebiet arbeiten? Immerhin ist die Arbeit der Journalisten sehr gefährlich.

BN: Ich weiß nicht was die Leute antreibt oder was mich angetrieben hat. Vielleicht Nachrichten machen oder etwas Gutes tun. Aber warum man da konkret sein Leben aufs Spiel setzt, weiß ich nicht. Ich denke nicht, dass es für mich das letzte Mal war, dass ich in einem Krisengebiet gearbeitet habe. Auf jeden Fall wäre es nicht wieder so eine „Reise ins Blaue”. Die Story, die ich über meine eigenen Erfahrungen oder Selbsterfahrung gemacht habe, die wird es nicht wieder geben.


Das Interview führte SK.

23.png



Boris Niehaus wird gemeinsam mit dem Fotografen Thomas Rassloff im Conne Island über seine Erfahrungen in Syrien berichten. Die Infoveranstaltung findet statt 13.05.2013 um 20 Uhr statt. Der Eintritt ist frei.

03.05.2013
Conne Island, Koburger Str. 3, 04277 Leipzig
Tel.: 0341-3013028, Fax: 0341-3026503
info@conne-island.de, tickets@conne-island.de