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• Editorial
• das erste: Gentrifizierungskritiker unter Beobachtung
• Das Filmriss Filmquiz
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• Pttrns, Fenster, Urban Homes, Map.ache
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• doku: Inside Syria: Letters from Aleppo
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• das letzte: das letzte
Das Thema Gentrification ist im Mainstream angekommen – das lässt zumindest die Flut an Artikeln und Veröffentlichungen vermuten. Doch die Sicherheitsbehörden und das Bundesfamilienministerium stellen Gentrifizierungskritik auf eine Stufe mit Verfassungsfeindlichkeit und Gewaltbereitschaft. Dabei verfolgen sie nicht nur ein fragwürdiges Extremismus-Konzept, sondern bringen auch ein gesellschaftlich relevantes Thema in Misskredit.
Vor knapp sechs Jahren wurde der Stadtsoziologe Andrej Holm in Berlin in Untersuchungshaft genommen. Das Bundeskriminalamt hatte Ermittlungen gegen ihn eingeleitet, weil er den Begriff „Gentrification” in seine Forschungsarbeiten einfließen ließ. Zu diesem Zeitpunkt war die Theorie von städtischer Aufwertung und Verdrängung in Deutschland noch weitgehend unbekannt. Das BKA sah in der Verwendung des Wortes aber eine Parallele zu einem Bekennerschreiben der als terroristisch eingestuften „militanten gruppe”.
Mittlerweile hat der Mainstream das Thema Gentrification aufgesaugt – so scheint es zumindest: Die Massenmedien arbeiten sich an dem zum Kampfbegriff verkommenen wissenschaftlichen Konstrukt ab, die Universitäten bieten Seminare zum Schwerpunkt Gentrification an, Podiumsdiskussionen und Informationsveranstaltungen überreichen sich den Staffelstab. Doch auch die Sicherheitsbehörden haben das Thema wieder aufgegriffen – als Indiz für linksextreme Bestrebungen. Abgesehen von dem absurden Extremismuskonzept, das hier angewendet wird, diskreditieren die staatlichen Organe damit den Protest gegen Mietsteigerung, Verdrängung und Segregation.
Der Hamburger Verfassungsschutzbericht von 2011 widmet den Themenfeldern Stadtentwicklung und Gentrification im Kapitel „Linksextremismus” ganze fünf Seiten. Dabei stehen nicht nur – wie gewohnt – die Krawallmacher_innen aus dem Umfeld der Roten Flora unter Beobachtung, sondern auch das recht breite gesellschaftliche Bündnis der „Recht auf Stadt”-Initiative. Der Verfassungsschutz hat zwar spätestens durch die NSU-Affäre einen guten Teil seiner Glaubwürdigkeit eingebüßt, dennoch diffamiert eine Erwähnung in dessen Berichten das Engagement der Bewegung. Auch in Berlin wurde eine unangemeldete Demonstration gegen hohe Mieten Ende vergangenen Jahres zur Sache für den Staatsschutz. Eine der protestierenden Frauen wurde vom Landeskriminalamt vorgeladen – mit der Begründung, Mieten und Gentrifizierung seien für die Abteilung Linksextremismus relevante Themen.
Kürzlich gab die Stiftung „Zeitbild”, deren Tätigkeitsschwerpunkt in der Erziehung und Bildung von Kindern aus sozial schwachen Familien liegt, eine didaktische Broschüre zur politischen Bildung heraus. Ihr Titel: „Demokratie stärken, Linksextremismus verhindern.” Darauf prangt das Logo des Bundesfamilienministeriums. Das Lehrmaterial schlüsselt verschiedene linke Themen auf – darunter auch das der Gentrifizierung. Anhand eines Zeitungsartikels zur Räumung der Berliner Liebigstraße sollen die Kinder in einem Rollenspiel Lösungsvorschläge machen. Mögliche Positionen sind bereits vorgegeben: So sagt der Anwohner, er wolle endlich wieder Ruhe haben. Der Journalist fragt, ob es hier wirklich um Gentrifizierung gehe oder nur um Krawall. Und der Gewaltbereite will auf legale Mittel verzichten. Damit zeichnet die Broschüre ein Bild von den Gentrifizierungskritikern, das von vornherein negativ und abwertend ausfällt. Ihre Forderungen werden mit Gewalt und Kriminalität in Verbindung gebracht.
Auch in Leipzig ist das Thema für die Sicherheitsbehörden von Interesse. Im Kriminalpräventiven Rat existiert inzwischen eine Arbeitsgruppe Stadtentwicklung. Deren Aufgabe ist es „aktuelle Stadtentwicklungsprozesse in Connewitz zu untersuchen und Lösungsansätze für problematische Entwicklungen zu erarbeiten.” Natürlich wird der Arbeitsgruppenleiter und Revierchef Frank Gurke kaum etwas gegen steigende Mieten und Segregation unternehmen wollen – genauso wenig wie der Verein „Gegen Vergessen – für Demokratie”. Der bat das Conne Island Anfang Februar um ein Leitfadeninterview zu „Themen und Konflikten, die in alternativen Lebenskreisen eine Rolle spielen.” Unter anderem sollte es dabei auch um „Gentrifizierung in Connewitz” gehen. Wissenschaftliche Anfragen zu Prozessen der Stadtentwicklung gab es in den letzten Monaten häufig. Dies verfolgt jedoch einen eigenen Zweck: die Prävention linksextremer Tendenzen. Mit finanzieller Unterstützung des Familienministeriums und des Bundesprogramms „Demokratie stärken” – beide wurden schon häufig für ihr extremismus-theoretisches Konzept kritisiert – will das Projekt einen „systemisch-lösungsorientierten Ansatz im Themenfeld Linksextremismus” entwickeln. Dabei seien „die Erfahrungen und Kenntnisse im Themenfeld Rechtsextremismus die Folie, vor der neue Erkenntnisse im Themenfeld Linksextremismus gewonnen werden sollen”. Der Verein definiert Extremismus „vor allem als Symptom eines problematischen soziokulturellen Systems” und legt den Fokus deshalb auf „Gruppen, Institutionen und Einzelpersonen” innerhalb dieses Systems und auf die „Rahmenbedingungen, die deren Zusammenspiel beeinflussen”. So soll „indirekt gegen linksextremistische Erscheinungen” vorgegangen werden.
Was in der Projektbeschreibung recht abstrakt und theoretisch klingt, heißt in der Praxis: Das Conne Island soll als Institution innerhalb eines subkulturellen Milieus Aussagen über Gentrifizierungsprozesse in Connewitz machen, weil dieses Thema, wie die beschriebenen Beispiele beweisen, als „Rahmenbedingung” für linksextreme Tendenzen gilt. Der Laden hat diese Anfrage als Unverschämtheit abgelehnt – zum einen aus Protest gegen das zugrunde liegende Extremismus-Konzept, zum anderen, weil in dem Projekt Fördergelder versickern, die an anderer Stelle dringend nötig werden. So musste beispielsweise das Netzwerk für Demokratie und Courage Anfang Februar sein Büro in Leipzig schließen und Teile seiner Arbeit in ganz Sachsen einstellen, weil ihm die weitere Unterstützung versagt wurde. „Demokratie stärken” sieht anders aus. &Üuml;berdies bringt es aber ein gesellschaftlich relevantes Thema in Misskredit, wenn Gentrifizierungskritik mit der Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verknüpft wird. Unabhängige Bewegungen, die grundlegende soziale Fragen aufwerfen, bekommen damit den Stempel destruktiver Revolutionäre aufgedrückt. Die Kritik an Eigentumsrechten muss aber möglich sein, ohne dass sofort der Verdacht auf Verfassungsfeindlichkeit gesät wird.
[Forsythia Nairobi]