Im Folgenden dokumentieren wir „Letters from Aleppo” – eine Reihe von Briefen, die der Streetart-Fotograf Boris Niehaus alias JUST zuerst beim Blog „Nerdcore” und später beim Magazin „Reportagen” veröffentlicht hat. Boris reiste im vergangenen Jahr ins syrische Aleppo, um seine unmittelbaren Eindrücke zu schildern und natürlich um zu fotografieren. In dieser Ausgabe des CEE IEH werden wir Teil 1 seiner Briefe veröffentlichen, im April Teil 2, 3 und 4. Danach folgt außerdem ein Interview mit Boris. Die „Letters” entstanden unter unmittelbarem Eindruck der Verhältnisse in Aleppo/Syrien und wurden bis auf einige orthografische Anpassungen im Original belassen.
Die Redaktion des CEE IEH freut sich besonders über die gute Zusammenarbeit mit Boris Niehaus und dem Magazin „Reportagen”, ohne deren freundliche Zuarbeit eine Veröffentlichung nicht zustande gekommen wäre.
Inside Syria: Letters from Aleppo – Teil 1
Hi René,
schreibe dir aus dem Office des AMC (Aleppo Media Center), einem alten und jetzt besetzen Science Center (mehr weiß ich nicht). Unser Zimmer ist im zweiten Obergeschoss, aber nur hier unten gibt es Strom, von dem Generator, der im Hof vor sich hin brummt. Vor drei Tagen wurde Teilen der Stadt der Strom abgestellt und auch fließendes Wasser gibt es keins mehr. In dem Büro nebenan wird laut auf arabisch gesprochen und ab und an rauscht der Sicherheitsposten oben von der Straße laut durchs Walkie Talkie. Das Internet schwankt, nebenan werden gerade die Clips von heute auf Youtube geladen (AMC-Channel).
Hier angekommen sind wir (der Fotograf Thomas Rassloff (Rossi) und ich) vor ein paar Stunden. Gestern waren wir noch in Kilis in der Türkei, wo wir in einem runtergekommenen Hotel übernachtet haben und heute morgen mit einem Taxi an die syrische Grenze gefahren sind.
Seitdem ich mich dazu entschieden hatte hier her zu fahren, hatte ich ein mulmiges Gefühl – irgendetwas zwischen Spannung und Angst. Meine Erwartungen an diese Reise waren diffus. Ein Mix aus Bildern die ich aus den Nachrichten kenne, Geschichten von in Deutschland lebenden syrischen Freunden, die den Geheimdienst fürchten und von unterirdischen Foltergefängnissen erzählen. Dazu Infos aus alten Reiseführern, die eine touri-freundliche Stadt versichern.
Alle Bilder von JUST(1just.de) unter Creative Commons BY NC SA 3.0. Für mehr Hintergünde, Bilder zur Reise nach Syrien und Informationen über die Ausstellung „Letters from Aleppo“: www.facebook.com/just.photos.berlin
Die Ausreise aus der Türkei war easy. Danach erwartete uns ein circa zwei Kilometer langer, mit Stacheldraht gesäumter Korridor aus hohen Metallwänden. Es ist staubig und leer. Dann der von der FSA (Free Syrian Armee) kontrollierte syrische Grenzübergang. Ich sehe zum ersten Mal Gewehre und Männer in Tarnfleckkleidung. Wir betreten das Grenzhäuschen. Unsere Pässe werden kontrolliert, unsere Namen im Computer eingegeben. Später erfahren wir, dass es schwarze Listen gegen unliebsame Journalisten gibt. Auch die FSA hat dazu gelernt und lässt nicht mehr alles so leicht dokumentieren – und stetig wird die ausländische Presse gelesen und sich Namen notiert. Wieder auf der Straße stoßen wir auf einen Mini-Bus vor dem schon zwei weitere westliche Journalisten warten. Mit ihnen werden wir den restlichen Tag verbringen und später hier im AMC einchecken (Victor Breiner, ein junger freier Fotograf und Peter Steinbach, ca Mitte 50, der unter anderem für die Welt schreibt).
Rossi kennt den Fahrer von seinem letzten Besuch hier in Syrien. Es wird sich freudig begrüßt. Es gibt nur eine handvoll Fahrer hier, die sich auf das Einschleusen von Journalisten spezialisiert haben. Die Fahrer kennen die Straßen, Dörfer und was am wichtigsten ist: die vielen kleinen Sicherheitsposten entlang der Strecke nach Aleppo, die meist aus ein paar bewaffneten Jugendlichen bestehen und Bergen aus Schutt die nur langsam umfahren werden können. Wir steigen ein, fahren aber nur ein paar hundert Meter und finden uns in einem Flüchtlingslager aus hunderten weißen Zelten wieder. Der Fahrer verschwindet kurz, um keine Ahnung was zu erledigen. Wir sind umringt von Kindern, die aus dreckigen Plastikkörben gebastelte Bauchläden vor sich her tragen. Sie verkaufen Schokoriegel. Nach ein paar Minuten geht es weiter.
Der Fahrer ist sehr sympathisch und unterstützt Journalisten seit Beginn des Aufstands, teilweise auch mit Unterkunft in seinem Haus, in einem kleinen nahegelegenen Dorf, welches wir als nächstes kurz anfahren. Hier steigt eine niederländische Journalistin dazu. Sie trägt ein Kopftuch und sprudelt vor Informationen. Sie erzählt von Gefechten um eine Militärschule nahe dem Ort Muslimiyah, welches auf halber Strecke nach Aleppo liegt. Die Schlacht geht schon seit drei Wochen, soll aber jede Stunde ein Ende zugunsten der FSA finden. Natürlich fahren wir sofort dorthin. Die Journalistin sagt sie schreibt für ein belgisches Magazin, welches dem deutschen Spiegel nahe kommt.
Auch wenn Aleppo nicht weit von der Grenze entfernt liegt, fahren wir gut eine Stunde durch staubiges Land voller knorriger Bäume und vereinzelter Häuser. Ich sitze hinter Victor und sehe, dass an seiner Schutzweste ein „A Negative”-Batch sitzt. Meine Schutzweste ist im Rucksack. Aber keine Ahnung was meine Blutgruppe ist. Es wird über die verschiedenen Unterkünfte in Aleppo geredet und wie schlecht das Internet überall ist – man könne kaum ein Bild hochladen. Das beste Internet und die komfortabelsten Zimmer zu moderaten Preisen gibt es im AMC, welches mitten in der Stadt, jedoch etwas isoliert liegt. „Leicht zu bombardieren”, fügt Peter hinzu. Hier dreht sich alles um Kontakte merke ich. Ich habe (außer Rossi) keine davon. Die Niederländerin redet erregt von vergangenen Gefechten. Entlang der Strecke tauchen immer wieder kleine Benzin-, Zigaretten-, oder (verstaubte) Obststände auf. Das einzig „richtige” geöffnete Geschäft, das ich in einem der Dörfer sehe, verkauft Generatoren.
Immer wieder halten wir an den kleinen Sicherheitsposten (meist an Dorfein- und Dorfausgang). Wir bekommen aktuelle Informationen über das nächste Teilstück unserer Strecke. Alles sicher. Aber die Schule soll schon eingenommen worden sein. Enttäuschung macht sich breit. Der Mini-Bus fährt schneller.
Wir kommen an und halten vor den Toren der eingenommenen Militär-Schule. Die Mauern zieren Wandbilder von Generälen und auch ein Bild von Bashar al-Assad ist dabei. Alle Bilder sind zerschossen. Wir steigen aus. Vor den Toren tummeln sich FSA-Kämpfer. Sie sehen erschöpft aus, aber auch erleichtert über den Sieg. Jeder hier trägt AK`s. Einer kommt vom Inneren die Straße runter und hält die Schulterabzeichen einer Militäruniform in die Höhe. Sie trägt vier Sterne und andere Zeichen. Vermutlich die Abzeichen des gefallenen Generals der Schule. Es wird gescherzt und er versucht sich die Abzeichen an seine Schultern zu stecken. Eines wird ihm entrissen, worauf hin er sich beschwert und den Dieb sucht. Er hält sein Gewehr in die Höhe und schießt. Ich höre zum ersten mal in meinem Leben einen Gewehrschuss aus nächster Nähe (ich war artiger Zivi). Alle lachen, guter Witz – er bekommt sein Abzeichen nicht wieder. Unser Fahrer freut sich und belässt das Abzeichen in seiner hinteren Hosentasche.
Wir unterhalten uns mit den Kämpfern, wollen die Leichen sehen und Fotos machen, aber wir werden nicht weiter in das Areal gelassen. Immer wieder fahren Autos auf das Gelände und Autos die vollgepackt mit militärischer Ausrüstung sind, verlassen es. Schnell wird in Sicherheit gebracht, was in Sicherheit gebracht werden muss. Trotzdem wird jedes Auto bei der Ausfahrt kontrolliert. Es scheint wohl etwas chaotisch zu sein alles. Dann passiert es: aus dem Nichts ertönt der Sound eines Kampfflugzeuges; binnen zwei Sekunden wird es ohrenbetäubend laut, alle erstarren, ducken sich! Bis zu der folgenden Explosion, einer ein paar Meter weiter einschlagenden Bombe, war keine Möglichkeit zu handeln. Ich kann nicht beschreiben wie es sich anfühlt aus der Luft bombardiert zu werden. Das krasseste war, dass ich das Flugzeug nicht gesehen oder gehört habe und keiner einschätzen konnte, ob nicht ein zweites Flugzeug gleich hinterher kommt, das seine Bomben wer-weiß-wo einschlagen lässt. Jetzt ist alles in Bewegung, ich habe keine Ahnung wohin und orientiere mich an anderen. Unser Fahrer rennt zum Mini-Bus, steigt ein und schreit unserem Team zu wir sollen kommen. Hundert Sachen passieren gleichzeitig und ich frage mich wie es wohl ist weggesprengt zu werden und hoffe, wenn schon, dann gleich tot zu sein. Ich überlege, ob es eine gute Idee ist, jetzt mit einem vollgepackten Auto wegzufahren – bietet das nicht ein gutes Ziel? Scheiß drauf, rein in den Wagen. Ich halte nach Rossi Ausschau und sehe ihn an einer Mauer Schutz suchend und schreie seinen Namen. Der Bus rollt schon, er kommt und wir fahren los.
Der Bus ist voll, alle liegen aufeinander und alle lachen! Wir alle sind erleichtert! Der Bus fährt schnell und schlingernd davon. Zum nächsten kleinen Dorf, an dem wir halten, aussteigen. Nach dem Schreck macht sich Euphorie breit. Alle reden durcheinander. Wir hören einen weiteren Einschlag (Ich weiß, bis jetzt noch nicht wie ich mich fühle. Ich schlafe mal eine Nacht und lasse die Geschehnisse morgen Revue passieren).
Ich ziehe jetzt meine Weste an. Und auch den Helm packe ich aus.
Weil uns unser Fahrer wieder alleine lässt, um andere von der Schule zu holen, warten wir an dem kleinen Häuschen in dem Dorf. Wir chatten mit anderen. Als unser Fahrer nach einer Stunde noch nicht da ist, entschließen wir uns mit einem anderen Mini-Bus die zehn Minuten zur Schule zurück zu fahren. Schließlich sind die Hälfte unserer Sachen nicht bei uns. Außerdem sind wir neugierig wie es dort jetzt aussieht. Die anderen spekulieren, ob sie jetzt das Areal besichtigen können. Ich weiß nicht Recht, ob ich die Idee mag, zur Schule zurück zu fahren und als wir dort ankommen, bleibe ich erst einmal vor dem Tor und schaue mich in der Gegend um. Auf dem Acker gegenüber sehe ich eine Herde erschossener Kühe. Alle von Assad-Leuten getötet, damit sie nicht den Rebellen in die Hände fallen (denke ich mir). Ich finde ein Loch im Zaun, quetsche mich hindurch und zerreiße dabei meine Jacke. Ich gehe langsam auf die großen Tiere zu, die etwa 100 Meter entfernt grotesk ihre Beine in die Luft strecken. Irgendwie habe ich keine Lust auf Leichen. Auch nicht auf die von erschossenen Kühen. Ich bleibe stehen und atme durch. Mache ein Foto aus der Entfernung und stolpere den Acker zurück.
Unser Fahrer kommt mit unseren Taschen. Wir (Rossi, Victor und Peter) steigen ein und lassen uns nach Aleppo zum AMC bringen. Auf dem Weg trinken wir am Straßenrand, wo es langsam städtisch wird, einen Kaffee. Die Fahrt hat uns Vieren von der Grenze bis hierhin jeweils 50 USD gekostet. Am AMC werden wir freundlich empfangen und ich verabschiede mich von unserem Fahrer, der mir seine Nummer und Facebook-Profil aufschreibt, damit ich mich melden kann, wenn ich die Tage zurück nach Kilis will. Mein erster Kontakt in Syrien.
Im AMC füllen wir Formulare aus und lassen uns das Haus und Struktur erklären. Schlafplatz und Internet kosten 50 $ die Nacht, einen Fahrer, der einen hinbringt, wo man in der Stadt hin will, nochmal 50 $ am Tag. An der Wand hier hängt ein Google-Maps-Ausdruck von Aleppo, auf dem die befreiten Gebiete markiert sind. Sie teilen sich ungefähr die Hälfte mit denen, die noch in den Händen des Assad-Regimes sind. In der Ferne hört man unregelmäßige Explosionen. Wahrscheinlich vom Flughafen der gerade stärker umkämpft ist.
Jetzt sitze ich hier am Rechner, wie die andern. Gleich frage ich nach einem Feuerzeug, um die Kerzenstummel bei uns im Zimmer anzuzünden, damit ich meinen Schlafsack finde und mich langsam pennen legen kann.
Mal sehen, was morgen passiert. Jeder Journalist, der nach Aleppo kommt, kommt für eine Story; die wird dann in zwei bis drei Tagen gemacht und dann gehts schnell wieder raus. Wirklich lange bleibt hier keiner. Mein Rückflug geht in acht Tagen, aber vielleicht gehts früher zurück in die Türkei, in irgendeinem Hotel zum Chillen.
Ich schreib bald wieder, wenn es was gibt.
Ansonsten sehen wir uns in Berlin.