Mo Di Mi Do Fr Sa So 
00 00 00 00 0102 03 
04 05 06 070809 10 
11 12 13 141516 17 
18192021222324 
25 2627282930

Aktuelle Termine

CEE IEH-ARCHIV

#201, Februar 2013
#202, März 2013
#203, April 2013
#204, Mai 2013
#205, Juni 2013
#206, September 2013
#207, Oktober 2013
#208, November 2013
#209, Dezember 2013

Aktuelles Heft

INHALT #202

Titelbild
Editorial
Errata
• das erste: Inside Syria: Letters from Aleppo – Teil 1
Neaera, Bury Tomorrow, Counterparts, The Last Witness, The Defiled
Messer, Dikloud (Cafékonzert)
Long Distance Calling, Solstafir, Audrey Horne
Filmriss Filmquiz
Border Weeks - Electric Island: James Holden, Wesley Matsell, Steffen Bennemann
Lesung: Antiziganistische Zustände 2
Lesung: "Ein repressiver Kreuzzug im Namen bestehender Verhältnisse"
Lesung: Was tun mit Kommunismus? Zur linken Kritik an Bolschewismus und Realsozialismus.
King Rocko Schamoni
The Riots (Cafékonzert)
Textor (Kinderzimmer Productions)
For the fallen Dreams, Dream On, Dreamer
DOOM TIL DAWN Aftershowparty
Kvelertak, Truckfighters, El Doom & The Born Electric
Edit pres. Zambon, Pinz & Kunze
...And You Will Know Us by the Trail of Dead, The Coathangers
• review-corner film: Hannah Arendt und ihr Urteil
• review-corner film: Und es gibt Brandenburg!
• position: „Heute gibt es den Stempel, keinen Stern mehr“1
• doku: Rede von Fathiyeh Naghibzadeh
• das letzte: Wieso ich Schwaben lieber mag – Einige Überlegungen
Anzeigen

LINKS

Eigene Inhalte:
Facebook
Fotos (Flickr)
Tickets (TixforGigs)

Fremde Inhalte:
last.fm
Fotos (Flickr)
Videos (YouTube)
Videos (vimeo)



Und es gibt Brandenburg!

Trostlos, trist und grau: Der Film „Nach Wriezen“ erzählt die Geschichte von der versuchten Resozialisierung dreier junger Ex-Häftlinge im märkischen Niemandsland.

Spannung und Distanz

Im Rahmen des Leipziger Dok-Film Festivals lief Ende 2012 als einer der Hauptbeiträge der Film „Nach Wriezen”. Unter Federführung des Filmstudenten und ehemaligen Sozialarbeiters Daniel Alaba begleitet ein Film-Team drei aus der Haft entlassene junge Männer auf ihrer Rückkehr in die Freiheit. Das Film-Team beginnt seine Dreharbeiten noch während die drei Protagonisten Imo (22), Jano (17) und Marcel (25) im Gefängnis von Wriezen, einer tristen Kleinstadt im märkischen Oderbruch, sitzen. Die Kamera empfängt die Männer jeweils direkt nach der Haftentlassung am Gefängnistor und begleitet sie zu ihren ersten Treffen mit Freunden, Partnerin oder Familie. In den folgenden Jahren finden mehr oder weniger regelmäßige Treffen zwischen der Filmcrew und Imo, Jano oder Marcel statt. Aufgrund ihres Fingerspitzengefühls und der notwendigen Geduld gelingt es dem Film-Team sehr eindrucksvoll, das Vertrauen der Männer zu gewinnen und die jeweilige Lebenssituation einzufangen. Die Realitäten von Imo, Jano und Marcel sehen ganz unterschiedlich aus. Während Marcel inmitten ostdeutscher Plattenbautristesse die Resozialisierung mit Hilfe seiner Freundin angeht und seine neu gewonnene Freizeit im Vergnügungspark und rauchend auf dem Balkon verbringt, gestalten Imo und Jano die Rückkehr in ihr neues Leben chaotisch. Ob es Zufall ist oder nicht, einige der gefilmten Passagen könnten einem Spielfilm entstammen, vor allem Janos Jahre in Freiheit sind alles andere als langweilig. Schnell entscheidet er sich gegen den Weg, den Bewährungshilfe und Arbeitsamt für ihn vorgezeichnet hatten. So beendet er mit einer ganz richtigen Analyse seine überbetriebliche Ausbildung – wieso solle er auch als Praktikant Dinge erledigen, für die andere Angestellte bezahlt werden. In der von Praktika, Umschulungen, „Bildungsträgern” und unterbezahlten Stellen gepräg­ten ostdeutschen Ausbildungslandschaft gelingt solch ein Ausstieg nur den Wenigsten. Leider lässt der dokumentarische Charakter des Film durch einige Einstellungen, die Jano mit anderen Azubis bei der Schneeballschlacht oder einfach nur beim Herumsitzen zeigen, ihn als „Arbeitsverweigerer” da stehen, ohne auf die drastisch prekären Arbeitsverhältnisse einzugehen in die Jano gepresst werden soll.
Eine ganz andere Einstellung zu seinem neuen von der Arbeitsagentur vermittelten Job entwickelt Imo. Zufrieden mit der schweren körperlichen Arbeit auf einem Entsorgungshof und der harten aber gerechten Art seines Chefs findet Imo dort sogar ein neues Zuhause und zieht in eine teilweise zurecht gemachte Baracke ein. An spätestens dieser Stelle erzeugen die gewählten Kameraeinstellungen aber auch die Realität einer deutlichen Abgrenzung zwischen den Leben der Ex-Häftlinge und den bürgerlich-akademischen Wohlstandsleben derer, die sich den Film auf einem Dok-Film Festival ansehen. Zum Beispiel dokumentiert eine Nachtaufnahme, welche die unterschiedlich farbigen Zimmerbeleuchtungen seiner neuen Barackenwohnung zeigt, nicht nur das Leben Imos, sondern liefert ihn auch dem Spott der ZuschauerInnen aus. Genau diese haben es damit mehr als leicht, die in ihren Augen kriminellen oder zumindest obskuren Lebensgeschichten an den gesellschaftlichen Rand zu projizieren. Hätte es der Film geschafft die Kleinstädte und die dortigen Verhältnisse zu zeigen, in denen die Hauptakteure in Konflikt mit dem herrschenden Gesetz gekommen sind, wäre dem Film möglicherweise eine gesamtgesellschaftliche Einordnung gelungen. All diese Orte sind trostlos, Drogen und regelmäßige Besuche in das naheliegende Berlin gehören oft zu den einzigen Möglichkeiten den Alltag zu verlassen. Kriminalität und erschlagende Perspektivlosigkeit scheinen nicht nur in Wriezen eher Normalität als die Randständigkeit zu sei, die der Film so gern zeigen oder die ZuschauerInnen so gerne sehen möchten.

Akzeptierende Nähe

Aber zurück zu Marcel, dem dritten der Ex-Häftlinge. Über ihn wird eine ganz eigene Geschichte erzählt. Seine Freundin holt ihn nach acht Jahren Haft im Gefängnis Wriezen ab. Das Filmteam begleitet beide von dort aus per Regionalbahn in die Wohnung, die beide ab jetzt gemeinsam bewohnen werden. Nach einem gemeinsamen Kaffeetrinken wird ein Stapel Formulare gezeigt, der den Wiedereintritt in das gesellschaftliche Leben regeln soll – Anmeldung bei der Stadt, Hartz IV-Antrag, Bewährungshilfe. Richtiges Mitleid mag beim Zuschauen für Marcel jedoch nicht aufkommen, der große kräftige Mann wirkt zurückhaltend, teilweise auch überraschend abgeklärt im Umgang mit der Kamera. Man könnte meinen, dass Marcel in vielen „Sitzungen” im Gefängnis gelernt hat, mit Fragen zu seiner Tat und seinem Leben umzugehen. In dieses Bild reiht sich auch eine Szene ein, in der er dem Kamera-Team seine unzähligen Tattoos zeigt. Der Knast-Tattoowierer hat dabei ganze Arbeit geleistet, aus einem Hakenkreuz wurde beispielsweise ein Tribal, weitere Beispiele folgen. Marcel wirkt dabei wenig entschuldigend, eher als wäre es eine Konsequenz aus den Jahren im Gefängnis. Man möchte ihm einräumen sich von seiner Tat distanziert zu haben, seine Ear-Plugs, die jeweils ein Eisernes Kreuz zeigen, sind aber nur ein Zeugnis seiner fortlebenden rechten Einstellung. Gerade die letzte Szene des Films zeigt, dass Marcels politische Gesinnung noch immer über die einer rechten Alltagskultur hinaus geht. Für das Film-Team wird es das letzte Aufeinandertreffen mit Marcel und seiner Freundin gewesen sein. Der Regisseur Daniel Alaba wird aber weit nach Ende der Dreharbeiten von Marcel und seiner Freundin zur Hochzeit eingeladen.

Wahrheiten

Nicht zu Beginn, sondern nahezu beiläufig irgendwann während der 87-minütigen Dokumentation liest Marcels Freundin aus der regionalen Tageszeitung einen Artikel vor, aus dem hervorgeht, für welche Tat Marcel 8 Jahre im Gefängnis war.
Der hier „Marcel S.” genannte, tötete im Sommer 2002 den 16-jährigen Marinus Schöberl aus Potzlow und verscharrte ihn anschließend zusammen mit seinem Bruder und einem weiteren Nazi in einer nahe liegenden Jauchegrube. Bekannt wurde die Tat auch weil sich die Nazis am Film „American History X” orientierten und Marinus mit einem „Bordsteinkick” ermordeten. Der Dokumentar-Film „Zur falschen Zeit am falschen Ort” von 2005 berichtet aus der kleinen Gemeinde Potzlow in der Uckermark und trifft sehr eindeutig die Zustände, in denen sich Täter und Opfer tagtäglich begegnet sein müssen. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf den Strukturen in eben dieser Dorfgemeinschaft. So wird derjenige, welcher die Leiche von Marinus findet, als Verräter bezeichnet, der Bürgermeister regt sich lieber über die berichtenden Medien auf und in vielerlei Hinsicht vergisst der Rest der BewohnerInnen lieber als zu erinnern.
Der Regisseurin des Film „Zur falschen Zeit am falschen Ort” Tamara Milosevic gelingt dabei, was Daniel Alaba in „Nach Wriezen” nicht gelingt, nämlich gesellschaftliche Verhältnisse und Zustände abzubilden. Anscheinend spielt für Alaba die Geschichte und Tat Marcels auch keine größere Rolle als die Drogen- und Gewaltkarrieren von Jano und Imo, weil der Film diese drei Geschichten unkommentiert nebeneinander erzählt.



b.

22.jpg

25.02.2013
Conne Island, Koburger Str. 3, 04277 Leipzig
Tel.: 0341-3013028, Fax: 0341-3026503
info@conne-island.de, tickets@conne-island.de