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Ja, Rassisten töten! Darum lieben wir dieses Land und seine Leute nicht. In den frühen 90ern zog sich eine Spur von rassistischer Gewalt durch die vereinte Republik: in Hoyerswerda, Mölln, Solingen und Rostock-Lichtenhagen – um nur einige wenige der Pogrome zu nennen – zelebrierte der deutsche Mob die Einheit durch Brandschatzung und Ausländerhatz.
Der rassistische Pöbel fühlte sich hierbei als legitimer Vollstrecker des Allgemeinwohls, welches von vermeintlichen Schädlingen bedroht sei. Da der bürgerliche Staat dem Pöbel das harte Durchgreifen vorerst verwehrte, glaubten rassistische Bürgerinnen und Bürger sowie Nazis im eigentlichen Sinne das Volkswohl durchsetzen zu müssen. Tatsächlich wurde dies als ein direktes Votum des deutschen Volkes zur Einschränkung des Asylrechts gewertet: Am 6. Dezember 1992 wurde diese Einschränkung des Asylrechts vom Bundestag verabschiedet, nachdem auch die SPD sich ein Herz gefasst und sich entschlossen hatte, den Gewalttätern entgegen zu kommen.
Doch geht eine radikale Linke und antirassistische Szene fehl, wenn sie behauptet, Staat und Staatsvolk handelten gleichsam nach dem einen gleichen rassistischen Ressentiment und dadurch nach der gleichen Logik. Vor diesem Hintergrund finden wir den Aufruf mindestens kritikwürdig: Zwar bedingen Staat und Kapital den Rassismus der bürgerlichen Gesellschaft und der Nazis, doch geht dieser Rassismus nicht automatisch auf in den Interessen des modernen Staates.
Wir kritisieren auch die im Aufruf geäußerte Kritik, die bei einer moralischen Empörung über Rassismus stehen bleibt und mangels einer Analyse der kapitalistischen Gesellschaft Rassismus nicht als ideologisches Produkt derselben erkennen kann.
Wenn wir heute deshalb den Aufruf kritisieren, dann geht es uns nicht darum, das Vorhaben der Demo zu delegitimieren. Wir denken aber, dass eine radikale Kritik notwendig für eine antirassistische Praxis ist. Dazu gehört auch festzustellen, dass Abschiebepraxis und Bevölkerungspolitik zwar widerwärtig und menschenverachtend sind. Der bürgerliche Staat handelt allerdings nicht primär nach rassistischen Kriterien, sondern vor allem nach ökonomischen: Die staatlichen Stellen haben ein Interesse an gut laufenden kapitalistischen Geschäften: Der Staat funktioniert nur, wenn das Kapital erfolgreich Arbeitskraft ausbeutet und Gewinne macht. Der Staat hat deshalb auch ein Interesse daran, dass dem Kapital dauerhaft brauchbare – und das heißt immer auch ausreichend billige – Arbeitskraft zur Verfügung steht.
Setzt sich die Einschätzung durch, dass hierfür Einwanderung notwendig ist, kann das auch eine Förderung von Immigration bedeuten, wie das v.a. in der Bundesrepublik der 60er und frühen 70er Jahre der Fall war. Die Staatsangehörigkeit wurde den Einwanderern dabei vorenthalten – ein Hinweis darauf, dass auch in dieser Zeit dem Staat nicht jedeR LohnarbeiterIn gleich galt.
Zum einen sind nur beschäftigte LohnarbeiterInnen gute LohnarbeiterInnen. Arbeitslose verursachen Kosten, für den Staat und damit für das Kapital.
Habenichtse ins Land zu lassen ist deshalb nicht im Interesse der Besitzenden – und sind sie im Land, wie die „Gastarbeiter“ des 20. Jahrhunderts, entspricht es kapitalistischer Logik, sie als AusländerInnen jederzeit wieder außer Landes schaffen zu können.
Dazu kommt etwas anderes. Die Vorstellung, es dürften eigentlich nur Angehörige des Deutschen Volkes im Land leben, Leute, die irgendwie durch Geschichte, Sprache oder sonstige Kultur zu einer Einheit gemacht worden seien, ist nach wie vor verbreitet und nützlich für die herrschenden Verhältnisse.
Die Ideologie einer Gemeinschaft, in deren Sinne angeblich Politik gemacht werde, täuscht über Interessensgegensätze hinweg. Sie täuscht darüber hinweg, dass auch der/die „deutsche“ LohnarbeiterIn im Zweifelsfall nach ökonomischen Kriterien behandelt und im Falle von Arbeitslosigkeit schnell zur/m SchmarotzerIn erklärt wird. Der Vorstellung von Gemeinschaft als gesellschaftlicher Grundlage entspricht das Bild vom Staat als einem am Gemeinwohl orientierten Makler politischer Prozesse. Diese Ideologie wird zwar auch von Politik, Unternehmerverbänden und in Schulen verbreitet, vor allem aber von den Beherrschten selbst reproduziert. Die Hoffnung auf garantierte Teilnahme wird nicht nur als Anspruch an staatliche Politik getragen, sondern aggressiv nach außen gewendet, um das angebliche Kollektiv so umgrenzen zu können.
Während es für den deutschen Staat durchaus von Vorteil ist, sich auch einmal als Speerspitze von Humanität und Menschenrechten darzustellen, verselbstständigt sich in den Verbrechen des rassistischen Mobs die Ideologie gegenüber der staatlichen Praxis.
Der Mob sieht in seiner zumeist prekären oder vom sozialen Abstieg bedrohten Lage Zugewanderte als Konkurrenzobjekte um die wenigen vorhandenen Jobs oder um soziale Leistungen. Er sieht sich als diesem von Kapital und Staat geschaffenen Kollektiv zugehörig an und meint in seiner ideologischen Zurichtung mehr einen Anspruch auf Arbeit und Sicherheiten zu haben als Zugewanderte. Eben soweit entspricht dies auch meistens staatlicher Praxis im Bezug auf Einwanderung, wenn nicht wie etwa in den 60er Jahren mehr ausländische Arbeitskraft benötigt wird.
Doch das eigene Scheitern in der kapitalistischen Konkurrenz und die alltäglichen Zwänge von Arbeit und Leistungsgesellschaft liefern in verwahrlosenden Deutschen die Grundlage zum Hass auf das Andere.
Die andere Hautfarbe und die als anders wahrgenommenen kulturellen Hintergründe der verhassten Person dienen dem werdenden Brandschatzer nur als Projektionsfläche der eigenen verdrängten Bedürfnisse und der eigenen verdrängten Unfähigkeit zur Anpassung an den verwalteten Kampf ums Dasein.
Im Hass auf faule Griechen etwa offenbart sich damit das eigene Bedürfnis nach Müßiggang, das in der kapitalistischen Gesellschaft durch den alltäglichen Zwang zum Verkauf der Arbeitskraft verwehrt wird.
In ihrer Irrationalität streben die MörderInnen danach, die Identität der Gemeinschaft wiederherzustellen. Sie sehen sich damit als VollstreckerInnen einer Volksgemeinschaft, deren Interessen sie vom Staat als uneingelöste einfordern.
Migrantinnen und Migranten werden also immer wieder als faule Taugenichtse, Schmarotzer und Gemeinwohlschädlinge mit niederer Kultur angefeindet und angegriffen. Der Hass auf dieses Wahnbild führte zuletzt in Leipzig 2010 zu dem Mord am 19-jährigen Kamal K.
Darum lieben wir auch diese Stadt und seine Leute nicht!
Wir finden, es ist folglich falsch, das Pogrom als verlängerten Arm staatlicher Praxis zu betrachten, denn das passt nicht ins Bild eines Deutschlands, das Toleranz und der Menschenrechte, welches eine BRD braucht, die weiterhin am Weltmarkt erfolgreich sein will. Wenn Fachkräfte etwa mit anderer Hautfarbe in bestimmten Gebieten Deutschlands nicht arbeiten wollen, weil rassistische Gewalt dort vorkommt, dann ist das für die Wirtschaft schlecht und somit nicht im Interesse des Staates und der Bürgerinnen und Bürger, sondern höchstens im Interesse der von verwahrlosten Spinnern getragenen national befreiten Zonen. Wenn also Bürgerliche rassistische Morde mit dem Hinweis auf den Schaden für den Standort Leipzig verurteilen, geht ihre Praxis und ihr Denken mehr in staatlichem Handeln auf, als die der mordenden Nazis. Das bedeutet, dass wir es ideologisch mit zwei menschenfeindlichen Ausdrücken kapitalistischer Produktion zu tun haben, denen also in politischer Praxis verschieden zu begegnen wäre und deren Überwindung nur durch die wirkliche Überwindung kapitalistischer Produktion zu erreichen ist.
Diesen Tatsachen steht allerdings der Aufruf der Gruppe Rassismus Tötet hilflos gegenüber. Eine radikale Kritik von Rassismus, der der bürgerlichen Gesellschaft entspringt, bleibt aus. Und obwohl sich der Aufruf mit einem Verbalradikalismus schmückt, verweilt er bei einer bloß oberflächlichen, moralischen Empörung, die so auf dem Niveau eines zivilgesellschaftlichen Antirassismus verbleibt.
Zudem halten wir eine bloße Sprachkritik, die in antirassistischen Theorien zur Mode geworden ist, für mangelhaft. Solcher sprachphilosophische Idealismus zeigt sich praktisch ohnmächtig gegen den stummen Zwang der Verhältnisse, welche Rassismus nicht nur sprachlich, sondern vor allem reell und tatsächlich Tag für Tag reproduzieren.
Es reicht eben nicht aus, Regeln einer politisch korrekten Sprache zu schaffen. Im Gegenteil macht es diese Reglementierung einfacher, sich hinter einem Neusprech zu verstecken, statt die gesellschaftlichen Ursachen der eigenen Ressentiments zu reflektieren und sich zu diesen zu verhalten. Nicht selten trägt sogar eine Diskurslinke eher zur Verwischung der realen Wirksamkeit kapitalistischer Verhältnisse bei, als diese begreifbar zu machen und begnügt sich mit moralinsaurer Argumentation und mit dem affektiven Ressentiment gegen das, was als mehrheitsgesellschaftlich und darum schlecht wahrgenommen wird. Darum muss Sprachkritik mit materialistischer Gesellschaftskritik Hand in Hand gehen.
Eine radikale Zuspitzung solcher Diskurstheoreme führte zu den Exzessen der Gruppe Reclaim Society auf dem No Border Camp in Köln und Düsseldorf 2012, welche den Vorwurf des Rassismus instrumentalisierte und real von Abschiebung betroffenen Menschen diktierte, wie sie zu sprechen hätten. Ein Klima der Angst vor dem Ausschluss machte wichtige politische Arbeit zunichte und verunmöglichte Rassismus als gesellschaftlich bedingt zu reflektieren. Die ständige Drohung mit Sanktion und das sprachtheoretische Dogma wurden zur Selbstbestätigung einiger junger Akademikerinnen und Akademiker. Statt sich also weiterhin der Identitätspolitik und Ideologieproduktion zu verschreiben, muss sich eine antirassistische Praxis der Notwendigkeit zur Überwindung kapitalistischer Verhältnisse bewusst werden. Die Erringung bürgerlicher Rechte, das Kämpfen um ein Bleiberecht, die praktische Unterstützung von Flüchtlingen und von Rassismus Betroffenen, sind für die Menschen, denen die Unterstützung zuteil wird, notwendig. Der Kampf gegen Nazis, sowie die Subversion der Abschiebepraxis ebenfalls.
Doch darf nicht bei der Anrufung demokratischer Rechte und des verbrieften, aber verweigerten Menschenrechts stehengeblieben werden. Die weltweite Umwälzung der kapitalistischen Produktionsweise ist notwendig, um rassistische Zustände unmöglich zu machen.
Die rationale und universelle Aneignung des materiellen und kulturellen Reichtums durch alle Menschen, die Überwindung des bürgerlichen Privateigentums und der Nation, sind notwendig für eine befreite Gesellschaft.
Rassistische und antisemitische Zustände
überwinden! Für den Kommunismus!
the future is unwritten