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• doku: Kampf gegen Rassismus oder Beitrag zum Mythos Connewitz?
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Oury Jalloh starb am 7. Januar 2005 infolge eines Brandes in der Zelle, in die er aufgrund seines alkoholisierten Zustandes gesperrt war. Viele Indizien sprechen dafür, dass sein Tod mindestens durch Untätigkeit des diensthabenden und durchsuchenden
Beamten mitverantwortet wurde. Im Mai 2005 wurde gegen zwei Polizeibeamte Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhoben. Nach anderthalb Jahren endete der Prozess im Dezember 2008 mit dem Freispruch der beiden Polizisten. Das Revisionsverfahren endete
mit der Aufhebung des Urteils, so dass seit Januar 2011 neu verhandelt wird. Am 13.12.2012 wurde der Dienstgruppenleiter wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe in Höhe von 10.800 Euro verurteilt. Der Tod von Oury Jalloh steht exemplarisch für staatlichen Rassismus, der sich nicht nur in entsprechenden Gesetzen äußert, sondern seinen Ausdruck auch in rassistischem Handeln von PolizistInnen, MitarbeiterInnen von Verwaltungen und AmtsträgerInnen findet. Menschen bekommen diesen gesellschaftlich weit verbreiteten Alltagsrassismus beim Gang zum Amt, auf dem Polizeirevier, auf dem Gang in den Supermarkt, bei VermieterInnen etcpp täglich zu spüren. Die Grenze zwischen psychischer Erniedrigung und tätlicher Gewalt ist fließend. Die Reaktion sind viel zu oft Resignation, Angst und Isolierung. Insbesondere Flüchtlingen, wie Oury Jalloh einer war, wird in Deutschland mittels Sondergesetzen ganz plastisch zu verstehen gegeben, dass sie nicht erwünscht sind. Jegliches Aufstehen für ihre Rechte wird mit Restriktionen geahndet, zb. Einschränkung der sowieso marginalen Existenzsicherung oder der Bewegungsfreiheit.
Ist vor diesem Hintergrund ein Ausbruch von Wut nicht angemessen bzw. mindestens verständlich?
Sicherlich spielte diese Wut bei der Nacht- und später als „Scherbendemo“ bezeichneten Aktion eine Rolle, als am Morgen des 15.12.2012 Menschen in Leipzig-Connewitz auf die Straße gingen. Trotzdem muss die Frage gestellt werden, was diese Aktion für den Kampf gegen rassistische Ausgrenzung und Diskriminierung gebracht hat. Mir erscheint es so, als wenn hier ein „Mythos Connewitz“ bedient wurde – durch mutmaßlich weiße „Antifa-Kids“ und Erwachsene, die hier ihren Militanzfetisch unter Beweis stellen mussten. Gibt es für eine solche Demonstration keinen geeigneteren Ort als den behüteten Kiez?
Wie erwartet und erwünscht war das Medienecho groß. Die führende Lokalzeitung schrieb – mit Verweis auf brennende Weihnachtsbäume und die zerstörte Polizeikamera am Kreuz eine Woche vorher – von einer „Gewaltspirale“ und „schweren Krawallen“, die Polizei kündigte „verstärkte Beobachtung“ und eine „andere Strategie“ an, der Verfassungsschutz ordnete die Aktion(en) als „linksextremistisch“ ein. Der neue Leipziger Polizeipräsident Bernd Merbitz dagegen macht „erlebnisorientierte Jugendliche“ verantwortlich und kündigte für die Silvesternacht, die am Connewitzer Kreuz bis vor ein paar Jahren einigermaßen spannungsgeladen war, eine „zurückhaltende Strategie“ an. Ob die Präsenz von 600 PolizistInnen tatsächlich „deeskalativ“ wirkt, sei dahin gestellt.
Es bleiben behördliche Ermittlungen, ein paar Schlagzeilen, erhöhte Polizeipräsenz und differierende Einordnungen der Aktion(en) als politisch und unpolitisch. Und es bleibt die Aktualisierung des Mythos „Krawall“-Stadtteil.
Im Gegensatz zur Gentrifizierungsdebatte, die im vergangenen Jahr mit Farbbeutel- und Steinwürfen auf Häuser begonnen und in Diskussionsrunden und Aktionen mündete, scheint es eine kiez-interne Auseinandersetzung über legitime Formen des Protestes bis hin zur Sachbeschädigung nicht zu geben. Das ist schade und führt dazu, dass die Deutungsmacht bei der sich in Kommentaren austobenden Volksseele und bei einzelnen Akteuren aus dem politischen Raum bleibt.
Sowohl auf der Internetseite der Leipziger Volkszeitung als auch der L-IZ wird in den Kommentarspalten anschaulich illustriert, warum antirassistisches Engagement an und für sich essentiell ist. Da wird fachmännisch über Oury Jalloh und seinen Tod lamentiert, und mit Genugtuung u.a. angeführt, dass er Drogendealer gewesen sei und vor seiner In-Gewahrsam-Nahme Frauen belästigt habe. An anderer Stelle wird betont, dass sein Asylantrag ja abgelehnt worden war. Solche Einlassungen suggerieren Zustimmung zum Tod eines Menschen und Indifferenz bis Zustimmung zu einer rassistischen Asylgesetzgebung. Nichts stört den/die zu Kommentaren geneigte/n OrdnungsbürgerIn dagegen mehr als Sachbeschädigungen. Der psychisch und physisch gewalttätig wirkende Rassismus spielt keine Rolle mehr. Kurz: Eingeschlagene Scheiben sollen schlimmer sein als ein toter Mensch?
Solche Einstellungen wurden auch in den vergangenen Monaten in der Debatte um die Neuorientierung bei der Unterbringung von Asylsuchenden in Leipzig wirkmächtig. Anstatt die von der Stadt auf Druck von Initiativen avisierte Verbesserung der Lebensverhältnisse von Flüchtlingen zu unterstützen, wurden mit rassistischen Ressentiments im Gepäck die Ordnungs- und Sicherheitsargumentationen dagegen mobil gemacht.
Am Ende festzuhalten: Rassismus muss mit aller Kraft entgegengetreten werden. Die Frage ist wie gewohnt die nach angemessenen Mitteln.
Ob die Mythologisierung von Connewitz als Hort des Widerstandes auf der einen oder als Hort der Gewalt auf der anderen Seite dazu tatsächlich etwas beitragen kann, ist fraglich.
Jule Nagel, 22.12.2012