• Titelbild
• Editorial
• das erste: Zur Frage der Verhältnismäßigkeit von Anlass, Auftreten und Absicht
• Stomper 98
• Sub.island pres. Sub Sickness
• Film: This Ain't California
• Murs & Fashawn, Diamond D, Ugly Duckling
• Converge, Touché Amoré
• Springtoifel
• Erobique /live
• Jingle Bells
• Tischtenniscup
• Bingo & Karaoke
• Silvester-Disco
• Edit
• The Ghost Inside, Deez Nuts
• We have Band
• Studio Braun: Fraktus
• Veranstaltungsanzeigen
• Nicht quatschen – handeln!
• Die goldene Brücke zum Romantizismus
• Aufruf zur Gründung der Wochenzeitung Jungle World
• Ficken!!!
• Widerruf und Bekräftigung: Oekonux-Konferenz
• No Volksmusik! No Antiamerikanismus!
• Eintracht Zwietracht
• Krise und Kritik – mitten im Eiskeller
• Strafe statt Sühne...
• Clement attackiert Verfassungsschützer
• Anzeigen
Im Augenblick akuter Gefahr verlässt man sich am besten auf seine Reflexe. Von ablen-kenden Grübeleien nicht behelligt zu werden, kann schließlich lebensrettend sein. Den-noch: In den Kampfpausen muss nachgedacht werden. Um die ungeliebte K-Frage wird man dabei nicht herumkommen. Ein paar Anregungen vom Mausebär.
KRISE. So schnell rückt sie einem ganz praktisch auf die Pelle. OK, nach wie vor hat man Angst vor diesem Wort, dennoch gibt es da - über die sehr angebrachte tagesaktuelle Aufregung hinaus - ein Unbehagen, dass die Unverschämtheiten von Stadt und Finanzamt in Zukunft eher zu- als abnehmen könnten. Es entwickelt sich - naja, vielleicht kein Krisenbewußtsein, doch immerhin Kriseninstinkt.
Der Eiskeller - ökonomisch
Das Conne Island ist eine komplett unproduktive Angelegenheit. Es ist kein professioneller Geschäftsbetrieb im Sinne eines normalen Konzertveranstalters, dessen Tätigkeit sich an der Durchschnittsprofitrate zu messen hat. Im Klartext: Zweck des Conne Island ist nicht, durch die Gestaltung der Eintrittspreise in der nächsten Saison mehr Konzerte als die Konkurrenz veranstalten zu können, um in der darauffolgenden Saison noch mehr Konzerte ... usw. usf., bzw. um irgendwann drei neue Konzerthäuser zuzukaufen oder ins Kondomgeschäft einzusteigen (Kapitalprinzip). Im Gegenteil - durch den Eiskeller wird auch noch gesellschaftskritischer "Gegenwert" geschaffen. Die Produkte des Conne Island haben lediglich formellen, keinen substantiellen Warencharakter, d. h.: Es sind Leistungen, die zwar im Kontext des Hantierens mit Geld stehen (sie benötigen zu ihrer Herstellung Geld und werden nicht verschenkt), jedoch nicht Ergebnis produktiver Arbeit sind. Was auf Gesamtkapitalebene produktiv ist, lässt sich nur kreislauftheoretisch entscheiden und zwar an Hand der Frage: Kehren die Produkte einer Arbeit wieder in den erweiterten Reproduktionskreislauf des Kapitals zurück, oder nicht? Beim Conne Island wäre das nur dann der Fall, wenn:
1. es Waren (in der Form von Konzerten und Discos) anbieten würde, deren Preis durch c+v+Durchschnittsprofit gebildet und voll vom Publikum getragen wird, d. h.: Das Konzert muss die Abnutzung des konstanten Kapitals (Technik, Gebäude usw.), die Reproduktionskosten des variablen Kapitals (die Lebensmittel der Arbeitskräfte aller bei und vom Eiskeller Beschäftigten) und einen Mehrwert einspielen, der von Privatkapitalisten einerseits zur Ausdehnung des Geschäftsbetriebes und andererseits zur persönlichen Lebenshaltung verwendet wird und
2. produktive Arbeiter (nicht etwa: BaföG-Bezieher, noch nicht arbeitsfähige Jugendliche, Rentner, Sozialhilfeempfänger, ABM-Beschäftigte - all diese Leute sind kapitalistisch unproduktiv und werden lediglich alimentiert!) diese Leistung gegen Geld nachfragen - diese Arbeiter die von ihnen besuchten Konzerte also zur Reproduktion ihrer Arbeitskraft verwenden.
Da 1. nicht gegeben ist, hilft es auch nicht, dass sich manchmal produktive Arbeiter in die heiligen Hallen verirren. (Der theoretische Zusammenhang wird ausführlich dargestellt von Robert Kurz, Himmelfahrt des Geldes, in: Krisis 16/17, S. 29 ff.)
Ökonomisch gesehen ist das Conne Island somit nichts weiter als eine Ansammlung gesamtgesellschaftlich toter Kosten, die verantwortungsvolle Agenten der Warengesellschaft kurz- oder mittelfristig auf Null werden bringen wollen.
Die öffentlichen Haushalte sind am Ende
Städte, Kommunen, Länder und der Bund können nur durch Ausgabenkürzungen und/oder Steuererhöhungen ihre Haushalte sanieren. Die Krise im Zuge der mikroelektronischen Revolution rasiert jedoch die Basis des gesamtgesellschaftlichen Plusmachens - die produktive Arbeit - weg. (So ist in Amerika in den letzten drei Jahren die Arbeitsproduktivität - Produktionsmenge je Arbeiter und Stunde - um 12,8% gestiegen. Zwei Drittel der seit Frühjahr 2001 in Amerika abgebauten Arbeitsplätze sei nicht etwa ins Ausland verlagert worden, sondern wegen des Produktivitätssprungs einfach "verschwunden", sagt Andrew Tilton, Ökonom bei Goldman Sachs. Vgl. FAZ vom 02.12.03) Keine Arbeit, kein Profit. Kein Profit, keine Steuergrundlage. So einfach ist das.
Gerade in Zeiten, in denen die Einnahmeseite der Haushalte zusammenbricht, sind Finanzämter gehalten, ihre Anstrengungen zur Absicherung kapitalistischer "Solidität" zu verstärken. In ihrem Fall heisst das: auch das kleinste Sickerloch für Steuergelder aufzuspüren. Da Helmut Kohls Satz - "Wichtig ist, was hinten rauskommt" - nach wie vor richtig ist, können für das Finanzamt keine außerökonomischen Erwägungen zählen. Es wird dort besonders genau hinschauen, wo mit relativ großen Steuervergünstigungen relativ wenige Sicherungsleistungen für den kapitalistischen Normalbetrieb erbracht werden. Nun hält zwar durchaus jedes Konzert im Eiskeller seine Besucher vom Revolutionmachen ab (wer das Gegenteil behauptet, ist lediglich hoffnungsloser Romantiker), doch so richtig effizient ist die Angelegenheit nicht. Es entsteht Handlungsbedarf. Währenddessen tut die Stadt ihrerseits alles dafür, ihre Finanzen einigermaßen in den Griff zu bekommen: Sämtliche Leipziger Umweltvereine müssen Kürzungen ihrer Zuschüsse hinnehmen, nur knapp konnte die Schließung des Naturkundemuseums abgewendet werden, fünf Bibliotheken des Umlandes sollen unwiderruflich dichtgemacht werden, um zwei gern genutzte Schwimmhallen in Leipzigs Stadtgebiet wird noch gekämpft. Bezahlt werden müssen jedoch auf alle Fälle: Gigantische Infrastrukturleistungen (zur Rechtfertigung der Olympiabewerbung), aber auch Peanuts wie die erneut aufgelaufenen 6 Mio. Euro Abwicklungskosten für den dicht gemachten Betrieb für Beschäftigungsförderung (BfB).
Die letzten Subventionsrestchen und legalen Steuersparmöglichkeiten müssen so auf die zahlreichen Bewerber verteilt werden, dass kurzfristig eine maximale Anzahl an Arbeitsplätzen entsteht bzw. langfristig ein Unternehmen gepäppelt wird, das aus eigener Kraft expandiert, also weitere produktive Arbeitsplätze schafft. Mindestens aber muss eine abrechenbare Verbesserung der Verwertungsbedingungen herausspringen. Da das Conne Island jedoch weder Arzt am Krankenbett des Kapitalismus sein will (wie bspw. die diversen Kinder- und Jugendbetreuungseinrichtungen, die die Heranwachsenden nur noch mühsam vom vollständigen Durchdrehen abhalten können) und sich auch nicht der Aufgabe verpflichtet fühlt, jede Grundsatzkritik an der Wertvergesellschaftung als geschäftsschädigend abzuweisen, hat es auch bzgl. dieses Mindestkriteriums schlechte Karten.
Angenehmes mit Nützlichem verbinden
Wer angesichts der oben geschilderten ökonomischen/finanziellen Situation an ein rein politisches Motiv für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit glaubt, ist nicht ganz bei Trost. Und doch scheint diese Annahme die vorherrschende Interpretation des Geschehens zu sein. Zu ihrem Beleg wird eine Korrespondenz angeführt: Der Verfassungsschutz schreibt ans Regierungspräsidium und gibt die Empfehlung, mal genau in dieses Nest der Unruhestifter namens Conne Island hineinzuleuchten. Eine eindeutig politische Tat, ohne Zweifel.
Doch nur diejenigen begnügen sich mit dieser Erklärung, für die nicht klar ist, dass "Politik" und "Recht" Sphären sind, die die Wertvergesellschaftung aus sich heraus setzt, dass also nicht die (ökonomische) Wertsphäre neben der politischen Sphäre steht und die Akteure in dieser fundamental gegen die Ziele der Akteure in jener handeln könnten.
Politik ist nicht einfach etwas, was aus früheren Gesellschaften übriggeblieben ist und heute lediglich mit der Kapitalbewegung zurechtkommen müsste. Das läuft auf die elende Spießerweisheit raus, dass die Menschen nun mal zu allen Zeiten machtgierig gewesen seien. Politik hat keine andere Aufgabe, als im Dienste aller Einzelkapitalien das Gesamtkapitalinteresse gegen die Bornierungen je einzelner Kapitalisten geltend zu machen. Ihre einzige Existenzberechtigung ist, billigster Subunternehmer für die Herstellung von "Sicherheit" zu sein.
"Politische Gründe" als solche - also ein Machtmotiv als solches, das aus einem überhistorischen Streben nach Macht abzuleiten wäre - gibt es nicht (auch nicht für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit). Sie sind immer nur Mittel zum Zweck und an dem hat sich seit Beginn des Kapitalismus nichts geändert: G-(W)-G', Geld besitzen, um aus ihm mehr Geld zu machen.
Die Aussicht auf Steuernachzahlung und darauf, in Zukunft keinerlei Vergünstigung mehr gewähren zu müssen, die Beseitigung eines potenziellen Störenfrieds in einer sauberen und adretten Olympia-Stadt, die Verbesserung des Standortes Leipzig-Connewitz für Investoren - all das sind Teilmotive für das eine und einzige Ziel politischer Verantwortlicher: Ruhe für die Verwertung auf einer der wenigen letzten Produktivitätsinseln in Ostdeutschland herzustellen.
Freidrehende "Ideologiekritik"
Die Fehlinterpretation verführt zu merkwürdigen Kapriolen. So veranstalten frischgebackene Bewegungsbasher linksradikalen Revolutionskitsch und dokumentieren, dass sie gezwungen sind, Bewegungspolitiker zu werden.
"Für eine revolutionäre Jugendbewegung!" prangt am Lautsprecherwagen der Solidemos und Passanten fragen sich spontan, weshalb jetzt plötzlich Leute, die es vorrangig auf die Veranstaltung von Konzerten und Discos abgesehen haben, mit "Revolution" daherkommen müssen. Auch die auf der Demo erwähnte jahrelange engagierte Antifa-Arbeit des Conne Island hat nun herzlich wenig mit einer "revolutionären Jugendbewegung" zu tun. Diejenigen, die doch sonst gar nicht genug über die "verkürzte Kapitalismuskritik" der sozialen Bewegungen wettern können, vollziehen eine Wende um 180deg., sobald es ihrem Projekt an den Kragen geht. Da ist dann die Rede davon, dass in Deutschland noch jede elende Vereinsmeierei finanziell unterstützt werde, nur eben nicht unser fetziges rebellisches Jugendzentrum - womit bewiesen wäre, dass ja wohl Geld genug da sei. Ähhm ... da muss es wohl nur besser verteilt werden? Schon mal bei der ATTAC-Ortsgruppe um Unterstützung angefragt? Ich hätte ja keine Probleme damit, nur frage ich mich, wie das zum Revo-Pathos passt.
Und alle, alle bekommen sie feuchte Augen. Endlich können sie, die doch sonst wahlweise musikalisch oder fußballerisch oder politisch ganz genau wissen, was gerade wichtig ist und was nicht, ohne Angst Masse sein - aufgehen im Kollektiv, in dem jeder so ist, wie man selbst. Sonntags machen sie das. In der Woche zerfetzen sie sich wieder das Maul über deutsche Idioten, die immer nur für das Falsche demonstrieren oder die falsche Musik hören. Irgendwann aber, vielleicht nach der zehnten oder elften Kampagne erlahmt die Kraft der Szene und schließlich bleiben nur ein paar wenige unverdrossene Hanseln des harten Kerns übrig. Die stehen dann traurig vorm Eiskeller und erzählen sich Geschichten von früher. Das Einzige, was sie aufheitern kann, sind Stories über die neuesten Dummheiten der sozialen Protestbewegungen - glauben die doch tatsächlich immer noch, dass ein breites Bündnis gegen die antisozialen Zumutungen des Krisenkapitalismus her muss. Na ja, die begreifen eben nie mehr, dass es in Deutschland keine soziale Bewegung geben darf.
Conne Island bleibt!
Schluss mit der Schwarzmalerei! Schließlich ist das hier nur eine Pause im Kampf um unseren "Eisi" - und die soll nicht dazu führen, dass man mit besten Argumenten die Hände in den Schoß legt. Sinn dieses Artikels ist nicht mehr und nicht weniger, als sich bewusstzumachen, dass dieser Angriff, sollte er abgewehrt werden können, nicht der letzte bleiben wird. Und dass das nicht daran liegt, dass die Menschen im Finanzamt immer böser, die Politiker immer fieser werden, sondern daran, dass die Krise blindlings vorwärts trampelt. Was sich dem betriebswirtschaftlichen Diktat nicht beugt, hat kein Lebensrecht, dessen Existenz bleibt prekär, das bleibt immer bedroht von den abgeleiteten Sphären der Wertvergesellschaftung, von Politik und Recht bzw. deren Handlangern.
Wer sich dem gesamtgesellschaftlich unverhandelbaren Gesetz der Rentabilität nicht beugen will, wie wir, wird für seine Nische kämpfen müssen. Und genau so vorgehen wie die Gegenseite, abwechselnd mit Zuckerbrot und Peitsche.
In der jetzigen Situation heißt das, die Opportunitätskosten für die Stadt ins Unerträgliche zu steigern und zu vermitteln, dass wir das Conne Island als Prämie für den Verzicht auf einen heißen Winter 2003/2004 betrachten. Ganz so billig sind die sonntäglichen Polizeieinsätze ja nun auch wieder nicht. Und die vorweihnachtliche Stimmung der krisengeschüttelten Innenstadteinzelhändler und ihrer Kundschaft ist auch ein bisschen ramponiert worden. Wenn der Eiskeller damit zu retten wäre, sollte mir's recht sein. Doch langfristig lassen sich alternative Projekte nur halten, wenn sich eine machtvolle Bewegung gegen Wert, Ware, Geld, Arbeit und Staat konstituiert, eine Bewegung, die das Krisenbewußtsein nach vorne treibt, eine Bewegung, die sich die Erkenntnis erworben hat, dass innerhalb der Warengesellschaft nichts, aber auch nichts mehr zu reißen ist.
Mausebär