200 Jahre CEE IEH:
DAS CONNE ISLAND PLENUM UND SEIN VERHÄLTNIS
ZUM ANTIAMERIKANISMUS IN
HEFT #99.
No Volksmusik! No Antiamerikanismus!
"Man sollte nie hinter die Erkenntnis zurückfallen, dass es ohne die Internationalität des anglo-amerikanischen Kulturimports wahrscheinlich keinen Ausweg aus dem Kulturmief der Nachkriegszeit gegeben hätte. Elvis Presley war nicht umsonst kein Deutscher..."
(Spex, 08/93)
VIELLEICHT ist Euch schon aufgefallen, dass wir Euch auf unserer Bühne nicht die Kastelruther Alpinkatzen, die Naabtal Schürzenjäger oder die Vogtländer Blaskapelle anbieten, genauso wenig wie wir irgendwelchen Folklore-Mist aus anderen Kulturen, Stämmen und Völkern veranstalten. Was wir holen, ist im weitesten Sinne Popculture (dazu zählen wir auch Punk, Hardcore, Hip Hop und elektronische Musik). Das Ideal von Pop steht gegen die Selbstfindung von Völkern, Ethnien und Kulturen und anderen reaktionären Kollektiven. Pogo oder Breakdance statt Marschieren. Piercings statt Orden. Sexyness statt "Kein Sex vor der Ehe".
Pop hat seine Potenz nicht etwa in der Reinheit irgendwelcher "ursprünglichen Kulturen", sondern im Schmelztiegel Amerika erhalten. Was den Nazis als "typisch judäo-amerikanisch" und damit "entartet" galt, dem frönen wir: Entwurzelung statt museale Traditionspflege, Melting Pot statt nationale Identität, Subversion statt kulturelle Authentizität. E-Gitarren statt Alpenhörner. Synthesizer statt Buschtrommeln. Punkrock oder Drum'n'Bass statt Schuhplattler und Walzer.
Jedoch ist vermehrt festzustellen, dass in den von uns ausgerichteten Veranstaltungen aller Sparten Sprüche wie "Fuck the USA!" und "Yankees verpisst Euch!" sowohl vom Publikum als auch von den Bands gegrölt werden. Legitimiert wird die Wut, die in solchen Sprüchen zum Vorschein tritt, mit der Angst vor Krieg. Das erscheint uns fraglich, weil erstens: der Irakkrieg nicht der einzige Krieg ist, der auf der Welt stattfindet (z.B. Sudankrieg: bis zum jetzigen Zeitpunkt zwei Millionen Tote), und zweitens: das schreiende Publikum niemals gegen den Diktator Saddam Hussein, der seit Jahrzehnten Hunderttausende von Menschen im eigenen Land niedermetzelte, seine Wut kundgetan hat. Insofern verwundert uns die plötzliche Stimmung gegen den Irak-Krieg und lässt uns vermuten, dass die Stimmung gegen den Krieg vielmehr mit der Beteiligung der Vereinigten Staaten von Amerika zu tun hat. Das würde heißen, dass das eigentliche und wahrscheinlich unbewusste Motiv der meist schreienden KonzertbesucherInnen Antiamerikanismus ist.
Ausdruck findet dies in Ansagen, Ausrufen und postwendend zurückkehrenden Sprechchören wie "Fuck Bush!", "Bush - greatest terrorist on earth!" und ähnlichem. Problematisch sind solche Ausrufe, da sie sehr verkürzte Bilder bedienen, die tiefere Ursachen für Krieg und Elend aufzeigen sollen, jedoch einzig und allein eine bedrohlich-verzerrte Vereinfachung und personifizierende Schuldzuweisung bewirken. Wird sogar George W. Bush mit Adolf Hitler gleichgesetzt, impliziert dies die angebliche Bereitschaft Bushs zum Töten des Tötens wegen. Ein solcher Vergleich ist eine leichtfertige und gefährliche Relativierung des Holocaust und des Nationalsozialismus. In der Feindschaft gegen Bush werden die Politik der USA und deren zum Teil verheerenden Auswirkungen auf das Wesen einzelner Menschen zurückgeführt, denen der Griff zur Weltmacht, Verderb und Tod zugeschrieben werden. Eine solche Personifizierung ist zugleich ein Grund für die Nähe des Antiamerikanismus zum Antisemitismus.
Wer glaubt, die USA seien Schuld an Gewalt und Unterdrückung in der Welt, geht dem antiamerikanischen Ressentiment auf den Leim, weil er vergisst, dass es auch die US-Army war, die dem deutschen Faschismus ein Ende gemacht hat. Es wird vergessen, dass es Deutschland war, das 1991 durch Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts von "Ethnien" beziehungsweise "Völkern" (das solche Kategorien nationalistischer Scheiß sind, setzen wir als bekannt voraus) den Jugoslawienkrieg forciert hat. Es wird vergessen, dass es die USA sind, in denen nach langen Kämpfen Bürgerrechte für Menschen unterschiedlichster Herkunft und Hautfarbe existieren, während in Deutschland (besonders in Ostdeutschland) "nichtdeutsch-aussehende" Menschen immer noch einen Exotenstatus haben, der "deutsche Volkskörper" Hasstiraden angesichts einer Zuwanderungsdebatte lostritt und im Bundestag über so einen Schwachsinn wie "deutsche Leitkultur" diskutiert wird. Der Antiamerikanismus verdrängt, dass es die kapitalistischen Verhältnisse sind, die tagtäglich Gewalt hervorbringen.
Wer glaubt, die USA alleine seien Schuld an Armut und Hunger in der Welt, geht dem antiamerikanischen Ressentiment auf den Leim, weil er verdrängt, dass Saddam Hussein neben Hunderten Palastbauten und trotz gigantischer Öl-Felder im Irak seine Bevölkerung seit Jahrzehnten in Armut hält. Der Antiamerikanismus verdrängt, dass es an der Grenze zu Polen die deutsche Asylgesetzgebung ist, wegen der Flüchtlinge in der Oder ersaufen müssen, da sie keine andere Chance haben, am deutschen Reichtum zu partizipieren. Und der Antiamerikanismus verdrängt, dass es beispielsweise deutsche Firmen sind, die in Osteuropa Leute zu Hungerlöhnen beschäftigen. Der Antiamerikanismus verdrängt, dass es die kapitalistischen Verhältnisse sind, die trotz extrem hoher Warenproduktion 80 Prozent der Weltbevölkerung in Armut halten.
Der Antiamerikanismus bedient ähnliche Bilder wie der traditionelle Antisemitismus und fungiert somit zumeist als Ersatz für den gesellschaftlich tabuisierten Antisemitismus. Armut, Gewalt, Herrschaft und andere Leiden werden mit denjenigen identifiziert, die nicht in kenntlicher kultureller Gemeinschaft auf ihrer angestammten Scholle leben. Diejenigen werden sowohl im Antisemitismus als auch im Anti-amerikanismus verantwortlich gemacht, die nicht mit "ehrlicher bodenständiger" Arbeit, sondern mit Spekulation, Geld und McDonalds charakterisiert werden. Für diese Projektion ist der Ausfall von Reflexion verantwortlich. Sowohl die antisemitische als auch die antiamerikanische Ideologie verdrängen, dass die "Gier" nach Öl an der Tankstelle und nicht erst im Krieg beginnt, dass die Ausbeutung am eigenen Arbeitsplatz und nicht erst bei McDonalds anfängt, dass die Gewalt in der Familie, in der Schule und im eigenen Staat zuschlägt und nicht erst in "amerikanischen Verhältnissen". Profitstreben, Imperialismus und Ausbeutung sind nicht die Eigenschaften von amerikanischen Menschen oder dem amerikanischen Staat, sondern logische Folgen der derzeit überall auf der Welt existierenden kapitalistischen Verhältnisse, ob diese nun "Soziale Marktwirtschaft", "Rheinischer Kapitalismus", "Öko-Kommune" oder "irakische Volkswirtschaft" genannt werden.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Wir fordern keine Askese. Davon wird die Welt nicht besser, nur leidvoller. Pop steht für Hedonismus und hat darin einen seiner positiven Momente. Ebenso sollte Gesellschaftskritik "individuelles Glück" einfordern, ansonsten ist sie nicht emanzipativ. Der "American Way of Live" trägt die Idee von individuellem Glück in sich, und Pop hat darin seine Roots.
Sicherlich haben die Vereinigten Staaten von Amerika keine weiße Weste, genauso wenig wie George W. Bush ein Waisenknabe ist. Aber die Amis verteidigen weltweit ihre Interessen nach eigener Sicherheit und bestmöglichem Wohlstand unter den gleichen Bedingungen und damit in ähnlicher Art und Weise, wie es andere Staaten - darunter auch die Bundesrepublik Deutschland - ebenso tun. Antiamerikanische Ideologie zeichnet sich nicht durch falsche Fakten, sondern durch die einseitige Auswahl von Fakten aus. Und in solch falscher Art und Weise zimmern sich AntiamerikanistInnen ihr Weltbild zusammen - unfähig, auf das eigene Denken und Handeln zu reflektieren.
Dass Frieden, Glück und Wohlstand für alle auch unsere Ziele sind, ist klar. Wir jedoch haben keinen Bock auf ein Publikum bei unseren Veranstaltungen, das in Übereinstimmung mit dem deutschen Volksmob das Böse den USA anlastet und im schlimmsten Fall "ursprüngliche Kulturen" vor dem amerikanischen Werteverfall retten will, anstatt zu kapieren, dass es darauf ankäme, die kapitalistischen Verhältnisse zu überwinden.
Denn für den Verfall reaktionärer Werte stehen Pop und dessen Konstitutionsbedingungen - amerikanische Verhältnisse. Verhältnisse, die keineswegs nur positiv sind, in denen aber beispielsweise Schwarze ihren Protest im Hip Hop artikulieren konnten, ohne vom Staat gelyncht zu werden; in denen durch Pop religiöse Werte aufgeweicht werden; in denen das Individuum anstatt das Kollektiv in den Mittelpunkt gestellt wird und in denen Pop die Verständigung der sozial marginalisierten Menschen organisieren kann. Wenn amerikanische Bands ihr berechtigtes Anliegen gegen die USA vortragen, ist das keine Berechtigung für deutsche AntiamerikanistInnen, diese Bands als Legitimation für ihre Argumentation zu verwursteln, da der deutsche Kontext immer mitgedacht werden muss.
Es gibt genug Scheiße in Deutschland, die es zu bekämpfen gilt: Auch den Antiamerikanismus.
Für unsere Veranstaltungen heißt das praktisch: Wie ihr vielleicht wisst, lesen wir vor der Auswahl von Bands deren Songtexte, um eventuelle sexistische, rassistische oder andere unzumutbare Aussagen auszuschließen. Auch beim Thema Antiamerikanismus werden wir so verfahren. Sollte uns in den Statements und Texten der Bands etwas nicht passen, werden wir je nach Fall entscheiden, die Band gar nicht bei uns spielen zu lassen, einen betreffenden Song aus ihrem Programm zu streichen oder uns kritisch per Interview im
CEE IEH mit ihnen auseinander zu setzen. Bezüglich antiamerikanischer Statements seitens des Publikums behalten wir uns adäquate Schritte vor.
Conne Island-Plenum, 14. April 2003