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Aktuelles Heft

INHALT #199

Titelbild
Editorial
• das erste: Ein bisschen Frieden
electric island
Pains of Being Pure at Heart
Schlacht um Algier
WORD! cypher #7
Smoke Blow, Tyson
"Herrbst von Grau" Tour 2012
Flying Lotus
Young Guns
Führerbart und Volkskörper
Filmriss Filmquiz
KANN DANCE „Ulfo“
Caspian, Thisquietarmy
Two Gallants, To Kill A King
Disco Ensemble, Death Letters
We Once Loved, Smile And Burn
ease up^
The Bones
Slapshot
Stomper 98
Veranstaltungsanzeigen
Kein Frühling für Asylsuchende
• inside out: Konzertabsage Negative Approach
• leserInnenbrief: Eine begrüßenswerte Auseinandersetzung, die den Verdacht der Harmoniesucht nahe legt
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• das letzte: Neues aus der Grauzone

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Schlacht um Algier

Schlacht um Algier (1966, Regie Gillo Pontecorvo) Einführung zum Film und Diskussion mit Elfriede Müller (Historikerin, bbk Berlin)

Die Veranstaltung des Roten Salons widmet sich anhand des Films „Schlacht um Algier“ (1966) der Linken und ihrem Verhältnis zu Antikolonialismus und Ideologiekritik. Während es in den 50er und 60er Jahren und gerade während des Algerienkriegs zum einigenden Selbstverständnis der europäischen Linken gehörte, sich internationalistisch zu verstehen und in Solidarität mit nationalen Befreiungsbewegungen gegen die anhaltende Herrschaft der Kolonialmächte zu wissen, ja die Neue Linke sich aus einem derartigen Antikolonialismus regelrecht konstituierte, kann von einer solch kollektiv geteilten Haltung heute keine Rede mehr sein. Das Ende des Kalten Krieges und der 11. September haben das, was sich einst als internationalistische Linke verstand, gespalten.
Jener vergangene Internationalismus zehrte nicht wenig vom Bestand universeller Utopien und der Suche nach revolutionären Kollektivsubjekten, wie sie der Neuen Linken zu Zeiten des Kalten Krieges noch eigen waren. Bei aller Kritik schien der realexistierende Sozialismus zumindest die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Alternative zu bürgerlicher Gesellschaft und kapitalistischer Produktionsweise offen zu halten. Von jener universellen Befreiungshoffnung war zugleich auch die Unterstützung nationaler und antikolonialer Befreiungsbewegungen in der sogenannten Dritten Welt getragen; nicht selten wurde in jenen Bewegungen, die sich häufig der sozialistischen Sprache der Zeit bedienten, sogar ein neues revolutionäres Subjekt ausgemacht. So sehr dieser Identifikation in der Rückschau auch verklärende Revolutionsromantik anhaften mag, so sehr war der Internationalismus charakteristisch für eine Linke, die sich mit Empathie anderen Räumen und Bevölkerungsgruppen und deren politischen Konfliktlagen zuwandte und von dem Bedürfnis getragen war, gesellschaftlich zu verantwortendes, global auftretendes Unrecht zu bekämpfen.
Diese Zeiten sind in vielerlei Hinsicht vorüber. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs verlor die Linke sowohl ihre universelle Zukunftserwartung als auch ihr kollektives Subjekt der Befreiung. Im Antiimperialismus heutiger Tage lebt stattdessen blinde Solidarität mit nationalen Befreiungsbewegungen fort, die auch vor der Parteinahme mit islamistischen Gruppierungen nicht zurückschreckt und im Kampf gegen den vermeintlich imperialistischen Westen nicht selten den universalistischen Kern eines vergangenen linken Selbstverständnisses verrät. Dem entsprach eine Entwicklung, in deren Verlauf sich viele der nationalen Befreiungsbewegungen der Vergangenheit als nationalistische oder religiös legitimierte Rackets entpuppten. Die dagegen angetretene antideutsche Ideologiekritik, die sich die Verteidigung von Aufklärung und Universalismus zur Aufgabe gemacht hat, schüttete wiederum das Kind mit dem Bade aus. Im vergangenen Antikolonialismus der Linken meinte sie nicht mehr als jenen stumpfen Antiimperialismus heutiger Tage zu erkennen, ebenso wie sie die einstigen nationalen Befreiungsbewegungen darauf reduzierte, die Vorhut gegenwärtiger islamistischer Bewegungen gebildet und einem antizionistischen Antisemitismus das Wort geredet zu haben. Es sind derlei gegenwärtige Gewiss- und Sicherheiten in der Unterscheidung zwischen Freund und Feind, die den Verwerfungen der Gegenwart entstammen und doch zugleich die Vergangenheit überschreiben.
Was hatte es wirklich mit den Kolonialkonflikten und antikolonialen Bewegungen vergangener Tage auf sich, welchen Charakter trugen sie und wie positionierte sich die damalige Linke? Kaum ein zeithistorisches Dokument ermöglicht eine bessere Annäherung an die vergangene Zeit als der Film des italienisch-kommunistischen Regisseurs Gille Pontecorvo „Schlacht um Algier“, der den acht Jahre andauernden französischen Kolonialkrieg in Algerien (1954–1962) zum Gegenstand hat. Nachdem der Film auf den Festspielen von Venedig (1966) seine Premiere feierte, war er in Frankreich und England dennoch bis 1971 verboten geblieben; nicht zuletzt deshalb, weil er ebenso von einem antikolonialen Selbstverständnis getragen war wie auch einige seiner Hauptdarsteller zuvor auf der Seite des FLN in die vergangenen Kämpfe involviert gewesen waren. Vor allem aber zeigten die Bilder in unbekannter Form die Anwendung kolonialer Gewalt und die Folterung algerischer Gefangener durch das französische Militär. War die französische Kolonialherrschaft durch die Ungleichheit zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten konstituiert, wurde vor allem die Anwendung von Folter als Teil des französischen Kolonialkriegs zum Symbol zügelloser Gewalt, an der eine Beschädigung des universalistischen Selbstverständnisses der westlichen Nachkriegsdemokratien unmittelbar offenbar wurde.
Nicht nur in der bildlichen Darstellung der Folter hielt Pontecorvos Film der französischen Gesellschaft den Spiegel vor, sondern auch, indem er den Oberst der französischen Fallschirmjäger, Colonel Mathieu, urteilen ließ, dass die Franzosen sich zu entscheiden hätten: Wenn Algerien ein Teil von Frankreich bleiben solle, dann müssten gegen den nationalen Befreiungskampf des FLN alle zur Verfügung stehenden Mittel – und damit auch die Folter – angewandt werden. Es war jene Logik kolonialer Gewalt, gegen die sich die Neue Linke auf Seiten universeller Gleichheit positionierte, die Forderung nach algerischer Unabhängigkeit unterstützte und sich in klandestinen Netzwerken zusammentat, um den FLN finanziell zu unterstützen.
Doch so sehr jenes Engagement auch den realen Ereignissen entsprang, so sehr waren die damaligen Diskussionen mit fiktiven Vorstellungen aufgeladen. Das meint nicht nur, dass die europäische Linke in den Unabhängigkeitsbewegungen der Dritten Welt jenes revolutionäre Subjekt zu erkennen meinte, nach dem sie daheim so sehr dürstete. Im Kampf um Algerien wurden zudem die Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs ausgehandelt. Nicht wenige der einstigen Linken meinten nämlich, in der Unterstützung des FLN den Kampf gegen Nationalsozialismus und Faschismus fortzuführen. Eine solche Einfärbung war freilich kein Privileg der Linken. Auch das zeigt Pontecorvos Film, als Colonel Mathieu den Vorwurf des Faschismus mit dem Verweis abwehrt, dass viele der französischen Soldaten während des Krieges selbst in der Résistance gekämpft hatten und dafür in Buchenwald und Dachau interniert gewesen waren. Unabhängig davon, ob mit dem Verweis auf den Zweiten Weltkrieg der eigene Antikolonialismus begründet oder die Rechtmäßigkeit des militärischen Vorgehens gegen die Aufständischen legitimiert wurde: Indem der Diskurs über den Kampf um Algier sich Begriffen aus der Vergangenheit bediente und diese damit aus ihrem historischen Kontext löste, trug er zugleich zur Überdeckung des Kerns von Zweitem Weltkrieg und Nationalsozialismus bei – dem Holocaust.
Über jene Nachwirkungen der Vergangenheit hinaus kommt Pontecorvos Film zugleich ein Erkenntnispotential für gegenwärtige Debatten in der Linken über den Charakter nationaler Befreiungsbewegungen zu. Denn gleichwohl der Film sich solidarisch mit dem algerischen Unabhängigkeitskampf erklärte, richtete er den Blick auch auf jene Gewalt, die von Seiten des FLN ausgeübt wurde. Das meint nicht allein das zum Teil religiös motivierte Vorgehen gegen Dissidenten in den eigenen Reihen, sondern auch Pontecorvos eindringliche Darstellung des unterschiedslosen Terrors des FLN gegen die französische Zivilbevölkerung Algeriens – die Pieds Noirs.
Ohnehin hatte sich gerade die französische Linke schon zu Zeiten des Algerienkrieges an der Frage des Vorgehens des FLN und der antikolonialen Gewalt gespalten. Denn während Jean-Paul Sartre im Vorwort zu Frantz Fanons „Die Verdammten dieser Erde“, der damaligen Bibel des Antikolonialismus, zeterte, dass „einen Europäer erschlagen [heiße] zwei Fliegen auf einmal treffen, nämlich gleichzeitig einen Unterdrücker und einen Unterdrückten aus der Welt schaffen“, stand einer solchen Haltung ein stillerer, aber nicht weniger entschlossener Albert Camus gegenüber. Der wandte sich zwar auch gegen die Ungerechtigkeit der französischen Kolonialherrschaft. Angesichts seiner eigenen algerischen Herkunft und dem Umstand, dass seine Mutter dort ihrerseits ein Zuhause gefunden hatte, suchte Camus nach den Möglichkeiten einer Aufhebung des Kolonialverhältnisses, dass eine gleichberechtigte Lebensperspektive von ehemals Kolonisierten und Kolonisatoren auf der Grundlage gegenseitiger Anerkennung ermöglichen sollte. So mündete dessen gegensätzliche Haltung zu Sartre in eine Kritik des FLN, wenn dieser die Lebensrechte der französischen Siedler in Algerien auch nach dem Ende der Kolonialherrschaft nicht gleichermaßen anerkennen würde. Eine Position allerdings, der mit der algerischen Unabhängigkeit kein Gehör beschieden war.
Vierzig Jahre später, im Zeitalter von Postkolonialismus und Ideologiekritik, will die Veranstaltung des Roten Salons jene vergangenen Diskussionen wieder aufnehmen. Nicht, um den einstigen Antikolonialismus neu aufleben zu lassen oder umstandslos alten Positionen das Wort zu reden. Wohl aber, um überhaupt wieder ein Verständnis für den Charakter vergangener Kolonialkonflikte, der ehemaligen nationalen Befreiungsbewegungen als auch der linken Solidarisierung damit zu erlangen. Gerade deshalb soll der Blick aber zugleich auf die Entwicklung der postkolonialen Gesellschaften geworfen werden, die in Algerien schon bald in eine islamisch orientierte Gesellschaft und die Verfolgung der säkularen Linken mündete. Die Suche nach linken Traditionsbeständen hingegen, deren vergangener Antikolonialismus zugleich von einem empathischen Universalismus angetrieben und deshalb auch vor einer Kritik am Charakter der nationalen Befreiungsbewegungen nicht Halt machte, soll zugleich die Frage nach den Bedingungen einer neuen, global orientierten Linken in den Blick rücken.

[roter salon]

Weitere Filme aus Italien: Queimada, Ladri di biciclette, Pépé le Moko

 

02.11.2012
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