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Aktuelles Heft

INHALT #199

Titelbild
Editorial
• das erste: Ein bisschen Frieden
electric island
Pains of Being Pure at Heart
Schlacht um Algier
WORD! cypher #7
Smoke Blow, Tyson
"Herrbst von Grau" Tour 2012
Flying Lotus
Young Guns
Führerbart und Volkskörper
Filmriss Filmquiz
KANN DANCE „Ulfo“
Caspian, Thisquietarmy
Two Gallants, To Kill A King
Disco Ensemble, Death Letters
We Once Loved, Smile And Burn
ease up^
The Bones
Slapshot
Stomper 98
Veranstaltungsanzeigen
Kein Frühling für Asylsuchende
• inside out: Konzertabsage Negative Approach
• leserInnenbrief: Eine begrüßenswerte Auseinandersetzung, die den Verdacht der Harmoniesucht nahe legt
Anzeigen
• das letzte: Neues aus der Grauzone

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Führerbart und Volkskörper

oder ‚Hitler wie ihn keiner kennt‘

Ein Bilder-Vortrag mit Friedrich Tietjen (HGB Leipzig)


Foto


Das von Heinrich Hoffmann produzierte Buch „Hitler wie ihn keiner kennt“ erschien zwischen 1932 und 1944 in einer Auflage von mehr als 400.000 Exemplaren. In diesem Buch wird Hitler in seinen Inszenierungen als Redner gezeigt, am Totenbett eines SS-Mannes stehend, an seinem Schreibtisch im Braunen Haus und im repräsentativen Porträt; doch daneben sieht man einen geradezu menschlichen Hitler, der einen Sonnenstuhl trägt, aus einer Kirche tritt, in der Zeitung blättert und auf der Fahrt von einer Veranstaltung zur anderen für ein Picknick in einer Wiese kniet. Indem der Band die politische Erscheinung mit der vermeintlich privaten Person verquickt, soll nicht nur Hitler als „ein mitreißender Führer, sondern ein großer und guter Mensch“ offenbart werden, wie Baldur von Schirach im Vorwort schreibt. Gleichzeitig knüpft die Ästhetik und Motivik vor allem der vermeintlich privaten Aufnahmen des Bandes an die jener Familienalben an, wie sie in diesen Jahren zu Tausenden angelegt wurden; auch dort zeigen neben den inszenierten Studioporträts die Knipserbilder meist Momente der Muße als Ausnahmen des Alltags, den Ausflug am Wochenende, die ersten Schritte des Kindes, den Heimaturlaub des Soldaten, einen Besuch im Zoo, die Fahrt über die Autobahn, eine Pause.
Wenn so die Bilder des Buches in ihren Motiviken und Inszenierungen denen der Alben gleichen, so finden sich umgekehrt in diesen Alben auch Aufnahmen von Männern, die den gleichen Bart wie Hitler tragen. Zwar macht der Bart noch keinen Nazi; doch die Etablierung des Führerprinzips und die Bildpolitik der NSDAP hatten spätestens zu Beginn der 1930er Jahre dafür gesorgt, dass die Partei und Hitler als Identitäten repräsentiert und auch wahrgenommen wurden. Und so stand sein Konterfei ebenso emblematisch für die Partei wie das Hakenkreuz als ihr Symbol. Wer sich daher in dieser Zeit in Deutschland einen solchen Bart stehen ließ, wusste, auf wen er sich damit bezog. Unabhängig von Alter, Statur, Haarfarbe, Physiognomie und Stand eigneten sich die Männer jenen Teil der Erscheinung Hitlers an, der dieser Anverwandlung zugänglich ist: einen kleinen Flecken Bart unter der Nase, der für Hitler so kennzeichnend war, dass er in keiner Karikatur der Zeit fehlte und bis heute als defacement auf Plakaten aller Art anzutreffen ist. In den Physiognomien der Männer mit den sogenannten Zweifingerbärten gehen der sterbliche Körper und der politische Körper des Führers eine unheimliche Synthese mit den Körpern der Untertanen ein – der sterbliche Körper wird gleichsam unsterblich, indem er sich in den Körpern derer vervielfältigt, denen eine Teilhabe an der Macht nicht nur suggeriert, sondern über die Mitgliedschaften in den Massenorganisationen angeboten und gewährt wurde.

[friedrich tietjen]

Klingt wie die alten deutschen Pop-Songs: „Die Fahne hoch“, „Der Führer ruft“ oder „Vorwärts nach Osten“


29.10.2012
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