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Aktuelles Heft

INHALT #198

Titelbild
Editorial
• das erste: Still No Peace with Schrebergarten!
La Dispute
Dominic, Oaken Heart
Das Filmriss Filmquiz
4 Promille, Bonecrusher, Lousy, Strongbow
Negative Approach, Punch
electric island: Roaming & Moomin
Living with Lions, Marathonmann
Roter Salon: Der Firmenhymnenhandel
Blu & Exile
Toxpack, Eschenbach, Boykott
Sub.island: Ill K
The Hundred in The Hands
Schlapphut-Knarre-Hakenkreuz
Inbetween: Shackleton
Workshop: We'll never walk alone?
„Hellnights“-Tour
The Excitements
Blitzkreuz-Tour
Veranstaltungsanzeigen
• inside out: „Das kann man doch nicht für bare Münze nehmen“
• inside out: Unterstützung bei sexistischen Erfahrungen im Conne Island
• review-corner buch: About the Hitch
• review-corner buch: Out of Post
• position: „Grauzone“ – Ein Gespräch
• doku: „Landfrieden“ der Bäume
• doku: Never mind the Adorno, here's the Judith Butler
Anzeigen
• das letzte: Das Letzte

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Still No Peace with Schrebergarten!

©pusteblume.fotodesign

Rostock-Lichtenhagen. Beim Einzug der Demonstration in das Plattenbauviertel erklingen unversöhnliche Töne. Sprechchöre wie „Wo wart ihr '92?“ wurden nicht nur den eingesetzten Polizeikräften, sondern auch den irritiert und argwöhnisch dreinschauenden Bewohner_innen der Siedlung entgegen gerufen. Der bis dahin zwar laute und große Demonstrationszug änderte zu ebendiesem Moment seinen Charakter – aus einem antifaschistisch und antirassistisch motivierten Stadtspaziergang wurde eine kraftvolle Demonstration, die den Zuschauer_innen am Rand eines klar zu vermitteln wusste: Wir sind wütend – ob der Verhältnisse im Allgemeinen und auf euch im Besonderen. Wir werden uns nicht mit diesen Zuständen abfinden. Ein kleines brennendes Deutschlandfähnchen wird Richtung Zuschauer_innen geschwenkt.

Doch wütend sind nicht nur die Demonstrant_innen, sondern auch die Anwohner_innen, aber aus einem anderen Grund: Der Vorwurf des Rassismus ihnen gegenüber kratzt an der Lichtenhagener Idylle von einer toleranten und weltoffenen Stadt und der vollendeten Aufarbeitung der Pogrome 1992. Natürlich versteht man sich nicht als Rassist_in oder Nazi und kann somit auch guten Gewissens an der offiziellen Gedenkveranstaltung teilnehmen und den antifaschistischen Protest als irrationale Provokation von linken Gewalttäter_innen abtun. Als wehrhafte_r Bürger und lupenreine_r Demokrat_innen verstehen sich nicht nur die Anwohner_innen, sondern auch Joachim Gauck. Seine Rede bietet viele Anknüpfungspunkte für die deutsche, rassistische Mehrheitsgesellschaft und bietet gleich eine Rechtfertigung für die Ausschreitungen an. Von verwirrten Deutschen ist die Rede, die nicht mit ihrer neu gewonnenen Freiheit umgehen konnten. „Mit Aggression, Hass, Wut, Groll, Zorn reagieren Menschen auf tatsächliche oder angenommene Kränkung, auf Verletzung, Unterdrückung und Unrecht“, versucht Gauck zu beschwichtigen und erklärt die Täter_innen zu Opfern einer kollektiven Identitätslücke. Die Ungerechtigkeit und Perspektivlosigkeit des gemeinen Ostdeutschen stellt für Gauck eine sinnvollere Argumentationsfläche dar als die wirklichen Opferbiographien der Rostocker Pogrome. In keinem Wort geht der Seelsorger auf die schrecklichen Erlebnisse der von rassistischer Gewalt betroffenen Menschen ein. Anstatt die wirklichen Ursachen im Nationalismus zu verorten, bestätigt der liebevolle Vater der Nation noch seine Schäfchen in ihrer Deutschtümelei. Gott ist groß und Gott ist deutsch.
Noch einen Schritt weiter geht das Sprachrohr der bewegten Bürger, die FAZ. Als meinungsbildendes Organ der gesellschaftlichen Mitte verschreibt sich die Zeitung der Verteidigung des deutschen Volkskörpers. So wird auch hier Verständnis aufgebracht für die geschundene deutsche Seele nach der Wiedervereinigung und deren rassistische Reaktionen auf ein medial geschaffenes Asylbewerber_innenproblem: „Wie lange hält es eine Gesellschaft aus, dass Monat für Monat zehn-, zwanzig- oder auch dreißigtausend Asylbewerber ins Land strömen?“, formuliert die FAZ 20 Jahre nach den Pogromen. Die Zeitung schafft es sogar noch einen drauf zu setzen, indem sie in rassistischer Manier und moralisch konservativ die auf die Pogrome folgende und restriktive Migrationspolitik des freiheitlichsten und demokratischsten deutschen Staates eh und jeh gegenüber so genannten Halbextremisten (SPD und Grüne) verteidigt: „Der Terror brachte manchen Sozialromantiker zur Besinnung und machte den Weg für eine gesteuerte Einwanderungspolitik frei.“ Mittlerweile wurde dieser Satz aus dem Artikel gestrichen, da man linksterroristische Reaktionen vermeiden wollte.

Raus aus dem weißen Einheitsbrei!

Am 25. August hält der Kultur- und Politikwissenschaftler und antirassisitische, dekoloniale Aktivist Kien Nghi Ha auf der Abschlusskundgebung eine beeindruckende Rede aus einer deutsch-vietnamesischen Perspektive. So werden die Betroffenen der Pogrome in die Aufarbeitung miteinbezogen, um sich die eigene Geschichte wieder anzueignen und den dominierenden weißen Diskurs zu durchbrechen. Wie nötig das ist, zeigt sich allein bei der neu angebrachten Gedenktafel, auf der die Vietnamesen des Sonneblumenhauses mit keiner Silbe erwähnt werden.
Mit Hinweis auf seinen 1992 in der TAZ erschienenen Leserbrief kritisiert er die scheinheilige Betroffenheit des damaligen Innenministers Lothar Kupfer und den Umgang der Institutionen mit den rassistischen Übergriffen. Statt sich konsequent mit dem tief in der deutschen Gesellschaft verwurzelten Rassismus und Nationalismus auseinanderzusetzen, wurde schnell ein Schlussstrich gezogen und die Ereignisse als Einzeltaten einiger Frustrierter abgetan.
Täter werden damals wie heute – mensch denke dabei nur an die Rede von Gauck – in Schutz genommen und ihr Handeln relativiert und entschuldigt.
Die Deutschen sind hier Opfer der Ausländerflut, die mit den Migrant_innen um Arbeitsplätze und Wohnungen konkurrieren müssen. Und wer von Arbeitslosigkeit betroffen und von Zukunftssorgen geplagt ist, kann sich seiner angestauten Wut schon mal mit Hilfe eines Molotovcocktails in Richtung Asylbewerberheim entledigen.
Lieber werden Migrant_innen zu Kriminellen stilisiert, als dass Politik und Bürgertum eine konsequente Aufarbeitung mit der nazistischen Vergangenheit betreiben und der alltägliche Rassismus wird nicht an den extremistischen Rändern verortet, sondern in der sogenannten Mehrheitsgesellschaft.
Kien Nghi Ha kritisiert das mangelnde Interesse an den Problemen der Migrant_innen, was es für sie bedeutet, ohne, beziehungsweise mit unsicheren Aufenthaltsgenehmigungen zu leben, nicht arbeiten und an der Gesellschaft partizipieren zu können.

„Hatten wir keinen Bruch in unserer Biografie als wir nach Deutschland kamen und teilweise Familien durch Bürgerkriege, politische, religiöse oder ethnische Verfolgungen, Morde oder einfach durch Armut auseinander gerissen wurden? Wurden wir hier nicht mit einer neuen dominierenden Kultur mit anderen Werten konfrontiert? Und haben die Flüchtlinge, die keine Arbeit finden nicht ebenfalls Langeweile? Aber wen interessiert das? Wir veranstalten, obwohl unsere Probleme denen der Ossis im nichts nachstehen, keine Pogrome!“

So stellt er auch die Frage in den Raum, warum bei dieser Demonstration kaum migrantische Organisationen eingebunden wurden und nennt als potentielle Bündnispartner The Voice, den Migrationsrat und den türkischen Bund.
Der Kampf gegen den Rassismus kann nicht allein aus einer weißen Perspektive geführt werden, sondern bedarf einer Vernetzung mit Flüchtlingsaktivisten und migrantischen Organisationen.

Staatlicher Rassismus und seine Zuspitzung in Gesetzesänderungen nach 1990:

Wo Bürger_innen, Nazis und Medien in den Neunzigern mit einer „Das Boot ist voll“-Rhetorik den Staat in rassistischer Manier zum konsequenten Handeln gegen ein konstruiertes Flüchtlings- und Migrationsproblem aufforderten, da folgte dieser wohlwollend der lädierten kopflosen Masse und brachte juristisch so einiges auf den Weg. Neu war dieser Diskurs wahrlich nicht, denn die BRD dominierte den Einwanderungsdiskurs seit ihrer Gründung durch eine konsequent abwertende Verwertungsrhetorik billiger Arbeitskräfte für den deutschen Arbeitsmarkt und Wiederaufbau. Diese wurden vermehrt in den siebziger Jahren angeworben um aus dem deutschen Wirtschaftswunder das Maximale an Wachstum herauszubekommen. Eines war aber selbstverständlich klar, „Deutschland sei kein Einwanderungsland“ – Die Menschen, die kamen, sollten nach Meinung des Staates und großen Teilen der Bevölkerung – wenn sie nicht mehr gebraucht werden – auch wieder in ihre „Heimat“ zurückkehren. So bestimmte eine massive Rückführungspolitik die achtziger Jahre. Als dann in den neunziger Jahren die Migrationsbewegungen nach Europa zunahmen und die Deutschen im nationalen Wiedervereinigungstaumel purer Erektion bemerkten, dass in „ihrem“ Lande auf einmal auch Menschen Asyl beantragten und so genannte Gastarbeiter_innen „komischerweise“ doch nicht gehen wollten, da brach ein Zorn aus, welcher in seiner Widerlichkeit nach der Gründung der BRD seinesgleichen sucht. Offen ausgetragener Rassismus, Gewalt und Morde von Nazis an Migrant_innen unter johlendem Beifall der bürgerlichen Mitte waren das Ergebnis dieser rassistischen Pogrome. Die Reaktion der Politik materialisierte sich dann 1993 im so genannten „Asylkompromiss“, der praktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl. Die Gesetzeslage besagt nach Grundgesetzartikel 16a in Absatz 1: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ – Faktisch lässt sich aus dieser Formulierung aber kein Recht auf Asyl ableiten, sondern nur ein Recht auf ein Asylverfahren, in dem dann juristisch geprüft wird, ob eine politische Verfolgung vorliegt. Der Bundestag kann zudem Staaten selbst bestimmen, „bei denen aufgrund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet.“ – Menschen, die aus einem sogenannten „sicheren Drittstaat“ kommen, haben dementsprechend noch nicht einmal das Recht auf ein Asylverfahren, sondern werden direkt in diesen abgeschoben. Dies geht zurück auf die Drittstaatenregelung, eine der Bestimmungen der Dublin II-Verträge von 2003. Des Weiteren wird es problematisch bei Fluchtgründen, die nicht unter die Kategorie der „politischen Verfolgung“ fallen. Das wären zum Beispiel strukturelle Ursachen wie Naturkatastrophen, ökonomische Krisen, Armut und Umweltschäden. Aber auch ein innerstaatlicher Krieg ist kein hinreichender Asylgrund. Außerdem wird in der Praxis der Verfahren von der Unrechtmäßigkeit des Antrages ausgegangen, das heißt die/der Antragssteller_in muss objektiv beweisen, dass sie das Kriterium der „politischen Verfolgung“ erfüllt. Auch sind die Antragssteller_innen nach § 15 Absatz 1 des Asylverfahrensgesetz dazu verpflichtet, am Verfahren kooperativ mitzuwirken, was im Endeffekt bedeutet, sich nach einer Ablehnung des Verfahrens aktiv für die eigene Abschiebung einsetzen zu müssen. Dies soll nur ein kleiner Anriss von Veränderungen der gesetzlichen Lage Asylsuchender nach 1992 darstellen und ist noch zu ergänzen durch die rechtlich abgesicherten unmenschlichen Lebensumstände während des Asylverfahrens (Residenzpflicht, Lagerzwang, Essensgutscheine etc...) sowie die rechtliche Situation bei Widerruf, Abschiebung oder Duldung. Faktisch herrscht seit Jahrzehnten eine Definition von Freiheit, welche dem gemeinen Deutschen und dem Flüchtling nicht ansatzweise im gleichen Maß zusteht und bestehende antagonistische Verhältnisse, welche Staat, Nation und Kapital immanent sind, verklärt. Die materielle Gewalt der kapitalistischen Konkurrenz und Verwertung von Arbeitskraft und die damit verbundene Mystifizierung der Nation im Nationalstaat bekommen Flüchtlinge ganz besonders hart zu spüren: Sie werden in Deutschland massiv kontrolliert, diszipliniert, isoliert und abgeschreckt und dies geschieht im Einklang mit der Rechtsordnung eines „freiheitlich demokratischen Staates“ – ein von Rassismus geprägter gesellschaftlicher Diskurs und dessen gewalttätige Auswüchse finden hier ihre institutionelle Entsprechung. In diesem Sinne: „Nie wieder Deutschland!?

The Future Is Unwritten

 

02.10.2012
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