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Rostock-Lichtenhagen. Beim Einzug der Demonstration in das Plattenbauviertel
erklingen unversöhnliche Töne. Sprechchöre wie Wo wart ihr
'92? wurden nicht nur den eingesetzten Polizeikräften, sondern auch den
irritiert und argwöhnisch dreinschauenden Bewohner_innen der Siedlung
entgegen gerufen. Der bis dahin zwar laute und große Demonstrationszug
änderte zu ebendiesem Moment seinen Charakter aus einem
antifaschistisch und antirassistisch motivierten Stadtspaziergang wurde eine
kraftvolle Demonstration, die den Zuschauer_innen am Rand eines klar zu
vermitteln wusste: Wir sind wütend ob der Verhältnisse im
Allgemeinen und auf euch im Besonderen. Wir werden uns nicht mit diesen
Zuständen abfinden. Ein kleines brennendes Deutschlandfähnchen wird
Richtung Zuschauer_innen geschwenkt.
Doch wütend sind nicht nur die Demonstrant_innen, sondern auch die
Anwohner_innen, aber aus einem anderen Grund: Der Vorwurf des Rassismus ihnen
gegenüber kratzt an der Lichtenhagener Idylle von einer toleranten und
weltoffenen Stadt und der vollendeten Aufarbeitung der Pogrome 1992.
Natürlich versteht man sich nicht als Rassist_in oder Nazi und kann somit
auch guten Gewissens an der offiziellen Gedenkveranstaltung teilnehmen und den
antifaschistischen Protest als irrationale Provokation von linken
Gewalttäter_innen abtun. Als wehrhafte_r Bürger und lupenreine_r
Demokrat_innen verstehen sich nicht nur die Anwohner_innen, sondern auch
Joachim Gauck. Seine Rede bietet viele Anknüpfungspunkte für die
deutsche, rassistische Mehrheitsgesellschaft und bietet gleich eine
Rechtfertigung für die Ausschreitungen an. Von verwirrten Deutschen ist
die Rede, die nicht mit ihrer neu gewonnenen Freiheit umgehen konnten.
Mit Aggression, Hass, Wut, Groll, Zorn reagieren Menschen auf
tatsächliche oder angenommene Kränkung, auf Verletzung,
Unterdrückung und Unrecht, versucht Gauck zu beschwichtigen und
erklärt die Täter_innen zu Opfern einer kollektiven
Identitätslücke. Die Ungerechtigkeit und Perspektivlosigkeit des
gemeinen Ostdeutschen stellt für Gauck eine sinnvollere
Argumentationsfläche dar als die wirklichen Opferbiographien der Rostocker
Pogrome. In keinem Wort geht der Seelsorger auf die schrecklichen Erlebnisse
der von rassistischer Gewalt betroffenen Menschen ein. Anstatt die wirklichen
Ursachen im Nationalismus zu verorten, bestätigt der liebevolle Vater der
Nation noch seine Schäfchen in ihrer Deutschtümelei. Gott ist
groß und Gott ist deutsch.
Noch einen Schritt weiter geht das Sprachrohr der bewegten Bürger, die
FAZ. Als meinungsbildendes Organ der gesellschaftlichen Mitte verschreibt sich
die Zeitung der Verteidigung des deutschen Volkskörpers. So wird auch hier
Verständnis aufgebracht für die geschundene deutsche Seele nach der
Wiedervereinigung und deren rassistische Reaktionen auf ein medial geschaffenes
Asylbewerber_innenproblem: Wie lange hält es eine Gesellschaft aus,
dass Monat für Monat zehn-, zwanzig- oder auch dreißigtausend
Asylbewerber ins Land strömen?, formuliert die FAZ 20 Jahre nach den
Pogromen. Die Zeitung schafft es sogar noch einen drauf zu setzen, indem sie in
rassistischer Manier und moralisch konservativ die auf die Pogrome folgende und
restriktive Migrationspolitik des freiheitlichsten und demokratischsten
deutschen Staates eh und jeh gegenüber so genannten Halbextremisten (SPD
und Grüne) verteidigt: Der Terror brachte manchen
Sozialromantiker zur Besinnung und machte den Weg für eine
gesteuerte Einwanderungspolitik frei. Mittlerweile wurde dieser Satz aus dem
Artikel gestrichen, da man linksterroristische Reaktionen vermeiden wollte.
Raus aus dem weißen Einheitsbrei!
Am 25. August hält der Kultur- und Politikwissenschaftler und
antirassisitische, dekoloniale Aktivist Kien Nghi Ha auf der
Abschlusskundgebung eine beeindruckende Rede aus einer deutsch-vietnamesischen
Perspektive. So werden die Betroffenen der Pogrome in die Aufarbeitung
miteinbezogen, um sich die eigene Geschichte wieder anzueignen und den
dominierenden weißen Diskurs zu durchbrechen. Wie nötig das ist,
zeigt sich allein bei der neu angebrachten Gedenktafel, auf der die Vietnamesen
des Sonneblumenhauses mit keiner Silbe erwähnt werden.
Mit Hinweis auf
seinen 1992 in der TAZ erschienenen Leserbrief kritisiert er die scheinheilige
Betroffenheit des damaligen Innenministers Lothar Kupfer und den Umgang der
Institutionen mit den rassistischen Übergriffen. Statt sich konsequent mit
dem tief in der deutschen Gesellschaft verwurzelten Rassismus und Nationalismus
auseinanderzusetzen, wurde schnell ein Schlussstrich gezogen und die Ereignisse
als Einzeltaten einiger Frustrierter abgetan.
Täter werden damals wie
heute mensch denke dabei nur an die Rede von Gauck in Schutz
genommen und ihr Handeln relativiert und entschuldigt.
Die Deutschen sind
hier Opfer der Ausländerflut, die mit den Migrant_innen um
Arbeitsplätze und Wohnungen konkurrieren müssen. Und wer von
Arbeitslosigkeit betroffen und von Zukunftssorgen geplagt ist, kann sich seiner
angestauten Wut schon mal mit Hilfe eines Molotovcocktails in Richtung
Asylbewerberheim entledigen.
Lieber werden Migrant_innen zu Kriminellen
stilisiert, als dass Politik und Bürgertum eine konsequente Aufarbeitung
mit der nazistischen Vergangenheit betreiben und der alltägliche Rassismus
wird nicht an den extremistischen Rändern verortet, sondern in der
sogenannten Mehrheitsgesellschaft.
Kien Nghi Ha kritisiert das mangelnde
Interesse an den Problemen der Migrant_innen, was es für sie bedeutet,
ohne, beziehungsweise mit unsicheren Aufenthaltsgenehmigungen zu leben, nicht
arbeiten und an der Gesellschaft partizipieren zu können.
Hatten wir keinen Bruch in unserer Biografie als wir nach Deutschland
kamen und teilweise Familien durch Bürgerkriege, politische,
religiöse oder ethnische Verfolgungen, Morde oder einfach durch Armut
auseinander gerissen wurden? Wurden wir hier nicht mit einer neuen
dominierenden Kultur mit anderen Werten konfrontiert? Und haben die
Flüchtlinge, die keine Arbeit finden nicht ebenfalls Langeweile? Aber wen
interessiert das? Wir veranstalten, obwohl unsere Probleme denen der Ossis im
nichts nachstehen, keine Pogrome!
So stellt er auch die Frage in den Raum, warum bei dieser Demonstration kaum
migrantische Organisationen eingebunden wurden und nennt als potentielle
Bündnispartner The Voice, den Migrationsrat und den türkischen
Bund.
Der Kampf gegen den Rassismus kann nicht allein aus einer weißen
Perspektive geführt werden, sondern bedarf einer Vernetzung mit
Flüchtlingsaktivisten und migrantischen Organisationen.
Staatlicher Rassismus und seine Zuspitzung in Gesetzesänderungen nach
1990:
Wo Bürger_innen, Nazis und Medien in den Neunzigern mit einer Das
Boot ist voll-Rhetorik den Staat in rassistischer Manier zum konsequenten
Handeln gegen ein konstruiertes Flüchtlings- und Migrationsproblem
aufforderten, da folgte dieser wohlwollend der lädierten kopflosen Masse
und brachte juristisch so einiges auf den Weg. Neu war dieser Diskurs wahrlich
nicht, denn die BRD dominierte den Einwanderungsdiskurs seit ihrer
Gründung durch eine konsequent abwertende Verwertungsrhetorik billiger
Arbeitskräfte für den deutschen Arbeitsmarkt und Wiederaufbau. Diese
wurden vermehrt in den siebziger Jahren angeworben um aus dem deutschen
Wirtschaftswunder das Maximale an Wachstum herauszubekommen. Eines war aber
selbstverständlich klar, Deutschland sei kein Einwanderungsland
Die Menschen, die kamen, sollten nach Meinung des Staates und
großen Teilen der Bevölkerung wenn sie nicht mehr gebraucht
werden auch wieder in ihre Heimat zurückkehren. So bestimmte
eine massive Rückführungspolitik die achtziger Jahre. Als dann in den
neunziger Jahren die Migrationsbewegungen nach Europa zunahmen und die
Deutschen im nationalen Wiedervereinigungstaumel purer Erektion bemerkten, dass
in ihrem Lande auf einmal auch Menschen Asyl beantragten und so
genannte Gastarbeiter_innen komischerweise doch nicht gehen wollten, da
brach ein Zorn aus, welcher in seiner Widerlichkeit nach der Gründung der
BRD seinesgleichen sucht. Offen ausgetragener Rassismus, Gewalt und Morde von
Nazis an Migrant_innen unter johlendem Beifall der bürgerlichen Mitte
waren das Ergebnis dieser rassistischen Pogrome. Die Reaktion der Politik
materialisierte sich dann 1993 im so genannten Asylkompromiss, der
praktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl. Die Gesetzeslage besagt nach
Grundgesetzartikel 16a in Absatz 1: Politisch Verfolgte genießen
Asylrecht. Faktisch lässt sich aus dieser Formulierung aber kein
Recht auf Asyl ableiten, sondern nur ein Recht auf ein Asylverfahren, in dem
dann juristisch geprüft wird, ob eine politische Verfolgung vorliegt. Der
Bundestag kann zudem Staaten selbst bestimmen, bei denen aufgrund der
Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen
Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische
Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung
stattfindet. Menschen, die aus einem sogenannten sicheren
Drittstaat kommen, haben dementsprechend noch nicht einmal das Recht auf ein
Asylverfahren, sondern werden direkt in diesen abgeschoben. Dies geht
zurück auf die Drittstaatenregelung, eine der Bestimmungen der Dublin
II-Verträge von 2003. Des Weiteren wird es problematisch bei
Fluchtgründen, die nicht unter die Kategorie der politischen
Verfolgung fallen. Das wären zum Beispiel strukturelle Ursachen wie
Naturkatastrophen, ökonomische Krisen, Armut und Umweltschäden. Aber
auch ein innerstaatlicher Krieg ist kein hinreichender Asylgrund.
Außerdem wird in der Praxis der Verfahren von der
Unrechtmäßigkeit des Antrages ausgegangen, das heißt die/der
Antragssteller_in muss objektiv beweisen, dass sie das Kriterium der
politischen Verfolgung erfüllt. Auch sind die Antragssteller_innen
nach § 15 Absatz 1 des Asylverfahrensgesetz dazu verpflichtet, am
Verfahren kooperativ mitzuwirken, was im Endeffekt bedeutet, sich nach einer
Ablehnung des Verfahrens aktiv für die eigene Abschiebung einsetzen zu
müssen. Dies soll nur ein kleiner Anriss von Veränderungen der
gesetzlichen Lage Asylsuchender nach 1992 darstellen und ist noch zu
ergänzen durch die rechtlich abgesicherten unmenschlichen
Lebensumstände während des Asylverfahrens (Residenzpflicht,
Lagerzwang, Essensgutscheine etc...) sowie die rechtliche Situation bei
Widerruf, Abschiebung oder Duldung. Faktisch herrscht seit Jahrzehnten eine
Definition von Freiheit, welche dem gemeinen Deutschen und dem Flüchtling
nicht ansatzweise im gleichen Maß zusteht und bestehende antagonistische
Verhältnisse, welche Staat, Nation und Kapital immanent sind,
verklärt. Die materielle Gewalt der kapitalistischen Konkurrenz und
Verwertung von Arbeitskraft und die damit verbundene Mystifizierung der Nation
im Nationalstaat bekommen Flüchtlinge ganz besonders hart zu spüren:
Sie werden in Deutschland massiv kontrolliert, diszipliniert, isoliert und
abgeschreckt und dies geschieht im Einklang mit der Rechtsordnung eines
freiheitlich demokratischen Staates ein von Rassismus
geprägter gesellschaftlicher Diskurs und dessen gewalttätige
Auswüchse finden hier ihre institutionelle Entsprechung. In diesem Sinne:
Nie wieder Deutschland!?
The Future Is Unwritten