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• Leipzig lebt HipHop
• Was kostet die Welt
• Rosen für den Staatsanwalt
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• Summerclosing Party
• teaser: Mai 2012 im Conne Island
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• sport: Flucht vor dem Boykott
• Ausstellung: Was damals Recht war
• doku: In Halle werden die Dummen nicht alle!
• review-corner buch: Wenn der Preis der Revolution die Revolution ist(1)
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von der Straße
Ach, wie harmonisch könnte ein soziokulturelles Zentrum sein, in dem
einfach alles Unpässliche unter den Tisch gekehrt würde! Wie
schön wäre aber auch eine Welt, in der Künstler und
Künstlerinnen zweimal darüber nachdächten, mit wem sie sich
fotografieren lassen, welche Bands sie in ihrer Freizeit veranstalten und
wessen Illustrationen sie für ihre T-Shirts verwenden. Das Conne Island
ist weder dieses idyllische soziokulturelle Zentrum, noch hat es das Glück
ausschließlich solche idealen KünstlerInnen auf seine Bühne
stellen zu können.
Am 15. März 2012 fuhren zum nunmehr neunten Mal die New Yorker
Hardcore-Chefs von Madball vor und brachten ihre liebsten Kumpels mit.
Am Start war unter anderem die Band First Blood um den Sänger Carl
Schwartz. Bereits viele Monate im Vorfeld wurde dem Conne Island-Plenum
zugetragen, dass sich im Merchandise-Sortiment der Band ein T-Shirt
befände, dessen Message bestenfalls israelkritisch sei. Wie es im Conne
Island-Plenum gängige Praxis ist, wurde die Auseinandersetzung mit eben
jenem Shirt Woche um Woche zu Gunsten zahlreicher anderer mehr oder weniger
wichtiger Vorkommnisse verschoben. Als der Fall dann endlich auf den Tisch kam,
wurde schnell klar, dass der Laden ein Statement der Band verlangen würde,
bevor eine endgültige Zu- oder Absage erteilt werden konnte. Die Show war
zu diesem Zeitpunkt längst komplett gebucht und bereits fast ausverkauft.
Auf dem T-Shirt ist ein stilisierter Hamas-Kämpfer, anscheinend in einer
kriegerischen Situation, abgebildet. Neben der Illustration ist ein Ausschnitt
des Berichtes von Amnesty International über die Operation
Gegossenes Blei im Winter 2008/2009 zu lesen. Darin werden die Missetaten
israelischer SoldatInnen gegenüber der Zivilbevölkerung im
Gazastreifen angeprangert.
In einer erst über verschiedene Umwege und mit einiger Verspätung
zugestellten Email wurde First Blood mitgeteilt, dass das Conne Island
als ein Projekt, das sich mit Israel solidarisch erklärt, eine
Stellungnahme der Band zur Aussage des Shirts fordere und unter den zu jenem
Zeitpunkt gegebenen Umständen einen Auftritt als nicht möglich
erachte. Begründet wurde dies damit, dass die Art der Darstellung des
Hamas-Kämpfers, der für die Nichtanerkennung des Existenzrechts
Israels und vor allem für die Zerstörung eben dieses Staates steht,
im Gegensatz zu jeglichem politischen Konsens innerhalb des Conne Island steht.
In einem vorläufigen Antwortschreiben erklärte der Sänger Carl
Schwartz die antirassistische Position der Band, die sich außerdem mit
Palästina solidarisch, aber ausdrücklich nicht anti-israelisch oder
antisemitisch gestalte. Der Künstler hinter der Illustration des Shirts,
Carlos Latuff, sei ein weltbekannter Menschenrechtsaktivist und dem
Conne Island wurde einmal mehr Meinungs-Zensur vorgeworfen; es gehe hier ja
schließlich um Hardcore, also freies Denken und Open-Mindedness. Eine
ausführlichere Erläuterung wurde angekündigt.
Dank Google konnte der Menschenrechtsaktivist Latuff in der Zwischenzeit
kurzum als politisch mehr als schwieriger Zeitgenosse identifiziert werden.
Unter anderem wurde einer seiner Cartoons im iranischen
Holocaust-Karikaturenwettbewerb im Jahr 2006 mit dem zweiten Platz geehrt;
Israel mit dem NS-Regime zu vergleichen scheint ihm eine ertragreiche Quelle
der Inspiration zu sein.
Die eine Woche vor dem Konzerttermin folgende ausführliche Antwort
Schwartz` trug nicht dazu bei, die Aufregung zu dämpfen, sondern
eröffnete einen weiteren Blick in die Untiefen der politischen Differenzen
zwischen First Blood und dem Conne Island. Es wurde klar, dass man
Schwartz ob seiner mindestens antizionistischen Argumentation selbst mit Augen
zu und größtem Wohlwollen kaum mehr nur blinden Pazifismus oder
Gutmenschentum unterstellen konnte. Da die Zeit aufs Äußerste
drängte, gab sich das Plenum mit der Forderung nach einer deutlichen
Distanzierung der Band von Carlos Latuff und seinen Cartoons sowie einem
Verkaufsstopp des betreffenden Shirts zufrieden, beschloss jedoch bei
Nichterfüllung dieser Forderungen First Blood nicht auftreten zu
lassen.
Die Antwort folgte postwendend und mit mehr Tamtam und Krawall, als es sich das
Plenum hätte vorstellen können.
Freddy Madball Cricien, Sänger der gleichnamigen Band, der
die Tour höchstpersönlich zusammengestellt und gebucht hatte, drohte
mittels der verantwortlichen Agentur mit weitreichenden Folgen für das
Conne Island in Form der Absage des Konzertes und eines zukünftigen
Boykotts durch sämtliche amerikanische Hardcore-Größen, wenn
die Band seines Kumpels Carl Schwartz von der Show ausgeschlossen würde
und ließ auch sonst keine Möglichkeit aus, um seinem Ärger
Ausdruck zu verleihen. Die einzig positive Neuigkeit war die Tatsache, dass das
den Konflikt ursprünglich auslösende Shirt zu diesem Zeitpunkt
offenbar zumindest in Deutschland schon längst nicht mehr im Verkauf war,
was allerdings nichts mit einem politischen Einlenken der Band zu tun hatte.
Daraufhin musste ein Notfall-Plenum einberufen werden, in dessen Rahmen
abgewogen, gerechtfertigt und diskutiert wurde, bis man sich dazu durchrang,
die eigene Credibility zum Wohle der Zukunft von Hardcore im Conne Island aufs
Spiel zu setzen. Außerdem entschloss man sich dazu, eine kleine
Delegation zu einem Gespräch mit Schwartz am Tag des Konzertes zu
entsenden.
Diese Unterhaltung führte zu keiner überraschenden Erkenntnis.
Schwartz gerierte sich als Pazifist und Menschenrechtler und konnte nicht
umhin, den Holocaust trotz klarer Ansagen der Conne Island-VertreterInnen mit
anderen Ungerechtigkeiten gleichzusetzen. Seine
pro-palästinensische Haltung sei als Opposition zum vorherrschenden
gesellschaftlichen Diskurs in den USA zu verstehen; sein Mitgefühl gelte
natürlich trotzdem all den Jüdinnen und Juden, die dem Holocaust zum
Opfer gefallen seien. Er sei außerdem froh, dass nun im Tourbus endlich
einmal auch über Politik statt immer nur über Bier und Tough
Guy- Shit gesprochen werde. Er könne nicht für Carlos Latuff
sprechen und kenne nicht alle seine Arbeiten, der Hamas-Kämpfer sei jedoch
ein Freiheitskämpfer, der fälschlicherweise als Terrorist
missverstanden würde. Um das Gespräch versöhnlich zu beenden,
zeigte Schwartz einen Cartoon Latuffs, der dessen eigentliches tiefstes
Herzensanliegen deutlich machen solle: ein Israeli und ein Palästinenser,
die sich weinend und freundschaftlich in den Armen liegen.
Obwohl das Conne Island seine Position First Blood gegenüber
deutlich zum Ausdruck gebracht hat und ein erneutes Auftreten der Band eher
unwahrscheinlich ist, hält sich auch nach dem Konzert ein bitterer
Nachgeschmack des Eingeknicktseins. Bisher war das Conne Island meist in der
privilegierten Position, politische Debatten innerhalb ladennaher Subkulturen
beeinflussen und prägen zu können. Doch wie soll man am Einlass
Teenagern erklären, dass sie ihr buntes Palituch schleunigst verschwinden
lassen sollen, wenn es die Leute mit den wirklich indiskutablen Positionen ohne
Umwege auf die Bühne schaffen? Die selbst praktizierte Erpressung am
eigenen Leib zu spüren, sollte eine Lektion für die Zukunft
sein, inhaltliche Bedenken am Kulturprogramm nicht auf die lange Bank zu
schieben. Der Vorgang um First Blood war zwar ein bisher einmaliger in
der Geschichte des Ladens, stellt jedoch auch einen Höhepunkt des seit
einiger Zeit gängigen, oberflächlichen Umgangs mit dem eigenen
Booking dar. Dass Bedenken gegenüber einer Band, die als dritte von
insgesamt sechs Bands an einem Abend auftritt, überhaupt zur Sprache
kommen und so ausführlich diskutiert werden, ist eine absolute Seltenheit
und kann in diesem Fall fast als Zufall bezeichnet werden. Dies ist auch der
Arroganz des Plenums gegenüber vermeintlich unwichtigen Vorbands
und der Überschätzung der eigenen Verhandlungsposition geschuldet.
Die Verantwortung für das Dilemma, in dem sich das Conne Island dadurch
befindet, trägt in erster Linie das Plenum, das sich bereitwillig immer
wieder in ein unfassbar aufwendiges, aus allen Nähten platzendes und vor
allem kaum Zeit für derartige Diskussionen zulassendes
Veranstaltungsprogramm stürzt. So wenig irgendjemand im Conne Island Bands
wie Sick of it all, Madball, H2O oder Agnostic
Front als stetige Begleiter des Ladens verlieren will, so sehr fühlt
sich die Entscheidung an wie ein weiterer Schritt hinein ins Business, weg vom
politischen Anspruch.
jimmy