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von der Straße
Wer heute in einen Hundehaufen tritt, kann veritable Kunst zerstören.
Die Scheiße ist einfach überall, so Franz Zöllner. Wovon
der wohl renommierteste Da Vinci-Experte der Republik spricht, ist Shitart. Die
hippe Kunstrichtung befasst sich mit dem Formen, Verzieren und Modellieren von
man kann es sich denken Scheiße. Was ekelig klingt und
dennoch immer öfter auf Connewitz` Straßen zu finden ist, nimmt
Anlehnung an Pop-Art-Projekte der sechziger, siebziger und achtziger Jahre. Das
Triviale tritt ins Zentrum der Kunst und persifliert damit Gesellschaft, Kunst
und nicht zuletzt den Gegenstand selbst. Heute wissen wir:
Pop-Art-Künstler arbeiteten nie mit authentischem Kot, auch wenn einige
ihrer Kunstwerke den Eindruck erwecken, echt Kacke zu sein.
(Vladimir Noobinksy, Großer Kot. Installation auf dem Fockeberg zum Anlass des Jubiläums der Leipziger
Messe 1980.)
Dass das Arbeiten am Kackhaufen für Unverständnis und Ekel sorgt,
darüber kann der Künstler Jürgen Alster nur lachen. Seit Jahren
beschäftigt er sich mit dem eigenen und dem Kot anderer: Die
Faszination begann in meiner Kindheit, meine Eltern waren nicht gerade erfreut
über mein Spiel. Als ich Künstler wurde, war es plötzlich
normal, sich mit einer Menge Mist zu beschäftigen, erklärt der
Virtuose. Heute zieht Alster nachts durch die Straßen Leipzigs, immer auf
der Suche nach Hundehaufen, um sie seiner Kunst anzudienen.
(unbekannter Künstler: Happy Shit, leicht modellierte Wurst mit
Plüschtieraugen aus den frühen, unbeschwerten Tagen der Bewegung, um
2011)
Doch Alster arbeitet mittlerweile unter großen Gefahren. Denn die erste
friedliche braune (Kunst-) Bewegung der deutschen Geschichte, geriet ins
Fadenkreuz von Kritikern und Randbezirksbewohnern gleichermaßen.
Früher war Kacke ein Ärgernis fürs Establishment, heute
macht man uns das Leben in den Szenebezirken schwer.
Um diese Zusammenhänge verstehen zu können, muss man etwas weiter
ausholen. 2011 stellte Alster einige seiner Stücke in der Leipziger
Spinnereistraße aus. Zufallsgast an diesem Abend war die Künstlerin
und Kunstkritikerin Rosa Loy, Ehefrau von N. Rauch.
Sie konnte sich sofort in meine Arbeit einfühlen. Vielleicht
liegt das ja an ihrem persönlichen Background, aber wir waren sofort ein
Herz und eine Seele, bemerkt Alster verträumt. Loy setzte sich
für Alster ein und so folgte eine Ausstellung seiner Werke im Guggenheim
LA. Schnell bekam der junge Mann aus Borna (bei Leipzig) eine
Öffentlichkeit, verbietet sich aber in eine Reihe mit
Streetart-Künstlern wie Banksy gestellt zu werden: Banksy will
Kunst machen, ich will nur aus etwas augenscheinlich Hässlichem etwas
Schönes kreieren.
(Unbekannter Künstler: Die Ratte, Kot mit Augenapplikation, blauem
Feenstaub und Rattenschwanz aus Kunststoff, dazu
Zahnstocherfähnchenaufsatz mit kryptischer Botschaft. 2012)
Seine neu erworbene Popularität blieb auch den alternativen Kreisen in
Connewitz nicht verschlossen. Denn der Shitartist Alster arbeitet vornehmlich
in Stadtbezirken mit einer erhöhten Menge Kot auf den Straßen,
vorzugsweise in Plagwitz, Connewitz und Schleußig. Nirgendwo ist die
Anzahl der ignoranten Hundehalter höher als in diesen Stadtteilen,
nirgendwo wird weniger Hundekot beseitigt. Als sich im letzten Jahr Protest
gegen die Gentrifizierung von Wohnvierteln formierte, bekam Alster
plötzlich Drohmails: Mir wurde klar, dass ich nicht unbemerkt
blieb. Leute schrieben mir, dass ich die alternativen Viertel der Stadt bekannt
machen würde, dass man das nicht länger dulden werde und ich meinen
Scheiß doch allein machen soll.
Jahrzehnte konnte man in Connewitz seinen Hund frei von staatlichem Zugriff die
Bürgersteige beschmutzen lassen, nun riefen sogar linke Wohnprojekte zur
Ordnung auf. In einem Flugblatt heißt es: Wir wissen, dass wir
in einem Dilemma stecken. Jahrelang hielt uns der Kehricht auf den
Straßen Yuppies und Wohnspekulanten vom Leib, da aber wo der braune Dreck
die Mieten ins unermessliche schießen lässt, wird Widerstand zur
Pflicht.
(Yuppies Raus, Eingang des Szeneclubs Zoro. Gerade hier
ist die Angst vorm Gentrifizierungsmotor Shitart groß. Foto(c): Regina
Katzer)
In der Tat wird Shitart kommerziell und in der Tat zieht es junge kreative
Menschen in die Nähe ihresgleichen. Dass sie Geld mitbringen und
Ansprüche an Wohnraum stellen, genügt den eingesessenen Bewohnern der
Stadtbezirke zum Ressentiment.
Jürgen Alster will sich die Arbeit jedenfalls nicht madig machen lassen:
Egal was die in Connewitz sagen, ich werde mit Shitart
weitermachen.
Ben Romeo Rolf