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von der Straße
29.05.2012: Ihr dürft nicht mitspielen. Vortrag und Diskussion zur Entstehungsgeschichte und aktuellen Entwicklungen des israelischen Fußballs. Mit Alex Feuerherdt (Publizist und Autor, u.a. für die Jüdische Allgemeine, Konkret, Tagesspiegel und Jungle World)
Wenn in zwei Jahren die nächste U21-Europameisterschaft im
Fußball ansteht, wird es zu einer Premiere kommen. Denn das Turnier wird
erstmals nicht auf europäischem Boden ausgetragen werden sondern im
Nahen Osten, genauer gesagt: in Israel. Ende Januar hatte die Uefa beschlossen,
die EM an den jüdischen Staat zu vergeben, der vor nunmehr genau 20 Jahren
in den europäischen Fußballverband aufgenommen wurde und mit dem
Auftrag, die wichtigste europäische Juniorenmeisterschaft auszurichten,
den wohl größten sportpolitischen Erfolg seiner
Fußballgeschichte feiern kann.
Mittlerweile finden es vermutlich nur noch wenige ungewöhnlich, dass
israelische Mannschaften an den europäischen Wettbewerben teilnehmen.
Längst gehören Maccabi Haifa, Hapoel Tel Aviv und das israelische
Nationalteam genauso dazu wie Olympique Lyon, Spartak Moskau und die
DFB-Auswahl. Dabei müsste der Israelische Fußballverband (IFA)
geographisch gesehen eigentlich der Asiatischen
Fußball-Konföderation (AFC) angeschlossen sein und er war es
auch zwischen 1956 und 1974. Doch während seiner Mitgliedschaft waren
israelische Mannschaften immer wieder von politisch motivierten Boykotten
seitens arabischer Mitgliedsländer betroffen, was zuweilen geradezu
groteske Konsequenzen hatte.
Gleich nach Israels Beitritt zum asiatischen Verband beispielsweise stand
für die israelische Nationalmannschaft die Qualifikation zum Asien-Cup an,
doch Afghanistan und Pakistan weigerten sich, zu den Spielen gegen die Auswahl
des jüdischen Staates anzutreten. Diese kam daher kampflos in die
Endrunde, in der sie gegen Südkorea, Hongkong und Südvietnam spielte
und das Turnier als Zweitplatzierte beschloss. Als Nächstes stand die
Qualifikation für die Weltmeisterschaft 1958 an, und nun begann ein
nachgerade absurdes Theater. Denn die Suez-Krise hatte Auswirkungen auch auf
den Fußball, weshalb sich das israelische Team erneut mit Boykotten
konfrontiert sah: Eigentlich hätte es nacheinander gegen die Türkei,
Indonesien und den Sudan spielen sollen, doch keine der vorgesehenen Partien
fand statt.
Damit wäre Israel eigentlich kampflos für die WM qualifiziert
gewesen, doch dagegen hatte die Fifa etwas: Weil nicht sein konnte, was nicht
sein durfte, loste der Weltfußballverband kurzerhand aus allen
europäischen Gruppenzweiten ein Land aus und ließ dieses gegen
Israel um den letzten freien Platz beim WM-Turnier in Schweden antreten. Gegen
Wales verlor Israel das Hin- und das Rückspiel jeweils mit 0:2 und war
damit ausgeschieden. Die Boykotteure hatten dank der Fifa also doch noch ihr
unsportliches Ziel erreicht ohne dass sie dafür mit Sanktionen
bedacht wurden.
Anschließend begann eine regelrechte Odyssee für die israelische
Fußballauswahl. An den Asienmeisterschaften nahm sie zwar noch bis 1972
teil, doch auch dabei sah sie sich immer wieder Boykotten ausgesetzt: Zu den
Spielen 1962 in Indonesien beispielsweise wurde sie gar nicht erst eingeladen,
und 1972 erklärte sich lediglich Südkorea bereit, in der
Qualifikation gegen sie zu spielen. Israel verzichtete letztlich, zumal die
arabischen Staaten angekündigt hatten, im Falle einer Qualifikation der
israelischen Auswahl der Endrunde fernzubleiben. Die Asiatische
Fußball-Konföderation handelte daraufhin und schloss Israel
1974, im Jahr nach dem Jom-Kippur-Krieg, auf Antrag Kuwaits aus ihrem Verband
aus.
Bei der WM-Qualifikation wiederum wurde die israelische Nationalmannschaft nach
der Groteske vor dem Turnier des Jahres 1958 von Kontinentalverband zu
Kontinentalverband gereicht: Die Ausscheidungsspiele für die
Weltmeisterschaften 1962 und 1966 bestritt sie in der Europagruppe, die
für die Wettkämpfe 1970 in der Ozeaniengruppe und die für die
Endrunden 1974 und 1978 trotz des Ausschlusses aus der AFC in der
Asiengruppe. Und so ging es munter weiter: 1982 Europagruppe, 1986 Asiengruppe,
1990 Ozeaniengruppe. An der Qualifikation zu kontinentalen Meisterschaften
also zur Asien- oder Europameisterschaft nahm Israel zwischen
1974 und 1994 überhaupt nicht mehr teil, weil es keinem Verband fest
angehörte. Im Jahr 1978 stellte der israelische Fußballverband zwar
erstmals einen Antrag auf Beitritt zur Uefa, doch der wurde nicht zuletzt mit
dem Verweis auf die Statuten abgelehnt: Es sei nicht möglich, so
hieß es damals, einen geographisch nicht in Europa liegenden Verband
aufzunehmen. Vor allem die osteuropäischen Mitgliedsländer hatten
sich strikt gegen das israelische Ersuchen ausgesprochen.
Mit dem Zusammenbruch des realsozialistischen Blocks änderte sich die
Situation jedoch. Vorerst ließ die Uefa israelische Mannschaften zwar nur
zu Spielen in ihrem Intertoto-Cup zu, doch 1991 gab es eine Zweidrittelmehrheit
für eine Änderung der Statuten zugunsten Israels, das nun in den
europäischen Verband aufgenommen wurde und drei Jahre später
schließlich auch die Vollmitgliedschaft erhielt. Seitdem nehmen
israelische Klubmannschaften an den Wettbewerben des Europapokals teil, und die
israelischen Auswahlteams bestreiten ihre EM- und WM-Qualifikationsspiele in
der Europagruppe bislang zwar mit eher mäßigem Erfolg, doch
die fußballerische Weiterentwicklung ist unübersehbar und eine
Teilnahme an der Europameisterschaft im kommenden Jahr zumindest nicht
illusionär.
Mit der Aufnahme Israels in die Uefa endete ein Hin und Her, das in der
Geschichte des Weltfußballs einzigartig ist; kein anderer nationaler
Fußballverband musste je solche permanenten Versetzungen über sich
ergehen lassen. Über Punktabzüge hinausgehende Maßnahmen gegen
jene Mitgliedsverbände, die Wettbewerbsspiele gegen Israel verweigerten,
mochte die Fifa jedoch nicht ergreifen. Unter Berufung auf ihre angeblich
unpolitische Rolle gab sie sich neutral, was im Ergebnis einer Belohnung
für die antiisraelischen Boykotteure gleichkam. Die israelischen
Fußballer und die Verantwortlichen ihres Verbands begegneten dem mit
einem ausgeprägten Pragmatismus. Denn sie wollten ihre
Qualifikationsspiele lieber austragen, als darauf zu bestehen, die Punkte
kampflos zugesprochen zu bekommen. Und dafür flogen sie notfalls sogar bis
nach Australien und Neuseeland.
Ori Shilo, der Generalsekretär des israelischen Fußballverbandes,
ist gleichwohl froh, dass das nicht mehr nötig ist. Die Zeit, als
wir in der Ozeaniengruppe spielen mussten, machte keinen Sinn, sagte er in
einem Interview des Deutschlandfunks. Außerdem fühlen wir uns
wie Europäer, ergänzte Shilo, wir könnten auch wieder in
Asien spielen, aber das wird politisch noch nicht einmal zu diskutieren gewagt.
Und wissen Sie: Länder wie Griechenland, Zypern, die Türkei und
Mazedonien spielen ja auch in Europa mit, und wir finden, dann gehören wir
auch dazu.
Gelegentlich ist der israelische Fußball aber auch hier
Boykottaktivitäten ausgesetzt, wie das Beispiel Ashkan Dejagah zeigt. Der
Wolfsburger Bundesligaprofi weigerte sich Anfang Oktober 2007, mit zum
Europameisterschafts-Qualifikationsspiel der deutschen U21-Auswahl in Israel zu
reisen, und machte dafür explizit politische Gründe geltend:
Ich habe mehr iranisches als deutsches Blut in meinen Adern.
Außerdem tue ich es aus Respekt, schließlich sind meine Eltern
Iraner. In der Öffentlichkeit wurde Kritik an Dejagah laut, doch
DFB-Präsident Theo Zwanziger blieb passiv; Konsequenzen für Dejagah
hatte dessen Weigerung nicht. Im Rückspiel gegen Israel in Duisburg fehlte
der Spieler dann übrigens ebenfalls diesmal offiziell wegen einer
schweren Zerrung.
Alex Feuerherdt