Die gerechte Stadt braucht nicht nur Teer und Steine
Eine Zusammenfassung der Diskussion über urbane Entwicklung und Verdrängung
Seit Jahren, mitunter sogar Jahrzehnten, ist
Gentrification in europäischen Metropolen ein heißes Eisen. Jetzt
ist die Debatte auch bei einer breiteren Masse in Leipzig angekommen. Mit einem
Mal fühlen sich viele selbst betroffen und es erwacht ein
großflächiges Interesse an Prozessen der Stadtentwicklung und
Politik im urbanen Raum.
Modernisierung
Wenn man über Gentrifizierung diskutiert, ist es sinnvoll zu fragen, um
welche Prozesse es sich dabei handelt. Denn erst aus dieser Analyse heraus kann
man Handlungsstrategien entwickeln, die AdressatInnen der eigenen Politik
festlegen und auch das ominöse Etwas bestimmen, gegen das man eigentlich
vorgehen will. Gentrifizierung lässt sich nicht auf das profitorientierte
Tun einer Immobilienfirma, die mehr Gewinn machen will, reduzieren. Erst recht
stellt es kein Mittel der Kommunalpolitik dar, unliebsame wie in diesem
diskutierten Connewitzer Beispiel szenische oder linksorientierte
Bewohner[[opthyphen]]Innen zu vertreiben. Gentrifizierung scheint vielmehr eine
zwangsläufige Modernisierung von Städten innerhalb des Kapitalismus
zu sein. Das bedeutet dann aber auch, dass dieser Prozess nicht nur von vielen
AkteurInnen bewusst und unbewusst vorangetrieben wird und dass er in seinem
Vollzug recht undurchsichtig daherkommt. Vor allem wohnt in ihm eine gewisse
Ambivalenz. Denn sowohl die Sanierung von maroden Altbaublocks als auch die als
klassisches Zeichen von Gentrifizierung gewerteten Kneipen und kleinen
Läden samt ihren liberalen Öffnungszeiten weisen auch einen Vorteil
auf. So haben die Renovierungen meist einen ökologischen Mehrwert und auch
die Fortschritte hinsichtlich Wohnqualität und Lebensgefühl
möchte man nicht missen. Doch zugleich setzt sich die soziale
Ungleichheit, an die man sich scheinbar schon in Fragen von Einkommen und
Bildung gewöhnt hat, durch Verdrängungs-Prozesse endgültig auch
stadt-räumlich durch und manifestiert sich damit auf einer weiteren
alltäglichen Ebene.
Soziale Frage und Stadtentwicklung
Nicht nur historisch hat der Terminus der Gentrifizierung etwas mit sozialen
Verhältnissen und Sozialer Frage zu tun. Als in den sechziger
Jahren der Begriff im britischen Wissenschaftsbetrieb eingeführt wurde,
beschrieb er die Zerstörung der proletarischen Stadtteilkultur in einigen
Londoner Arbeitervierteln. Auch heute geht es in Argumentationen und Statements
oftmals um eine zumeist imaginierte soziale Einheit die
KiezbewohnerInnen, die armen Bevölkerungsschichten, die Szene usw.
.
Eine Skepsis und ein ambivalentes Verhältnis innerhalb einer linken
Betrachtung beim Thema Soziale Frage existiert trotzdem nicht grundlos.
Die Ambivalenz lässt sich dabei ableiten aus der Zweiteilung des Begriffs
sozial in einen gesellschaftlichen, die Ordnung der Gesellschaft
betreffenden und in einen die Beziehungen der Mitmenschen emanzipierenden
Aspekt. Der Grund für das schwierige Handling ist am ehesten wohl in der
Befangenheit des Sozialen in den kapitalistischen Verhältnissen zu suchen.
Sozial im Sinne menschlicher Beziehungen heißt im Zeitalter des
Kapitalismus zuvorderst, als Objekt dem Feld der Reproduktion vorbehalten zu
sein. Und selbst der Begriff des Sozialen ist nur schwer über den
Kapitalismus hinaus bzw. ohne ihn zu denken. Und trotzdem macht es für
linke Auseinandersetzungen Sinn, die Verbesserung reeller Lebensbedingungen
anzustreben, auch wenn damit gleichzeitig dem System, das diese
Verhältnisse erst hervorbringt, zugearbeitet wird. Die Verfasstheit der
deutschen Gesellschaft und die historisch gewachsene kollektivistische
Definition der Sozialen Frage hierzulande macht es für eine
kritische Linke nicht unbedingt einfacher. In genau diesem Spagat
zwischen Kritik, Reform und Affirmation bewegt sich letztendlich auch
die Kritik an Stadtentwicklungs- und Gentrifizierungsprozessen.
Politik in Stellvertretung
Beim Thema Gentrifizierung sind die Betroffenen nicht selten Prekarisierte,
GeringverdienerInnen und sogenannte Hartz 4-EmpfängerInnen. Oft wird
über die Probleme dieser Personen im Zusammenhang mit Mietsteigerung und
damit einhergehenden Verdrängungsprozessen gesprochen, ohne das diese
anwesend sind. Einerseits entgeht solchen Debatten durch die Abwesenheit der
Betroffenen ein authentischer Beitrag zu deren Lebenssituation, andererseits
ist es aber unbedingt nötig, diejenigen zu vertreten, die keine Lobby und
keine Stimme, ja vielleicht nicht einmal den Antrieb zum Protest haben.
Betreiben wir Politik in Stellvertretung, so müssen wir beim Sprechen
über Andere sehr sensibel damit umgehen und bestenfalls versuchen, die
Betroffenen selbst einzubeziehen. Die geeignete Ansprache und der geeignete Ort
um weitere Personengruppen in die Debatte einzubeziehen müssen noch
gefunden werden.
Dekommodifizierung
Als Kommodifizierung bezeichnet man den Prozess der bzw. des zur
Werdens. Mit der Kommodifizierung geht die von Ressourcen oder die
Vermarktung menschlicher Arbeitskraft einher (Wikipedia). Unter
Dekommodifizierung könnte man demnach einfach das
rückgängig-machen von Privatisierung oder das
Überführen in genossenschaftliche Strukturen verstehen. Ganz so
einfach ist es jedoch nicht. Für den Wohnungsmarkt und um den geht
es hier schließlich gilt Dekommodifizierung als Mittel, um soziale
Unsicherheiten abzufangen. Es soll also Wohnraum aus dem Markt herausgenommen
werden, um ihn für sozial Schwache bezahlbar bereithalten zu
können. Dekommodifizierung scheint also auf den ersten Blick ein gutes
Mittel gegen Verdrängungsprozesse zu sein, die durch Mietkostensteigerung
zu Stande kommen. Inwiefern aber genossenschaftliches oder städtisches
Eigentum eine wirkliche Mietkostenentlastung unter Marktbedingungen darstellen
kann, bleibt fraglich.
Veranstaltungen, die sich mit dem Begriff Gentrifizierung und seiner
Anwendbarkeit auseinandersetzen wollen, übergeben sich beinahe im
Monatstakt den Staffelstab. Trotzdem scheint sich noch keine
Überdrüssigkeit oder Ermüdung einzustellen: Rund 300 Menschen
kommen am 31. Januar zur Diskussion unter dem Titel Disneyland des
Unperfekten ins Conne Island. Das Publikum gleicht einem Kiezplenum:
Connewitz trifft sich, um über Mieten, Wohnen und Leben im Viertel zu
diskutieren. Eine Debatte, geführt von mehrheitlich jungen Leuten mit
akademischem Hintergrund, kaum MigrantInnen oder RentnerInnen. Dazwischen
tauchen Positionen aus Plagwitz und Lindenau auf, die die Veränderungen in
ihrem Stadtteil als besonders rasant erleben. Die Diskussion sollte als Ventil
dienen, gleichzeitig aber auch zur Versachlichung der Kneipengespräche und
Online-Diskurse beitragen. Weg vom undifferenzierten Freund-Feind-Denken.
Zentral im Raum steht die Frage: Was passiert eigentlich in dieser Stadt? Wie
lässt sich das individuelle und subjektive Empfinden von Entwicklungen im
Viertel einordnen? Welche Begriffe und Theorien beschreiben die Situation am
treffendsten? Ist das, was sich hier an verschiedenen Ecken beobachten
lässt, wirklich Gentrifizierung? Was taugt dieses Theorem
überhaupt?
Die Umstände, unter denen urbane Prozesse in Leipzig stattfinden, sind
andere als in Hamburg oder München. Das stellt Romy Zischner vom Leipziger
Institut für Geografie gleich zu Beginn in den Mittelpunkt. Die
Entwicklung der Stadt fuße hier auf den Bedingungen, die die Wendezeit
geschaffen hatte: Leipzig war in desolatem Zustand, ganze
Straßenzüge standen leer, Sanierungen wurden subventioniert. Die
ersten Aufwertungen waren also politisch initiiert und gewollt. Infolge dessen
bildete sich ein mieterbestimmter Wohnungsmarkt mit niedrigen Preisen heraus.
Der zieht vor allem seit Beginn der 2000er Jahre verstärkt junge Leute,
respektive StudentInnen, an. Der Leerstand geht vor allem in den besonders
beliebten Vierteln zurück. Gleichzeitig steigen die Mieten.
Einkommensschwächere Menschen werden damit in manchen Stadtteilen bereits
ausgeschlossen. Zwar gibt es - großflächig betrachtet - noch recht
viele Sozialwohnungen in Leipzig. Die finden sich aber in erster Linie in
randstädtischen Gebieten wie Grünau und Paunsdorf. Das treibt
Segregationsprozesse voran, was heißen soll, dass sich bestimmte soziale
Gruppen in bestimmten Stadtvierteln konzentrieren. Für das Beispiel
Connewitz spricht der Stadtteilkatalog zwar von einer heterogenen
Bewohnerschaft und Durchschnittsmieten um die fünf Euro. Allerdings ist
das administrative Gebiet wesentlich größer als das, was der
Kiezbewohner als Connewitz empfindet.
Die derzeitigen Entwicklungen in Leipzig einzuordnen, gelingt der Diskussion
nur bedingt. Unzweifelhaft erkennt das Publikum einen Wandel - und zwar vom
Mieter- zum Vermietermarkt. Restbestände werden nach und nach saniert, im
Angebot finden sich verstärkt Eigentumswohnungen. Bei Neuvermietungen
werden die Preise oft kräftig erhöht. Die LWB verkauft ihre
Wohnungsbestände weiter an private Investoren. Allerdings fehlen solide
empirische Untersuchungen, die diese Beobachtungen untermauern würden. Die
Erkenntnisse beruhen fast ausschließlich auf subjektivem Empfinden und
eigenen Erfahrungen. Aktuelle Analysen gibt es nicht. Ob der Begriff
Gentrification für Leipzig nützlich ist, bleibt nach dem
Gespräch immer noch offen. Dem Berliner Stadtsoziologen Andrej Holm
zufolge spielt zumindest der Zyklus von Inversion und Sukzession, also das
Modell von Pionieren und Gentrifiern, in Leipzig keine Rolle - zumindest
insofern, da es auch insgesamt nur ein Gesicht von Gentrification zeigt. Die
Ursachen für Aufwertung und Verdrängung seien wesentlich
vielschichtiger.
Aufwertung könne - wie im Falle vieler ostdeutscher Städte -
politisch veranlasst sein, also durch die Förderung von Sanierungen.
Gleichzeitig seien es aber nicht nur renovierte Altbestände, die einen
Wandel im Viertel bewirken, sondern auch Neubauten, Stadthäuser, wie sie
auf Brachflächen in Connewitz entstehen. Funktionale Veränderungen,
die Umgestaltung eines Wohnviertels zum touristischen Zentrum - in
Berlin-Kreuzberg immer wieder beklagt - bilden eine andere Form der Aufwertung.
Ähnlich verzweigt sei der Begriff der Verdrängung. Es greift zu kurz,
dabei auf die Klischees von Latte-Macchiato-Mutter und Bioladen-Yuppie zu
schimpfen. Die Gründe, warum Menschen ihr Viertel verlassen, seien erstens
nicht immer klar auszumachen und zweitens vielfältiger. In Leipzig
führt Andrej Holm das vor allem auf ökonomische Ursachen zurück,
eben das Ansteigen der Mieten. Das mache die Debatte über Verdrängung
und Wohnraumpolitik notwendig. Dabei - so der Tenor vieler RednerInnen - darf
es nicht darum gehen, Feindbilder aufzubauen, auch wenn einige Wenige immer
noch darauf drängen, ungeliebte Nachbarn mit Unser Kiez bleibt
dreckig-Aufklebern zu vertreiben. Zugespitzt formuliert ist das
Regionalrassismus und fasst das Problem nicht bei der Wurzel.
Innerhalb der Diskussion bleiben die Positionen ungeordnet und bauen wenig
aufeinander auf. Das mag verständlich sein angesichts so vieler
Interessierter, zeigt aber auch eine gewisse Ratlosigkeit. Das Engagement ist
zwar groß - Arbeitskreise wollen sich gründen, Stammtische von
Betroffenen entstehen. Es dreht sich aber viel um Mieten und Vermieter - das,
was jeder am eigenen Leib erfährt. Politische und gesellschaftliche
Theorien bleiben weitgehend außen vor. Es klingt die Position der
Situationistischen Internationale an. Wie lassen sich ihre Überlegungen
auf die Gegenwart übertragen? Bietet die Psychogeografie
Anknüpfungspunkte - eine grundlegende Umformung der Stadtstrukturen, die
jenseits von wirtschaftlichen Sachzwängen stehen? Dabei gibt gerade Andrej
Holm zu bedenken, dass Modernisierung nicht der Grund allen Übels ist.
Jeder freue sich über eine funktionierende Heizung, über ein dichtes
Dach und eine Toilette, die sich nicht mehr auf halber Treppe befindet. Die
Verbesserung der Lebensbedingungen sollte daher eine linke Forderung bleiben.
Weg vom Provinzialismus. Der Konflikt trete erst dann zu Tage, wenn sich Manche
Modernisierung und Fortschritt nicht mehr leisten können. Das ist aber das
grundlegende Problem des Kapitalismus. Natürlich sind StadtplanerInnen
oder ArchitektInnen an einer Aufwertung und Verbesserung ihrer Produkte
interessiert. Das erhöht ihren Tauschwert und ihren Gewinn. In diesem
Rahmen bleibt es auch nachvollziehbar, dass ein Immobilienhändler Mieten
erhöht. Schließlich ist auch er Teil der Strukturen und an Profit
interessiert. Die Kritik muss sich also notwendigerweise gegen das
kapitalistische System richten, schlussfolgern einige
DiskussionsteilnehmerInnen.
Die Frage nach den daraus resultierenden Forderungen spaltet das Publikum.
Positionen melden sich zu Wort, die Immobilienkonzerne moralisch verurteilen.
Allerdings - so schallt es vom anderen Lager - birgt das die Gefahr, dass das
Urteil verkürzt und stark personifiziert ausfällt. Deshalb seien es
eher die übergeordneten, abstrakteren Verhältnisse, die in den
Blickpunkt rücken müssen. Es gehe nicht darum, Veränderungen und
Sanierungen im Viertel aufzuhalten. Die seien notwendig - schon allein, um
Gebäude über mehrere Generationen in einem bewohnbaren Zustand halten
zu können. Stagnation ist nicht das Ziel. Das Postulat solle dann aber
lauten: Sanierter Altbau für alle! Hier deuten sich aus dem
Publikum vertraute Ideen an: Privatisierungen stoppen und städtische
Räume wieder verstärkt der - im weitesten Sinne - öffentlichen
Hand übergeben. Wohnungen dürfen in dieser Überlegung nicht
länger als Ware gehandelt werden. Sie müssen als Grundrecht jedem zur
Verfügung stehen. Die Vorstellung der Dekommodifizierung
orientiert sich so, dass sowohl Forderungen an den Sozialstaat als auch eine
generelle Kapitalismuskritik zulässig bleiben. Andererseits gehe damit die
Gefahr einher, dass Versorgungsleistungen vom Sozialstaat abgekoppelt werden,
so ein Einwand. Das passiere etwa, indem Genossenschaften soziale Funktionen
übernehmen müssen. Im Gegensatz dazu wäre es möglich, dem
Markt Wohnraum zu entziehen, ihn aus der kapitalistischen Verwertungslogik
auszukoppeln, indem Gebäude durch Hausprojekte oder ähnliches
aufgekauft werden. Das würde aber dem Anspruch einer Stadt, die jedem
gehört, widersprechen. Dass symbolische Politik innerhalb der Forderungen
ihre Berechtigung hat, wird von manchen RednerInnen weiter verfochten.
Teerbomben und Farbbeutelattacken richten Sachschaden an, verursachen also eine
Abwertung und eine Gewinnminimierung. Allerdings sind solche Aktionen
prädestiniert dafür, eben auch die Falschen zu treffen oder in
unberechtigte Personifizierungen und Gewalt umzuschlagen. Zudem sprechen
Farbflecke an Fassaden nicht für sich selbst. Wenn sie nicht
begründet und in einen politischen Kontext eingebettet werden, bleiben sie
missverständlich und unsinnig.
Den Beiträgen und Erfahrungen des Publikums zufolge scheint es, dass die
Anzeichen bisher nur bedingt für Gentrifzierung - im klassischen Sinne
des Theorems - sprechen. Umso besser ist es, möglichst früh
Strategien und Lösungen bereit zu legen. Das kann auf Dauer aber nicht nur
auf das immer gleiche Submilieu beschränkt bleiben, wie die Debatte gegen
Ende erkennt. Der Augenschein mancher, das Viertel sei eine große
Gemeinschaft Gleichgesinnter, ein linker Chaos-Kiez, ist
kurzsichtig und blauäugig. Hier leben genauso viele Familien, RentnerInnen
und Sozialhilfeempfänger[[opthyphen]]Innen, die betroffen sind und
früher oder später in den Diskurs eingebunden werden müssen
(oder vielleicht auch nicht, denn wer will schon ernsthaft mit mehrheitlich
Spießern oder RassistInnen diskutieren?). Der Stadtteil ist keine Insel,
auf der wir Probleme unter uns ausmachen können. So trifft ein
Gesprächsteilnehmer den Nagel auf den Kopf: Connewitz ist eben auch
nur Deutschland.
Vorbereitungsgruppe „Disneyland des Unperfekten“