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CEE IEH-ARCHIV

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Aktuelles Heft

INHALT #193

Titelbild
Editorial
• das erste: Antidemokratisch und borniert
Austin Lucas
We have Band
WhoMadeWho
This Will Destroy You
Backfire
Bane
Fiva I
Fiva II
Die Leipziger Meuten
Divided We Stand?!
• teaser: März 2012 im Conne Island
Veranstaltungsanzeigen
• review-corner film: „Wuchtig, emotional, authentisch“???(1)
• doku: Im Osten nichts Neues
• doku: Europäischer Aktionstag gegen den Kapitalismus
• ABC: G wie Muammar al-Gaddafi
• interview: Interview mit einem Mitglied der „Meute Reeperbahn“
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Interview mit einem Mitglied der
„Meute Reeperbahn“

Herbert Kleinschmager wurde 1923 in Leipzig-Lindenau geboren. Das Interview entstand 2001 und wurde für den exklusiven Abdruck im CEE IEH leicht überarbeitet und gekürzt.

Was waren Ihre Eltern von Beruf?

Meine Mutter war Hilfsarbeiterin und mein Vater war Arbeiter und in den 20er Jahren bei der Leipziger Stadtverordnetenversammlung Mitglied der KPD-Fraktion. Von dort kommt also die Basis her.
Meine Beteiligung an den Meuten begann praktisch mit Beginn der Lehre, so mit 13 Jahren. Bei uns ging die Schule bis zum achten Schuljahr, da waren wir also 13 oder 14 Jahre alt und danach ging man in eine Lehre. Ich habe bei den Leipziger Verkehrsbetrieben als Dreher gelernt.

Wie haben Sie Ihre Freizeit verbracht?

Wir sind nach Machern und auch in den Thüringer Wald. Aber hautsächlich sind wir an die Lübschützer Teiche, dort war unser Domizil im Sommer als Gruppen. Da kamen sie von der Meute Lille und von der Meute Reeperbahn und dort hatten wir auch Kontakt zu einer Arbeitslosengruppe, die an den Lübschützer Teichen zeltete. Das war eine Gruppe im Rahmen der illegalen KPD, wie ich nach dem Krieg erfahren habe.



Was haben Sie in den Wintermonaten gemacht?

Da haben wir uns meistens in den Vorräumen der Kinos aufgehalten. Am Anfang der heutigen Georg-Schwarz-Straße waren zwei Kinos. Die Kinos waren in den Gebäuden weiter hinten und in den Vorräumen, das waren praktisch unsere Aufenthaltsräume im Winter.
Bei der Lille war das anders. An der Ecke Lilienstraße/ Kohlgartenstraße, da ist ein Postgebäude und dort hielt sich im Winter die Gruppe Lille auf.

Welche Rolle spielte bei ihnen Musik?

Erstmal hatten wir eine besondere Kleidung: Knickerbocker-Hosen und im Sommer kurze Lederhosen, bunte Söckchen und Halstuch. Es gab verschiedene Halstücher. Die Lille hatten andere als die Reeperbahn. Das waren Halstücher, wie sie in Bayern zu Trachten getragen werden, die wurden mit einem Hirschhornring zusammengehalten.
Gesungen haben wir im Wesentlichen was man heute unter Volksliedern versteht, aber sie waren auch teilweise umgemünzt. Das war nicht so politisch, wie man heute denkt. Das war so „Der Mai ist gekommen...“ und da wurde ein neuer Text dazu gemacht. Aber das war mehr oder weniger unpolitisch.
Schallplatten haben wir erst Anfang der 40er Jahre gehört. Da kamen die Koffergrammophone in Mode, die man mit ins Freie nehmen konnte. Da wurden möglichst Schellackplatten amerikanischen Stils, Swing usw. gehört. Aber das waren dann schon nicht mehr die eigentlichen Meuten.

Kam es zu Schlägereien mit der Hitlerjugend?

Das war so wie üblich. Kam ein Hitlerjunge von seinen Pflichtübungen zurück, wurde er angepöbelt oder umgekehrt und so entwickelte sich das.

Eine Aktion war im Frühjahr 1939 gegen das Hermann-Göring-Heim der HJ in der heutigen Friedrich-Ebert-Straße, wo Fensterscheiben eingeschlagen wurden.

Ich kann mich auch noch an eine Prügelei erinnern in der Zeit. Da waren aber die Lille und die Reeperbahn zusammen dort. Der Kontakt bestand eng, auch wenn sie getrennt waren. Auf der Kleinmesse wurden manchmal vorher Absprachen geführt, wer in welches Revier ging, um zu kleben oder was es da alles gab.

Sie haben gesagt, dass Sie Flugblätter geklebt haben.

Wo die Flugblätter herkamen, weiß ich nicht. Wir hatten jeder manchmal zehn, 15 oder 20 Stück und wir haben sie im Wesentlichen geklebt an der Feuerwache, dort waren ja schöne Wände. Oder beim Karussell auf der Kleinmesse, wo die Eintrittspreise standen, dort wurde so ein Ding mit rangemacht, die waren ja nicht sehr groß, so etwa A5.

Wissen Sie noch, was auf den Flugblättern draufstand?

So was wie: „HJ – schlagt sie zu Brei!“ Ich würde sagen, eher primitive Sachen. Auch: „Die Bündische Jugend lebt!“
Ich wurde dann auf der Kleinmesse verhaftet. Wir hatten Klebeaktionen gegen die Hitlerjugend durchgeführt, also niemals gegen den Staat, sondern immer gegen die Jugendorganisation, und in dem Zusammenhang bin ich bei einer Klebeaktion mit einigen anderen verhaftet worden.
Nach der Verhaftung bin ich ins Polizeigefängnis gekommen und dann später abgeurteilt worden zu einem Jahr und einer Woche Gefängnis. Das hieß wegen §2 des Gesetzes gegen Neubildung von Parteien. Wir hatten zwar keine neue Partei gebildet, aber unter diesem Oberbegriff lief das. Alle Gruppierungen, die sich gegen die Hitlerjugend richteten, liefen unter §2, weil ja die Gefahr bestand, dass sich illegal Parteien bildeten.

Was passierte nach Ihrer Entlassung aus dem Gefängnis?

Ich sollte in das „Jugendschulungslager Mittweida“ entlassen werden, das war dort so eine Art Jugendwerkhof, Erziehungsheim. Da wollte mich meine Mutter abholen, aber das haben sie abgelehnt. Ich musste mit Beamten dorthin. Aber ich war bloß 14 Tage dort und dann kam ich raus, weil meine Mutter mir eine Lehrstelle besorgt hatte. So bin ich wieder nach Leipzig gekommen und habe dort in einer kleinen Firma in der Lützner Straße meine Dreherlehrzeit beendet.
Wir waren dann aufgrund unserer Vorstrafen nach einem bestimmten Gesetz vom Wehrdienst ausgeschlossen. Das Gesetz wurde aber Ende 1942 außer Kraft gesetzt und die Älteren kamen zur Musterung. Die kamen alle wieder und sagten, sie kommen zur Strafkompanie 999. Ich kam aber nicht zur Musterung. Ich kriegte bloß einen Brief, dass ich am 20. Dezember 1942 mich auf dem Hauptbahnhof mit Tagesverpflegung, Zahnbürste usw. und mit Ausschließungsschein einzufinden habe, weiter nichts. Und da waren natürlich eine Reihe Bekannte da.
Die Strafdivision gliederte sich in verschiedene Teile. Das Regiment 962, zu dem ich gehörte, kam nach Afrika. Und dort habe ich mich dann abgesetzt, im Mai 1943 bei Tunis. Da war ich reifer, drei Jahre älter. Unsere drei Kompanien sollten den Fallschirmjäger-Rückzug decken. Da waren einige dabei, die sagten: „Das machen wir nicht!“ Und da sind wir übergelaufen.



Zu wievielt sind Sie übergelaufen?

Zunächst jeder einzeln für sich. Wir haben uns, zwölf oder 15 Mann, dann wieder getroffen unter Bewachung. Ich bin von neuseeländischen Truppen gefangen genommen worden. Das war während eines Feuergefechtes relativ einfach, bei Granateinschlägen und so weiter. Da musste jeder für sich selbst sorgen. Wir hatten Spezial-Unteroffiziere und -Leutnants, die sollten auf uns aufpassen. Es war ja nicht so, dass wir eine normale Einheit waren. Ich weiß noch, der eine Leutnant wurde schwer verwundet und da ging alles drunter und drüber und dort habe ich mich dann von Granatloch zu Granatloch abgesetzt.

Und dann war ich ein paar Jahre in amerikanischer Gefangenschaft. Ich bin zunächst ins Atlasgebirge gekommen, zu Engländern und habe dort Gefangenenlager aufgebaut für alle die, die in Afrika gefangen genommen wurden. Danach bin ich mit dem Zug nach Casablanca und dort den Amerikanern übergeben worden und kam in die USA, in die Südstaaten. Da war ich in Alabama und Mississippi. Dort habe ich in der Wäscherei gearbeitet.
Ich war zunächst in einem normalen Gefangenenlager und dort hatte man die Möglichkeit, sich für ein sogenanntes Antifa-Lager zu melden. Ich habe mich für das Camp McCain im Bundesstaat Mississippi gemeldet und bin dort unter Gleichgesinnten gewesen. Wir haben unser Gefangenenlager selbst organisiert.
Unabhängig davon haben wir im April 1945 die Tage miterlebt, wo die US-Armee in Weimar Buchenwald befreit hatte, denn da kriegten wir anschließend drei Tage lang nichts zu essen. Das war das erste KZ, das die Amerikaner gesehen hatten. Die Amerikaner waren konsequent, da gab es in den ganzen Gefangenenlagern für die Deutschen drei Tage nichts zu essen.

Sascha Lange

 

29.02.2012
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