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• Die Leipziger Meuten
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• interview: Interview mit einem Mitglied der Meute Reeperbahn
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Herbert Kleinschmager wurde 1923 in Leipzig-Lindenau geboren. Das Interview entstand 2001 und wurde für den exklusiven Abdruck im CEE IEH leicht überarbeitet und gekürzt.
Was waren Ihre Eltern von Beruf?
Meine Mutter war Hilfsarbeiterin und mein Vater war Arbeiter und in den 20er
Jahren bei der Leipziger Stadtverordnetenversammlung Mitglied der KPD-Fraktion.
Von dort kommt also die Basis her.
Meine Beteiligung an den Meuten begann praktisch mit Beginn der Lehre, so mit
13 Jahren. Bei uns ging die Schule bis zum achten Schuljahr, da waren wir also
13 oder 14 Jahre alt und danach ging man in eine Lehre. Ich habe bei den
Leipziger Verkehrsbetrieben als Dreher gelernt.
Wie haben Sie Ihre Freizeit verbracht?
Wir sind nach Machern und auch in den Thüringer Wald. Aber
hautsächlich sind wir an die Lübschützer Teiche, dort war unser
Domizil im Sommer als Gruppen. Da kamen sie von der Meute Lille und von der
Meute Reeperbahn und dort hatten wir auch Kontakt zu einer Arbeitslosengruppe,
die an den Lübschützer Teichen zeltete. Das war eine Gruppe im Rahmen
der illegalen KPD, wie ich nach dem Krieg erfahren habe.
Was haben Sie in den Wintermonaten gemacht?
Da haben wir uns meistens in den Vorräumen der Kinos aufgehalten. Am
Anfang der heutigen Georg-Schwarz-Straße waren zwei Kinos. Die Kinos
waren in den Gebäuden weiter hinten und in den Vorräumen, das waren
praktisch unsere Aufenthaltsräume im Winter.
Bei der Lille war das anders. An der Ecke Lilienstraße/
Kohlgartenstraße, da ist ein Postgebäude und dort hielt sich im
Winter die Gruppe Lille auf.
Welche Rolle spielte bei ihnen Musik?
Erstmal hatten wir eine besondere Kleidung: Knickerbocker-Hosen und im Sommer
kurze Lederhosen, bunte Söckchen und Halstuch. Es gab verschiedene
Halstücher. Die Lille hatten andere als die Reeperbahn. Das waren
Halstücher, wie sie in Bayern zu Trachten getragen werden, die wurden mit
einem Hirschhornring zusammengehalten.
Gesungen haben wir im Wesentlichen was man heute unter Volksliedern versteht,
aber sie waren auch teilweise umgemünzt. Das war nicht so politisch, wie
man heute denkt. Das war so Der Mai ist gekommen... und da wurde ein
neuer Text dazu gemacht. Aber das war mehr oder weniger unpolitisch.
Schallplatten haben wir erst Anfang der 40er Jahre gehört. Da kamen die
Koffergrammophone in Mode, die man mit ins Freie nehmen konnte. Da wurden
möglichst Schellackplatten amerikanischen Stils, Swing usw. gehört.
Aber das waren dann schon nicht mehr die eigentlichen Meuten.
Kam es zu Schlägereien mit der Hitlerjugend?
Das war so wie üblich. Kam ein Hitlerjunge von seinen Pflichtübungen
zurück, wurde er angepöbelt oder umgekehrt und so entwickelte sich
das.
Eine Aktion war im Frühjahr 1939 gegen das Hermann-Göring-Heim der HJ
in der heutigen Friedrich-Ebert-Straße, wo Fensterscheiben eingeschlagen
wurden.
Ich kann mich auch noch an eine Prügelei erinnern in der Zeit. Da waren
aber die Lille und die Reeperbahn zusammen dort. Der Kontakt bestand eng, auch
wenn sie getrennt waren. Auf der Kleinmesse wurden manchmal vorher Absprachen
geführt, wer in welches Revier ging, um zu kleben oder was es da alles
gab.
Sie haben gesagt, dass Sie Flugblätter geklebt haben.
Wo die Flugblätter herkamen, weiß ich nicht. Wir hatten jeder
manchmal zehn, 15 oder 20 Stück und wir haben sie im Wesentlichen geklebt
an der Feuerwache, dort waren ja schöne Wände. Oder beim Karussell
auf der Kleinmesse, wo die Eintrittspreise standen, dort wurde so ein Ding mit
rangemacht, die waren ja nicht sehr groß, so etwa A5.
Wissen Sie noch, was auf den Flugblättern draufstand?
So was wie: HJ schlagt sie zu Brei! Ich würde sagen, eher
primitive Sachen. Auch: Die Bündische Jugend lebt!
Ich wurde dann auf der Kleinmesse verhaftet. Wir hatten Klebeaktionen gegen die
Hitlerjugend durchgeführt, also niemals gegen den Staat, sondern immer
gegen die Jugendorganisation, und in dem Zusammenhang bin ich bei einer
Klebeaktion mit einigen anderen verhaftet worden.
Nach der Verhaftung bin ich ins Polizeigefängnis gekommen und dann
später abgeurteilt worden zu einem Jahr und einer Woche Gefängnis.
Das hieß wegen §2 des Gesetzes gegen Neubildung von Parteien.
Wir hatten zwar keine neue Partei gebildet, aber unter diesem Oberbegriff lief
das. Alle Gruppierungen, die sich gegen die Hitlerjugend richteten, liefen
unter §2, weil ja die Gefahr bestand, dass sich illegal Parteien
bildeten.
Was passierte nach Ihrer Entlassung aus dem Gefängnis?
Ich sollte in das Jugendschulungslager Mittweida entlassen werden, das
war dort so eine Art Jugendwerkhof, Erziehungsheim. Da wollte mich meine Mutter
abholen, aber das haben sie abgelehnt. Ich musste mit Beamten dorthin. Aber ich
war bloß 14 Tage dort und dann kam ich raus, weil meine Mutter mir eine
Lehrstelle besorgt hatte. So bin ich wieder nach Leipzig gekommen und habe dort
in einer kleinen Firma in der Lützner Straße meine Dreherlehrzeit
beendet.
Wir waren dann aufgrund unserer Vorstrafen nach einem bestimmten Gesetz vom
Wehrdienst ausgeschlossen. Das Gesetz wurde aber Ende 1942 außer Kraft
gesetzt und die Älteren kamen zur Musterung. Die kamen alle wieder und
sagten, sie kommen zur Strafkompanie 999. Ich kam aber nicht zur Musterung. Ich
kriegte bloß einen Brief, dass ich am 20. Dezember 1942 mich auf dem
Hauptbahnhof mit Tagesverpflegung, Zahnbürste usw. und mit
Ausschließungsschein einzufinden habe, weiter nichts. Und da waren
natürlich eine Reihe Bekannte da.
Die Strafdivision gliederte sich in verschiedene Teile. Das Regiment 962, zu
dem ich gehörte, kam nach Afrika. Und dort habe ich mich dann abgesetzt,
im Mai 1943 bei Tunis. Da war ich reifer, drei Jahre älter. Unsere drei
Kompanien sollten den Fallschirmjäger-Rückzug decken. Da waren einige
dabei, die sagten: Das machen wir nicht! Und da sind wir
übergelaufen.
Zu wievielt sind Sie übergelaufen?
Zunächst jeder einzeln für sich. Wir haben uns, zwölf oder 15
Mann, dann wieder getroffen unter Bewachung. Ich bin von neuseeländischen
Truppen gefangen genommen worden. Das war während eines Feuergefechtes
relativ einfach, bei Granateinschlägen und so weiter. Da musste jeder
für sich selbst sorgen. Wir hatten Spezial-Unteroffiziere und -Leutnants,
die sollten auf uns aufpassen. Es war ja nicht so, dass wir eine normale
Einheit waren. Ich weiß noch, der eine Leutnant wurde schwer verwundet
und da ging alles drunter und drüber und dort habe ich mich dann von
Granatloch zu Granatloch abgesetzt.
Und dann war ich ein paar Jahre in amerikanischer Gefangenschaft. Ich bin
zunächst ins Atlasgebirge gekommen, zu Engländern und habe dort
Gefangenenlager aufgebaut für alle die, die in Afrika gefangen genommen
wurden. Danach bin ich mit dem Zug nach Casablanca und dort den Amerikanern
übergeben worden und kam in die USA, in die Südstaaten. Da war ich in
Alabama und Mississippi. Dort habe ich in der Wäscherei gearbeitet.
Ich war zunächst in einem normalen Gefangenenlager und dort hatte man die
Möglichkeit, sich für ein sogenanntes Antifa-Lager zu melden. Ich
habe mich für das Camp McCain im Bundesstaat Mississippi gemeldet und bin
dort unter Gleichgesinnten gewesen. Wir haben unser Gefangenenlager selbst
organisiert.
Unabhängig davon haben wir im April 1945 die Tage miterlebt, wo die
US-Armee in Weimar Buchenwald befreit hatte, denn da kriegten wir
anschließend drei Tage lang nichts zu essen. Das war das erste KZ, das
die Amerikaner gesehen hatten. Die Amerikaner waren konsequent, da gab es in
den ganzen Gefangenenlagern für die Deutschen drei Tage nichts zu essen.
Sascha Lange