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Dass Leute, die sich vermutlich unheimlich linksradikal vorkommen, das Conne
Island mit Teerfarbe bewerfen halte ich für echten Irrsinn. Ähnliches
gilt für die mit Farbe beworfenen Wohnhäuser im Viertel. Farbbeutel
bei einem frischrenovierten unbewohnten Klotz oder einem
Verwaltungsgebäude, das mag eine andere Sache sein. Es passieren wirklich
schlimmere Dinge auf der Welt. Aber wer Häuser bewirft, in denen andere
Leute wohnen, zeigt damit nicht nur der Immobilienfirma, was er/sie von ihr
hält, sondern schafft auch gegenüber den Bewohner/innen der
Häuser eine Bedrohungskulisse. Nun kenne ich niemanden persönlich,
der dort wohnt. Aber ich frage mich, wozu und mit welchem Recht geschieht das?
Das Flugblatt, dass wenige Tage nach dem säuerlichen Statement des Conne
Island Plenums als Reaktion aus dem Kreis der Fassadenbestrafer/innen auslag,
fand ich einfach schäbig. Besonders brillant mag auch der Plenumstext des
Conne Islands nicht gewesen sein, ich finde aber, das ist zunächst
überhaupt nicht der Punkt. Wir behalten Euch im Auge heißt es
in Tanzschuppen zu Autonomen Zentren. Da dachte ich mir nur Ach,
macht doch! und mir kam das Lied Die gescheiterte Revolution von
EA80 in den Sinn: Deine Revolution, so schön erdacht, und
plötzlich hat keiner mitgemacht....
Es sind doch nicht die Zugezogenen oder das Conne Island und seine Szene das
Problem, sondern eine Stadtteilentwicklung, die nur sehr bedingt von den mehr
oder weniger nebeneinander her lebenden Anwohner/innen bestimmt wird, und in
vieler Hinsicht durch die gegenläufigen Interessen des Immobilienkapitals.
Das wird sich wohl so schnell auch nicht ändern. Meiner
oberflächlichen Auffassung nach mangelt es in Connewitz an vom Ansatz her
offener, kapitalismuskritischer stadtteilpolitischer Initiativen ebenso wie an
einer verlässlichen, lesbaren und nachprüfbaren Bestandsaufnahme und
tageslichttauglichen Diskussion dessen, was im Stadtteil in den letzten Jahren
passiert ist und aktuell passiert; in wirtschaftlicher, sozialer und
städtebaulicher Hinsicht. Anders wahrscheinlich als in Hamburg und Berlin,
von wo aus der Begriff Gentrifizierung als Sammelruf sozialer Kämpfe nach
Leipzig importiert wurde. Liefen denn mal Informationsveranstaltungen, hat sich
denn mal jemand die Mühe gemacht, die Sanierungen, Mieterhöhungen,
Baumaßnahmen, Eigentumsverhältnisse und die wirtschaftliche und
soziale Entwicklung des Stadtteils aus Anwohner/innenperspektive zu erarbeiten
und für politisches Handeln jenseits von selbstgerechten
Stammtischaktionen fruchtbar zu machen? Ich habe nichts in der Richtung
mitbekommen. Es kann sein, dass ich auf einem anderen Planeten gewohnt habe,
ich habe jedenfalls davon in der Vergangenheit nichts mitbekommen. Umso
erfreulicher ist es, wenn hier etwas Bewegung in die Sache kommt, und z. B. im
Januar Andrej Holm, als ein profilierter Kritiker von Stadtteilaufwertung und
Umstrukturierung zur Diskussion ins Conne Island eingeladen wird.
Den Aufsatz, der im Editorial des Dezember Newsflyers zu lesen war, fand ich
etwas altklug. Mit den stets dialektisch zu begreifenden Glücksversprechen
der bürgerlichen Gesellschaft, der Stadt, der Technologie usw. ist es
meiner Ansicht nach so eine Sache. Wie hat man sich diesem Versprechen
gegenüber als lebendige Person mit unmittelbaren sozialen Interessen zu
verhalten? Ich möchte in einer eher netten Umgebung, wo ich ein paar Leute
kenne, bezahöbar wohnen. Die frisch renovierten Fassaden anschauen, als ob
in ihnen der Vorschein einer befreiten Gesellschaft aufgehoben wäre,
reicht wohl auf Dauer nicht aus.
Interessanter fand ich da den dokumentierten Text zu 20 Jahren
Inselkoller. Zwar halte ich die Unterstellung des Freundeskreises
Dr. Georg Sacke, dass Conne Island habe jeglichen antifaschistischen
Anspruch aufgegeben, für billige Polemik. Dass aber die Conne Island-Szene
zum Teil nicht frei von Selbstgerechtigkeit ist und ihre inneren
Widersprüche nicht alle produktiv zu nennen sind, erscheint mir als
Aussenstehendem nicht zu abwegig. Falls es zutreffen sollte, was der
Freundeskreis behauptet, dass nämlich ein rechter Schläger sich im
Conne Island teils unbehelligt bewegen kann oder konnte, während
irgendwelche Leute überzogen brutale Behandlung am Einlass erfahren haben,
dann läuft da doch etwas schief. Auch wenn es sich bei den Vorwürfen
erstmal nur um Gerüchte handelt, wäre es meines Erachtens nicht
verkehrt, hier klar Stellung zu beziehen. Das halte ich übrigens für
wichtiger als die Durchsetzung des sogenannten Palituchverbotes.
Wenig überzeugend finde ich die in dem Schreiben des Freundeskreises
vorgenommene Koppelung von Preisen und politischer credibility des Conne
Island. Keine Frage, ich habe schon oft abgewogen, ob ich große Konzerte
im Conne Island wirklich sehen will, weil ich die Ticketpreise zum Teil heftig
finde. Ich bin übrigens selbst kein Proletarier sondern komme aus der
Mittelschicht, und falls die globale Wirtschaftskrise es mit mir nicht anders
vorhat, werde ich dort auch bleiben. Am Einlass vorbei zu schleichen habe ich
im Conne Island nicht versucht, ist wohl einfach nicht meine Art. Ein
Konzertbesuch auf Verdacht, oder nur zum Quatschen, ohne besonderes Interesse
an den Bands, wie es in der Liwi oder im Zoro geht, kommt für mich im
Conne Island eher nicht in Frage. Aber was sagen Eintritts- und
Getränkepreise, die oberhalb des Levels von DIY-Konzerten und Vokü
liegen, über den Klassencharakter eines Ladens aus? Ich habe nicht den
Eindruck, dass das Conne Island vornehmlicher Treffpunkt der Leipziger
Bourgeoisie geworden wäre, oder dass das Publikum hier mehr middle
class wäre als in den einschlägigen DIY-Läden. Vielleicht
ist sogar eher das Gegenteil der Fall. Und dann gibt es ja bekanntlich noch das
Café, den Freisitz, Kinovorführungen, Tischtennis, kleine Konzerte,
Benefizdiskos, Parties, Infoveranstaltungen, politische Vorträge und
Diskussionen, es gibt also schon eine ganze Reihe von sehr erschwinglichen oder
sogar kostenlosen Angeboten. Ausgerechnet das Conne Island für steigende
Mieten im Stadtteil ins Gebet nehmen zu wollen oder es als Ort sozialer
Ausgrenzung hinzustellen geht meines Erachtens an der Realität vorbei.
Eine andere Frage ist es, wie den gegenwärtigen gesellschaftlichen und
ökonomischen Verwerfungen vernünftig entgegengetreten werden kann,
jenseits vom Philosophieren und jenseits nächtlicher Strafaktionen.
J.