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Aktuelles Heft

INHALT #192

Titelbild
Editorial
• das erste: Interview mit dem Booker Jan
Disneyland des Unperfekten
The Bones
ease up^
Titanic Boygroup – die Abschiedstournee
extrem_ist_in
Get sw.amped up
Talib Kweli
Lords of the Underground
• teaser: Februar 2012 im Conne Island
Veranstaltungsanzeigen
• position: Keine Gewalt ist auch keine Lösung?
• leserInnenbrief: Zur sogenannten Gentrifizierung in Connewitz
• doku: 20 Jahre Nebenwiderspruch
• review-corner event: 20 YRS I
• review-corner event: 20 YRS II
• neues vom: Neues aus dem Briefkasten
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Zur sogenannten Gentrifizierung in Connewitz

Dass Leute, die sich vermutlich unheimlich linksradikal vorkommen, das Conne Island mit Teerfarbe bewerfen halte ich für echten Irrsinn. Ähnliches gilt für die mit Farbe beworfenen Wohnhäuser im Viertel. Farbbeutel bei einem frischrenovierten unbewohnten Klotz oder einem Verwaltungsgebäude, das mag eine andere Sache sein. Es passieren wirklich schlimmere Dinge auf der Welt. Aber wer Häuser bewirft, in denen andere Leute wohnen, zeigt damit nicht nur der Immobilienfirma, was er/sie von ihr hält, sondern schafft auch gegenüber den Bewohner/innen der Häuser eine Bedrohungskulisse. Nun kenne ich niemanden persönlich, der dort wohnt. Aber ich frage mich, wozu und mit welchem Recht geschieht das?

Das Flugblatt, dass wenige Tage nach dem säuerlichen Statement des Conne Island Plenums als Reaktion aus dem Kreis der Fassadenbestrafer/innen auslag, fand ich einfach schäbig. Besonders brillant mag auch der Plenumstext des Conne Islands nicht gewesen sein, ich finde aber, das ist zunächst überhaupt nicht der Punkt. „Wir behalten Euch im Auge“ heißt es in „Tanzschuppen zu Autonomen Zentren“. Da dachte ich mir nur „Ach, macht doch!“ und mir kam das Lied „Die gescheiterte Revolution“ von EA80 in den Sinn: „Deine Revolution, so schön erdacht, und plötzlich hat keiner mitgemacht...“.

Es sind doch nicht die Zugezogenen oder das Conne Island und seine Szene das Problem, sondern eine Stadtteilentwicklung, die nur sehr bedingt von den mehr oder weniger nebeneinander her lebenden Anwohner/innen bestimmt wird, und in vieler Hinsicht durch die gegenläufigen Interessen des Immobilienkapitals. Das wird sich wohl so schnell auch nicht ändern. Meiner oberflächlichen Auffassung nach mangelt es in Connewitz an vom Ansatz her offener, kapitalismuskritischer stadtteilpolitischer Initiativen ebenso wie an einer verlässlichen, lesbaren und nachprüfbaren Bestandsaufnahme und tageslichttauglichen Diskussion dessen, was im Stadtteil in den letzten Jahren passiert ist und aktuell passiert; in wirtschaftlicher, sozialer und städtebaulicher Hinsicht. Anders wahrscheinlich als in Hamburg und Berlin, von wo aus der Begriff Gentrifizierung als Sammelruf sozialer Kämpfe nach Leipzig importiert wurde. Liefen denn mal Informationsveranstaltungen, hat sich denn mal jemand die Mühe gemacht, die Sanierungen, Mieterhöhungen, Baumaßnahmen, Eigentumsverhältnisse und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Stadtteils aus Anwohner/innenperspektive zu erarbeiten und für politisches Handeln jenseits von selbstgerechten Stammtischaktionen fruchtbar zu machen? Ich habe nichts in der Richtung mitbekommen. Es kann sein, dass ich auf einem anderen Planeten gewohnt habe, ich habe jedenfalls davon in der Vergangenheit nichts mitbekommen. Umso erfreulicher ist es, wenn hier etwas Bewegung in die Sache kommt, und z. B. im Januar Andrej Holm, als ein profilierter Kritiker von Stadtteilaufwertung und Umstrukturierung zur Diskussion ins Conne Island eingeladen wird.

Den Aufsatz, der im Editorial des Dezember Newsflyers zu lesen war, fand ich etwas altklug. Mit den stets dialektisch zu begreifenden Glücksversprechen der bürgerlichen Gesellschaft, der Stadt, der Technologie usw. ist es meiner Ansicht nach so eine Sache. Wie hat man sich diesem Versprechen gegenüber als lebendige Person mit unmittelbaren sozialen Interessen zu verhalten? Ich möchte in einer eher netten Umgebung, wo ich ein paar Leute kenne, bezahöbar wohnen. Die frisch renovierten Fassaden anschauen, als ob in ihnen der Vorschein einer befreiten Gesellschaft aufgehoben wäre, reicht wohl auf Dauer nicht aus.



Interessanter fand ich da den dokumentierten Text zu 20 Jahren „Inselkoller“. Zwar halte ich die Unterstellung des Freundeskreises „Dr. Georg Sacke“, dass Conne Island habe jeglichen antifaschistischen Anspruch aufgegeben, für billige Polemik. Dass aber die Conne Island-Szene zum Teil nicht frei von Selbstgerechtigkeit ist und ihre inneren Widersprüche nicht alle produktiv zu nennen sind, erscheint mir als Aussenstehendem nicht zu abwegig. Falls es zutreffen sollte, was der Freundeskreis behauptet, dass nämlich ein rechter Schläger sich im Conne Island teils unbehelligt bewegen kann oder konnte, während irgendwelche Leute überzogen brutale Behandlung am Einlass erfahren haben, dann läuft da doch etwas schief. Auch wenn es sich bei den Vorwürfen erstmal nur um Gerüchte handelt, wäre es meines Erachtens nicht verkehrt, hier klar Stellung zu beziehen. Das halte ich übrigens für wichtiger als die Durchsetzung des sogenannten Palituchverbotes.

Wenig überzeugend finde ich die in dem Schreiben des Freundeskreises vorgenommene Koppelung von Preisen und politischer credibility des Conne Island. Keine Frage, ich habe schon oft abgewogen, ob ich große Konzerte im Conne Island wirklich sehen will, weil ich die Ticketpreise zum Teil heftig finde. Ich bin übrigens selbst kein Proletarier sondern komme aus der Mittelschicht, und falls die globale Wirtschaftskrise es mit mir nicht anders vorhat, werde ich dort auch bleiben. Am Einlass vorbei zu schleichen habe ich im Conne Island nicht versucht, ist wohl einfach nicht meine Art. Ein Konzertbesuch auf Verdacht, oder nur zum Quatschen, ohne besonderes Interesse an den Bands, wie es in der Liwi oder im Zoro geht, kommt für mich im Conne Island eher nicht in Frage. Aber was sagen Eintritts- und Getränkepreise, die oberhalb des Levels von DIY-Konzerten und Vokü liegen, über den Klassencharakter eines Ladens aus? Ich habe nicht den Eindruck, dass das Conne Island vornehmlicher Treffpunkt der Leipziger Bourgeoisie geworden wäre, oder dass das Publikum hier mehr middle class wäre als in den einschlägigen DIY-Läden. Vielleicht ist sogar eher das Gegenteil der Fall. Und dann gibt es ja bekanntlich noch das Café, den Freisitz, Kinovorführungen, Tischtennis, kleine Konzerte, Benefizdiskos, Parties, Infoveranstaltungen, politische Vorträge und Diskussionen, es gibt also schon eine ganze Reihe von sehr erschwinglichen oder sogar kostenlosen Angeboten. Ausgerechnet das Conne Island für steigende Mieten im Stadtteil ins Gebet nehmen zu wollen oder es als Ort sozialer Ausgrenzung hinzustellen geht meines Erachtens an der Realität vorbei.

Eine andere Frage ist es, wie den gegenwärtigen gesellschaftlichen und ökonomischen Verwerfungen vernünftig entgegengetreten werden kann, jenseits vom Philosophieren und jenseits nächtlicher Strafaktionen.

J.

 

26.01.2012
Conne Island, Koburger Str. 3, 04277 Leipzig
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